Persiku Kudus - PSIM Jogjakarta

Weil das in Indonesien seit der Kanjuruhan-Tragödie verhängte Verbot für Gästefans auch für die Partie zwischen Sleman und Barito Putera (einem kleinen Klub aus Borneo) im nahegelegenen Exil in Bantul greift, steht einem dreitägigen Roadtrip mit Führungsleuten der Brigata Curva Sud (BCS) als Alternative nichts im Weg. Nebst Radhifan, der am Vorabend nach den zuletzt schlechten Leistungen mit dem PSS-Captain noch ein Hühnchen gerupft hatte und aufgrund seiner Statur von allen nur «Kebo» (Büffel) gerufen wird, sind Fahrer Tito, der als Mittdreissiger die alte und junge Generation verbindet, und Nanda mit von der Partie, der von Tito angelehrt wird und schrittweise in dessen Fussstapfen tritt. Zumindest im Strassenverkehr hoffe ich jedoch nicht, dass er Tito nachzuahmen versucht. Dieser treibt den Toyota Avanza immer wieder hochtourig und lässig rauchend links an der stehenden Kolonne vorbei über die staubigen Schotterpisten in Richtung Kudus.

Dennoch erreichen wir die 100‘000-Einwohner-Stadt im Norden der Insel Java sicher und früh genug, damit es mir noch zu einem Stadtrundgang reicht. Die starke islamische Prägung lässt sich hier primär anhand der grossen Moschee erkennen, welche die einzige klassische Sehenswürdigkeit darstellt. Wie so oft in wenig touristisch erschlossenen Regionen Indonesiens bietet das Alltagsleben in den Seitengassen daneben aber mehr Unterhaltung, während der Rest der Reisegruppe mit Schnapsflaschen bewaffnet im Hotelzimmer die Vereidigung des neuen Präsidenten Prabowo Subianto verfolgt. Als ich dort eintreffe, hat sich die BCS-Sektion Kudus zum Trio gesellt. Meinen Wunsch, mich nach dem europäischen Abendessen vom Vortag (im Anschluss an einen weiteren Spielbesuch bei Persis Solo) doch bitte nicht wie einen Backpacker zu behandeln, nimmt die Gruppe beim Wort und schleppt mich stattdessen zur Markthalle. Hier gibt es definitiv lokales Essen und ich muss kurz wegblicken, als ich einige Ratten die Dachrinne entlangrennen sehe. Mit Tahu, Tempeh, Kailan, Nasi Pecel und Lumpia Sayur sowie dem Saft einer frischen Degan ist man als Tierliebhaber aber sowieso oftmals auf der sicheren Seite.

Der Grunddurchgang der zweiten Liga wird in dieser Saison in drei Gruppen ausgetragen. Zur zweiten Staffel zählt auch Persiku Kudus, das mit dem Tabakkonzern «PT Djarum» einen lokalen und finanzstarken Unterstützer aufweist, stammt doch Gründer Budi Hartono aus der Region und gewährleistet über suchtmittelferne Subunternehmen – ähnlich wie bei Como Calcio – den nicht versiegenden Geldfluss. Die Partie gegen den Klub aus Jogjakarta ist für den Aufsteiger ein Highlight, weist PSIM nebst einer grossen Historie doch auch einen berüchtigten Anhang auf. Dies macht den Tag für unseren Fahrer Tito nicht gänzlich ungefährlich. Zwar gönnen sich die rivalisierten indonesischen Fanszenen seit dem Stadionunglück im Oktober 2022 eine Verschnaufpause, dem Anführer des Erzfeindes fern seiner Heimat über den Weg zu laufen, würden aber wohl auch sie nicht ungenutzt lassen.

Keine Gefahr geht hingegen von den heimischen «Suporter Macan Muria» aus, die sich bei der Namenswahl von einem nahegelegenen Vulkan und beim Wappen von einem Tiger inspirieren liessen, wie auf einer schönen Zaunfahne ersichtlich ist. Als beim Anpfiff eine kleine Gruppe an PSIM-Fans ins Stadion drängt, zeigt sich die Raubkatze aber harmlos und überlässt den Gästen kampflos den Rand ihrer Tribüne. Im Verlauf des Spiels bahnen sich weitere Anhänger aus Jogjakarta den Weg auf die Ränge, sodass der letzte Torjubel Gästefans an fünf Standorten – ausser im geschlossenen Gästesektor – lokalisieren lässt. Der Grossteil von ihnen hatte in der Halbzeitpause die Eingangskontrollen überlaufen und damit die eigene Anreise legitimiert. Dieser Realität sollte besser auch Verbandschef Erick Thohir ins Auge blicken, will er das Risikopotenzial in indonesischen Fussballstadien tatsächlich nachhaltig reduzieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Solidarität unter den beiden Fanlagern, boten vor der Partie doch einige Persiku-Fans den PSIM-Anhängern ihre Ausweise für den Abgleich am Stadioneingang an.

Auch auf dem Rasen zollen die heimischen Akteure der Gegenseite (zu) viel Tribut. Die defensive Ausrichtung bewahrt Persiku jedoch nicht vor einer 0:5-Pleite, die auch in der Höhe verdient ausfällt. Dies bestätigt nicht nur die Körpersprache von Seto, dem ehemaligen PSS-Trainer im Dienst von PSIM, sondern auch der Zynismus der Heimfans, die – um die eigene Vereinsführung zu verärgern – plötzlich anfangen, PSIM-Fangesänge zu intonieren. Zuvor war die Stimmung unter den 5178 Zuschauern aufgrund des Spielverlaufs und der lange Zeit abwesenden Gästeanhänger eher bescheiden ausgefallen.


