Sechs Jahre sind seit dem letzten „Derby Mataram“ her. Namensgebend für das Duell zwischen den Erzfeinden Persis Solo und PSIM Jogjakarta ist das ehemalige Königreich in Zentral-Java. In keinem der letzten neun (!) Duelle ging Persis dabei als Sieger hervor, dennoch ist es das einzige Spiel, das die Persis-Fanszene nicht boykottiert. Die Gründe für den Boykott finden sich im fremden Spielort Madiun, der über hundert Kilometer von der Heimatstadt Surakarta (genannt Solo), entfernt liegt. Hier wird seit Jahren in gemütlichem Tempo am Umbau des Stadions gearbeitet.

Ob das Hassduell überhaupt im Beisein von Zuschauern über die Bühne gehen wird, sollte sich erst am Vorabend auf der Pressekonferenz herauskristallisieren. Nur eine Tatsache war vorab klar; Gästefans wird es im Städtchen Madiun auf jeden Fall keine geben. Mit der Begründung, dass die Heimfans die Gästeakteure negativ beeinflussen könnten, gab es spät am Abend schliesslich die negative Nachricht vom Geisterspiel. Ernüchterung machte sich bei Kumpane Heeb und mir breit, hatte sich uns die Möglichkeit von einem Spielbesuch doch erst kurz vorher durch eine Terminverlegung eröffnet. Da die Zugverbindung für die zweieinhalbstündige Fahrt bereits gebucht war und in Indonesien ein Entscheid schneller ändert als das Wetter, entschieden wir uns dennoch zu einer Anreise. Selbiges liessen die Heimfans über die sozialen Medien verlauten und sicherten ihren Lieblingen im Notfall lautstarken Support vom Stadionvorplatz aus zu.

Am kommenden Tag sondierten wir drei Stunden vor Anpfiff erstmals die Lage am Stadion, als wir Zeuge der Ankunft der Pasoepati werden. Teilweise steigen aus den unzähligen Bussen doppelt so viele Leute, wie von den Herstellern ursprünglich angedacht – ein Grossteil trotz Hitze, sehr zu unserer Unterhaltung, in Langarm-Pullovern und Jacken bekannter Designermarken. Als wir nach den Mittagsstunden zurückkehren, herrscht rund um das Stadion weiterhin reges Treiben. Für uns zwei geht es indes via Presseeingang vorbei an den gierigen Blicken ins Stadioninnere.

Hier herrscht gähnende Leere, ehe unter den Fotografen eine halbe Stunde vor Anpfiff Hektik und das Gerücht aufkommt, die Polizei sei eingeknickt und werde die Fans nicht mehr am Einlass hindern. Als fünf Minuten vor Anpfiff noch immer keine Menschenseele auf den Stehrampen im Stadion zu sehen ist, schreibe ich die Sache innerlich zum hundertsten Mal ab. Just in dem Moment ist von draussen grosser Jubel zu vernehmen und eine halbe Stunde später – das Spiel hatte längst begonnen – war die Spielstätte mit „offiziell“ 18’000 Zuschauern brechend voll. Den Staatsdienern sei die Situation vor dem Stadion effektiv zu brenzlig geworden, sodass sie die Tore öffneten. So strömen die Leute nun unkontrolliert ins Innere. Dies gibt zwar geniale Fotos von überfüllten Sektoren und Fans, die waghalsig auf die Dächer und Anzeigetafeln ausweichen, ist jedoch im Falle einer Massenpanik (Remember Hillsborough) lebensgefährlich. So geschah es prompt, dass die Rettungskräfte wiederholt junge Männer abtransportierten, die zu fest in die uralten Zäune gedrängt wurden oder sich an den spitzen Enden geschnitten hatten.

Wie gefühlt immer in wichtigen Spielen hier, pfeift der Schiedsrichter noch während der ersten Halbzeit – zur Beruhigung der tobenden Menge – ein leichtes Foul im Strafraum sofort ab. Den Penalty verwandelt Solo daraufhin souverän zur Führung. Im Anschluss ergibt sich wenig Zählbares auf der ausgetrockneten Unterlage und es bedarf einem Zufallskonstrukt, dass El Loco (wer sonst) im Dienst der Gäste zum 1:1 auszugleichen vermag. Die fehlende Ästhetik in diesem Zweitligaspiel vermag unser Duo aber nur bedingt zu irritieren, zumal die Augen zum Grossteil auf den Rängen verweilen. So beeindruckt mich vor allem der Casual-Haufen rund um die „Surakartans B6“, die optisch an die guten alten Zeiten der Curva Sud aus Milano erinnern. Später macht mich Kumpane Heeb auf zwei Brajamusti (Anhänger der Gäste) aufmerksam, die auf der Tribüne aufgefallen sind und von der Polizeimacht mit aller Kraft vor dem drohenden Prügeltod bewahrt werden müssen. Auch der Gaucho Gonzalez weiss um die besonderen Umstände bei diesem Spiel und hat zwei persönliche Bodyguards – einer davon stilecht mit protziger Goldkette um den Hals – auf der Ersatzbank positioniert.

Als wir in der Schlussphase schliesslich dachten, es wird nicht mehr besser, erzielt Solo den Treffer zum 2:1. Und wenn ich jetzt schreibe, dass „das Stadion explodierte“, dann handelt es sich in diesem Fall nicht um eine Plattitüde, sondern um die exakte Beschreibung für jene einzigartige Situation. Kaum liegt der Ball in den Maschen rennen Fans auf den Rasen, Böller zerreissen die Luft und hinter dem Tor herrscht pures Chaos. Dies ruft die Polizei auf den Plan, der es nach einigen Minuten endlich gelingt, die Lage etwas zu beruhigen. Unter einem minutenlangen und ohrenbetäubendem „Alap Alap Sambernyawa“ rettet Persis den ersten Derbysieg seit Langem schliesslich über die Zeit.

Beim Platzsturm und der Hymne nach Spielende, spätestens aber bei der Zugfahrt am Abend, sind Kumpane Heeb und ich uns einig: Was wir hier und heute unter diesen Umständen erlebt haben, kann nur sehr schwer je wieder getoppt werden.