Mamelodi Sundowns - Polokwane City

Zu den «affected parties» im Entschuldigungsschreiben der Moroka Swallows dürfen auch wir uns zählen. Ein ungelöster Disput zwischen der Mannschaft und der Vereinsführung zwingt den südafrikanischen Erstligisten zur kurzfristigen Absage der beiden letzten Spiele des Jahres. Die interne Fehde des Klubs macht uns gleich einen doppelten Strich durch die Rechnung: Nebst dem Auftritt bei den Mamelodi Sundowns, für den wir bereits am Ticketschalter stehen, verpassen wir auch das anschliessende Heimspiel der Swallows.

Zum Glück trägt mit den Sundowns immerhin ein Team aus dem Nordosten Südafrikas vor dem Jahreswechsel noch ein Heimspiel aus, das sich mit einigen Änderungen in den Reiseplan einbinden lässt. Ein Besuch bei Mamelodi, der «Mother of Melodies» aus dem gleichnamigen Township nordöstlich von Pretoria, klingt vielversprechend, schliesslich ist der Klub nicht nur Tabellenführer und Rekordmeister, sondern nebst den Orlando Pirates auch der einzige südafrikanische Sieger der Champions League. Trotzdem lockt die Partie gegen Polokwane City lediglich 5450 Zuschauer ins Loftus-Versfeld-Stadion. Die Gründe dafür finden sich in den gestiegenen Ticketpreisen und der hohen Preiselastizität im südafrikanischen Fussball. Seitdem die Tore auch bei grossem Andrang nicht nach einiger Zeit geöffnet werden, meidet eine Mehrheit der Fans den Stadionbesuch. So ist in der imposanten WM-Spielstätte von 2010 mit den Bulls denn auch das Rugbyteam Pretorias deutlich präsenter. Immerhin benötigt die Schiedsrichterin beim chancenarmen 0:0 für die Annullierung des vermeintlichen Siegtreffers der Sundowns derart viel Zeit, dass wir dennoch in den Genuss eines ausgelassenen Torjubels in Gelb-Grün kommen.

Die Hauptstadt Südafrikas ist wesentlich sicherer als ihr Nachbar Johannesburg und verfügt etwa mit den Union Buildings, dem halbjährigen Regierungssitz, auch über konkrete Sehenswürdigkeiten. Nichtsdestotrotz müssen wir nach einem kurzen Fussmarsch im Quartier Sunnyside bei einem aus den Hosentaschen eines Einheimischen gekramten Messer erkennen, dass das einstige Studentenviertel seinem Namen kaum mehr gerecht wird und mit der «University of South Africa» eine der weltweit grössten Universitäten scheinbar zurecht mit Zahlungsschwierigkeiten zu kämpfen hat.

Auch in den Folgetagen ist uns das eingangs erwähnte Spielplan-Glück nicht hold: Der Fussballverband von Lesotho vertagt kurzfristig eine gesamte Runde der nationalen Liga und nimmt stattdessen eine Einladung der «Bafana Bafana» für zwei Testspiele im Zuge deren Vorbereitung für den Afrika Cup an. Ein Glück bietet der Süden Afrikas auch ohne Fussball weit mehr als Rooibos-Tee, Loadshedding und als Bäume getarnte Mobilfunkmasten.


Orlando Pirates - Stellenbosch FC

Der Pager des Taxis piept, als wir über die Brücke fahren. Es handelt sich um eine Gefahrenwarnung und zugleich das Signal, dass wir in Soweto angekommen sind. Die Gegend im Südwesten von Johannesburg ist ein Zusammenschluss im doppelten Sinne: In der Kurzform für «South Western Townships» als auch in ihrer Entstehung in den 1960er-Jahren, als die südafrikanischen Behörden Grossteile der schwarzen Minderheit aus den Armensiedlungen der Industriemetropole in die Agglomeration verfrachteten.

Seit dem Schüleraufstand gilt Soweto als Zentrum des Widerstandes im langwierigen Kampf gegen die Apartheid. Auf Basis des auf parallelgesellschaftliche Strukturen ausgerichteten «Bantu Education Act» sollte 1976 das von europäischstämmigen Buren gesprochene «Afrikaans» als verbindliche Unterrichtssprache eingeführt werden. Die schwarze Schülerschaft sah darin Schikane durch die weisse Herrschaftsschicht sowie eine systematische Reduktion der Entwicklungsmöglichkeiten auf dem weiteren Bildungsweg. Das anschliessende «Soweto Uprising» hatte zahlreiche Todesopfer zur Folge und führte zu landesweiten Protesten gegen die rassistische Bildungspolitik. Das Mahnmal zu Ehren des damals von der Polizei erschossenen 12-jährigen Hector Pieterson steht bis heute sinnbildlich für den unheilbaren Schmerz und das Vergiessen von Blut und Tränen am Ort der Geschehnisse.

Doch Soweto steht auch für Zugehörigkeit, Zusammenhalt und Respekt. In der Sprache der Zulu ist dieser Lebensphilosophie mit «Ubuntu» gar ein eigenes Wort gewidmet. Das erfahren wir von «Coconut» Linda, der uns ausnahmsweise auch in seine Heimat, das von Touristen sonst unberührte «Deep Soweto», führt. Sein richtiger Name sei deutlich länger und seinen Spitznamen verdanke er seinen Freunden, die ihn aufgrund seiner Guide-Tätigkeit als «aussen schwarz und innen weiss» mit der Steinfrucht vergleichen.