Cercle Brügge - FC St. Gallen

Auf den Tag genau elf Jahre nach dem Europa-League-Auftritt in Swansea gastiert der FCSG wieder in einer europäischen Gruppenphase. Dies realisiere ich am Vorabend der Abreise, während ich – wie der Schüler von damals – meinen Reiseproviant packe. Wehmütig suche ich nach Parallelen und Entwicklungen – und stelle fest: St. Gallen ist noch immer eine kleine Stadt mit grossen Träumen, auch wenn sie im Vergleich zum Duell mit den Walisern auf internationaler Ebene mittlerweile einen Wettbewerb tiefer und gegen scheinbar weniger ruhmreiche Gegner zu Werke geht.

Dafür überzeugt mit Brügge – wie in den Runden zuvor – die Reisedestination. Zwischen «Vlaamse Frites», belgischem Hausbier und mit Schokolade überzogenen Waffeln dominiert in den Gassen um den Burgplatz und den «Grote Markt» am Spieltag bereits zur Mittagszeit die grün-weisse Glückseligkeit. Wer sich nicht den kulinarischen Versuchungen der 120’000-Einwohner-Stadt in Westflandern hingibt, geniesst bei bestem Herbstwetter den Blick vom Rosenkranzkai auf den Belfort, oder jener von der Bonifatiusbrücke auf die Liebfrauenkirche. Kein Wunder zählt das mittelalterliche Zentrum Brügges mit seinen Kanälen seit der Jahrtausendwende zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Weniger ästhetisch präsentiert sich die Spielstätte am westlichen Stadtrand. Von Beton dominiert, erinnert der Bau eher an das Stadion in Salerno als an einen renovierten Austragungsort der EM 2000. Weil sich nebst der belgischen Regierung bei den damaligen Renovationskosten auch die Flämische Gemeinschaft beteiligte, trägt die Heimat der beiden lokalen Erstligisten den Namen Jan-Breydel-Stadion, der auf Jan Breydel zurückgeht, der 1309 den städtischen Aufstand gegen den französischen König angeführt hatte.

Wie die Ostschweizer spielt auch Cercle in dieser Saison die bisher längste Europapokal-Kampagne seiner Geschichte, die bis ins Jahr 1899 zurückreicht. Trotz der überschaubaren Anhängerschaft ist der Klub ein wahrer Traditionsverein, was auch die Matrikelnummer 12 belegt, die jeder belgischer Fussballklub vom Verband auf Basis seines Gründungsjahres zugewiesen bekommt. Auch der Trophäenschrank der Belgier ist ähnlich leer und verstaubt wie jener des FCSG, liegen die einzigen drei Meistertitel – nebst zwei Pokalsiegen – doch fast ein Jahrhundert zurück. Für frischen Glanz sollte vor zwei Jahren das Rebranding durch eine lokale Agentur sorgen, die das bereits gewöhnungsbedürftige Klubwappen mit einem Kalligramm im schrillen Grünton aber weiter verunstaltet und die Fangemeinde damit entrüstet hatte. Diese spielt – wie auch der Klub selbst – in der Stadt hinter dem Rivalen Club Brügge nur die zweite Geige. Der Name von Cercle geht auf die Gründerväter zurück, die sich der Bedeutung des französischen Wortes für «Kreis» im Kontext einer «Gemeinschaft» bedienten.

Für den FC St. Gallen und seine 1500 mitgereisten Fans, die sich nach den gelungenen Auftritten in der Qualifikation zur Conference League auch zum Auftakt der Ligaphase Chancen ausgerechnet hatten, setzte es in Brügge einen herben Dämpfer ab. Die Grün-Weissen schienen die Belgier nach deren bescheidenem Saisonstart unterschätzt zu haben und die Partie war nach der frühen Führung vor 5395 Zuschauer bereits nach wenigen Minuten entschieden. Bis zum Schlusspfiff schraubte Cercle das Verdikt auf 6:2 Tore. Immerhin bleiben dem FC St. Gallen dieses Mal gleich fünf Partien Zeit für eine Korrektur.


Zaungast #10: Im Wandel der Zeit

Vom Wandel der Zeit – bei einem gross gewordenen Klub und dessen Stadion, italienischen Fanszenen und bei mir selbst. Oder schlicht von Atalanta gegen Fiorentina im September 2024.

Je erfolgreicher Atalanta spielte, desto weniger begann ich mich für den Verein zu interessieren. Und das, obschon mein Interesse an der Göttin (Dea) aus Bergamo einst den Darbietungen der Norditaliener auf dem Rasen entsprang. Später waren es nebst der Fanszene das Stadion oder die Art, wie der Klub und seine Nachwuchsabteilung geführt wurden, mit denen ich sympathisierte. Spätestens mit der Verkauf der Mehrheit der Anteile an eine US-amerikanische Investorengruppe und dem Umbau des Stadions fielen diese Aspekte wieder weg.

Statt den Sieg im Europacup zu feiern, dachte ich sehnsüchtig an die Schmierereien am Kassenhäuschen hinter der Curva Nord zurück, an die Zeiten, als oberhalb des Gästeblocks noch die Ausläufer der Altstadt zu sehen waren. An die wackeligen Stufen der Curva Pisani, mit Gürtel bewaffnete Gäste-Ultras in den geöffneten Türen ausgedienter Linienbusse, die über die Piazzale Oberdan rasten oder an die «Lacrimogeni», welche die DIGOS auf der Viale Giulio Cesare um die Ohren geworfen bekamen.

Geht es generell um italienische Fanszenen, romantisiere ich aber auch mit Aspekten, die ich mir für jene Kurve, die ich selbst frequentiere, nicht wünsche: etwa einen barfüssigen, zugekifften Vorsänger mit Rastafrisur, der erst fünf Minuten nach Anpfiff im Gästeblock eintrifft. Auch verkläre ich alte Zeiten – insbesondere die 1990er-Jahre, welche ich selbst nur von Bildern und aus Erzählungen kenne. Denn auch vor dem Tod von Filippo Raciti und Gabriele Sandri war in Italiens Fanlandschaft nicht alles besser und die Stadion stets voller oder farbenfroher. Im Gegenteil: Das San Siro ist in den letzten Jahren so gut ausgelastet wie einzig in den Jahren rund um die Heim-WM, auch wenn die Curva Sud heute kaum mehr an eine italienische Fankurve erinnert und nicht nur in der Lombardei gedruckte Fahnen längst dazugehören.

