CSA Steaua Bucuresti - FC Rapid Bucuresti
«Steaua inseamna CSA», steht an einer Hauswand in der rumänischen Hauptstadt Bukarest gesprüht. Übersetzt lesen sich die drei Worte als «Steaua bedeutet CSA» und sollen zum Ausdruck bringen, dass der aktuelle Zweitligist CSA Steaua Bucuresti der rechtmässige Nachfolger des erfolgreichsten Klubs Rumäniens ist. Dieser wurde 1947 als Armee-Sportklub gegründet und erlebte seine Sternstunden in den 1980er-Jahren. Nebst zahlreichen nationalen Titeln gewann der Klub 1986 auch den Europapokal der Landesmeister und stellte das Lieblingsteam der Diktatorenfamilie um Oberhaupt Nicolae Ceaușescu dar.
Umkämpfter kommunistischer Scherbenhaufen
Mit der Hinrichtung der Ceaușescus endete 1989 das kommunistische Regime in Rumänien, was auch die nationale Sportlandschaft veränderte. Profiklubs wurden in langwierigen und intransparenten Prozessen privatisiert und von ihren staatlichen Trägern entkoppelt, was im Fall des Armeeklubs «CSA Steaua Bucuresti» auch mit einer Namensänderung hin zu «FC Steaua Bucuresti» einherging. 2003 gelangte der niedergewirtschaftete Verein schliesslich in den Besitz von George «Gigi» Becali, einem der zwielichtigsten Geschäftsleuten des Landes.
Becali kam – wie praktisch jeder Klubpräsident in Rumänien – mehrere Male mit dem Gesetz in Konflikt und trat 2013 wegen unrechtmässiger Übertragung von Grundbesitz und Korruption eine mehrjährige Haftstrafe an. Dies forcierte die Bestrebungen des Verteidigungsministeriums, die einst staatliche Marke «Steaua Bucuresti» aus der Versenkung zu hieven. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit, bei dem Becali unter anderem die Namensrechte verlor und seit 2017 sein Team offiziell nur noch unter der sperrigen Bezeichnung «SC Fotbal Club FCSB SA» und mit adaptiertem Wappen auflaufen lassen darf.
Geteilte Fanszene und fehlende Basis
Seine finanzielle Schlagkraft und den Platz in der höchsten Spielklasse konnte der umbenannte Hauptstadtklub hingegen behaupten, verlor aber einen Teil der Anhängerschaft: Die Gruppen Banda Ultra‘, Glas, Hunters, Outlaws, Shadows, South Boys, Stil Ostil und Vacarm aus der Peluza Sud zogen ob den Eskapaden des Mäzens die Konsequenzen und unterstützen seither – in einer optischen Mischung aus Basler Muttenzerkurve und ZSKA Moskaus Sektor A – das Bukarester Armeeteam in der – damaligen – vierten Spielklasse. Die Peluza Nord rund um ihren dubiosen Anführer Gheorghe Mustata blieb Besitzer Becali und seinem FCSB hingegen treu.
Trotz der Teilung auf den Rängen ist es ein äusserst stimmungsvoller Abend, den die 13’678 Zuschauer beim Cup-Heimspiel zwischen dem unterklassigen CSA und Erstligist Rapid Bukarest erleben. Da der rumänische Pokal zu Beginn in einer Gruppenphase ausgespielt wird, ehe es in die K.o.-Phase geht, ist auch das Resultat in Form eines 0:0 in diesem für beide Seiten wichtigen Spiel keine Überraschung. Obschon die Kurven voll und die Affiche klangvoll sind, bleiben im neugebauten Ghencea-Stadion zahlreiche Sitzschalen leer – und untermauern damit: Dem Armeeklub fehlt die breite Basis.
Der Multisportverein – so spielt etwa die Wasserball-Abteilung wenige Stunden vor den Fussballern in der Champions League gegen Novi Belgrad – ist noch immer Teil des rumänischen Verteidigungsministeriums und kann sich damit laut dem nationalen Sportgesetz nicht für die höchste (und einzige Profi-)Liga des Landes qualifizieren. Statt in emotionalen Stadtderbies tritt CSA im Wochenturnus gegen Dorfklubs aus Selimbar oder Tunari an. Nebst unattraktiven Gegnern gibt es aber noch einen triftigeren Grund, der potenzielle Anhänger argwöhnisch bleiben lässt: Der Verein verschlingt Gelder aus dem Staatshaushalt eines Landes, in dem ein wesentlicher Teil der Bevölkerung an der Armutsgrenze lebt.
