Dinamo City - KF Laci
Am Zaun lehnt ein verrostetes Fahrrad, am bröckelnden Gemäuer prangt ein hastig gespraytes Graffito mit der Aufschrift «No Cops, No Problems» und auf der Ersatzbank hat sich ein Obdachloser einen Schlafplatz eingerichtet. Trotz der Renovation vor weniger als einem Jahrzehnt wirkt das Selman-Stermasi-Stadion mit seinen kaputten Sitzschalen und den verblichenen Werdebanden wie ein Fremdkörper in der Gegend rund um den aufstrebenden Stadtteil Blloku. Dabei beheimatete die Spielstätte mit KF Tirana und Dinamo Tirana noch vor einigen Jahren die beiden erfolgreichsten Vereine Albaniens.
Trotz fehlender Infrastruktur verfolgt der 18-fache Meister Dinamo seit der Rückkehr in die höchste Liga im vergangenen Sommer grosse Pläne: Man arbeite neu mit der City Football Group zusammen, liessen die Verantwortlichen damals verlauten. Um die Zugehörigkeit zum Netzwerk um Manchester City zu untermauern, benannte sich Dinamo Tirana in Dinamo City um und passte auch sein Wappen so an, dass es sich durch den typischen Blauton mit den anderen Klubs aus der internationalen Holding-Gesellschaft assoziieren lässt. Mit Edi Rama ist auch der albanische Ministerpräsident ins ambitionierte Projekt involviert, der dem Konsortium in Durres, der zweitgrössten Stadt des Landes, ein Grundstück zur Verfügung gestellt hat. Hier soll im Herbst 2024 mithilfe des nationalen Bildungs- und Sportministeriums und den finanzstarken Besitzern der «Citizens» mit der Dyrrah City Football Academy eine professionelle Fussballschule eröffnet werden.
Vom Glanz und Glamour des englischen Spitzenteams ist Dinamo derzeit allerdings in jeglicher Hinsicht weit entfernt. Der Klub steht im 10er-Feld der Kategoria Superiore auf dem siebten Platz und muss das Heimspiel gegen Laci im Exil in Elbasan austragen, 40 Kilometer südöstlich der Hauptstadt. Nur gerade 250 Zuschauer sind vor Ort, die Einheimischen interessieren sich – wenn überhaupt – eher für den auf dem Aufstiegsplatz stehenden Zweitligisten AF Elbasani. Auch von den «Blue Boys», der Fangruppe Dinamos, oder Gästen aus Lac, einer Kleinstadt im Norden des Landes, fehlen jede Spur. Das Niveau auf dem Rasen ist bescheiden, im letzten Drittel fehlt den Akteuren die Genauigkeit. So stellt beim chancenarmen 0:0 das Panorama hinter der Südtribüne rund um den Berggipfel Valamara das einzige Highlight dar.
FC Zimbru Chisinau - FC Petrocub Hincesti
«Wieso seid ihr hier? Hier gibt es nichts zu sehen.» Die beiden Sätze einer jungen Medizinstudentin vor einer Bar im Zentrum von Chisinau sind beispielhaft für die Äusserungen vieler Einheimischen, nachdem sie unser Duo als Ausländer enttarnt haben. Tatsächlich gibt es in dieser Situation wenig Argumente, mit denen zwei Westeuropäer – ohne die noch fragwürdigere Leidenschaft Groundhopping ins Feld zu führen – eine Reise in ein Land legitimieren können, das gefühlt zuletzt 2004 für positive Schlagzeilen gesorgt hat, als die moldauische Boyband O-Zone mit ihrem Liebessong «Dragostea din tei» einen internationalen Charthit landete.