Auch in Sachen Vereinspolitik und Öffentlichkeitsarbeit haben deutschsprachige Fanszenen und -bündnisse den Italienern den Rang abgelaufen. Dabei zählten die Fans aus Bergamo – gemeinsam mit ihren Erzrivalen aus Brescia und den einstigen Freunden von Sampdoria – 1995 zu den Vorreitern, die nach dem Tod von Vincenzo Spagnolo die Kräfte der italienischen Anhänger bündelten und an vorderster Front gegen den Artikel 8 oder personalisierte Tickets gekämpft haben. Heute tragen sie in Bergamos Nordkurve in den Wintermonaten eine Camouflage-Jacke, die es vom Verein zur Saisonkarte kostenlos dazu gab. Neben der Heimkurve ist ein Burger King eingezogen und der verbannte Claudio Galimberti (Bocia) züchtet Muscheln in Marotta, einem Dorf an der Küste in den Marken. Knapp drei Jahre nach der Auflösung der Curva Nord hat noch immer keine neue Gruppe das Zepter übernommen und in der Curva Morosini gegenüber lancieren die wenigen Ultras beim ersten Spiel auf der umgebauten Tribüne das Intro zehn Minuten zu früh.

Dennoch sind die Ultras wenige Tage vor meinem Besuch die ersten, die nach den Überschwemmungen bereitstehen und in ihrer Stadt beim Aufräumen mitanpacken. Vor dem Spiel gegen die Fiorentina erinnern bei bestem Spätsommerwetter nur noch die dreckigen Caterpillar-Stiefel, mit denen sie am Baretto Civico stehen, an das Unwetter der vergangenen Tage. Auch dem Vorsängerpodest und der in Bolgare durchgeführten Abwandlung des traditionellen «Festa della Dea» haben sie Claudios Absenz zu Ehren den Titel «Per chi non può esserci» verliehen. Allgemein macht den gestandenen italienischen Fanlagern in Sachen Erinnerungskultur kaum jemand etwas vor. Das beste Beispiel dafür ist die nach Maurizio Alberti benannte Curva Nord aus Pisa mit ihrer einfühlsamen Ode an die (Un)sterblichen aus den eigenen Reihen. Auch Videoausschnitte aus den Kurven in Barletta, Chieti, Giugliano, Matera oder San Benedetto del Tronto sowie Napolis Aufritte am Roma Termini 2008 und vier Jahre später beim Jubeln über Edinson Cavanis Tor im Final der Coppa Italia lassen mich ein Stück weit verstehen, weshalb deutsche Pizza-Wurstel-Hopperultras mit den Billigairlines von Paderborn nach Brindisi reisen, den Fans aus Cerignola die Aussprache von Fürth beizubringen versuchen oder in Latinas Curva Nord dem Muskelkater trotzend den Jahn-Schal so lange in die Höhe halten, dass auch die Konkurrenz aus der Heimat via «Sport People» von der mentalitätsgeschwängerten, ostbayerisch-latinischen Fanfreundschaft erfährt.

In keinem Land verspüre ich in den Stunden vor einer Partie derartiges Kribbeln wie in Italien. Die Besuche in Bergamo sind für mich mehr als die 90 Minuten im Stadion: Durch die Altstadt von Bèrghem zu schlendern und dem ostlombardischen «accento troppo spiccato» zu lauschen, Casonsei (mittlerweile eher Scarpinocc) zu geniessen oder die knusprigen Salbeiblätter der Taragna-Polenta zusammen mit dem Branzi auf der Zunge zergehen zu lassen und mit dem wohligen Gefühl eines Aperol Spritz hinunterzuspülen, der die nervenaufreibende Anfahrt vorbei an den Mautstellen (Pòta!), dem Smog und der Industrie vergessen macht. Im Winter versetzen mich die Sonnenstrahlen im Rücken beim Blick auf die «Città Bassa» in Gedanken an den Strand in Lerici zurück und rufen dieselbe nicht greifbare Melancholie hervor wie Gazzelles Debütalbum «Superbattito» in Endlosschleife. Dass ich mit diesem Gefühl nicht allein bin, bezeugt die Band Pinguini Tattici Nucleari im Lied über ihre Heimat Bergamo: «Ti porto in centro e forse capirai che cosa intendo quando ti dico che sei bella come casa mia.»

Im umgebauten Stadion von Atalanta ragen die neuen Flutlichter wie ein glühendes Damoklesschwert über den beiden historischen Seitentribünen, stets bereit, dem Bau den letzten Hauch vergangener Tage zu rauben, sollte der Denkmalschutz einst aufgehoben werden. Immerhin: Zum Duell gegen Florenz, das Bergamo vor ausverkauften Rängen mit 3:2 gewinnt, hängt in der Heimkurve das erste Mal seit dem Ende der Curva Nord wieder eine Zaunfahne mit der Aufschrift «Ultras» – als hätten sie es geahnt.


FC Paradiso - FC St. Gallen

«Wenn jemand sucht, dann geschieht es leicht, dass sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht, dass er nichts zu finden, nichts in sich einzulassen vermag, weil er nur an das Gesuchte denkt, weil er ein Ziel hat, weil er vom Ziel besessen ist. Finden aber heisst: frei sein, offen stehen, kein Ziel haben.» Das «Ding» oder «Ziel» in den Zeilen aus Siddhartha von Hermann Hesse verkörpert im Kontext des FC St. Gallen der Schweizer Cup-Pokal.

Gleich zwei Mal hatte Grün-Weiss in den letzten Jahren aufgrund der besessenen Sucherei auf Rang und Rasen das Finden vergessen und das Endspiel im Pokalwettbewerb verloren. Schmerzhafte Erinnerungen, sodass angesichts der 1/16-Final-Partie des FC St. Gallen in Montagnola, wo Hesse das zitierte Werk geschrieben hat, das Finden im Fokus stand.