Für Linda ist drei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid aber nicht die einstige Oppression, sondern das eigene Versagen rund um Nepotismus, falsche Versprechen und gierige Bauherren der Hauptgrund, dass der Fortschritt in der Gegend ausbleibt. Viele junge Menschen hätten deshalb das Vertrauen verloren und sich von der Politik abgewendet. Auch heute noch sei es in Soweto ein gefährliches Unterfangen, sich gegen die Obrigkeit zu stellen. «Unbeschwert ist hier einzig das Kinderlachen», lässt unser Guide – ein Verfechter der herrschenden Selbstjustiz – einblicken. Gefährlich wird es, wie überall in Südafrika, jeweils in der Nacht und besonders in den ärmsten Townships, den «Informal settlements».

Stolz sind die Bewohner Orlandos, dem ältesten aller 41 Viertel in Soweto, hingegen auf das Orlando Stadium. Renoviert für die Weltmeisterschaft 2010 und als Ausweichspielstätte angedacht, beherbergte es die Eröffnungszeremonie sowie vereinzelte Trainingseinheiten. Zuletzt bis auf den letzten Platz gefüllt war die 40’000-Plätze-Baute 2018 anlässlich der Beerdigung von Nelson Mandelas zweiter Frau Winnie Madikizela. Noch immer schwingen im Namen des aus Soweto stammenden Freiheitskämpfer und ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas Hochachtung und Wehmut mit.

Vor dem Stadion des ältesten Verein des Landes grasen wenige Minuten vor Anpfiff entspannt einige Kühe. Zum von Linda angepriesenen «Slaughterhouse» wird die Spielstätte an diesem Abend beim Auftritt gegen den Stellenbosch FC einzig aus Sicht der Hausherren: Innert acht Minuten verspielen die Orlando Pirates eine 2:0-Führung und müssen zusehen, wie die Gäste beim 2:3 alle drei Punkte in die Wein-Hauptstadt Südafrikas entführen.

Ob der Niederlage gross verärgert scheinen die 6000 Zuschauer aber nicht. Für sie geht die Verbundenheit zu den «Buccaneers» weit über den Spieltag hinaus. So tanzen die Fans bereits während der Partie nicht selten mit dem Rücken zum Spielfeld und singen melodische Lieder. Nur beim Soweto-Derby gegen die Kaizer Chiefs aus Orlando West dürfte für die Pirates aus Orlando East auch die Ausbeute im Zentrum stehen.


US Catanzaro - Cosenza Calcio

«Non ha un orario» heisst es, als ich an der Bar im Bahnhofsgebäude von Catanzaro Lido nach einer Verbindung in die Stadt frage. Aber ich hätte Glück, bald würde ein Bus fahren, ergänzt die ältere Dame hinter dem Tresen ob meines irritierten Gesichtsausdrucks. Seit dem Ausfall der Schmalspurbahn vor einiger Zeit wird die 85’000-Einwohner-Gemeinde an den Hängen dreier Hügel nur noch unregelmässig und von Bussen bedient. «Bald» bedeutet in diesem Fall eine gnädige halbe Stunde Wartezeit, dann geht’s vom Bahnhofsvorplatz aus hoch nach Catanzaro. Die Fahrt von der Stiefelsohle Italiens auf über 340 Höhenmeter bietet nicht nur wegen Aussicht auf das Ionische Meer eine gehörige Portion «Italianità». Viel eher zeichnen meine Sitznachbarn dafür verantwortlich: ein zahnloser Mittfünfziger-Ultra sowie ein versiffter Typ mit Rasta-Frisur, der sein fussballfanatisches Gegenüber in ein Gespräch zu verwickeln versucht. Dieser entgegnet kein Wort, scheint bisweilen aber zu nicken, was allerdings auch an den zahlreichen Schlaglöchern liegen könnte – zumindest genügt es dem Rasta-Mann, um seinen gesellschaftskritischen Monolog bis zur Endhaltestelle fortzuführen.

Das wohlige südländische Lebensgefühl übermannte mich bereits am frühen Morgen, als ich in Lamezia zu meinem Cappuccino ein mit Zucker überzogenes Cornetto ass, während auf dem Röhrenfernseher in der Ecke die Zusammenfassung des letzten MotoGP-Rennens lief. Die kalabrische Morgensonne verlieh dem vergilbtem Gelbton des Bahnhofsbistro neuen Glanz, während auf dem Perron zwei Senioren abwechselnd den Nasenschleim hochzogen und husteten. Ein leerer Estathé-Eistee im Trassee liess mich in Erinnerungen an laue Sommerabende schwelgen, bis das Bimmeln die Einfahrt des Triebwagens ankündigte und mich aus dem Träumen riss. Im Inneren des Zuges bot sich ein Bild, das zugleich vertraut und vernachlässigt wirkte: abgewetzte Sitzpolster und dreckige Scheiben, welche die vorüberziehende Landschaft nur schemenhaft erkennen liessen. Eine im Fahrtrhythmus schwingende Abteiltüre ergänzte das monotone Brummen des Dieselmotors. Bei jedem Halt flog zudem die Fahrerkabine auf und der rauchende Lokführer vergewisserte sich, dass er weiterfahren konnte.