Hallescher FC - SSV Jahn Regensburg
Hätte der Hallenser Barockkomponist Georg Friedrich Händel sein Oratorium «Messias» doch nur 282 Jahre später komponiert! So muss Stürmer Dominic Baumann einspringen, der zwar einen leicht untersetzten und dicklichen Messias abgibt, mit seinem Torriecher aber am ehesten noch die Rolle des Heilsbringers beim Tabellenvorletzten verkörpert. Diesen brauchen sie in der Stadt an der Saale mehr denn je, soll die Drittliga-Saison nicht in einer bösen Überraschung oder – um im musikalischen Kontext zu bleiben – in einem Requiem enden.
Nicht minder überrascht war ich, als der Anhang aus Halle beim Gastspiel in Essen im Januar dem wohl bekanntesten Sohn der Stadt eine grosse Choreografie widmete, wirkte die Unterstützung der Rot-Weissen auf mich doch stets «typisch ostdeutsch». Anders gesagt: Beinharte Kerle, simple Trommelrhythmen und Anfeuerungsrufe wie «Erfurt Halle – nur Kaputte» hätten Händels frommes Publikum wohl ziemlich irritiert. Auch der Begriff «Chemie» fällt immer wieder in den Supportbemühungen der HFC-Fankurve und erinnert an den Zusatz, den der Klub seit seiner Ausgliederung 1966 bis zur deutschen Wiedervereinigung aufgrund der regionalen Chemieindustrie im Namen trug.
Verschwunden ist bis auf die denkmalgeschützte Aussenmauer und die Torbögen auch das Kurt-Wabbel-Stadion. Der seit 2011 existierende Neubau ist für das Duell gegen Jahn Regensburg aufgrund der sportlichen Baisse der Gastgeber mit 5867 Zuschauern nur spärlich gefüllt. Die «Saalefront» sowie deren Jugend-Ableger (Sektion 19), die zweite Ultrà-Gruppe mit dem Namen «Surreale» und einige befreundete Anhänger aus Erfurt und Leipzig werten das Stadionerlebnis zumindest akustisch auf.
Beim 1:2 gegen formstarke Regensburger haben sie einmal mehr wenig zu feiern, obschon der erwähnte HFC-Messias Baumann seine Treffsicherheit auch gegen den Jahn unter Beweis stellt. Sein Führungstor kontern die Gäste mit einem Doppelschlag tief in der zweiten Halbzeit. Besonders der Distanzschuss zum Ausgleich verdient dabei das Prädikat «weltklasse». Oder wie Händel schlicht gesagt hätte: «Halleluja!»
Viktoria Köln - Erzgebirge Aue
Samstagnachmittag, Profifussball in Köln, die Akteure in Rot-Weiss wärmen sich auf dem Rasen auf. Doch nicht etwa Annenmaykantereit, sondern die Stimme von Guido Cantz dröhnt aus den Lautsprechern. Und das, obwohl Henning und May im Stadion sind – allerdings nicht in der Person von Henning May, dem Leadsänger der genannten Kölner Band, sondern in Form der beiden Spieler Bryan Henning und Niklas May von Viktoria Köln.
Der Drittligist von der Schäl Sick – also der rechten (und im Kölner Jargon «falschen») Rheinseite – ist aus sportlicher Sicht die zweite Kraft der Stadt, auch weil der Traditionsverein und Erzrivale Fortuna Köln seit einigen Jahren nur noch in der Regionalliga spielt. Ambitionierter sind die Pläne im Sportpark Höhenberg, der über eine sehenswerte Giebeldachkonstruktion verfügt und zu diesem Verfolgerduell gegen Aue 4093 Zuschauer beherbergt.