Gefunden habe ich im kleinen Tessiner Dorf sowohl die Casa Camuzzi als auch die Casa Rossa mit ihrer wunderschönen Aussicht, in denen der Schriftsteller lebte und später seinesgleichen wie Thomas Mann oder Bertolt Brecht politisches Asyl bot. Noch vor Hesses Tod hatten sich mit Friedrich Pollock und Max Horkheimer auch ein Wegbereiter und ein Gründer der Frankfurter Schule nach ihrer Emeritierung in Montagnola niedergelassen. Auf dem nahegelegenen Friedhof erinnert ein unscheinbares Grab an den Nobelpreisträger Hesse.

Als unscheinbar lässt sich auch die Heimat des drittklassigen FC Paradiso bezeichnen. Das «Campo Pian Scairolo» liegt weit unterhalb des Dorfkerns im industriell geprägten Talboden und ist ein schlichter Kunstrasenplatz. Die Fertigstellung der geplanten Tribüne ist nach politischem Geplänkel rund um FCP-Präsident Antonio Caggiano unterbrochen, sodass die Anlage dem rasanten sportlichen Aufstieg der letzten Jahre hinterherhinkt. Seit der kleine Verein am Fusse des Monte San Salvatore 2017 sein 100-jährigen Bestehen gefeiert hat, durfte er über drei Aufstiege jubeln. Heute zählt er zum vorderen Mittelfeld der Promotion League, die er in seiner Debütsaison auf dem beachtlichen vierten Rang abschloss. Auch in der 1. Runde des Schweizer Cups wurde der FCP seiner Favoritenrolle gerecht, wenn auch der Sieg beim FC Schattdorf knapp ausfiel. Im Matchbericht liessen enttäuschte Schattdorfer verlauten: «Während die Trainer des FC Schattdorfs die Töggeli und Lätzli selbst auf dem Platz verteilten, bewerkstelligten dies auf Seiten des FC Paradiso nicht weniger als fünf (!) Assistenztrainer, während der Haupttrainer in reger Diskussionen mit seinem sechsten Assistenztrainer vertieft zuschaute.» Die sportlichen Ambitionen der Tessiner unterstreicht auch ein Blick in deren Kader, wo nebst dem ehemaligen FCSG-Akteur Mickaël Facchinetti mit Ezequiel Schelotto ein Routinier figuriert, der einst in der Premier League und in der Serie A im Einsatz stand.

Wenig überraschend bot der FC Paradiso den Ostschweizern vor 920 Zuschauern bei starken Böen mehr Paroli als noch der FC Malcantone in der ersten Cup-Runde, dessen Sportplatz auf der anderen Uferseite des Lago di Lugano zu finden ist. Bereits nach fünf Minuten ging der Aussenseiter in Führung, ehe die Gäste das Resultat zu einem 1:3 aus Sicht der Tessiner zurechtrückten. Durch das Weiterkommen im Pokal und in der Conference League dauert die Dreifachbelastung für den FCSG an. Um es mit einem – zugegeben pathetisch anmutenden – Ausschnitt aus Siddhartha zu sagen: «Nun beginnt sein Schicksal zu sprossen, und mit seinem das meine.»


Türkgücü München - FC Eintracht Bamberg

Die Münchner Stadionknappheit treibt nebst merkwürdigen auch schöne Blüten – zumindest in den Augen von Liebhabern historischer Sportstätten. Angespannter präsentierte sich die Lage aus Sicht des Viertligisten Türkgücü, der nach dem Rauswurf aus dem Grünwalder Stadion zur Sommerpause noch ohne neuerliche Heimat dastand.

Bereits in der Saison 2021/22 hatte der damalige Drittligist einige Partien im sonst nicht mehr bespielten Olympiastadion ausgetragen. Das Abenteuer während der Corona-Pandemie endete für Türkgücü aber vorzeitig und in der Insolvenz. Mittlerweile hält sich der Klub seit drei Spielzeiten in der Regionalliga Bayern, doch die Stadion-Odyssee dauert auch eine Stufe tiefer an. So haben die Verantwortlichen auf ihrer verzweifelten Irrfahrt gar ein Exil-Dasein im 150 Kilometer entfernt gelegenen Dörfchen Seligenporten nicht ausgeschlossen. Statt eines trostlosen Daseins in der Oberpfalz tritt der Klub zu seinen «Heimspielen» nun primär in Heimstetten an, während er immerhin vier Partien auf Münchner Boden im Städtischen Stadion an der Dantestrasse ausgetragen darf. Mehr Gastspiele auf der Anlage lässt deren dichter Belegungsplan mit den beiden Hauptmietern aus dem Bereich des American Football, den Munich Cowboys und den München Rangers, nicht zu.

Wie der Name des angrenzenden Freibads geht auch jener der Spielstätte auf den italienischen Dichter und Philosophen Dante Alighieri zurück. Wie beim vorab besuchten Campus des FC Bayern lässt sich auch beim einst über 30’000 Plätze bietenden Bau die NS-Vergangenheit aus architektonischer Sicht nicht vollends verbergen. So entstand der Durchbruch der Gegengerade zugunsten der Marschkolonnen der Hitlerjugend, die einst Veranstaltungen im Stadion abhielten. Für den türkischstämmigen Klub bedeuten die vier Heimspiele eine Rückkehr nach 18 Jahren, gastierte Türkgücü zuletzt 2006 unter dem Namen Türk SV 1975 München im Dantestadion. Dieses beeindruckt mit schöner Fassade, trapezförmiger Tribüne und von Bäumen gesäumten Stehtraversen. Seit 2022 gilt die Spielstätte deshalb zurecht als bayerisches Baudenkmal und erinnert mich ein wenig an das Beke teri Stadion im Süden Budapests.