Im Norden der kalabrischen Hauptstadt steht mit dem Stadio Nicola Ceravolo eine der ältesten Sportstätten Italiens. Historisches trug sich hier jüngst auch mit dem Aufstieg in die Serie B zu, in der die Gastgeber in ihrer Premieren-Saison das Publikum mit überraschenden Siegen verzücken. All dies just in dem Jahr, in welchem die Ultras Catanzaro ihr 50-jähriges Bestehen zelebrieren. Diese luden wenige Wochen zuvor zu grossen Feierlichkeiten in der Innenstadt und begrüssten dabei nebst den beiden Gemellaggi aus Florenz und Brescia auch Vertreter der Amicizie aus Siracusa, Milano (Inter), Locri, Potenza, Barletta und Salzburg.

Die erwartete Choreografie zu einem halben Jahrhundert «Ultrà» in Catanzaro blieb an diesem Wochenende allerdings aus und folgte stattdessen zum Jahresende gegen Brescia. Auch sonst fehlten dem ersten kalabrischen Derby in der Zweitklassigkeit seit 33 Jahren die ganz grossen Emotionen. Nichtsdestotrotz spürten – besonders nach den Toren – die 13’382 Zuschauer bis auf die hinter der Gegengerade neugebauten Palazzina, welches Potenzial in der «Curva Ovest Massimo Capraro» schlummert.

Italiens Beobachtungsstelle für Sportveranstaltungen hatte das Spiel auf die Risikostufe 3 gesetzt, sodass aus Cosenza lediglich 750 Gästefans mit Tessera-Verpflichtung nach Catanzaro reisen durften. Die Curva Nord boykottierte daraufhin das Auswärtsspiel, während die Gruppen aus der Curva Sud mittels einer «Entrata» zum Anpfiff Geschlossenheit demonstrierten. Nicht nur auf dem Rasen ging das Lokalduell zwischen den Adlern (Aquile) und Wölfen (Lupi) mit 2:0 an den Gastgeber, auch auf den Rängen liess Cosenza nebst einer kleinen Tifo-Einlage etwa bei den Spruchbändern Kreativität vermissen.

Da meine Mitfahrgelegenheit für den Rückweg kurzfristig platzte (hier nachzuhören) und am Sonntagabend natürlich kein Bus mehr fuhr, war guter Rat plötzlich teuer, um rechtzeitig für die letzte Zugverbindung an die Küste zu gelangen. So fragte ich mich auf der Medientribüne nach einem Chauffeur durch und wurde bei Francesco Squillace fündig, der mich nicht nach Catanzaro Lido, sondern gleich bis ins Nachtquartier nach Lamezia fuhr. Für Squillace, der als Schiedsrichter-Beobachter für die «L’Associazione Italiana Arbitri» (AIA) arbeitet, bedeutete dies nur einen kleinen Umweg auf seinem Weg ins Hotel am Flughafen, musste der Herr doch am Folgetag die Unparteiischen beim Aufeinandertreffen zwischen Hellas Verona und Lecce observieren. Für seine Fahrt bis vor meine Unterkunft wollte ich ihm einen 20-Euro-Schein in die Hand drücken – doch der ehemalige Serie-A-Schiedsrichter lehnte vorbildlich ab.


Kosovo - Belarus

Die Augen tränen im Zigarettenrauch, leere Bierflaschen stehen auf den Tischen, an den Balken unter der Dachschräge hängen Fotocollagen vergangener Auswärtsfahrten und in den Fenstern Fussballtrikots aus aller Welt. Als einzige Lichtquelle fungieren zwei Fernseher, auf denen das EM-Qualifikationsspiel zwischen der Schweiz und dem Kosovo flimmert. Plötzlich wird es laut: Der Aussenseiter gleicht zum 1:1 aus. Das Tor in der Schlussphase wird von den Vertretern der «Dardanet», die nicht nach Basel gereist sind, gebührend gefeiert. Die beiden Schweizer in der Ecke des Fanlokals unter der Tribüne des Nationalstadions in Pristina werden verschmitzt angegrinst. Wir können es verkraften, der Punktgewinn des Kosovo ist verdient und im Gegensatz zu uns nehmen Länderspiele bei den Ultras der kosovarischen Nationalteams als Zeichen der Unabhängigkeit eine ungleich gewichtigere Rolle ein.