Wegen wenigen Metern ohne Meeranschluss und eingeklemmt zwischen Rumänien und der Ukraine steht die Republik Moldau, umgangssprachlich auch Moldawien genannt, für eines der ärmsten Länder Europas, eine hohe Erwerbslosigkeit und eine tiefe Lebenserwartung. Mit den abtrünnigen Regionen Gagausien und Transnistrien oder in Form der historischen Region Bessarabien sieht sich der krisengeplagte Staat mit zweieinhalb Millionen Einwohnern zudem immer wieder mit territorialen Machtbegierden aus dem In- und Ausland konfrontiert.
Besonders um die «Piata Centrala» macht sich der harte Alltag der moldauischen Unterschicht bemerkbar. Auf den Gehsteigen werden Falschgeld und Klappmesser neben ausgebauten Autoradios, Aphrodisiaka, und Altkleidern angeboten. Die alten Busse in den Strassen sind meist bis auf den letzten Platz besetzt, in jenem vom Flughafen ins Stadtzentrum bahnt sich eine ältere Frau in einer Weste und mit Finken den Weg durch die Passagiere und sammelt das Geld für die Fahrt ein, ein zweites Gepäckstück kostet extra.
Und doch bietet alleine die Hauptstadt Chisinau eine Vielzahl an Sehenswürdigkeiten, besonders für Liebhaber der sozialistischen Architektur. Sie kommen etwa bei den imposanten «City Gates», dem Staatszirkus oder dem Puppentheater, dem kollektiven Wohnturm «Romanita», dem Kaffeehaus Guguta oder in Form des moldauischen Präsidentenpalastes sowie jenem zu Ehren der Republik auf ihre Kosten. Auch religiöse Bauten wie das Kloster Ciuflea, die Kathedrale der Geburt des Herrn oder der Kirche St. Teodora sind einen Besuch wert. Wer Erholung und Entspannung sucht, ist in Parkanlagen wie dem Valea Morilor mit seinem kleinen See, dem Sommertheater und der imposanten Kaskadentreppe gut aufgehoben.
Der Fussball hingegen spielt im Leben der Moldauer eine untergeordnete Rolle. So überrascht es wenig, dass lediglich 1700 Zuschauer das Spitzenspiel im Nationalstadion mitverfolgen. In diesem duelliert sich Zimbru Chisinau mit Petrocub Hincesti. Der ungewohnte Zusatz «Zimbru» geht, wie im Logo ersichtlich, auf den Bison zurück und gehört seit Anfang der 1990er-Jahre zum immer wieder geänderten Namen der Hauptstädter. Unterstützt wird Zimbru im Duell um die Tabellenspitze von einer kleinen Fankurve, die bis zur Spielmitte auf rund 50 Anhänger und ein paar Kinder anwächst. Auch überraschend viele Gästefans haben die Reise in die Hauptstadt angetreten und sich auf der gut gefüllten Haupttribüne niedergelassen, wie beim frühen Führungstreffer zu erkennen ist. Dank eines Elfmeters kommen die Hausherren vor dem Plattenbau-Panorama nach dem Seitenwechsel zu einem schmeichelhaften 1:1. Zum Saisonende sollte der Titel aber dennoch – und verdienterweise – erstmals in der Geschichte nach Hincesti gehen.
FC Sheriff Tiraspol - CSF Balti
«Thank you, but we have our own media», lese ich in der Textausgabezeile der Übersetzer-App. Sie gehört zu einem untersetzten Steward, der mir sein Mobiltelefon entgegenstreckt und mit einem bestimmten Kochschütteln zu verstehen gibt, dass ich auf dieser Seite des Stadions nicht zu suchen habe. Die Situation anlässlich des Heimspiels von Sheriff Tiraspol ist nur einer von vielen skurrilen Momenten während des Aufenthalts in Transnistrien.
Angefangen hatte die spezielle Gefühlslage bereits bei der Einreise in den De-facto-Staat, an dessen Grenzen russische Soldaten und Panzer Wache stehen. Von hier aus sind es nur 150 Kilometer Luftlinie bis nach Odessa, entsprechend ernst läuft das Prozedere ab: Die Zöllner durchsuchen unser Auto, stellen Fragen zum Grund der Reise, verlangen eine Einreisegebühr, prüfen die Pässe, aber stempeln sie nicht und stellen uns stattdessen eine Immigrationskarte aus, die wir stets mitzuführen haben.