Nach früher Führung ging Türkgücü ganz offenbar die «Gücü» (türkisch für Kraft) aus, sodass die Hausherren die Partie gegen Eintracht Bamberg noch aus der Hand gaben. Nach dem 1:2 gegen die Oberfranken steht der Klub nach sieben Runden ohne Sieg und mit lediglich zwei Punkten am Tabellenende. Die 524 Zuschauer nahmen die Pleite gelassen zur Kenntnis, war doch über die Hälfte von ihnen des Stadions wegen und ohne Bezug zum Heimteam angereist. Auch aus Bamberg hatte sich ein Dutzend Anhänger eher «lustlos» hinter einer Zaunfahne mit der Aufschrift «Raglos» eingefunden. So bleibt das rare Highlight der Gruppe die Ankündigung aus dem Oktober 2023, als sie für das Auswärtsspiel in Memmingen eine Anreise per Flieger mit zwei Zwischenstopps in Italien propagierte.


FC Bayern München - Karlsruher SC

3:40 Uhr: Abflug in Trabzon. 6:40 Uhr: Umstieg in Istanbul. 9:15 Uhr: Landung in München. 10:20 Uhr: Erster Schluck aus der Weissweinschorle im Klubheim auf dem FC Bayern Campus.

Das Nachwuchsleistungszentrum im Norden der Stadt umfasst acht Fussballfelder, die von sämtlichen Jugend- und Frauenteams des Rekordmeisters genutzt werden. Die Pläne für die Akademie, die sich die Bayern stattliche 70 Millionen Euro kosten liessen, stammen vom Architekturbüro «Albert Speer + Partner», das bis zu seinem Ableben vom Sohn des gleichnamigen Architekten und Reichsministers für Bewaffnung und Munition aus der Zeit des Nationalsozialismus geführt wurde. Herzstück der Anlage ist der «Platz 1», ein Stadion mit über 4000 Plätzen, das auch für Partien der Youth League genutzt wird. Die Profis aus dem Herrenbereich sind hingegen weiterhin an der Säbener Strasse im Süden Münchens beheimatet.

Mit fünf Siegen in ebenso vielen Partien ist die U19-Mannschaft der Bayern optimal in die Saison gestartet und führt ihre Division innerhalb der acht Gruppen an, in welche die DFB-Nachwuchsliga während der Vorrunde unterteilt ist. Auch die Gäste aus Karlsruhe stehen nach fünf Runden ohne Punktverlust und mit einer um 16 Treffern positiven Torbilanz in ihrer Gruppe an der Tabellenspitze. Trotz dieses sportlichen Höhenfluges war ich überrascht, dass einige Karlsruher in weissen T-Shirts mit der Aufschrift «Gegengerade» an diesem Samstagvormittag am Campus aufkreuzten und wenige Meter neben den «Red Munichs» anflaggten.

Neben dem Rasen fielen aber einzig die vielen Betreuer der Nachwuchshoffnungen auf, während die Akteure auf dem Platz mit filigraner Technik und hoher Präzision beeindruckten. Die Bayern drehten im Laufe der Partie einen 0:2-Rückstand, mussten drei Minuten vor Schluss aber den 3:3-Ausgleich verkraften. Die anschliessende Verlängerung endete vor 500 Zuschauern trotz Vorteilen für die Gastgeber torlos, sodass die Entscheidung vom Punkt aus herbeigeführt werden musste. Hier versagten drei Münchnern die Nerven, sodass das 5:6 aus Sicht der Hausherren das Weiterkommen des KSC und das exakt gleiche Resultat wie beim Auswärtsspiel des FC St. Gallen in Trabzon besiegelte.


Trabzonspor - FC St. Gallen

Der enge Terminplan in der Qualifikation zur Conference League bietet weder dem FC St. Gallen noch seinen Fans nach dem dramatischen Weiterkommen bei Slask Wroclaw eine Verschnaufpause! Doch auch wenn die Kurzfristigkeit der Reise Planungsgeschick und vielseitige Koordination erfordert, erachten es beide Parteien als Privileg, angesichts der Playoffs wieder nach Osten und zum türkischen Vertreter Trabzonspor reisen zu dürfen.

Der Klub aus dem Nordosten des Landes zählt mit sieben Titeln in der Liga und neun Pokalsiegen hinter dem bekannten Istanbuler Trio um Besiktas, Fenerbahce und Galatasaray zu den erfolgreichsten des Landes und hat 2022 letztmals die Meisterschaft geholt. Geht es nach Trabzonspor selbst, wären sie gar achtfacher Champion, da Fenerbahce der Meistertitel der Saison 2010/11 trotz erwiesener Spielmanipulation nicht aberkannt wurde. Obschon dieser vermeintlichen Ungerechtigkeit weist der Trabzonspor Kulübü angesichts der noch jungen Klubgeschichte ein beeindruckendes Palmarès auf, entsprang der Klub doch erst 1967 einer Fusion lokaler Vereine. Bei der Farbwahl liessen sich die Türken von den weinrot-blauen Trikots von Aston Villa inspirieren und auch der trapezförmige Oberrang der Haupttribüne sowie die Backsteinmauern rund um die Spielerbänke erinnern an den Villa Park.

Im Gegensatz zur türkischen Riviera birgt die Schwarzmeerküste im Norden des Landes keine Sandstrände und die Uferhänge sind bergig und bewaldet. Touristen finden sich in der Gegend von Trabzon denn auch eher im Kloster Sumela im Zigana-Gebirge oder in den Einkaufspassagen der lebendigen Innenstadt als an den wenig sehenswerten Strandabschnitten. Während das Stadtzentrum (Ortahisar) zu Fuss zu erkunden ist, offenbart erst die Aussicht vom Hügel Boztepe, wie weitläufig die Grossstadtkommune mit über 800’000 Einwohnern ist. Vom Hafen aus verlassen Fähren die Stadt ins russische Sotchi und auch die georgische Grossstadt Batumi liegt nur eine dreistündige Autofahrt entfernt. Wie bereits im Frühling in Istanbul dominieren Cay (Rize-Tee) trinkende und Simits (Sesamringe) essende Menschen gemeinsam mit den unzähligen Katzen die Szenerie im Zentrum. Einzig die Warteschlangen vor den Geldautomaten scheinen angesichts der anhaltenden Inflation noch länger geworden zu sein.