Der Erfolg im Osten Kölns geht zu grossen Teilen auf den im Frühling verstorbenen Mäzen Franz-Josef Wernze zurück, dessen finanzielles Engagement die 2010 gegründete Viktoria erst in den Profifussball gehievt hat. Auch Lokalmatador und Spassvogel Cantz hat seine Finger im Spiel, wenn auch nur als selbsternannter «Premiumpartner». Seit 2019 spielt der Klub in der dritten Liga, auch dank der Lizenzübernahme des FC Junkersdorf und dem damit erkauften Startrecht für die fünftklassige Oberliga zeigte der Weg für die Kölner in weniger als einer Dekade derart rasant nach oben. Von einer traditionellen Klubgeschichte ist man im Stadtteil Höhenberg trotz Berufung auf den Ursprungsverein von 1904 weit entfernt, entsprechend überschaubar präsentiert sich auch die Anhängerschaft.
Der Kern dieser schart sich auf der Stahlrohrtribüne im Block 11 hinter dem Tor. Obschon 2018 im Derby vom städtischen Lokalrivalen präsentiert, flaggt der Kern der Viktoria-Fanszene weiter mit einem nachgedruckten Exemplar der Zaunfahne «Juniors Höhenberg» an, die nach der Auflösung der «High Society Höhenberg» im Folgejahr die zentrale Fangruppierung darstellen. Grossartig Gehör verschafft sich die Fanszene an diesem Samstag nicht.
So haben die rund 300 Schachter auf den Stehplätzen entlang der Gegengerade und im separaten Sitzplatzbereich an der Grundlinie die Stimmungshoheit inne. Lange liebäugeln sie dank eines Doppelschlags trotz anfänglichem Rückstand mit drei Punkten, ehe den Gastgebern in der Nachspielzeit doch noch der umjubelte Ausgleich zum 2:2 gelingt.
FC Gspon - FC Tobias Mund
Wer über 100 Fussballspiele im Jahr besucht und damit zumindest in diesem Kontext nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, muss sich von seinem sozialen Umfeld einiges anhören lassen. «Du laugst deinen Körper aus» oder «Irgendwann passiert dir etwas» sind dabei zwei der Äusserungen, die ich immer wieder zu hören bekomme. Noch häufiger sind einzig die Fragen, die nicht das seelische oder physische Wohlbefinden thematisieren, sich aber ebenfalls ähneln: Wo warst du zuletzt, wo gehst du als nächstes hin, welches war dein bisher bestes Spiel, und welches das schönste Stadion, das du je besucht hast?
Immerhin auf die letzte Frage halte ich seit diesem Septemberwochenende eine Antwort bereit. Die «Ottmar Hitzfeld Arena» in Gspon ist nämlich nicht nur das höchstgelegenste Stadion Europas, sondern in meinen Augen auch das schönste. Benannt nach dem ehemaligen Schweizer Nationaltrainer thront es im Weiler oberhalb der Gemeinde Staldenried im Vispertal und ist nur mit der Seilbahn erreichbar.
Inmitten der wenigen Ferienhäuser und der ausruhenden Wanderer stört einzig der knatternde Motor eines Einachsschleppers die Idylle. Die zum Sportplatz gekarrten Bier- und Weissweinreserven sind der einzige Lohn, für den die Spieler der Walliser Bergdorfmeisterschaft antreten. Was aber nicht heissen soll, dass sie ihren speziellen Wettbewerb nicht ernst nehmen – im Gegenteil. Von Anfang Mai bis Ende September spielen sie in 14 Runden den Bergdorfmeister aus, Gspon ist Rekordsieger in der erstklassigen Gruppe A.
In diesem Jahr droht dem Gastgeber allerdings der Fall in die Zweitklassigkeit (Gruppe B). Dann nämlich, wenn im letzten Saisonspiel eine Niederlage resultiert und die Schützenhilfe ausbleibt. Ziemlich bald ist auf dem kleinen Spielfeld auf knapp 2000 Höhenmetern klar, dass der FCG auf ebendiese angewiesen ist, da er gegen die Gäste aus Mund mit 1:5 Toren in Rückstand liegt. Zwar drehen die Gsponer – wie vom Trainer prophezeit – nach dem Seitenwechsel in der dünnen Höhenluft auf und kommen auf 4:5 heran, der Ausgleich bleibt aber trotz Chancen in den Schlussminuten aus. Ein Happy End hält die Saison für die 50 Zuschauer dennoch bereit: Weil Gamsen den direkten Konkurrenten aus Unterbäch knapp schlägt, bleibt der FC Gspon erstklassig.
