Eines plötzlichen Tages verliebte ich mich in dich. Mein Herz schlug, frag mich nicht warum. Die Zeit verging, doch ich bin immer noch hier. Und heute wie damals, verteidige ich diese Stadt. Während ich bei diesen Worten aus dem übersetzten Fangesang „Un giorno all‘improvviso“ zwar unvermeidlich an meine grün-weisse Heimat in der Ostschweiz denke, soll heute der Fokus dem Ort gelten, der diese weit verbreiteten Melodie international bekannt machte. Ihren Ursprung findet sie übrigens in den Abruzzen, im kleinen Städtchen L’Aquila.

Die viel beschworene „Mentalita Ultrà“ wird trotz allen Repressionen kaum irgendwo so gelebt wie in der italienischen Hafenstadt Neapel. Bedingt durch die Machenschaften der Camorra wird diese Stadt wohl nicht nur für mich immer von einem gewissen Mythos umgeben sein. Und auch wenn auf dem Stiefel mein Herz ganz klar für Atalanta schlägt, ist mir die SSC nicht unsympathisch.

Vor dem Flutlichtspiel im Stadio San Paolo stand für mich die Zugfahrt von Foggia nach Neapel an. Über eine Stunde zu früh begab ich mich nach Tageshälfte an den Bahnhof, da es sich um die einzige Verbindung an die Westküste handelte. Damit wollte ich den Fall der Fälle abdecken, zumal ich den Süditalienern aus Erfahrung durchaus zutraue, den nächtlichen Umstieg auf die Winterzeit verpasst zu haben. Die nervenaufreibende Anreise von Freitag liess mich aber umsonst paranoid werden, denn auch in Italien hatte man die Uhren erfreulicherweise zurückgestellt. So blieb noch Zeit für ein erfrischendes Peroni, ehe ich in drei Stunden nach Napoli gebracht wurde. Natürlich verpasste ich aufgrund einer Verspätung meinen Anschlusszug in Caserta, sodass eine Stunde vom Puffer wegfloss. Dieser wurde aber bewusst grosszügig gewählt, sodass nach der Ankunft immer noch Zeit genug für den Zimmerbezug sowie eine Stärkung blieb, ehe ich durch die dunklen Gassen den Weg zur Haltestelle Cavour antrat.

Nach dem Ausstieg am Bahnhof Campi Flegrei rückt einem die imposante, vor sich hin bröckelnde Schüssel ins Blickfeld. Von Innen erinnert das Stadion mit seiner geteerten Laufbahn an eine grössere Version als diejenige, die in Verona steht. Da der Fernseher für den VAR streikte, verspätete sich der Anpfiff um einige Minuten, die wartend mit einem gellenden Pfeifkonzert als Zeitvertreib verbracht wurden. No al Calcio moderno! Als das Duell endlich angepfiffen wurde, verging keine Viertelstunde, ehe die Gäste aus der Hauptstadt kurios in Führung gingen. Gefreut hat sich unter den enttäuschenden 30’037 Zuschauer übrigens so gut wie niemand. Seit der Geschichte rund um den Tod von Ciro Esposito vor vier Jahren sind bei diesem Duell keine Gästefans mehr erlaubt. Das gewohnt schnelle Kurzpassspiel, übrigens eine hocheffiziente Waffe aus der Trainer-Ära Sarri, liess das Heimteam in der Folge stets schnell bis zum Sechzehner vordringen, ehe sie ideenlos dastanden oder kläglich scheiterten. Besonders der sonst so treffsichere Publikumsliebling Insigne vergab gleich mehrere Hochkaräter. In der Schlussphase findet sich ein Grossteil des Publikums nach zwei Abseitstoren bereits mit der Niederlage ab, als dem belgischen Edeljoker Mertens in der letzten Spielminute der verdiente Ausgleich zum 1:1 Unentschieden gelingt.

Curva A und B stehen nun wie der Rest des Stadions derart Kopf, dass der neutrale Stadionbesucher glaubt, die Neapolitaner hätten soeben den „Scudetto“ geholt. Die beiden Fankurven kompensieren damit zwei durchschnittliche Leistungen mit lauten, eingängigen Melodien bis weit nach dem Schlusspfiff. In der scheinbar etwas kleineren A-Kurve waren zudem einige befreundete Anhänger aus Dortmund auszumachen. E dalla curva si alzerà…

Neapel schmeckt nach Pizzateig oder Sfogliatelle, wirkt charmant heruntergekommen und jede Seitenstrasse birgt ein neues Fotosujet oder die Gefahr, von einem nicht nagelfesten Objekt auf einem Balkon erschlagen zu werden. Droht von oben kein Ungemach, seien die grossen Schlaglöcher auf der Strasse sowie die halsbrecherischen Überholmanöver mit der Vespa erwähnt. Fotografen ist die Aussicht von Posillipo zu empfehlen. Bei besserem Wetter ist die Bucht traumhaft mit dem Vulkan Vesuv im Hintergrund zu sehen. Preislich herrschen in Kampanien nur schon im Vergleich zur Lombardei Welten. So bezahlt man hier für eine exzellente Pizza mit typisch dickem Rand keine fünf Franken.

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