Weit ausserhalb liegt hingegen das moderne Stadion mit seiner karoförmigen Fassade, während im Zentrum nur noch eine symbolische Tribüne in einer Parkanlage an die einstige Heimat von Trabzonspor erinnert. Das futuristische Design verdankt der nach Klublegende Senol Günes benannte Neubau einem Stuttgarter Architekten, der sich mit dem gleichen Entwurf bereits erfolglos für den Stadionneubau in Mainz beworben hatte.

Die 26’064 Zuschauer in der Arena sorgen für die gewohnt «türkische» Stimmung – mit einigen Dezibel weniger auf dem Schallpegel als die Istanbuler Grossklubs. Zwar ist es bisweilen ebenfalls sehr laut, doch die zügig vorgetragenen Lieder und Klatscheinlagen verebben ebenso schnell wie die Pfeifkonzerte bei gegnerischem Ballkontakt. Auch das mit den Smartphones erzeugte Lichtermeer fehlt nicht und wird in Trabzon jeweils in der 61. Minute durchgeführt – in Anlehnung an die osmanische Eroberung der Stadt im Jahr 1461. Seit den Sanktionen im Nachgang der Partie im März gegen Fenerbahce, als das Duell gegen den «Meisterdieb» in einem Platzsturm und wilden Jagdszenen endete, zeigt sich bei den sowieso bereits zerstreuten Fangruppen weiterer Aderlass.

Aus dem St. Galler Lager rechneten nach dem torlosen Hinspiel nur die grössten Optimisten mit einem Weiterkommen gegen einen Gastgeber, dessen Kader einen rund fünf Mal so hohen Marktwert aufweist, sofern man der Plattform Transfermarkt Glauben schenkt. Umso überraschter war die Mehrheit der 185 St. Galler Fans hinter dem Plexiglas im Oberrang, als ihr Team nach einer halben Stunde unerwartet in Führung lag. Zwar folgte kurz nach der Pause der Ausgleich, doch das 1:1 hatte trotz mehrerer heikler Situationen sowohl nach 90 Minuten als auch zum Ende der Verlängerung Bestand. So musste das Penaltyschiessen über das Weiterkommen entscheiden, bei dem die ersten acht Schützen ihre Aufgabe mehrheitlich souverän erledigten. Für Trabzon trat der einstige Champions-League-Finalist Stefan Savic als letzter Schütze an. Mit seinem satten Schuss liess er dem erneut starken FCSG-Goalie Lawrence Ati Zigi keine Abwehrchance, traf aber nur die Latte. Dies ebnete seinem St. Galler Namensvetter Ambrosius die Chance auf den grossen Coup. Dass der FCSG in den letzten Jahren auch im sportlichen Bereich einen grossen Schritt vorwärts gemacht hat, unterstrich der Verteidiger mit einem abgebrühten No-Look-Schuss ins grün-weisse Glück.

Aus Sicht der Türken bedeutete das 5:6 nach Penaltys das Ausscheiden, während der FC St. Gallen gleich bei seiner Premiere die Ligaphase der Conference League erreicht. Damit haben die Ostschweizer auf der mit zwölf Pflichtspielen längsten europäischen Reise der Klubgeschichte noch mindestens die Hälfte eines aufregenden Weges vor sich.


Slask Wroclaw - FC St. Gallen

Das Gastspiel des FC St. Gallen bei Slask Wroclaw anlässlich der Qualifikation zur Conference League ist nicht nur aus grün-weisser Fansicht ein vorgezogenes Endspiel. Tatsächlich steigt im grössten Stadion der polnischen Ekstraklasa Ende Mai 2025 der Final des jüngsten Uefa-Wettbewerbs. Doch so imposant die moderne Spielstätte auch daherkommt, so überdimensioniert ist sie. Für die Europameisterschaft 2012 errichtet, steht der Neubau beispielhaft für zahlreiche Projekte, welche die polnische Stadionlandschaft in den letzten Jahren ihrer Individualität beraubt haben.

Hinzu gesellt sich die Lage in der nordwestlichen Agglomeration, die dazu führt, dass viele Spiele vor spärlicher Kulisse stattfinden und nicht selten dafür das alte Stadion Oporowska ausgereicht hätte. Dies, obwohl Wroclaw (zu Deutsch «Breslau») hinter Warschau, Krakau und Lodz die viertgrösste Stadt des Landes darstellt. Rund 650’000 Einwohner leben im Zentrum Niederschlesiens, einer Region im Westen Polens mit bewegter Geschichte. Erst seit dem Potsdamer Abkommen steht die Stadt endgültig unter polnischer Verwaltung, während sie zuvor bereits zu Österreich, Preussen und zum Deutschen Reich gezählt hatte. Trotz schwerer Beschädigung im 2. Weltkrieg überzeugt die Stadt an der Oder mit einem sehenswerten Zentrum und einer malerischen Dominsel.

Weniger prunkvoll präsentiert sich der Trophäenschrank des lokalen «Wroclawski Klub Sportowy» (Breslauer Sportklub), der lediglich zwei Meistertitel (1977 und 2012) und zwei Siege im Pokal (1976 sowie 1987) vorzuweisen hat. Das bescheidene Palmarès lässt sich ein Stück weit mit der geschichtlich begründeten und verhältnismässig kurzen Historie erklären, denn wie praktisch alle Vereine der Region wurde auch Slask erst nach dem 2. Weltkrieg gegründet. Der Stolz über die Herkunft ist in diesem Namenszusatz, der für Schlesien steht (und als «Schlonsk» ausgesprochen wird), wie auch in Form des polnischen und schlesischen Adlers im Logo gut ersichtlich.

