Der zukünftige Meister und Rekordmeister Spartak empfängt Zenit, den Dominator der vergangenen Spielzeiten, im Hexenkessel der Hauptstadt. Auf der einen Seite der beliebteste Club Russlands und auf der anderen Seite mit Zenit derjenige Verein, hinter dem auch Präsident Medwedjew und Vladimir Putin stehen. Ein hochbrisantes Spiel, bei dem auch ich gerne mit von der Partie bin. Dabei stellte der interne Vorverkauf jedoch den berühmten Dorn im Auge dar, sodass ich in der Not den ungeliebten Weg über Dritte beschreiten musste. Als die beiden Tickets am Vorabend der grossen Partie endlich im Hotel eintrafen, währte unsere Freude darüber nur kurz. Denn mit den beiden vorliegenden Tickets hatten wir lediglich Zutritt zum Gästeblock. In einem solchen Moment bei den Verantwortlichen über den Fehler zu klagen, wäre alleine vom zeitlichen Aspekt her, kaum mehr möglich gewesen.

Und so sind wir wieder beim vorgängigen Beitrag und dem Spielbesuch im Nordwesten der Stadt bei Strogino Moskau angelangt. Den kurzen Weg von hier zur Heimstätte von Spartak trat ich nach Schlusspfiff nämlich alleine an. Jonathan war im letzten Moment abgesprungen und entschied, auch nach den Ereignissen vom Vortag, auf weiteres Spektakel zu verzichten und im Hotelzimmer zu verweilen. Verübeln kann ich es ihm nicht, denn es gibt offensichtlich kaum etwas Dümmeres/Gefährlicheres, als sich bei einem solchen Spiel als Nichtrusse in den Block von Zenit zu begeben. Wer mich kennt, weiss, dass ich zwar durchaus naiv sein kann, doch wenn ich eines nicht bin, dann ein Angsthase.

Zudem bestand ja noch die kleine Chance, die Tickets allenfalls vor dem Stadion tauschen zu können. Diese Hoffnung musste ich nach meiner Ankunft am Stadion jedoch ziemlich schnell begraben. Denn statt das Eintrittskarten angeboten wurden, gab es diverse Fans, die selbst auf der Suche nach einem Platz in der ausverkauften Arena waren. Da somit die Kassen geschlossen blieben und die Spartak-Anhänger auf mein Ticket nicht sonderlich gut zu sprechen waren, machte ich mich auf den Weg in Richtung Gästeblock. Hier nahm sich in der Schlange vor den Kontrollposten Denis, ein Ingenieur der zurzeit in Angola fördert, meiner an. Der Zenit-Fan war mit seiner Frau Maria sowie seinem Kumpel Sergej angereist. Während Maria eine zierliche Frau aus dem Ostblock verkörpert, stellt Sergej mit seiner Postur und dem alkoholgetränkten Atem das Abbild eines russischen Problemfan dar. Trotz sprachlicher Barriere wurden wir schnell ziemlich beste Freunde und zwar nicht des Alkohols wegen. Denn durch das Fernbleiben Jonathans hatte ich für mein zweites Ticket noch keinen Abnehmer gefunden. Da Sergej keine Ticket hatte und zudem arg bei Kasse war, gab ich ihm die Karte für lau. Dieser freute sich so sehr darüber, dass er mich wohl auf der Stelle geheiratet hätte, wäre in seinem Land die Homoehe nicht derart verpönt.

