Groundhopping wird salonfähig. Jüngst hat sich gar Kevin Kühnert, seinerseits Bundesvorsitzender der deutschen Jungsozialisten, als begnadeter Stadionsammler geoutet. Statt zu fünft auf der Rückbank des Polos garniert der Stadionsammler heutzutage den Ferienaufenthalt mit der besseren Hälfte mit etwas Fussball. Wo bleiben Exemplare wie Jens-Uwe, die uns einst im DSF mit ihrer barschen Art und dem fragwürdigen Modebewusstsein erquickten?
Ein Ausflug zu viert, ohne Frau im Gepäck und mit einer Abfahrtszeit weit vor Sonnenaufgang stand bei mir heute Sonntag auf dem Programm. Mitten im tristen November sollte es in insgesamt sieben Stunden Autofahrt nach Norditalien an ein Spiel der viertklassigen Serie D gehen – eine Hommage an unsere Gründerväter sozusagen.
Da galt es bei Kumpane Heeb vorab reichlich Überzeugungsarbeit zu leisten. Immerhin konnte ich ihm gleich eine Kette von Argumenten präsentieren. So lockte Gastgeber Legnano mit freiem Eintritt und die heimische Curva sollte durch die Länderspielpause und der anhaltenden Siegesserie der Lila-Weissen besser als sonst gefüllt sein. Prompt wurden zwei weitere Mitfahrer aus der St. Galler Fanszene gefunden, mit denen dem ersten groben Schneefall am San Bernardino getrotzt und gegen die Mittagszeit – rechtzeitig für ein stattliches Mittagessen – die 60‘000-Einwohner-Stadt nördlich von Milano erreicht wurde. Am Stadion hatte ich mich mit Sébastien verabredet, den ich in Indonesien kennengelernt hatte. Der frühere Vorsänger des Commando Ultra aus Marseille, der einem Buchvortrag geschuldet in Italien weilte, hatte mit Oussama von den Green Boys aus Casablanca einen zweiten gestandenen Ultra im Schlepptau. Durch sein Buch kannte Séba auch Vertreter der Heimszene, allen voran Claudio. Mit ihm kam ich vor Anpfiff ins Gespräch und er lud unsere St. Galler Fraktion nach Spielschluss in den Szenetreff ein.
So konnte das Spiel mit Vorfreude verfolgt werden. Dieses präsentierte sich bei widrigen Bedingungen auf der arg gebeutelten Unterlage als äusserst einseitig. Die Gäste aus dem Südtirol waren zu keiner Zeit auf der Höhe der Aufgabe, sodass Legnano einen hochverdienten 3:1-Heimsieg feierte. Nicht nur der Rasen ist vom traditionellen Palio, einer Art Pferderennen, gekennzeichnet, sondern auch der Stadionbau. So ist die gesperrte Hintertortribüne aus Stahlrohr beispielsweise erst weit hinter der Grundlinie aufgebaut. Der Grossteil der rund 800 Zuschauer hatte sowieso auf der überdachten Haupttribüne Platz genommen, während ein kleiner aber feiner Teil der Regenschauer trotzt und in der Kurve über die gesamte Spieldauer in solider Lautstärke ihre Mannschaft unterstützt. Diese spielte einst 11 Jahre lang in der höchsten italienischen Spielklasse, zuletzt 1954. Davon sind sie 65 Jahre später weit entfernt, festigen heuer mit dem vierten Sieg in Folge aber immerhin den Playoffplatz in der Debütsaison nach dem Aufstieg in die Viertklassigkeit.
Im Anschluss folgte das Highlight des Tages, als uns die im Jahre 1980 gegründeten Boys in ihrem Lokal empfingen. Bei Verköstigung auf ihre Kosten (Grazie Ragazzi) wurden nette Gespräche mit Vertretern einer Szene geführt, die trotz überschaubarer Grösse Charisma besitzt.