Für den Sonntag hatte ich ein Spiel der dritten Liga im Norden Salonikis herausgesucht, als mich Kumpane Heeb bei der Abreise auf den Zweitligisten Apollon Pontou hinwies. Der Verein aus dem unabhängigen Stadtteil Kalamaria, der nichts mit den Tintenfischringen zu tun hat, sollte am Sonntag ein Heimspiel austragen. Idealerweise liegt dessen Stadion deutlich näher an der PAOK Sports Arena, in der am Abend das Basketball-Derby steigen sollte, sodass wir uns für einen Besuch bei Apollon entschieden.

Aufgrund von vier (!) verschiedenen Anstosszeiten, zeigte sich der Kumpane untypisch nervös und holte mich mit dem Klopfen an die Zimmertüre kurz nach (!) Tageshälfte unsanft aus dem Schlaf. Nach erneuter Prüfung verschiedenster Quellen hielten wir die Anspielzeit um halb drei Uhr zwar für die plausibelste, machten uns aber bereits eine Stunde früher per Taxi auf zum Stadion. Noch immer war der überraschende Derbysieg von ARIS das Gesprächsthema im fest aufgedrehten Autoradio.

Am Stadion werden Karten für das Spiel gegen den Verein von der beliebten Ferieninsel Kreta zu zehn Euro verkauft. Ansonsten ist es nebst einer zügigen Bise, die den Abfall über den Vorplatz weht, gespenstisch ruhig. Genügend Zeit, um die Malereien rund um das Stadion zu sichten und abzulichten. Selten hatte ich derart sorgfältig skizzierte Motive und Wandbilder mit Fussballbezug zuvor bei anderen Vereinen gesehen. Wie ich später erfahren sollte, stammt der bekannteste Graffitikünstler der Stadt aus dieser ärmlichen Gegend. Um der bissigen Kälte zu entfliehen und den Hunger zu stillen, öffneten wir die Tür, hinter der wir das schwach beleuchtete Clubheim vermuteten. Hier gab es tatsächlich etwas Kleines für das leibliche Wohl, der Ort war aber vielmehr Treffpunkt der hier ansässigen Fanszene.

Auch im Innern zieren zahlreiche Malereien und Fotos der Fanszene die Wände. Nicht nur die Sprüche erinnern an Milan, ich sichte auch das Logo der Curva Sud. Kurz darauf spricht mich Dimitrios an, der gesehen hatte, wie ich die Bilder an den Wänden begutachtete. Er drückt uns zwei Kurvenkalender für das neue Jahr in die Hand und erklärt, dass die Rossoneri ihr grosses Vorbild und der Namensgeber für die hiesige Fangruppierung „Club Rossoneri“ seien. Sie würden nebst den Spielen von Apollon jeweils auch jene der Milanisti verfolgen und waren als Gruppe gar schon nach Athen gereist, als die Norditaliener in der Königsklasse in der griechischen Hauptstadt zu Gast waren. Seither existieren lose Kontakte zu Einzelpersonen aus der Curva Sud.

Im Gegensatz zu den Bildern, die eine volle Heimkurve Apollons zeigen, ist heute wenig los. Savvas, Dimitrios Kumpel und zweite Führungsfigur der Gruppierung, erklärt seufzend die Gründe. Wenig überraschend sind diese finanzieller Natur. Der ehemalige Erstligist wurde für diverse Versäumnisse mit happigen Punktabzügen bestraft und liegt nach zehn Spielen bei einem einzigen Sieg im Minusbereich am Tabellenende. So werden die Spiele von den älteren Fans boykottiert, während lediglich die jungen Fans die Fahnen hochhalten. Respekt, dass man bei solchen schwierigen Umständen zu seinem Verein hält, wenn wenige Kilometer entfernt zwei Erstligisten hausen, wovon einer gar den zurzeit erfolgreichsten Verein des Landes verkörpert. Trotz allem Galgenhumor zeigt sich Savvas besorgt, zumal der Spielbetrieb in der Winterpause gefährdet ist. Viele Spieler würden den klammen Zweitligisten verlassen und ihn vor ungewisse Zeiten stellen. Er vergleicht das drohende Schicksal gar mit demjenigen des Rivalen Iraklis, der vor wenigen Jahren aus gleichen Gründen in den Niederungen des Amateurfussballs verschwand. Im Gegensatz zu Iraklis hat Apollon Pontou allerdings keine Basketballmannschaft im Oberhaus, dessen Heimspiele die Fans alternativ besuchen können.

Hinsichtlich der Frage, ob man sich mit dem neuen Vereinsnamen identifizieren könne, meint Savvas, dass der Name die Geschichte ihrer Vorfahren, jener der Pontosgriechen aus dem gleichnamigen Gebiet in der heutigen Türkei, und derer ihrer Wurzeln unterstreicht und deshalb ganz gut passt. Die Clubfarben Rot und Schwarz symbolisieren das vergossene Blut und die ewige Trauer, fügt er mit Nachdruck an.

Es ist hartes Brot, das Kumpane Heeb und mir, nebst den offerierten Bieren, aufgetischt wird. Auch das Spiel auf der schlechten Unterlage passt ins triste Gesamtbild. Aktiv verfolgt wird es nur von einem kleinen Teil der 120 Zuschauer auf der grossen und gammeligen Tribüne. Im Fanblock sind die Jungs nur kurz zugegen, schliesslich ist nicht jedes Mal ein Fotograf vor Ort, der sich um ein neues Gruppenfoto kümmern kann. Von den vier Toren, die zu einem 1:3-Auswärtssieg für den nach einem Olympioniken aus Kreta benannten Verein führen, bekommen wir nur deren zwei mit über, die restliche Zeit verbringen wir im Raum der Rossoneri. Es ist bemerkenswert, wie Dimitrios und Savvas den Generationen-Gap meistern und die „Mentalità Ultrà“ an eine Jugend weiterzugeben versuchen, der nicht nur hinsichtlich ihrer fussballerischen Liebe keine rosige Zukunft bevorsteht.