Der Kosovo, der im Februar 2008 nach langen Auseinandersetzungen seine Unabhängigkeit von Serbien erklärte, steht im Zentrum historischer und kultureller Spannungen zwischen Serben und Albanern. Für Serbien gilt er als Wiege der Nation und der serbisch-orthodoxen Kirche, geprägt durch den Mythos um die Schlacht auf dem Amselfeld und bedeutsame Kulturstätten, während sich die demografische Zusammensetzung unter osmanischer Herrschaft signifikant zugunsten der Albaner veränderte. Unter Josip Broz Tito genoss der Kosovo in Jugoslawien den Status einer autonomen Provinz, allerdings ohne vollständige Gleichberechtigung im Vergleich zu anderen Teilstaaten. Parallel zum Balkankrieg eskalierte zwischen Februar 1998 und Juni 1999 der Kosovokrieg zwischen der paramilitärischen Organisation «Befreiungsarmee des Kosovo» (UCK) und lokalen serbischen Milizen sowie Überbleibsel der jugoslawischen Volksarmee. Der blutige Konflikt endete mit NATO-Interventionen, hinterliess ungeklärte Gräueltaten und mit Mitrovica auch eine geteilte Stadt im Norden des Kosovo. Auch nach dem Kriegsende bleibt der Status des Landes international umstritten. Die Übernahme des Euros – obschon weder Mitglied der Europäischen Union noch der Währungsunion – ist Sinnbild eines verlagerten Schauplatzes des weiterhin tief verwurzelten Konfliktes. Nebst Preisstabilität und Verringerung der Transaktionskosten ist die Forcierung des Euros als einziges Zahlungsmittel nämlich ein Vorgehen, um serbische Menschen im Norden, die noch immer mit Dinar zu zahlen, schrittweise aus dem Land zu vertreiben.

Aufgrund der Kriegshandlungen Ende der 1990er-Jahre ist «Prischtin», wie die lokale Bevölkerung ihre Heimat ausspricht, nebst dem Skanderbeg-Platz oder der Nationalbibliothek rar an Sehenswürdigkeiten und erinnert beispielsweise in Form der Bill-Clinton-Statue immer wieder an die bewegte Vergangenheit des jungen Staates. Verlässt man hingegen das Zentrum, wähnt man sich in einem Städtebauspiel, bei dem in wirrer Anordnung Autohäuser und Privatkliniken neben Schönheitssalons aus dem Boden schiessen, auf denen in deutscher Sprache für Haartransplantationen geworben werden.

Mit dem Fadil-Vokrri-Stadion bekam auch das Nationalstadion erst vor wenigen Jahren einen modernen Anstrich verpasst. Seinen Namen verdankt es einem einstigen Spieler des FC Pristina. Der Rekordmeister ist das einzige Team auf dem jetzigen Gebiet des Kosovo, das je in der höchsten jugoslawischen Liga mitspielte. In der vergangenen Saison zählte der Klub als Fünfter allerdings nicht zum Quartett, das seine Qualifikation für die europäischen Klubwettbewerbe allesamt im einzigen tauglichen Stadion des Landes austragen musste. Mit dem FC Ballkani gelang dem kosovarischen Meister im Exil der Hauptstadt gar der Einzug in die Gruppenphase der Conference League.

Auch heute ist Pristina Schauplatz eines internationalen Duells – wenn auch nur in Form einer Kehrauspartie im Dauerregen. 5’026 Zuschauer sehen auf tiefem Geläuf kaum zählbare Aktionen des Gastgebers, sodass der Kosovo die EM-Qualifikation mit einem 0:1 gegen das ebenfalls bereits ausgeschiedene Belarus beschliesst. Für den grössten Aufreger bei unserem Duo, das in pinken Ponchos auf der unüberdachten Gegentribüne verharrt, sorgen die LED-Banden am Spielfeldrand, die sowohl von einem Amateurfussballklub (KF Dardania) als auch einem Taxiunternehmen aus St. Gallen mit kosovarischen Wurzeln bespielt werden.


Nordmazedonien - England

«Thank you for making my life easier», antwortet die Frau hinter dem Pub-Tresen auf das Trinkgeld für Pint Nummer drei. Längst hat sie unser Duo als einzige Verbündete in einer Schar noch trinkfreudigerer Briten ausgemacht. Sie heisst aber nicht etwa Amy oder Ashley, sondern Anastasija. Und draussen liegt auch nicht das East End von London, sondern Skopje, obschon zahlreiche rote Doppeldeckerbusse die Illusion wahren, dass zumindest an diesen Tagen die britische Hauptstadt auf die Balkanhalbinsel verlegt wurde.

Tatsächlich kam Skopje nach der Unabhängigkeit 1991 als Zentrum der südlichsten aller ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens unerwartet der Titel «Hauptstadt» zuteil. Der Zerfall des Vielvölkerstaats läutete für das Land zugleich den Streit um die eigene Identität ein: Im Norden kam es zum Konflikt mit der albanischen Minderheit, im Süden warfen die Griechen den Mazedoniern die unrechtmässige Namensnutzung vor. So verwendete Mazedonien im internationalen Schriftverkehr die Bezeichnung «Frühere Jugoslawische Republik von Mazedonien», um eine Abgrenzung zum auf griechischem Territorium liegenden antiken «Königreich Makedonien» zu schaffen. Die beharrlichen Proteste der Griechen zeigten auch Jahre später Wirkung: 1995 verschwand mit dem «Stern von Vergina» das Emblem der makedonischen Königsdynastie aus der Flagge, ehe 2019 schliesslich die Umbenennung in «Nordmazedonien» erfolgte – auch weil das strukturschwache Land politisch weiter in Richtung Europäische Union schielt.