Weil in Transnistrien primär mit Bargeld und in der Landeswährung bezahlt wird, steuern wir als erstes eine Wechselstube an. Hier staunen wir nicht schlecht, als wir eine Note mit der Aufschrift «25 transnistrische Rubel» in der Hand halten. Sobald man den Fluss Dnestr (zu Deutsch Tyra) überquert, dem der schmale Landstrich seinen Namen verdankt, wird die Währung wertlos, da sie in keinem anderen Land der Welt akzeptiert ist.
Auch die Hauptstadt Tiraspol, in deren Grossraum die Mehrheit der 350‘000 Einwohner lebt, wirkt aus der Zeit gefallen: Sowjetische Denkmäler und Panzer säumen die breiten Boulevards, dazu kommen ein gut besuchter Stadtpark und ein grosser Bauernmarkt. Viel mehr scheint die trostlose Gegend nicht zu bieten, trotz allem ist die Versorgungslage verhältnismässig gut und zu den Hauptexportprodukten zählen Kaviar und Brandy.
Zurück am Trainingskomplex des FC Sheriff erspähen wir eine offene Tür und betreten das Hauptstadion, in dem einst schon Real Madrid gastierte, ehe uns ein Wachmann fluchend vom Areal jagt. Zur Anlage zählen nebst dem im moldauischen Ligaalltag bespielten Zweitstadion eine Fussballhalle sowie insgesamt weitere 14 Trainingsplätze, dazu kommen ein Tennisclub und ein Schwimmbad, das ebenfalls Sheriff gehört. Der gewöhnungsbedürftige Name rührt vom Sheriff-Konzern, der unter der Führung des Oligarchen und Gründers Viktor Gusan grosse Teile der Privatwirtschaft vereinnahmt. Zum Sheriff-Imperium zählen nebst Supermärkten, Tankstellen oder Banken auch ein eigener TV-Sender. Nur vom «Sheriff» selbst fehlt in der Öffentlichkeit jede Spur – im Internet kursiert vom ehemaligen KGB-Offizier Gusan exakt ein Bild.
Beim Duell gegen den Klub aus Balti stehen bei Sheriff ein einziger Spieler aus der Republik Moldau und nicht weniger als sieben dunkelhäutige Akteure in der Startaufstellung. Die Tickets werden kostenlos an den Drehkreuzen verteilt, zumal sich nebst der kleinen Abordnung an Sheriff-Fans keiner der 911 Zuschauer grossartig für das 2:0 der Gastgeber zu interessieren scheint. Am ehesten noch schenkt der Sicherheitsdienst dem Typen mit der Kamera Beachtung, sodass ich froh bin, als die merkwürdige Region, die selbst von Moldauern gemieden wird, wenig später im Rückspiegel des Mietwagens verschwindet.

Univer Comrat - FC Victoria Bardar
«Willkommen in Gagausien», steht in Kyrillisch auf einem verblichenen Schild am Strassenrand. Die Einreise erfolgt hier ohne verrosteten Schlagbaum oder grimmigen Zollbeamten. Dass wir die «autonome territoriale Einheit» im Süden der Republik Moldau erreicht haben, merken wir deshalb nur, weil wir nach einem besonders holprigen Streckenabschnitt, der über eine Wiese und an einer Schafherde vorbeigeführt hatte, ausgerechnet an dieser Stelle einen Kontrollgang um den Mietwagen unternehmen. Bereits kurz nach Chisinau war die geteerte Strasse einem Asphalt-Flickenteppich gewichen, der mit jedem Kilometer weiter an Substanz verloren hatte.
