Ein Spielbesuch, ab dem sich die Geister scheiden und der mich als traditionellen Fussballfan in Erklärungsnot bringt. Vollständig rechtfertigen kann ich ihn sowieso nicht. Zu den mildernden Umständen gehören folgende zwei Tatsachen: Einerseits ist dies die Priorität, die meine Sammelleidenschaft und damit der Wille, die Bundesliga zu komplettieren, dem Boykott gegenüber geniesst. Dieses Verhalten gehört klar zur Sparte der Sucht, die Wikipedia mit folgendem Wortlaut definiert: „Das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet.“ Folglich befinde ich mich weiterhin in der Abhängigkeitsphase, auf welche die Rationalität nur bedingt Einfluss nehmen kann.

Der andere Aspekt hängt mit meiner persönlichen Fanfreundschaft zusammen, die ich nunmehr seit mehreren Jahren nach Freiburg pflege. Dort im Breisgau ist mit Lars ein Artgenosse beheimatet, den ich am späten Freitagabend aufsuchte. Nach einer kurzen Nacht (Danke nochmals für die Beherbergung) ging es früh los in Richtung Ostdeutschland. Die rund sechshundert Kilometer bewältigten wir mit dem Auto ohne Zwischenfälle, sodass wir um die Mittagszeit die grösste Stadt im Freistaat Sachsen erreichten. Erste Anlaufstelle stellte das am südöstlichen Stadtrand gelegene Völkerschlachtdenkmal dar. Dieses erinnert nicht nur an die gewonnene Schlacht vom 1813 gegen die Truppen Napoleons, sondern bietet auch eine imposante Aussicht auf den Leipziger Südfriedhof und die Innenstadt. Anschliessend statteten wir dem Stadtkern im ehemaligen DDR-Gebiet einen Besuch ab. Mit über einer halben Million Einwohner gehört Leipzig übrigens zu den am schnellsten wachsenden Grossstädten Europas.

Natürlich birgt die Stadt Leipzig auch weit traditionsreichere Fussballvereine in ihren Reihen. Allen voran die beiden Regionalligisten Chemie und Lokomotive. Trotz mittlerweile sportlicher Bedeutungslosigkeit und weit kleineren finanziellen Mitteln weisen die beiden Kontrahenten jüngst einen sportlichen Aufwärtstrend aus. Wer weiss, vielleicht kann der ehemalige SSV Markranstädt damit eines Tages wieder aus dem ruhmreichen Zentralstadion verdrängt werden. Zurzeit, im Jahre 2017, sieht die Realität (leider) etwas anders aus. So lud Rasenballsport an diesem kalten Novembertag nämlich zum Verfolgerduell gegen die viertplatzierten Hannoveraner.

Diese Ausgangslage lockte satte 40’461 Zuschauer in die Spielstätte. Lediglich der Gästebereich war, wobei die Gründe hierfür clubintern zu suchen sind, nicht vollständig gefüllt. Und wenn als Fussballkultivierter schliesslich kurz vor Anpfiff auf der Sitzschale in der Arena Platz genommen wird, tut es irgendwo tief im Innern besonders weh. Den Schmerz erzeugen all die anderen Stadionbesucher, die anscheinend ohne schlechtes Gewissen diesem Marketinganlass frönen. Wobei es zu sagen gilt, dass lediglich eine Marke beworben wird. Auf fremde finanzielle Unterstützung scheint hier am Elsterbecken schliesslich niemand angewiesen zu sein. Damit wurde ein neues Feindbild für den Traditionalisten und die aktiven Fanszenen geschaffen, das ähnliche Konstrukte plötzlich ein stückweit konformer erscheinen lässt. Damit will ich beispielsweise auf die Profiteure aus Ingolstadt, Wolfsburg oder Hoffenheim anspielen, die sich lediglich durch einige Jahre Ligazugehörigkeit die Kritik abgearbeitet zu haben scheinen. Klar ist diese These etwas kühn formuliert und vielen Fussballfans sind Werks- und von Mäzen geführte Vereine weiterhin ein Dorn im Auge; vollkommen verschleiern lässt sich diese Entwicklung aber nicht.

Das Tradition nicht vollkommen kauf- und adaptierter ist, zeigten die diversen Zaunfahnen im Heimbereich, die eher an einen Malwettbewerb für Kinder erinnern. Aus sportlicher Sicht verlief der Nachmittag ebenfalls wenig erfreulich. So konterten die Messestädter die Führung der Gäste mit zwei Treffern der beiden unsympathischsten Akteuren in ihren Reihen. Durch den schmeichelhaften 2:1-Erfolg schoben sich die Rot-Blauen zumindest für kurze Zeit auf den zweiten Tabellenplatz. Mit dem Schlusspfiff war der Zeitpunkt gekommen, sich von Lars und seiner Freundin zu verabschieden. Denn während sie anschliessend die Heimfahrt nach Freiburg antraten, stand für mich eine längere Zugfahrt bis ins nächtliche Domizil Wolfsburg an.