Nicht minder Polemik entfachte das innenpolitische Programm «Skopje 2014», unter dem im vergangenen Jahrzehnt das gesamte Stadtzentrum mit Statuen, Denkmälern und prunkvollen Neu­bau­ten versehen wurde. Sinnbild für den abstrusen Drang der Vereinnahmung gesamtjugoslawischer Kulturgeschichte zur Sicherung der territorialen Relevanz stellt das zweigeteilte Piratenschiff auf dem Fluss Vardar dar. Dabei ist die 525’000-Einwohner-Stadt auch ohne Neubauten und trotz starkem Smog sehenswert: Die muslimisch geprägte Altstadt, der Basar, die Festung Kale, das Erinnerungshaus von «Mutter Teresa», die Stein­brü­cke oder das gigantische Gipfelkreuz auf dem Hausberg Vodno laden zu einem Besuch ein.

Zurück in der Bar: Rund um den Tresen stehen einige Engländer aus Wigan, deren grösser werdender Gesprächslaune weder Anastasija noch wir ausweichen können. Die Gruppe hat von Vardar Skopje oder dem FK Shkupi noch nie etwas gehört, von den Gruppierungen «Komiti» und «Ultras Shvercerat» ganz zu schweigen. Ein Ticket für das Spiel haben die Jungs bisher ebenfalls nicht, doch Skopje sei auch «fucking brilliant», wenn sie das Spiel nur aus dem Pub mitverfolgen könnten. Tatsächlich sind es stattdessen wir zwei, die am späten Abend plötzlich von zehn Komiti-Leuten durch Nebenstrassen verfolgt werden und nur dank der deutschen Sprache und einigen Bildern aus dem Fanprojekt der befreundeten Schalker – bei dem ich einen Monat zuvor mit meiner Indonesien-Vortragsreihe gastierte – einer zünftigen Abreibung entkommen.

Den Part des zwölften Mannes, der bei Länderspielen Nordmazedoniens auf den Rängen fehlt, übernimmt der Schiedsrichter mit mehreren grosszügig ausgelegten Foulpfiffen und Vorteilsituationen sowie zwei umstrittenen VAR-Entscheiden. So führen die Gastgeber dank eines Penaltys zur Pause, bei Spielende steht es 1:1 – nach der Einwechslung von Harry Kane dauert es keine 20 Sekunden, ehe der Bayern-Stürmer massgeblich am Ausgleich beteiligt ist. Nichtsdestotrotz wird der Punktgewinn zum Abschluss der verpassten EM-Qualifikation von den 27’982 Zuschauern in der Toše-Proeski-Arena, die noch immer das Branding des Uefa-Supercup-Finals von 2017 aufweist, gebührend gefeiert.


FC Blau-Weiss Linz - Linzer ASK

Für den Mäzen Franz Grad ist es im Mai 1997 die optimale Gelegenheit, um aus der Not eine Tugend zu machen: Durch die Fusion seines FC Linz mit dem Linzer ASK zum «LASK Linz» korrigiert der Speditionsunternehmer nicht nur die finanzielle Schieflange zweier Klubs, sondern ebnet zeitgleich den Weg für eine neue Fussball-Grossmacht in der Stahlstadt. Allerdings nur vermeintlich: Der FC Linz wird vom Erzrivalen fast vollständig geschluckt, übrig bleibt nebst viel Hohn aus dem schwarz-weissen Fanlager einzig das Bundesleistungszentrum des FCL sowie eine verärgerte Anhängerschaft.

Noch Mitte der 1970er-Jahre hatte sich der FC Linz als Verein der Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke (VÖEST) unter dem Namen SK VÖEST Linz im Europapokal der Landesmeister mit dem FC Barcelona duelliert. Auf die sportliche Hausse folgte der schleichende wirtschaftliche Niedergang, der auf die immer geringer ausfallende finanzielle Unterstützung seitens der in die Krise gerutschten VÖEST zurückzuführen ist. Ein Schicksal, das kurz vor der Jahrtausendwende auch dem traditionsreichen SV Austria Tabak widerfährt. So rufen am 1. August 1997 drei Fans des FC Linz gemeinsam mit dem angeschlagenen Werksverein der Linzer Tabakwerke den FC Blau-Weiss Linz ins Leben. Das «Joint Venture» oder die «Notgeburt» – wie sich der Klub mittlerweile selbst bezeichnet – startet mühselig in der Viertklassigkeit und verbringt zuletzt sieben Jahre im österreichischen Unterhaus, ehe der blau-weisse Phönix dank des dramatischen Last-Minute-Aufstiegs im vergangenen Sommer endgültig aus dem «Stahlbad» in die Bundesliga emporsteigt.

Unterstützt von Fans der Stuttgarter Kickers sowie vereinzelten Rapidlern lanciert der blau-weisse Mob den geschichtsträchtigen Spieltag symbolisch an der Tabakfabrik. Ein gelungener «Steel Nr. 1» Spruchband-Konter in Bezug auf die damit geleakte Choreografie der Gäste sowie eine zweiteilige Aktion in Anlehnung an die Filmreihe Star Wars – anlässlich der nach der Pause gar Ausserirdische auf dem Dach des Möbelhauses landen – lassen dem Heimanhang zwar keinen perfekten, aber doch authentischen Auftritt attestieren. Auf der Gegenseite demonstrieren die in Schwarz gekleideten LASK-Fans zwar optisch eine Einheit, vermögen nebst der angesprochenen Choreografie aber kaum zu überzeugen.