Comrat, das Zentrum der abtrünnigen Region mit 160‘000 Einwohnern, erreichen sowohl das leidgeprüfte Mietauto als auch wir zum Glück unbeschadet. Seit Mitte der 1990er-Jahre leben die Menschen in Gagausien (mit Betonung auf und kurzer Pause vor dem Buchstaben «U») grösstenteils autonom und besitzen ein eigenes Parlament und eine eigene Gesetzgebung. Viele Strassen tragen noch immer die Namen aus der Sowjetzeit und vor dem Regionalparlament ist eine Statue von Wladimir Iljitsch Lenin zu finden. Die turkstämmige Volksgruppe sympathisiert aber nicht nur mit Russland, sondern aufgrund ihrer ursprünglichen Herkunft auch mit der Türkei.
So hat vor einigen Jahren auch Recep Tayyip Erdogan die Regionalhauptstadt und mitunter das Stadion besucht und dabei mit seinem Helikopter das Dach des Neubaus beschädigt. Immerhin kam der türkische Präsident selbst für die Reparaturkosten auf, sodass heutzutage noch immer eine moderne Spielstätte mit Kunstrasen und knallroter Laufbahn am See im Norden von Comrat zu finden ist, die nach einem lokalen Sportförderer benannt ist.
Eine wesentlich vielfältigere Namenshistorie weist der lokale Fussballklub Univer Comrat auf, der erst seit 2023 unter dieser Bezeichnung auftritt. Seine Ursprünge liegen Anfang der 1990er-Jahre, als der städtische Verein Bugeac Comrat entstand und schon im zweiten Jahr seines Bestehens die erste Austragung des moldauischen Pokals gewinnen konnte. 1996 verschwand Bugeac aber bereits wieder von der Landkarte. Der damalige Nachfolger liess sich bei der Namenswahl von der städtischen Universität inspirieren, die nach weiteren Umbenennungen allerdings erst seit zwei Jahren in Form des Zusatzes «Univer» wieder Erwähnung im aktuellen Namen des Zweitligisten findet.
Als Liga-Neuling spielt Univer bisher eine überraschend erfolgreiche Saison und qualifizierte sich nach dem Jahreswechsel prompt für die Aufstiegsgruppe, die nebst einem Meister in einer Finalrunde auch einen zweiten Aufsteiger kürt und unter der Bezeichnung «Liga 1» ausgetragen wird. An diesem sommerhaften Freitagabend zieht das Heimteam vor 100 Zuschauern allerdings einen schlechten Tag ein und verspielt gegen Victoria Bardar eine frühe Zwei-Tore-Führung. Zum Schluss unterliegt Univer den Gästen aus Chisinau mit 2:3 und verpasst in den Wochen darauf mit einer Niederlage im Playoff-Halbfinal auch die Chance auf den direkten Durchmarsch in die höchste Spielklasse der Republik Moldau.
Eyüpsor - Altay SK
Erst während der Taxifahrt und einem Kontrollblick auf die Spielpaarung wird uns bewusst, welch brisante Ausgangslage das avisierte Duell bereithält: Mit einem Sieg würde Eyüpspor den erstmaligen Aufstieg in die höchste Liga realisieren, während der Gast aus Izmir bei einer Niederlage den Gang in die Drittklassigkeit anzutreten hätte.
Davon ist am Ufer des Goldenen Horns einige Stunden vor Anpfiff wenig zu spüren: Trotz der Lage im Herzen von Istanbul wirkt Eyüpsultan wie eine Oase innerhalb jener hektischen Metropole, die drei Mal so viele Einwohner wie die Hauptstadt Ankara aufweist. Auch das Stadion hinterlässt mit seinem Häuserpanorama und dem Tribünen-Imitat in Form einer Abdeckplane auf der Gegengerade einen behüteten Eindruck. Nur gerade 2500 Zuschauer finden denn auch in dessen Innern Platz, wobei 20 davon aus der Hafenstadt im Westen der Türkei stammen und im streng bewachten Gästeblock verweilen. Nebst der hohen Polizeipräsenz hauchen die zwei Stimmungszentren an den Enden der Haupttribüne der Anlage mehr Leben als bei gewöhnlichen Heimspielen ein.