SV Austria Salzburg - RB Salzburg
Vom Hass-Derby über das Nord-Süd-Derby bis zum B1-Derby mutiert im Sportjournalismus heutzutage gefühlt jedes dritte Spiel zum Derby, selbst wenn Meppen gegen Spelle oder St. Gallen gegen Winterthur antritt. Gar die «Mutter aller Derbys» wurde bereits simultan nach Belgrad, Buenos Aires, Krakau und Rom verdingt.
Auch rund um das Cup-Spiel zwischen dem Vorortklub aus Wals-Siezenheim und der Austria Salzburg gab es zahlreiche Derby-Neologismen. Faktisch ist es jedoch «nur» das Aufeinandertreffen eines ambitionierten Drittligisten und eines internationalen Dauergasts, emotional ist es zumindest das Duell zwischen Tradition und Moderne, das in Sachen Fankultur und soziokulturellem Werteverständnis grösstmögliche Dissonanz erkennen lässt.
Den medial heraufbeschworenen «Kampf um die Identität» hat die Austria Salzburg bereits weit vor diesem Abend gewonnen. Nichts verkörpert die Ideale des Salzburger Ursprungsvereins besser, als in den Gründerfarben durch die Region zu tingeln und engagierten Menschen, die vielfach in Fronarbeit der lokalen Jugend das Fussballspiel ermöglichen und das Vereinsleben hochhalten, etwas zurückzugeben. Und spätestens seit der 90-Jahres-Feier Anfang September und der dabei kommunizierten Schuldenfreiheit ist die Austria nach klammen Jahren auch wirtschaftlich gerüstet, mit mehr Weitsicht und Nachhaltigkeit den nächsten Anlauf mit dem Ziel Profifussball zu wagen und so den treuen Wegbegleitern auf Fanebene etwas zurückzugeben.
Übrigens: Vor 4101 Zuschauern endete das 1/16-Final im österreichischen Cup mit 0:4. Derart sekundär wie an diesem einseitig stimmungsvollen Abend dürfte ein Resultat in der Arena des ehemaligen Bundesligisten aber noch nie gewesen sein. Weitere Auftritte der Violetten wird es in Grödig allerdings nicht geben. Laut Sicherheitsbehörden ist das kleine Stadion am Fusse des Untersberg für Risikospiele ungeeignet, auch spricht sich das Land Salzburg gegen die Installation eines Kreisverkehrs an der Autobahneinfahrt aus. So scheint die Zukunft der Austria weiter in Maxglan: mit Lärmschutzwand und LED-Flutlicht, aber auch mit der Fantribüne und ihren unbeugsamen Vertretern darauf. Diese sammeln weiterhin für die Begleichung der Verbandsstrafe für den Einsatz von Pyrotechnik und können hier unterstützt werden.
FC Gagra - FC Dila Gori
In Georgien existieren bis heute Regionen, die ausserhalb der staatlichen Kontrolle stehen. Das bekannteste De-facto-Regime ist das im Westen des Landes gelegene Abchasien, das sich nach dem Niedergang der UdSSR mit russischer Hilfe für unabhängig erklärte. Auch Südossetien ersuchte zu dieser Zeit eine engere Bindung zum russischen Nordossetien und hält diese bis zur Gegenwart mit russischer Unterstützung aufrecht. Als unabhängige Staaten werden beide Regionen weltweit nur von jeweils fünf Ländern anerkannt. Als Antwort auf den Krieg mit Russland 2008 und den Verlust der beiden abtrünnigen Regionen wendet sich Georgien seither auf verschiedenen politischen Ebenen verstärkt dem Westen zu.
In Abchasien liegt auch Gagra, ein kleiner Küstenort am Schwarzen Meer, unweit der russischen Grenze. Mit Goderdzi Chikhradze und seinem Cousin Beso hegten 2004 zwei aus Gagra stammende Georgier den Plan, der Region mit dem FC Gagra einen Klub im georgischen Ligasystem zu schenken. Aufgrund der anhaltenden russischen Okkupation verwirklichten sie ihre Idee stattdessen in Tiflis – in Gagra hat der Klub indes noch kein einziges Spiel ausgetragen. So prangt eher symbolisch im Vereinswappen der Schriftzug «Georgia United», der als Aufruf zur Wiedervereinigung Abchasiens mit Georgien zu verstehen ist und dem Klub Kritik eingebracht hat, da er im Konflikt als georgische Propaganda angesehen wird. Nicht zu verwechseln ist der FC Gagra mit dem FK Gagra, der sich als Nachfolger des aufgelösten Klubs Dinamo Gagra sieht und aktuell am Spielbetrieb der höchsten Liga Abchasiens teilnimmt.