Auch auf dem Rasen behalten die Blau-Weissen im ersten Stadtderby auf höchster Stufe die Oberhand. Beim 2:0 bescheren Altmeister Ronivaldo sowie ein Sonntagsschuss von Stefan Feiertag dem Gros der 5’595 Zuschauern den lang ersehnten Freudentag. Passend dazu erklingen nach dem Schlusspfiff Udo Jürgens’ Worte aus «Immer wieder geht die Sonne auf» im Donauparkstadion: «Wenn das Schicksal uns etwas nimmt, vertraue der Zeit.»


Unirea Slobozia - FC Buzau

«Die spielen aber nicht in Arad», meint Carlo Farsang. Die Aussage des Asphalt Cowboys, den ich in Craiova wieder zufällig an einem Spielfeldrand in Osteuropa getroffen habe, lässt mich aufhorchen. Tatsächlich: Weil der rumänische Erstligist UTA Arad seinen Rasen wechselt, weicht der Klub vorübergehend nach Oradea aus. Da unser Duo dort bereits für das Pokal-Duell des lokalen FC Bihor vorstellig wurde, ändern wir kurzfristig unseren Reiseplan: Statt Westrumänien visieren wir neu ein weiteres Bukarester Stadtderby sowie einen Spielbesuch in Slobozia an.

So finden wir uns am Montagnachmittag auf der Rückbank eines hellblauen Opels wieder. Fahrer ist Ilie Dobre, pensionierter Sportkommentator und mit 35 Sekunden Weltrekordhalter für den längsten ununterbrochenen Torschrei eines Radio-Kommentators. Nebenbei hält der vielfach ausgezeichnete Autor acht weitere Weltrekorde, darunter auch jenen für den längsten Torschrei mithilfe eines einzigen Atemzugs (68 Sekunden). Auf dem Beifahrersitz hat Emanuel Roşu Platz genommen, ebenfalls eine bekannte Person in der Berichterstattung rund um den rumänischen Fussball. Im Gegensatz zum zierlichen Dobre ist Roşu ein Schrank von Mann, lächelt – wenn überhaupt – kaum sichtbar, ist aber sehr gutmütig. Gemeinsam mit Dobre hat er ein Projekt lanciert, um weniger attraktive Spiele auf etwas andere Art zu kommentieren und so eine neue und jüngere Zielgruppe zu erschliessen und für den rumänischen Fussball zu begeistern.

Dieses Mal heisst das Ziel Slobozia, eine Stadt gelegen in der Bărăgan-Ebene etwas über 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Bukarest. Dort empfängt Unirea Slobozia den FC Buzau zum Lokalduell, wobei die Partie der zweiten Liga nur aus geografischer Sicht die Bezeichnung «Derby» verdient. Meine Frage, warum das Spiel an einem Montagnachmittag angepfiffen wird, beantwortet Emanuel knapp mit: «TV.» Ansonsten wird er, wenn wir über Fussball sprechen, gerne ausführlich. So erfahren wir, dass der FC Buzau den Nachfolger des einstigen Klubs Gloria Buzau verkörpert und das rumänische Unterhaus – mit wenigen Ausnahmen – trotz tiefem Interesse und maroden Stadien als reine Profiliga organisiert ist. Emanuel lässt auch durchblicken, dass ihn die Niederlage «seines» FCSB am Vorabend im von uns besuchten Stadtderby gegen Rapid (in diesem verlinkten Beitrag finden sich am Ende einige Bilder davon) traurig gestimmt hätte. Beim krassen Konträr zum Ligaalltag waren über 40’000 Menschen zugegen und auch die obligaten Böller- und Spruchbandduelle lieferten sich die beiden Kurven. Nur bei der Verpflegungsvielfalt haperte es auch im Nationalstadion.

Trotz der ungewohnten Anspielzeit haben sich 900 Zuschauer im Stadion von Unirea eingefunden. Das prächtige Herbstwetter bringt Kommentator Dobre in seinem Anzug unter der prallen Sonne gehörig ins Schwitzen, der Routinier bewahrt im improvisierten Studio aber seine ernste Miene und kommentiert das 0:1 aus Sicht der Gastgeber souverän.

Nach dem Spiel werden wir von einem Bekannten Dobres zum Essen eingeladen. Auch wenn wir kaum etwas verstehen, ist es ein kurzweiliger Abend. Einmal dreht sich Emanuel nach einem Austausch mit Dobre zu uns, während dieser umständlich durch einen Karton-Strohhalm seinen Erdbeer-Milchshake schlürft. Auf ein Video, das seinen Geschäftspartner im Eifer des Kommentierens zeigt, sagt er freudig: «You know, Mr. Dobre is now a Tiktok-sensation!»


CS Universitatea Craiova - FC U 1948 Craiova

Trotz einer Viertelmillion Einwohner wirkt Craiova unscheinbar. Der Stadtkern ist herausgeputzt, aber überschaubar. Für Touristen zählt die siebtgrösste Stadt Rumäniens nicht zu den primären Zieldestinationen im Land und auch aus wirtschaftlicher Sicht erfährt das Zentrum der «Kleinen Walachei» weit weniger Aufmerksamkeit als die drei Autostunden östlich gelegenen Hauptstadt Bukarest.