Trotz des grossen Drucks gelingt dem Heimteam um Trainer Arda Turan mit einem 4:1-Sieg bereits sechs Runden vor Schluss souverän der Sprung in die Süper Lig. Für Altay, das einzig die Anfangsphase der Partie ebenbürtig zu gestalten vermochte, erfolgt Wochen später zumindest die Versöhnung mit dem Ort des Abstiegs: Ein Abzug von neun Punkten aufgrund von Verstössen gegen die Lizenzanforderungen hätte eine fulminante Aufholjagd in der Schlussphase der Saison sowieso torpediert.
Ümraniyespor - Sanliurfaspor
Wer auf Istanbuls Strassen unterwegs ist, sollte besonders für das Überqueren der ersten Bosporusbrücke viel Geduld mitbringen. Zu jeder Uhrzeit staut sich hier der Verkehr, wenn die Überfahrt von der europäischen auf die asiatische Seite oder in umgekehrter Richtung bevorsteht. Immerhin bietet die Brücke eine gute Sicht auf die auf einer anatolischen Hügelkuppe gelegene Camlica-Moschee. Mit sechs Minaretten – vier davon mit einer Höhe von über 100 Metern – und Platz für 63‘000 Gläubige stellt sie die grösste Moschee der Türkei dar und integriert weiter ein Museum, eine Bibliothek, einen Konferenzsaal und eine Kunstgalerie. Das Projekt reiht sich damit in die Vielzahl unter Präsident Recep Tayyip Erdogan lancierter Grossbauprojekte ein, dem Kritiker in diesem Zusammenhang imperialistisch motivierten Gigantismus und eine schleichende Islamisierung im Land vorwerfen.
Weniger pompös präsentiert sich die Heimat von Ümraniyespor, dem Klub aus dem angrenzenden Vorort Ümraniye, der nach dem Militärputsch im Jahr 1980 in die Stadt eingegliedert wurde. Eine stattliche Hintertortribüne wird hier flankiert von zwei wesentlich kleineren Bauten auf der Längsseite und einer weiteren Hintertorseite ohne Ausbau. Und das, obwohl der Begriff «Ümran» in der arabischen Sprache für Glückseligkeit und Wohlstand steht. Fragen wirft auch das Klubwappen auf, das mit der Tanne (im Gegensatz zur Zeder) in der Mitte und der rot-grün-weissen Farbkombination an die Flagge des Libanon erinnert.
Nach einer Spielzeit im türkischen Oberhaus ist Ümraniyespor wieder in der zweiten Liga anzutreffen, hinkt dort mit einer Platzierung in der hinteren Tabellenhälfte allerdings den eigenen Erwartungen hinterher. Diese sind nach dem Süper-Lig-Abenteuer in der Vorsaison gestiegen, obschon der Klub zuletzt in weniger als zehn Jahren den beachtlichen Weg aus der vierten Liga bis in die oberste Spielklasse gemeistert hatte. Trotz bestem Fussballwetter und fanfreundlicher Anstosszeit sind an diesem Samstagnachmittag nur 700 Zuschauer anwesend, darunter auch zwei kleine Gruppen Jugendlicher, die hinter dem Tor und am Rand der Gegengerade um Stimmung bemüht sind.
Zum Jubel dürfen beim 0:1 aus Sicht der Hausherren aber einzig die rund 30 Gästefans ansetzen, die für ihre lange Anreise mit einem sehenswerten Freistosstreffer und dem Auswärtssieg belohnt werden. Die nahe der syrischen Grenze gelegene Stadt Sanliurfa (auch schlicht «Urfa» genannt) gilt als Zentrum einer der entlegensten Regionen der Türkei und wird primär von Kurden bewohnt.
