Nachdem der gestrige Versuch mit europäischem Fussball in Ungarn fehlschlug, standen auch heute die Vorzeichen nicht sonderlich günstig. Zwar war das Europa-League-Spiel von Videoton kein Geisterspiel, jedoch sorgte ein anderer Programmpunkt für erneutes Kopfzerbrechen. Die Anreise, oder besser gesagt die Rückreise stellte ein zum Zeitpunkt unlösbares Problem dar. So wird die heutige Partie von Videoton nämlich nicht in dessen Heimatstadt Székesfehérvár (Stuhlweissenburg) ausgetragen, sondern im Dörfchen Felcsút, welches gut dreissig Kilometer weiter westlich liegt. Warum das Heimatstadion von Videoton nicht bespielt wird, ist mir nicht geläufig, im Internet sind aber Bilder von einem Neubau zu finden. Gut möglich, dass dies einer der Gründe sein kann. Den simplen Vereinsnamen hat der 1941 gegründete Verein übrigens dem lokalen Elektrogerätehersteller «Videoton» zu verdanken. Umgangssprachlich ist der Übername «Vidi» für die Mannschaft der Rot-Blauen aber deutlich öfters anzutreffen.

Zurück zu meinem ursprünglichen Problem, der Achillessehne dieses Spiels. Während die Hinfahrt mit Zug und Bus noch relativ simpel zu bewältigen wäre, ist die Rückreise aufgrund des späten Anpfiffs mit den öffentlichen Verkehrsmitteln schlicht nicht mehr möglich. Weder ein Bus an den nächsten Provinzbahnhof noch eine Regionalbahn zurück nach Budapest würde hier vor dem nächsten Morgen haltmachen. Da sich auch die Option Mietwagen im Preis-/Leistungsverhältnis nicht zu lohnen schien, wurden die drei einzigen Taxiunternehmungen in Felcsút und Umgebung angerufen. Das Resultat war einmal eine tote Leitung, bei der zweiten Nummer hörte ich einer sich wiederholenden Elektronikstimme zu und zum Schluss meldete sich eine ungarische Hausfrau am Hörer, die, während ihr Mann wohl unterwegs war, sichtlich mit der Situation überfordert war.

Als ich das Spiel also bereits abgeschrieben hatte, meldete sich Holger über mein Instagram-Feed bei mir. Er hatte dieses Spiel ebenfalls auf dem Radar und wollte beim dritten Versuch das traumhafte Stadion endlich kreuzen. Der in Bratislava lebende Hamburger erklärte sich nach Abchecken der Möglichkeiten bereit, mich am Bahnhof von Bicske abzuholen und auch nach dem Spiel bis nach Tatabanya zu fahren. Dort wurde eine Unterkunft gebucht, ehe ich am nächsten Morgen schliesslich den Heimweg in die Hauptstadt antreten würde. Mit der Abholung klappte alles perfekt und so ging es über Schotterpisten ins Dörfchen Felcsút. Aber Achtung, die unscheinbare Gemeinde mauserte sich gemessen am Pro-Kopf-Einkommen innerhalb eines Jahres zum reichsten Ort Ungarns.

Mit dem Bau des architektonischen Wunders namens «Pancho Arena» änderte sich vieles hier auf dem Lande. Warum aber genau in diesem Dörfchen? Die Antwort darauf ist äusserst simpel. Felcsút ist Heimatort des umstrittenen Premierministers Viktor Orbán, der hier aufgewachsen ist. Statt in Bildung und Gesundheit zu investieren, zog er es vor, einen Stadionkomplex zu errichten, welcher dem Puskas Akademia FC als Heimat dient. Wie der Name schon erahnen lässt, handelt es sich hierbei um die Jugendmannschaft von Videoton. Da sich die Jungspunde in ihrer neuen Heimat offensichtlich recht wohl fühlten, stiegen sie bis ins ungarische Oberhaus auf und sind nun in derselben Liga wie «Vidi» anzutreffen.

Personalisierte Eintrittskarten liessen sich an den Stadiontoren für umgerechnet zehn Euro erwerben. Wesentlich teurer als bei Spielen in der Liga, jedoch präsentiert sich das Innere des Stadions bei diesen Auftritten jeweils auch deutlich leerer. Und jenes Innere lässt sich sehen. Mit der traumhaften Dachkonstruktion aus Holz hat man das Gefühl, in irgendeiner Tempelanlage zu sitzen. Doch so schön die Begebenheiten auch zu sein vermögen, gross etwas vom Glanz lässt sich nicht auf das Spiel übertragen. Dieses plätschert bei milden Temperaturen vor 2’612 Zuschauern etwas dahin. Die Ausgangslage präsentiert sich nach dem klaren Auswärtssieg für den heutigen Gastgeber in punkto Spannung ebenfalls nicht weiter fördernd. Immerhin zeigte sich der kleine Haufen an Videoton-Anhängern, unterstützt von Freuden aus Zwickau, bemüht. Überraschend auch der gut zwei Dutzend starke Fanblock an estnischen Fans, die ihre Mannschaft im ungewohnten Pinkton unterstützten. Ihnen wird mit dem Treffer zum 1:1 Ausgleich für die lange Anreise gedankt. Nach Spielschluss setzte mich Holger schliesslich wie vereinbart in meinem Nachtquartier ab, dass in Realität noch deutlich trister ausschaut, als vorab auf Google Maps. Tatabanya – quasi das Ende der Welt auf Ungarisch.