Anders sieht es im Fussball aus. Dieser existiert in der Stadt seit 1948, als der Sportverein «CSU Craiova» gegründet wurde. In Anlehnung an die lokale Universität benannte er sich in den Folgejahren in «CS Universitatea Craiova» um und spaltete sich 1992 in Form der Fussballabteilung unter dem Namen «FC Universitatea Craiova» vom Polysportverein ab. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa ging der Klub vom staatlichen Träger – in diesem Fall die städtische Universität – in private Hände über. Diese Transformation ging in vielen ehemaligen kommunistischen Staaten ohne juristische Sorgfalt über die Bühne und die Privatbesitzer, meist zwielichtige Geschäftsmänner oder Oligarchen, verstanden wenig von Klubmanagement.

2005 gelangte der finanziell angeschlagene Zweitligist aus Craiova in die Hände des Medienmoguls Adrian Mititelu, der erheblich in dessen sportliche Wiederauferstehung investierte. 2010 engagierte er dafür unter anderem den früheren rumänischen Nationaltrainer Victor Piturca. Diesen entliess er nach einem halben Jahr, worauf Piturca auf eine hohe Abfindung pochte, die den Klub in die Insolvenz geführt hätte. Mititelu zahlte nicht und der rumänische Verband entzog seinem Klub daraufhin die Lizenz für die ersten beiden Ligen. Rechtsstreitigkeiten führten die Parteien bis vor den internationalen Sportgerichtshof, 2014 wurde der FC Universitatea Craiova schliesslich aus dem Vereinsregister gestrichen. Weil durch diesen Konflikt das neugebaute Stadion – eine mit EU-Fördergeldern bezahlte Propaganda-Baute – plötzlich ohne Nutzer dastand, riefen die lokalen Behörden rund um Craiovas Bürgermeisterin Lia Olguta Vasilescu 2013 den Klub «CS Universitatea Craiova» ins Leben, der vom rumänischen Fussballverband begünstigt ein Startrecht für die 2. Liga bekam. Die Mannschaft stieg nach der ersten Saison auf.

Als Reaktion darauf gründete der trotzige Mititelu 2017 den «FC U 1948 Craiova» und startete mit ihm in der 4. Liga. Nach erfolgreichen Jahren und drei Aufstiegen spielt der Klub seit 2021 wieder erstklassig. Zum speziellen Stadtderby kam es – die hier beschriebene Ausgabe inkludiert – bisher sieben Mal, Mititelus FC U gewann ein einziges davon. So wird das in Unterzahl erkämpfte 1:1 vor 14’885 Zuschauern von den älteren Semestern in der Peluza Sud in einer bisher enttäuschenden Saison denn auch als Erfolg gewertet, während die von jüngeren Fans geprägte Peluza Nord enttäuscht den Gesängen der Gegenseite lauscht.

Bis heute wird in Craiova nicht nur auf dem Rasen und den Rängen um Ruhm gekämpft, sondern auch im Gerichtssaal. Von den historischen Erfolgen des Ursprungsvereins wird dem «FC U 1948 Craiova» derzeit einzig der Pokalsieg 1993 attestiert, während die rumänische Liga und diverse Richter dem städtischen Klub die historischen vier Meisterschaftstitel und die fünf Pokalsiege aus dem 20. Jahrhundert zusprechen. Im Gegensatz zum Rivalen darf dieser auch den Namenszusatz «Universitatea» sowie das ursprüngliche Logo nutzen.

Dualismus ist im osteuropäischen Fussball kein Einzelfall. In Bukarest – mit dem FCSB und CSA Steaua Bucuresti – wie auch in Timisoara (mit SSU Politehnica Timisoara, FC Politehnica Timisoara und ACS Poli Timisoara) gibt es mehrere Teams, die sich als rechtmässige Erben ruhmreicher Grossklubs sehen. Auch im bulgarischen Fussball oder in ehemaligen Sowjetstaaten bestehen innerstädtische Feindschaften, die auf oben beschriebenen Umständen gründen.


Jiul Petrosani - CSO Turceni

Stromleitungen hängen über die von Schlaglöchern gezeichnete Strasse. Auf der einen Seite liegt das überwucherte Bahntrassee, auf der anderen Häuser mit unverputzten Aussenwänden. Bei gutem Wetter hätte man wohl durchaus eine schöne Aussicht gegen die Berge hin. Heute ist jedoch alles grau, ein triefender Herbsttag, die Wolken erdrückend, es regnet Bindfäden und ist kalt.

Vielleicht inszeniert die Witterung Anfang November Petrosani als besonders trostlos. Gewiss versprüht die Stadt im Jiu-Tal am gleichnamigen Fluss in den Karpaten an einem warmen Sommertag einen ganz anderen Charme. Und doch ist die Szenerie symptomatisch für den Ort, der einst das Zentrum eines Bergbaureviers und Mittelpunkt der rumänischen Kohleförderung darstellte.

