Catania schloss in der Südstaffel der Serie C eine durchwachsene Saison auf Rang 13 ab. Dennoch waren die Jubelstürme der «Rossazzurri» nach dem Heimsieg am letzten Spieltag gegen Aufstiegsaspirant Benevento überschwänglich. Nicht nur, weil die Sizilianer damit die Playouts knapp verhindert haben, sondern weil ihnen die drei Punkte den Weg für die Playoffs ebneten. Die spezielle Situation gründet allerdings nicht auf einer engen Schlusstabelle. Das Startrecht für die Aufstiegsspiele hatte sich Catania durch den Gewinn der Coppa Italia der Drittligisten erkämpft, das sie laut Regelwerk allerdings nur wahrnehmen dürfen, wenn sie zum Saisonende nicht zu viel Rückstand aufweisen oder auf einem potenziellen Abstiegsrang stehen würden.

Der Weg von Palermo quer durch Sizilien ist von der Maut befreit, nicht aber von bröckelndem Asphalt und fragwürdigen Stop-Signalen an den Zufahrten zu Schnellstrassen. Die Landschaft ist schön und bergig, bisweilen aber auch karg und trocken. Verruchte Häuserblocks, von Sonne und Meerluft verblichene Motorhauben und Jungspunde auf Vespas, die waghalsig über das Kopfsteinpflaster düsen, kündigen nach drei Stunden Fahrt erste Ausläufer Catanias an. Die 300’000-Einwohner-Stadt ist bekannt wegen des Ätnas und berüchtigt wegen der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia.

Auch auf fussballerischer Ebene hat der Ort an der Ostküste des Ionischen Meeres eine besondere Stellung inne, die auf Vorkommnisse im Februar 2007 zurückgeht: Beim Derby zwischen Catania und Palermo kommt es zu Ausschreitungen, nachdem die heimischen Anhänger die Niederlage gegen den Erzrivalen nicht auf sich sitzen lassen wollen. Im Verlauf des mehrstündigen Schlagabtauschs findet mit Filippo Raciti ein Chefinspektor der Polizei den Tod. Mit dem damals 17-jährigen Antonio Speziale wird ein Verantwortlicher dafür ausgemacht, über dessen Schuld die Meinungen bis heute weit auseinandergehen. Fakt ist: Das Jugendgericht von Catania hatte «Antonino» damals zu 14 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt, im Dezember 2020 verliess Speziale das Gefängnis endgültig. Die Einführung der «Tessera del tifoso» in den Folgejahren hängt auch mit diesem Vorfall zusammen und läutete im nationalen Fantum eine neue Zeitrechnung ein.

Über eine Dekade später versuchen sich die italienischen Kurven noch immer von jenen Repressionen zu erholen – oder haben gelernt, damit umzugehen. Auch an diesem Abend im «Stadio Angelo Massimino» gibt es Momente, die mich die Zustände in Zeiten vor der Fankarte erahnen lassen. In Catania sind dafür zwei Stimmungszentren verantwortlich: Die kleinere Curva Sud mit dem sehenswerten Material und den historischen Gruppen «Falange D’Assalto», ihrem verstorbenen Anführer «Ciccio Famoso» oder den «Irriducibili» und gegenüber die grössere und stimmgewaltigere Curva Nord. Dort beginnt der Abend mit einer inbrünstigen Ansprache eines Capos. Ein Zeichen von Mentalität, auch wenn Videos in sozialen Medien aus den ersten Reihen dieser Kurve immer wieder die Frage aufkommen lassen, wie ehrlich die Italiener ihre eigene Subkultur eigentlich noch ausleben. Weitere kleinere Splittergruppen sind an beiden Enden der Gegentribüne zu finden.

Wie Palermo hat auch Catania eine Zwangsrelegation in die Serie D und eine Umbenennung – hin zum Namenszusatz «Società Sportiva Dilettantistica» (SSD) – hinter sich. Dank eines Sieges in der Lombardei stiegen die Aufsteiger mit einer komfortablen Ausgangslage ins Rückspiel. Selbst eine Niederlage mit einem Tor Differenz würde ihnen für das Weiterkommen genügen, da bei Gleichstand der Coppa-Sieger von beiden Playoff-Teilnehmern höher eingestuft wird. Obwohl die erste Mannschaft der Bergamasken zeitgleich in Lecce spielte, blieb den Atalanta-Fans ein Spielbesuch auch von offizieller Seite verwehrt. So bevölkerten stattdessen italientypisch tausend Kinder lokaler Fussballschulen den Gästeblock. Gemeinsam mit den 19’739 Zuschauern sahen sie, wie die Sizilianer lange die Feldüberlegenheit innehatten, in der Nachspielzeit das 0:1 kassierten, den Rückstand aber mit Mühe über die Zeit zu retten vermochten und sich so für die nächste Runde qualifizierten.