Gespielt wird im Davit-Petriashvili-Stadion im Norden von Tiflis, die Szenerie erinnert aber eher an eine Partie in einem Wüstenstaat: eine Lage im Niemandsland, Staub auf der Laufbahn, eine sterile Tribüne und – allem voran – zahlreiche leere Sitzschalen. Nur gerade 300 Zuschauer bevölkern die Spielstätte und sehen ein bescheidenes 0:0. Für den grössten Aufreger sorgt ein Kleinkind, das mehrere Sitzreihen herunterfällt (was hier lediglich Erwähnung findet, weil der Vorfall zum Glück nur kleine Blessuren und grosses Weinen zur Folge hat). Deutlich interessanter ist der Gegner und dessen Herkunft: Mit dem FC Dila Gori ist der Klub zu Gast, der seinem Namen dem bekannten Gedicht «Dila» (Morgen) verdankt. Es stammt aus der Feder von Josef Dzhugashvili, besser bekannt als Josef Stalin. Gori ist denn auch die Stadt, in welcher der Vater der Sowjetunion einst das Licht der Welt erblickte.
FC Lokomotivi Tbilisi - FC Kolkheti Poti
2022 war für Lokomotivi Tbilisi ein Jahr zum Vergessen. Hatte der Klub im Herbst 2020 noch in der 3. Qualifikationsrunde zur Europa League gestanden, brachte er in der jeweils unter dem Kalenderjahr ausgespielten Vorsaison kein Bein vor das andere: Aus 36 Spielen resultierte ein einziger Sieg, dazu gab es über 100 Gegentore. Für die grösste Schmach zeichnete allerdings die eigene Zweitmannschaft verantwortlich: Während sich Lokomotivis Profis bereits im Achtelfinal aus dem Wettbewerb verabschiedet hatten, qualifizierte sich der Viertligist sensationell für den georgischen Pokalfinal.
Auch nach dem Abstieg hängt der Haussegen beim Klub mächtig schief, der derzeit auf einem Relegationsplatz stehend weiterhin um die kommende Teilnahme an der zweiten Liga zittern muss. Gegen den Favoriten aus der Küstenstadt Poti zeigten die Gastgeber allerdings einen gelungenen Auftritt und gingen früh in Führung. Lediglich ein kurz ausgeführter Eckball vermochte die Abwehr der Hauptstädter in der Folge zu knacken und das 1:1 kann von den 300 Zuschauern als Teilerfolg auf der Mission Ligaerhalt gewertet werden. Seine Heimspiele trägt der Eisenbahnklub auf dem ausgebauten Nebenplatz des Micheil-Meschi-Stadions aus, das am Fusse des bewaldeten Hangs unter dem bekannten Schildkrötensee liegt.
Lokomotivis Heimatbezirk Saburtalo wirkt mit seinen modernen Gebäuden, Hochhäusern und Bürokomplexen wie ein Fremdkörper in Tiflis und Georgien, das ansonsten eher von gelb markierten oberirdischen Erdgasleitungen, Autos, denen die halbe Karosserie fehlt, und von Strassenhunden geprägt ist. Immer wieder sorgen auch Alltagsszenen für Unterhaltung: Sei dies in Form eines 1860er-Trikots aus der Kleidersammlung oder eines alten Feuerwehrautos, das bei seinen Einsätzen noch immer die Aufschrift aus dem bayrischen Geretsried trägt.
Abseits dieser Eindrücke zeigt sich besonders Georgien von seiner religiösen Seite: 90 Prozent der einheimischen Bevölkerung sind Christen, hauptsächlich georgisch-orthodox, und das mit einer Hingabe, die sich nicht nur auf dem Papier widerspiegelt. Auf ausgeprägten Traditionen beruht auch die lokale Küche, die kulinarische Köstlichkeiten wie Khachapuri (überbackenes Käsebrot), Khinkali (gefüllte Teigtaschen) oder Dolma (gefüllte Weinblätter) bereithält. Zumindest aus optischer Sicht gewöhnungsbedürftig sind hingegen die verbreiteten Tschurtschchela – aufgeschnürte Nüsse mit einem Überzug aus Traubensaft.