Von den Zechen aus der kommunistischen Zeit existiert heute nur noch jede vierte, die regionale Wirtschaft ist unter Kosten- und Klimadruck zusammengebrochen. Strukturwandel sowie fehlende Perspektiven führten zu Massenarbeitslosigkeit und massiver Abwanderung und machten aus der Industrieregion ein Notstandsgebiet. Jene Arbeiter, die geblieben sind, sterben früh an Staublungen. Von den versprochenen Subventionen aus der EU-Kommission rund um den europäischen «Green Deal» fehlt in der Gegend bisher jede Spur.

An bessere Tage erinnert in der Bergbaustadt auch das überdimensionierte «Stadionul Petre Libardi», dessen nasse Sitzschalen von den 150 Zuschauern grösstenteils gemieden werden. Der Stehplatzsektor hinter dem Tor bleibt verwaist. Vorbei sind in Petrosani die Zeiten von Fangruppen wie den «Black and White Miners» oder «Noi Din Vale», die eine Freundschaft zu Anhängern von Universitatea Cluj und eine Feindschaft nach Hunedoara pflegten. Auf dem tiefen Geläuf gibt es viel Geschrei und kaum Spektakel; zum Schluss steht für Jiul ein 4:1 gegen Turceni zu Buche. Jubel für die Herren in Schwarz-Weiss – eine farbliche Hommage an kohleverdreckte Untertagearbeiter.


CS Corvinul Hunedoara - Unirea Dej

«Im Winter ist der Schnee ein Problem, im Frühling und Herbst liegt Schlamm auf den Strassen und im Sommer sind die Busse meist defekt», resümiert der Reiseführer desillusioniert die öffentliche Verkehrslage in Hunedoara. Ganz so prekär präsentiert sich diese in der Realität dann aber nicht, und mit der Burg besitzt Eisenmarkt, wie die Stadt aufgrund ihres einstigen Eisenwerks auf Deutsch heisst, gar eine der zentralen Sehenswürdigkeiten der Region Siebenbürgen. Obschon Fürst Vlad III., das historische Vorbild Draculas, nie Besitzer des imposanten Schlosses der Corviner war, nutzt die städtische Standortförderung die Legende um den «Blutgrafen», um Touristen aus dem Ausland anzulocken.

Der Fussball in Hunedoara besitzt nämlich seit geraumer Zeit keine internationale Anziehungskraft mehr. Der letzte – und einzige – Auftritt auf europäischer Bühne rührt aus der Saison 1982/83, als der FC Corvinul im Uefa-Pokal erst den Grazer AK und dann den FK Sarajevo empfing. In den Folgejahren erlebte der Klub aus Eisenmarkt einen schleichenden Niedergang, der 2004 mit der Insolvenz sein unrühmliches Ende fand. Fast zwei Jahrzehnte lang sollten sich fortan verschiedene Klubs um das Erbe des FC Corvinul streiten – eine Situation, die erst 2022, mitunter dank einer Kampagne der Ultras zum Rückkauf der Markenrechte, mit einem Kompromiss endete. In der Saison 2022/23 gelang dem neu gegründeten und in die dritte Liga integrierten «CS Corvinul 1921 Hunedoara» sogleich der Aufstieg. Auch in der zweiten Liga Rumäniens agiert der Klub bisher äusserst erfolgreich. Mit einem 4:0 gegen Unirea Dej verteidigt er den zweiten Platz in der Tabelle weiter souverän.

Dies entspricht dem Gusto der 1350 Zuschauer und besonders der unermüdlichen «Peluza Nord», die im Süden des Stadions steht und eine Freundschaft zu Fans von UTA Arad pflegt. Ihre Vereinsliebe bringen die Anhänger rund um die Gruppen «Distrikt Ultra’» und «Ultras Korp» nicht nur akustisch, sondern auch in Form zahlreicher Graffitis und Murals bis über die Stadtgrenzen hinaus zum Ausdruck.

Mit dem sportlichen Höhenflug scheinen auch die seit 2017 angekündigten Pläne für ein neues Stadion wieder konkreter zu werden. Denn Hunedoaras Lokalpolitiker träumen gross: Eine Machbarkeitsstudie der städtischen Behörden zeigt ein modernes Stadion mit zwei Rängen und über zehntausend Sitzplätzen, das auch für Spiele auf dem internationalen Parkett geeignet sein soll. Derzeit bremst jedoch ein Gerichtsstreit hinsichtlich der Bauauflagen die Umsetzung des Projekts, was im Sommer gar die Aussetzung der öffentlichen Ausschreibung zur Folge hatte.

So ist es realistisch, dass Corvinul doch noch länger im seit 1960 bestehenden Stadion beheimatet sein wird. Dieses trägt den Namen des ehemaligen Corvinul-Verteidiger Michael «Mișa» Klein, der über 300 Spiele für den Klub absolvierte und 90 Mal für das rumänische Nationalteam auflief. 1993 verstarb Klein im Training bei seinem damaligen Klub Bayer Uerdingen an einem Herzversagen. Bei der Umbenennung der Spielstätte merkte Eugen Evu, ein Schriftsteller aus Hunedoara, an: «Mișa kehrt in eine Stadt zurück, in der die Hochöfen erloschen sind, nicht aber die Flamme.»