Mein erster und bisher einziger Spielbesuch mit Breslauer Beteiligung liegt knapp zehn Jahre zurück. Damals existierte auf Fanebene noch das grosse Dreigespann um Wisla Krakau, Lechia Gdansk und Slask Wroclaw. Mittlerweile haben die Krakauer mit den einstigen Freunden aber gebrochen und sind mit Ruch Chorzow, Widzew Lodz und Elana Torun eine neue Allianz eingegangen. Dem weiterhin bestehenden Bündnis mit Lechia Gdansk widmeten die 700 Gäste aus Niederschlesien im Hinspiel in St. Gallen denn auch einige ihrer Gesänge bei insgesamt doch stark vom Spielgeschehen abgekoppelten Supportbemühungen.

Anders als in Westeuropa liegt der Fokus in der polnischen Fanbewegung aber weder auf der Stimmung noch dem visuellen Auftreten. Entsprechend flaggte im ersten Aufeinandertreffen mit «Ave Silesia» auch die erlebnisorientierte Abordnung der Westpolen zentral im St. Galler Gästeblock an. Deren Zaunfahne geriet 2014 beim Auswärtsspiel in Sevilla gemeinsam mit der von «Wielki Slask» sowie jener der beiden Fanclubs aus Strzelin und Skokowa in die Fänge der Biris Norte. So zählen die Andalusier denn auch bis heute zu den grossen Rivalen von Slask, wenn auch aus anderen Gründen als etwa der geografisch designierte Derby-Gegner Zaglebie Lubin.

Nicht zu verwechseln ist der Erstligist aus Lubin mit dem Aufsteiger Motor Lublin, zu dem die Breslauer eine Freundschaft pflegen. Wie auch im Fall von Miedz Legnica unterhalten nebst den Slask-Anhängern auch Vertreter von Dynamo Dresden zu diesen zwei Klubs Kontakte. Dass in Polen Freundschaften auch sehr sichtbar gelebt werden können, zeigt die Danziger Ultra-Gruppierung «Green Gang», die ihren Freunden aus Breslau als Zeichen der Bruderschaft gleich ein eigenes Exemplar ihrer Zaunfahne überlassen hat.

Zu Spielbeginn breiten die Heimfans eine kleine Fahne über dem zentralen Sektor hinter dem Tor aus, welche die Flagge der polnischen Heimatarmee mit der Kotwica zeigt, dem Symbol der polnischen Widerstandsbewegung im 2. Weltkrieg. Diese Fahne bleibt zu Ehren des Feiertags zur Schlacht bei Warschau bis in die 20. Minute sichtbar, ehe Rauchsäulen in den Landesfarben durch Daytime-Feuerwerkskörper die Aktion abrunden. Auch im grössten Gästeblock Polens, in dem sich über 500 St. Galler eingefunden haben, wird mit Pyrotechnik hantiert. Doch anstelle des bekannten «Breslauer» Blendfeuers, dessen Name auf die Nutzung dieses durch deutsche Truppen im 1. Weltkrieg zurückgeht, zünden die Ostschweizer Vertreter lediglich die «bewährten» Seenotsignale.

Während bei Slask die Euphorie über den 2. Platz aus der Vorsaison nach einem verpatzten Saisonstart bereits verflogen ist, tritt St. Gallen mit sechs Siegen in Folge und einem 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel mit breiter Brust an. Dennoch sind es nach zehn Minuten die Gastgeber, welche die vermeintliche Führung erzielen. Eine VAR-Intervention lässt den Schiedsrichter den Treffer jedoch aberkennen und stattdessen eine Viertelstunde später die Espen über die Führung jubeln. Damit scheint die Partie vor 18’053 Zuschauern bereits früh entschieden, doch drei Slask-Tore innert sechs Minuten egalisieren vor der Pause das Gesamtskore und lassen die Stimmung ihren Siedepunkt erreichen.

Die psychologischen Vorteile liegen nun bei den Polen und so überrascht es nicht, dass der Schiedsrichter eine Viertelstunde vor Schluss auf den Punkt zeigt. Doch statt dem Todesstoss für Grün-Weiss folgt eine erneute VAR-Konsultation. Im Anschluss daran ahndet der kroatische Unparteiische nicht ein vermeintliches St. Galler Foul, sondern eine Schwalbe eines Breslauer Stürmers und stellt ihn gar mit Gelb-Rot vom Platz.

Auch tief in der Nachspielzeit ist es der kleine Bildschirm am seitlichen Spielfeldrand, der zum Protagonisten avanciert: Nach einem Handspiel im Strafraum der Polen zieht ihn der Unparteiische bei – und entscheidet auf Penalty für St. Gallen. Es kommt zu einer Rudelbildung und der nächste Pole fliegt vom Platz. Ein Treffer würde trotz der Niederlage das Weiterkommen bedeuten, doch dem St. Galler Vertreter versagen – ebenfalls wenig überraschend – die Nerven. Doch auch hier sieht der Schiedsrichter in Form des Torhüters, der sich zu früh von der Linie wegbewegt hat, eine Regelwidrigkeit und lässt den Elfmeter wiederholen. Nun übernimmt Willem Geubbels die Verantwortung – und verkürzt in der 18. Minute der Nachspielzeit zum 3:2 aus Sicht der Gastgeber.

Riesiger Jubel im Gästeblock, doch noch immer wird in Wroclaw munter bis zur nächsten brenzligen Situation weitergespielt. Diese ereignet sich fünf Minuten später im St. Galler Strafraum: Nach einem umkämpften Zweikampf ertönt abermals ein Pfiff. Doch – ihr ahnt es – nicht etwa wegen eines Foulspiels des FCSG-Verteidigers, sondern erneut um eine Schwalbe mit einer gelben Karte zu ahnden. Der polnische Sünder kann dies nicht fassen und wird für seine Reklamationen ebenfalls des Feldes verwiesen. Erst nach 25 Minuten (!) Nachspielzeit ertönt gegen acht Polen der aus St. Galler Sicht erlösende Schlusspfiff und damit der Auftakt für weitere Auseinandersetzungen unter den Akteuren, die sich bis in den Spielertunnel fortsetzen. Selten waren auswärtige Anhänger in Breslau wohl so froh, dass mit den «Ochrona» und «Sluzba» an beiden Enden des Gästeblocks Sicherheitseinheiten bereitstehen, die nicht für ihr zimperliches Auftreten bekannt sind.