FC Rustavi - FC Chikhura Sachkhere
Der Zerfall der Sowjetunion brachte Georgien zwar die Unabhängigkeit, aber auch den wirtschaftlichen Niedergang. Beispielhaft dafür ist die Industriestadt Rustavi, eine halbe Stunde südöstlich von Tiflis gelegen, die einst eines der grössten Stahlwerke des Vielvölkerstaates beherbergte, auf das auch die Existenz der 130’000-Einwohner-Stadt zurückgeht. Das Siedlungsgebiet ist durch den Fluss Kura in Alt- und Neustadt aufgeteilt, hält aber an beiden Uferseiten kaum architektonische Blickfänge bereit.
Einzig für Fussballromantiker bietet die Stadt mit dem Poladi-Stadion eine Sehenswürdigkeit. Dieses diente lange Zeit dem Klub Metallurg Rustavi als Heimstätte, seit 2015 hat das «Stahl-Stadion» mit dem FC Rustavi einen neuen Nutzer gefunden. Trotz modernem Anstrich im Logo vermag auch dieser die Massen nicht zu begeistern, sodass an diesem Donnerstag nach dem Feierabend rund 200 Zuschauer eintrudeln und einen Kantersieg des Heimteams zu sehen bekommen. Das diskussionslose 6:0 animiert ein Trio Jugendlicher, sporadisch ein barsches «Ru-sta-oui» von sich zu geben.
Der Gegner aus Sachkhere erlebte in den letzten Jahren einen beispiellosen Niedergang: Trat der Klub in der Saison 2019/20 noch in der Qualifikation zur Europa League an, begann mit der Trennung von Trainer Samson Pruidze kurz darauf die rasante sportliche Talfahrt. Gar nur ein Lizenzentzug eines Konkurrenten bewahrte den Ex-Erstligisten in der abgelaufenen Spielzeit vor dem Fall in die Viertklassigkeit. Dieser scheint aber nur eine Frage der Zeit: Chikhura steht abgeschlagen am Tabellenende der dritten georgischen Liga.
Armenien U21 - Montenegro U21
«But can they do it on a cold, rainy night in Stoke?», lautet eine bekannte Phrase im Fussballkosmos, die auf den englischen Kommentatoren Andy Gray zurückgeht, der einst die fehlende Erfahrung von Cristiano Ronaldo und Lionel Messi als Profifussballer unter widrigen Wetterbedingungen ankreidete.
Auch wenn Stoke und das armenische Abowjan fast 4000 Kilometer trennen, weisen die Städte an diesem Dienstagabend erhebliche Gemeinsamkeiten auf: Es weht ein eisiger Wind, die Szenerie ist trostlos, die Unterlage nass, die Temperaturen sorgen für klappernde Zähne und zu allem Übel steigt zwischenzeitlich gar eines der Flutlichter aus.
Der Auftritt im City Stadium auf über 1400 Höhenmetern in der nördlichen Agglomeration von Jerewan verkörpert für die Gäste aus Montenegro denn auch eine Pflichtaufgabe in der Qualifikation zur U21-EM. Die Spielstätte wurde erst vor kurzem renoviert und beherbergt an diesem Abend 300 Zuschauer, darunter auch einige Heimfans, die sporadisch durch Gesänge und den Einsatz von Pyrotechnik auffallen. Für gewöhnlich wird sie vom Erstligisten FC Noah bespielt, hier scheint es sich jedoch um eine Übergangslösung zu handeln. Allgemein entbehrt die Stadion-Thematik im armenischen Fussball jeglicher Logik, so darf etwa das gigantische Hrasdan-Stadion trotz erheblicher Mängel im Evakuierungskonzept für Konzerte, nicht aber für Fussballpartien genutzt werden.
Montenegro erledigt seinen Job am Fusse des Geghamgebirges in der Schweizer Gruppe ohne zu glänzen, die Gastgeber unterliegen ihnen knapp mit 0:1. Dass der Mini-Sieg den montenegrinischen Trainer nach dem Schlusspfiff dazu veranlasst hätte, als Replik auf die Eingangsfrage den bekannten Wahlslogan von Barack Obama zu zitieren, halte ich damit für durchaus möglich.