Alibeyköyspor - Beylikdüzü SK
Eine unscheinbare gelbe Metalltüre zwischen einer Autogarage und einem Kebap-Laden gewährt im Norden von Istanbul Zutritt zu einer der schönsten Spielstätten der türkischen Metropole. Nicht nur die Aussicht auf die Stadtteile Alibeyköy auf der linken und Güzeltepe auf der rechten Seite, sondern vor allem die in die Jahre gekommene Tribüne selbst lassen den Ort zum Geheimtipp auf der Suche nach einer authentischen Portion Amateurfussball in der Gegend avancieren. Verstaubte und zerbrochene Sitzschalen, abgewetzte Sessel auf der VIP-Tribüne und ein Stacheldrahtzaun, von dem sich der Sesamring-Verkäufer allerdings kaum beirren lässt, sorgen für zahlreiche Fotosujets.
Das Alibeyköy-Stadion dient dem in die fünfte Liga aufgestiegenen Klub Alibeyköyspor als Heimat, der blau-orangene Trikots trägt, 1959/60 eine Saison in der Süper Lig gespielt hatte und seinem Namen Ali Bey verdankt, dem Sohn des einstigen Emirs des Fürstentums Karesi. In der ersten Staffel der Liga, in welcher auch Maltepespor um Punkte kämpft, ertönt an diesem Freitag wiederum bereits mitten in den Nachmittagsstunden der Anpfiff. Nichtsdestotrotz haben sich knapp 200 Zuschauer eingefunden, die gebannt und bisweilen lautstark das Treiben auf dem Kunstrasen verfolgen und dabei nervös an den Perlen der Misbaha, der omnipräsenten islamischen Gebetskette, herumspielen.
Auf der einzigen Tribüne hat sich auch eine Gruppe Jugendlicher niedergelassen, die das Heimteam mit Gesängen und simplen Trommelrhythmen unterstützt, das Stadion nach dem zweiten Gegentreffer allerdings bereits vorzeitig verlässt. Vielleicht hatten sie eine Vorahnung dafür, dass es beim umkämpften 1:2 bleiben würde und die trotz des überschaubaren sportlichen Niveaus patrouillierende Bereitschaftspolizei nur auf konkrete Verfehlungen warten würde.
Istanbul Basaksehir - Besiktas JK
Wer in der Türkei als Vertreter der «Spor Polisi» ein Fussballstadion betritt, der muss schnell sein und ein gutes Auge besitzen. Diese Eigenschaften sind aber nicht für einen polysportiven Wettkampf unter Berufskollegen relevant, sondern beim Filmen von Zuschauern, die etwa durch Becherwürfe bei Gegentoren negativ auffallen. Es ist ein bisweilen hilflos wirkendes Mittel der Exekutive im Kampf gegen Verfehlungen. Deutlich mehr erhofft sich der türkische Staat deshalb vom Passolig-System. Dieses basiert auf dem umstrittenen Paragraph 6222 des Strafgesetzbuches und reglementiert seit einer Dekade den Verkauf von Tickets in den beiden höchsten Fussballligen des Landes. Nebst administrativen Hürden wie dem verpflichtenden Online-Vorverkauf sowie dem Ausstellen von einmalig gültigen, physischen Einlassberechtigungen am Spieltag an den Stadionkassen ist das System auch aus anderen Gründen fragwürdig: Als Betreiber der Passolig-Karte, die auch als Kreditkarte figuriert, verdient die Aktif Bank viel Geld und sammelt nebenbei persönliche Daten für ihr System, das eng mit staatlichen Behörden verknüpft ist.