Die nächste Hürde folgte sogleich beim Einlass, der sich über vier (!) Kontrollen erstreckt. Die erste davon stellte kein Problem dar, da lediglich geschaut wurde, ob der Stadionbesucher auch über eine gültige Einlassberechtigung verfügt. Bei der zweiten Kontrolle sah es bereits wesentlich kritischer aus: Hier wurde das personalisierte Ticket – jetzt machte das Gekritzel auf meinem Ticket endlich Sinn – mit dem Pass abgeglichen. Und da ich weder «Ivan Ivanov» heisse, noch genügend Argumente vorweisen kann, um den sturen Ordner umzustimmen, hatte ich mich bereits mit dem Blick auf die mächtige rotweisse Schale des Stadions abgefunden. Meine neuen Freunde gaben sich damit aber nicht zufrieden und während sich Sergej irgendwie ins Stadion schmuggelte, arrangierte mir Denis einen Telefonkontakt aus St. Petersburg, der dem Ordner am anderen Ende der Leitung bestätigte, dass es sich bei ihm um den Ticketkäufer handle und er es für mich gekauft hatte, da ich extra für dieses Spiel aus der Schweiz angereist war. Ganz verkehrt war diese Tatsache nicht und nach kurzer Diskussion durfte ich im Schlepptau von Denis endlich passieren. Die beiden letzten Kontrollen waren zwar ebenfalls zeitraubend, stellten mit einem Security-Check sowie einer gründlichen Leibesvisitation aber kein Hindernis mehr da. Und so stand ich wenig später doch noch überglücklich im Innern der modernen Arena. Trotz dem Angebot Sergejs als «Personal Security» und einem Platz unten bei den aktiven Fans verzog ich mich in die letzte Reihe des Oberrangs.

Hier hatte ich glücklicherweise meine Ruhe und zudem gute Sicht auf das Spielgeschehen und die Heimkurve. Jene präsentierte zu Beginn der Partie eine zweiteilige Choreografie. Ursprünglich war sogar ein dreiteiliges Intro geplant, dieses wurde von der Polizei jedoch aus unbestimmten Gründen kurzfristig untersagt. So bekamen die 43’333 Zuschauer zuerst die Skyline von Moskau mit den Worten «Moskau – die beste Stadt der Welt» abgerundet mit Papiertafeln in den Clubfarben zu sehen, ehe eine zweite Blockfahne hinter der Skyline mit einem grimmigen Augenpaar sowie dem übersetzten Wortlaut «Hauptstadt der totalen Überlegenheit» aufgezogen wurde. Im Gästeblock gab es ebenfalls eine Aktion zum Anpfiff; so durfte ich einen Balkenschal in den Clubfarben hochhalten, der für ein einheitliches Bild sorgte. Einen richtigen Schal schenkte mir übrigens Denis, was ich eine unglaublich nette Geste finde. Während des Spiels über gab es von Spartak unter der Leitung der Gladiators Firm und Fratria nicht nur unglaublich lauten Support, sondern auch immer wieder Pyrotechnik, Rauch und Leuchtspuren zu bestaunen. Den Höhepunkt erreichte die Stimmung bei den beiden Treffern Spartaks, die schliesslich zum verdienten 2:1 führten. Der zwischenzeitliche Ausgleich wurde von der Anhängerschaft Zenits ebenfalls ausgiebig mit Pyrotechnik zelebriert.

Vom Spiel an sich habe ich nur noch wenig im Kopf, dafür sind mir andere Aktion noch total präsent. Spätestens wenn von Spartak der Pufferblock überschritten wird und von Zenit zahlreiche Böller in Richtung Heimfans fliegen, läuft es einem eiskalt den Rücken hinunter. Was hier für Module an den Plexiglaswänden und in den Stahlseilen hingen war definitiv von einem anderen Kaliber als in der Heimat.

So war ich auch nicht unglücklich ob der verhängten Blocksperre nach Spielschluss. Geschlagene neunzig Minuten in der kalten Moskowiter Nacht verharren zu müssen, finde ich aber doch zuviel des Guten. Als die Warterei endlich ein Ende hatte, verabschiedete ich mich von Denis, Maria und Sergej und schlängelte ich mich an den Bussen der Gästefans vorbei zur U-Bahn. Den Schal gut versteckt, passierte ich auf der Fahrt zurück ins Hotel diverse «Wachposten» von Spartak, ehe ich gegen Mitternacht die Zimmertür aufschloss und sogleich ins Bett fiel, um vor der morgendlichen Heimreise noch etwas Schlaf nachzuholen. Davai Zenit!