Armenien - Kroatien
Mit ihren am Hinterkopf hochtoupierten Haaren, den grossen Ohrringen, der Hornbrille und dem biederen Kleid sieht meine Sitznachbarin aus wie die Sekretärin der kommunistischen Partei Armeniens. Das EM-Qualifikationsspiel zwischen ihrem Heimatland und Kroatien scheint sie tatsächlich kaum zu interessieren, stattdessen verfolgt sie angespannt die WM im Gewichtheben auf dem Laptop vor ihr. Meine Frage, was von den Fans da immer wieder gerufen wird, kann sie mir dennoch beantworten: «Hayastan, hup tur», was als «Auf geht’s, Armenien» zu verstehen sei und eine Adaption des Fangesangs darstellt, der Ararat Jerewan 1973 zum Double im sowjetischen Fussball getragen hatte.
Mit den lautstarken Anhängern im Rücken soll 50 Jahre später mit der erstmaligen Qualifikation für die EM-Endrunde das nächste armenische Fussballmärchen geschrieben werden. Ein starker Start in die Kampagne hat im Land eine Euphorie ausgelöst, sodass die grössten Fans des Nationalteams gar zum Marsch vom Friedensplatz zur Spielstätte aufgerufen haben. Dem Aufruf folgt nebst den beiden Fangruppierungen «First Armenian Front» und «Red Eagles Armenia» auch eine Vielzahl anderer patriotischer Anhänger. Weit vor Anpfiff bahnt sich der Tross, dessen Gesänge immer wieder von ohrenbetäubenden Böllern unterbrochen werden, den Weg zum ausverkauften «Vazgen Sargasyan Republican Stadion», das in der Abendsonne eine magische Anziehungskraft ausstrahlt.
Seit dem Rücktritt von Henrikh Mkhitaryan fehlt dem armenischen Nationalteam zwar der grosse Name, dennoch wehrt sich der Aussenseiter gegen Kroatien tapfer. Zu selten jedoch können die weiten Bälle und Konter der Gastgeber konkrete Torgefahr heraufbeschwören, sodass dem WM-Finalisten von 2018 ein Treffer nach einem Eckball zum Sieg reicht. Wie bereits in Aserbaidschan kommt der Favorit damit glücklich zu drei Punkten, während das Heimteam nach einem guten Auftritt mit dem 0:1 auf der Anzeigetafel hadert. Für den grössten Aufreger des Abends sorgt allerdings eine Szene einige Meter über dem Spielfeld: Hier kreist plötzlich eine an einer Drohne befestigte Flagge von Bergkarabach, was für einen Spielunterbruch sorgt und von grossen Teilen der 14’233 Zuschauer frenetisch gefeiert wird.
Bergkarabach steht seit Jahren im Brennpunkt der Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan. Historische und kulturelle Unterschiede, die bis zur Zeit vor dem Ende der Sowjetunion zurückreichen, haben zu erheblichen Unruhen und hohen Verlusten auf beiden Seiten geführt. Dieses Gebiet, das offiziell zu Aserbaidschan gehört, wird primär von Armeniern bewohnt und strebt unter dem Namen «Republik Arzach» seit vielen Jahren nach Frieden und Unabhängigkeit. Anmerkung: Wenige Tage nach diesem Spielbesuch resultierte eine Militäroffensive Aserbaidschans in der Kapitulation der Regierung von Arzach und dem Verlust ihrer territorialen Kontrolle. Infolgedessen floh ein Grossteil der hauptsächlich armenischen Bevölkerung – über 100’000 Menschen – nach Armenien.
Das Zentrum des Landes stellt die Hauptstadt Jerewan dar, eine der ältesten ständig bewohnten Städte der Welt. Sie liegt zwischen dem Vulkan Aragaz im Nordwesten und dem auf türkischem Boden stehenden Berg Ararat im Süden, dem vermeintlichen Landeplatz der Arche Noah. Trotz pompösen Sowjetbauten und dem weit verbreiteten Einsatz von rosa Tuffstein hinterlässt die Millionenstadt insgesamt einen trostlosen Eindruck. Mit dem Mahnmal auf dem Hügel Zizernakaberd wird die Erinnerung an die Opfer des Völkermordes aufrechterhalten, der während des Ersten Weltkriegs durch das Osmanische Reich an den Armeniern verübt wurde. Der Genozid kostete hunderttausende Menschenleben, was bis zum heutigen Tag spürbare Narben in der armenischen Gesellschaft hinterlassen hat.