Der allseits präsente Nationalismus findet in Form der türkischen Hymne den Weg ins Stadioninnere hingegen problemlos und ist bei einem Süper-Lig-Vertreter besonders ausgeprägt: Istanbul Basaksehir. Dabei stellte der junge Klub noch bis vor einem Jahrzehnt lediglich die Fussballabteilung des Sportvereins der Stadtverwaltung dar, ehe er ausgegliedert, in ein Unternehmen umgewandelt, umbenannt und in die Agglomeration versetzt wurde. Zu den treibenden Kräften von damals zählt sich laut eigenen Angaben auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan – mit Vereinspräsident Göksel Gümüsdag steht dem Klub zudem bis heute ein angeheirateter Verwandter der Familie vor. So überrascht es wenig, dass die Zaunfahne in der kleinen Heimkurve auf die Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1453 referenziert und die Vorsänger eher wie AKP-Parteiabgeordnete gekleidet sind.
Das Gegenstück stellt der «Besiktas Jimnastik Kulübü» dar, der lange als Verein der Unterschicht und Arbeiterklasse galt und dessen führende Fangruppierung «Carsi» mit dem Anarchisten-Symbol im Schriftzug dies auch öffentlich zum Ausdruck bringt. Spätestens seit den Protesten um den Erhalt des Gezi-Parks im Jahr 2013 gelten ihre Vertreter als Staatsfeinde. Wegen des vermeintlichen Putschversuches mussten sich 35 Gruppenmitglieder gegen die von Seiten der Staatsanwaltschaft geforderte, lebenslange Haftstrafe behaupten.
Das nach Fatih Terim, dem langjährigen Nationaltrainer, benannte Stadion liegt an der Autobahn im Nordwesten und fällt nebst dem Namen des «Imperators» vor allem durch die ausserhalb stehenden Flutlichtmasten auf. Trotz eines 7. Zwischenrangs und des klangvollen Gegners sind an diesem Abend nur gerade 3687 Zuschauer zugegen. Eine Zahl, die noch tiefer ausfallen würde, wären nicht seit kurzer Zeit beim Stadtduellen wieder vereinzelt auswärtige Fans zugelassen. So sorgten 1500 Gästeanhänger – lediglich mit einem Banner mit der Aufschrift «Sadece Besiktas» (Nur Besiktas) im Gepäck – für Stimmung. Lange durften Alex Oxlade-Chamberlain, Milot Rashica und Portugals einstiger Europameister-Trainer Fernando Santos auf einen Auswärtssieg hoffen, ehe dem türkischen Champion von 2020 in der fünften Minute der Nachspielzeit doch noch der 1:1-Ausgleich gelang.
Fenerbahce SK - Adana Demirspor
Das türkische Meisterrennen ist in der Saison 2023/24 gleichzeitig ein städtisches und doch interkontinentales Duell. Möglich macht dies die Lage der beiden grössten Vereine des Landes: Galatasaray hat sein Zuhause auf der europäischen und Fenerbahce auf der asiatischen Seite von Istanbul. Während der Erzrivale seit der Einführung der Süper Lig am meisten Titel einheimsen konnte, kann sich Fenerbahce als gesamthistorischen Rekordmeister bezeichnen.
Seinen Namen verdankt der Klub dem gleichnamigen Leuchtturm, wovon mit «Fener» der erste Teil des Wortes für Leuchtturm und «bahce» für Garten steht. Er liegt südlich von Kadiköy – nicht zu verwechseln mit dem hippen Hafenviertel Karaköy – und dem Sükrü-Saracoglu-Stadion in einem Park unweit des Bosporus-Eingangs.
Zu den prominentesten Anhängern von Fenerbahce zählen mit Mustafa Kemal Atatürk und Recep Tayyip Erdogan sowohl der Begründer als auch der aktuelle Präsident der Republik Türkei. Obwohl «Fener» als Klub der Mittelschicht gilt, sind die Preise für den Besuch eines Heimspiels hoch; gut gefüllt ist das kompakte Stadion mit 32‘293 Zuschauern dennoch. Auf drei der vier Tribünen stehen die Anwesenden während der gesamten Spieldauer. Wieder wird viel gepfiffen, wieder erreicht die Dezibel-Skala bisweilen Höchstwerte, gefühlt ist es gar noch ein wenig lauter als beim Heimspiel von Galatasaray am Vortag. Der Kern der heimischen Anhängerschaft findet sich im Oberrang beider Hintertortribünen und konstituiert sich unter dem Namen «Genç Fenerbahceliler», was für «junge Fenerbahce-Fans» steht. Aufgeteilt ist der Fanzusammenschluss, der in 18 Ländern Ableger hat, in zehn Untergruppen, darunter auch die etwa in Deutschland bekannte «GFB Europe» mit über 500 Mitgliedern.