FC Lausanne-Sport - FC St. Gallen

Seit der Eröffnung der Tuilière (Ziegelbrennerei) müssen sich Gästefans in Lausanne nochmals einen Kilometer weiter den Hügel hochquälen. Drei Mal bereits hatte ich dabei mit wehmütigem Blick die historische Pontaise passiert und gar schon dem Nebenplatz mit seiner futuristischen Tribüne einen Besuch abgestattet. Nur ein Spiel im Ende 2020 fertiggestellten Stadion mit architektonisch interessantem Baustil blieb mir bisher aus verschiedenen Gründen verwehrt.

Auch die kleine Fanszene, die sich im Schatten der etablierten Anhängerschaft des Eishockeyclubs Lausanne HC gut zu entwickeln scheint, überzeugt mit ästhetischem Material und ansprechendem Support. Nur der Kunstrasen und die sperrigen Vario-Sitze im Heimsektor stören die visuelle Wahrnehmung. Gleiches gilt für den Gästeblock, der an diesem Sonntag von den zahlreich in die «olympische Hauptstadt» angereisten grün-weissen Unterstützern bevölkert wird.

Das fussballerische Aushängeschild der Stadt ist nach dem Abstieg von Lausanne-Ouchy auch in sportlicher Hinsicht unumstritten der FC Lausanne-Sport. Dieser gehört seit Ende 2017 dem britischen Petrochemiekonzern Ineos, der in seiner Amtszeit bereits einige fragwürdige Entscheide getroffen hat: Die Engländer führten ein neues Logo ein (und kehrten nach Protesten zum alten zurück), degradierten den Schweizer Vertreter zum Ausbildungsverein des OGC Nice – nebst dem südfranzösischen Klub hält Ineos auch Anteile an Manchester United – und liess das Kader der Blau-Weissen Jahr für Jahr internationaler werden. Den kurzzeitigen Abstieg im Sommer 2022 konnten die Investoren dennoch nicht verhindern.

Mit Lausanne-Sport assoziieren viele St. Galler Fans nebst einem mühsamen Fussmarsch zum Stadion zwei herbe Niederlagen im Pokal: 1998 verlor St. Gallen den Cupfinal (nach 2:0-Führung) und zwölf Jahre später den Halbfinal – vor heimischem Anhang und gegen die damals unterklassigen Gäste aus der Romandie. Auch diesmal bereiteten die Westschweizer dem FCSG nach intensiven Tagen rund um das Europacup-Spiel in Kasachstan in der Schlussphase Probleme. Die Grün-Weissen hatten vor 6024 Zuschauer ihren Vorsprung zwischenzeitlich auf drei Tore ausgebaut, mussten beim 3:4 aus Sicht der Gastgeber nach einem Leistungseinbruch aber gleichwohl noch um den Sieg zittern.


FC Vignoble - FC Châtel-St-Denis II

Wer mit dem Zug von Bern in die Westschweiz fährt, dem tut sich kurz vor Lausanne die Riviera des Genfersees auf. Es ist ein einmaliger Anblick, der den Reisenden hier rund um die sonnenverwöhnten Weinterrassen, die charmanten Dörfer an den Hangausläufern, die französischen Alpen und dem türkisfarbenen Wasser gewährt wird. Kein Wunder steht die Region Lavaux seit 17 Jahren auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes.

Mit dem «Stade des Ruvines» liegt auch ein Fussballfeld mit pittoreskem Ausblick an den Waadtländer Uferhängen. Ein Besuch hier stand bereits seit vielen Jahren auf der Agenda, liess sich bisher allerdings nicht mit dem Kalender vereinbaren. Dieses Mal sollte das Testspiel zwischen dem FC Vignoble und den Gästen aus Châtel-Saint-Denis perfekt in den Zeitraum zwischen der Rückkehr aus Kasachstan und dem St. Galler Auswärtsspiel in Lausanne passen. Vor dem Besuch beim Siebtligisten blieb auch Zeit, um bei einer längeren Wanderung durch die Rebberge von Vevey bis nach Lutry den lokalen Weisswein der Sorte Chasselas (Gutedel) in seinem gesamten Spektrum aus den Anbaugebieten Calamin, Dézaley, Epesses und Saint-Saphorin zu verköstigen.

«Visit Lavaux» steht dann auch auf dem Trikot des FC Vignoble, der zwar in Cully beheimatet ist, allerdings alle Dörfer der Weinregion vertritt. Inspirieren liess sich der Klub beim Slogan von Arsenals «Visit Rwanda», wie Bernard Porret erklärt. Der Funktionär ist seit 1987 im Verein aktiv, wird von allen nur «Mucho» genannt und gewährt uns vielschichtigen Einblick in die Annalen und das aktive Vereinsleben. So erfahren wir auch, dass die sehenswerten Graffiti hinter dem Tor und beim Vereinsheim – eines davon zeigt Klublegende Porret selbst – von Ultras des Eishockeyteams Lausanne HC gefertigt wurden und mit Numa Lavanchy auch ein Spieler aus der Super League eine Vergangenheit beim FC Vignoble aufweist.

Die vier St. Galler unter den 50 Zuschauern sind längst zentrales Gesprächsthema, während das 1:0 für die Hausherren in der Generalprobe vor dem Saisonstart eher beiläufig zur Kenntnis genommen wird. Auch Porret hat sich angesichts der hohen Temperaturen mittlerweile mit einer weiteren Flasche Weisswein an unseren Tisch gesetzt und wettert über die Gemeinde, die den einst grünen Rasen in den Sommermonaten derart hat austrocknen lassen.