Ob die Partie gegen Adana überhaupt ausgetragen wird, war lange ungewiss. Grund dafür waren Ausschreitungen beim vorangehenden Auswärtsspiel in Trabzon, das der Klub aus Istanbul spät gewann, was die heimischen Fans zu einem Platzsturm bewegte. Doch nicht etwa Sanktionen seitens der Liga, sondern Drohgebärden von Fenerbahce selbst, liessen in den Folgetagen an der Durchführung des nächsten Pflichtspiels zweifeln. Nach der Ankündigung, einen Rückzug aus der Süper Lig zu erwägen, beliess es der Klub nach einer ausserordentlich einberufenen Generalversammlung bei einer auf den Rasen gesprühten Botschaft mit der Forderung nach einem fairen Wettbewerb und einer eher fragwürdigen Protestaktion rund um den Supercup.
Wie bereits beim Stadtrivalen sind auch an diesem Abend zahlreiche bekannte Namen auf dem Matchblatt zu finden, wobei etwa den beiden Europameistern Leonardo Bonucci beim Klub aus Istanbul und Nani bei den Gästen nur ein Platz auf der Ersatzbank vorbehalten ist. Für die Highlights sind andere Altstars verantwortlich: Adana-Stürmer Mario Balotelli lässt seinem zwischenzeitlichen Ausgleich einen extravaganten Torjubel folgen, die Show stehlen ihm auf dem Weg zum 4:2-Sieg für die Gastgeber aber erst Edin Dzeko mit dem neuerlichen Führungstreffer sowie Dusan Tadic mit einem Traumtor aus der Distanz.
Esenler Erokspor - Beyoglu Yeni Carsi FK
2017 spielte Erokspor noch in der 5. Liga, nun steht das Team aus dem Istanbuler Stadtbezirk Esenler vor dem Aufstieg in die zweithöchste Spielklasse. Seine Wurzeln hat der Klub in Kasimpasa, wo auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan herkommt, der auf Amateurebene prompt einst einige Jahre lang für Erokspor gespielt hat. Während es Erdogan in die Politik zog, ging auch Erokspor neue Wege: Der Verein gliederte sich auf die Saison 2018/19 hin in ein Unternehmen um und verlegte seinen Standort in den Westen der Stadt, wo er mit dem Esenler Stadyumu eine neue Heimat fand und diese renovieren liess. Einzig die aus dem dadurch deplatziert wirkenden Querbalken des Wappens verschwundene Inschrift der Grün-Gelben erinnert noch an die Vergangenheit im Stadtviertel Beyoglu.
Trotz des sportlichen Höhenfluges und des bescheidenen Eintrittspreises von 25 türkischen Lira (70 Rappen) sind an diesem Mittwochnachmittag nur 400 Zuschauer anwesend, darunter eine Gruppe Jugendlicher, die sich um akustische Unterstützung bemühen. Die dritte Liga der Türkei ist in eine weisse und eine rote Gruppe geteilt und wird als professionelle Stufe geführt, wenn auch das Niveau insgesamt bescheiden ausfällt. Beim 1:1 bleibt der Tabellenführer der weissen Gruppe trotz Feldüberlegenheit vieles schuldig. So sind es eher die dreieckigen Flutlichtmasten, der fast vollständig in Pink gekleidete Schiedsrichter oder der Torschütze mit der Eins als Rückennummer, die nach dem Schlusspfiff auf der Taxifahrt von Esenler zum Stadion von Fenerbahce für Gesprächsstoff sorgen.