Hajduk Split - HNK Rijeka
«Du kannst alles sagen gegen mich oder die ganze Welt. Aber ich will nichts von dir gegen Split hören», klang es gar aus den Kehlen der Bardamen, die zum Höhepunkt des Abends selbst auf den Tresen gestiegen waren und die feiernde Menge für lau mit Alkohol versorgten. Mittlerweile hatte auch ich das Lied «Nista kontra Splita» (Nichts gegen Split) des lokalen Sängers Dino Dvornik oft genug gehört, um in der kleinen Bar im Herzen Dalmatiens nicht weiter aufzufallen.
(K)ein Schweizer Spielverderber
Stunden zuvor hatte mit Hajduk der lokale Fussballklub erstmals seit neun Jahren wieder den kroatischen Cup gewonnen – und das ausgerechnet in der heimischen «Muschel», wie das Stadion Poljud im Deutschen heisst. Dabei begann das Aufeinandertreffen mit dem Rivalen aus Rijeka alles andere als optimal: Nach nur 13 Minuten brachte ausgerechnet der Schweizer Nationalspieler Josip Drmic die Gäste in Führung.
Unter der Leitung der Torcida, der 1950 gegründeten und damit ältesten Fanorganisation Europas, vermochte der Gastgeber die Partie aber noch zu drehen. Nebst der Unterstützung von den Rängen trug auch eine rote Karte gegen die Gäste aus Istrien ihren Teil dazu bei, dass sie in Unterzahl kaum mehr offensiv in Erscheinung traten. Spätestens mit dem Tor zum 3:1 war die grosse Genugtuung über den Titelgewinn bei den 29‘411 Zuschauern zu spüren, nachdem Hajduk kürzlich eine weitere Saison nur knapp hinter dem ewigen Rivalen aus Zagreb abgeschlossen hatte.
Andere Länder, andere Sitten
Mit dem Schlusspfiff verlagerte sich die Freude von den Rängen auf den Rasen und obwohl selbst auf der Gegentribüne jeder Anwesende beim Anlass seine Schuhe hatte ausziehen müssen, erhellten nun überall Fackeln die historische Nacht an der Adriaküste. Einige von ihnen flogen im hohen Bogen in die Reihen der rund dreitausend Rijeka-Fans, die sich das Schauspiel gezwungenermassen mitansehen mussten. Es war die Antwort der «Plünderer» (Hajduk) auf die Aktion der Armada aus Rijeka, die wenige Minuten vor Abpfiff mit der Niederlage vor Augen angefangen hatte, benachbarte Blöcke mit brennenden Leuchtstäben einzudecken. Passive Ordnungskräfte und lachende Väter mit winkenden Kindern auf ihren Armen – untermalt von Miso Kovacs Folklore – zeichneten besonders für Westeuropäer ein surreales Bild.
Zwischen den überschäumenden Glücksgefühlen im Stadion mit dem pittoresken Gebirgszug Kozjak im Hintergrund und dem Ausklang des langen Abends in der eingangs beschriebenen Bar, begab ich mich auf eine Anhöhe. Hier von der Terrasse des Restaurants Vidilica liess sich die Halbinsel Marjan und damit das Zentrum Splits bestens beobachten. Ich hatte auf ein Feuerwerk spekuliert, das die UNESCO-geschützte Altstadt mit ihrem Diokletianspalast und der belebten Riva taghell erleuchten lassen würde – und wurde abermals nicht enttäuscht.
KAA Gent - RSC Anderlecht (18.04.22)
Es ist Synonym für die bekannteste Stadionkatastrophe: das Hillsborough in Sheffield. Damals im Frühling 1989 starben 97 Fans beim FA-Cup-Halbfinal nach einem Fehler der Polizei. Doch bereits vier Jahre zuvor hatten Fans der «Reds» traurige Bekanntheit erlangt, als sie am 29. Mai 1985 anlässlich des Finals des Europapokals der Landesmeister in die Katastrophe von Heysel involviert waren. Im Vorgängerwettbewerb der Champions League standen sich im Brüsseler Stadtteil Laeken Liverpool und Juventus Turin gegenüber.
Noch vor Anpfiff stürzte damals eine Wand ein, nachdem Liverpool-Anhänger den benachbarten Sektor gestürmt und die dort anwesenden Juventus-Fans panisch die Flucht ergriffen hatten. Das Resultat der Tragödie waren 39 Tote, darunter 32 Italiener. Besonders tragisch: Der betroffene Sektor sollte eigentlich neutralen Zuschauer vorbehalten sein. Da ein korrupter Uefa-Offizieller jedoch ein italienisches Reisebüro mit den Tickets dafür ausgestattet hatte, fanden sich im besagten Teil des maroden Stadions aber vor allem italienische Fans ein.

33 Jahre später hat das Stadion nicht nur einen beinahe kompletten Neubau hinter sich, sondern trägt mit «König-Baudouin-Stadion» auch einen neuen Namen. An das Heysel und die Katastrophe von damals erinnern nebst einer Sonnenuhr und einer Gedenktafel nur noch die runden Ecken, sowie die Sitzplätze im gesamten Stadion – eine direkte Konsequenz aus den Geschehnissen im Norden Brüssels.
Mit dem belgischen Cupfinal zwischen Anderlecht und Gent stand im Nationalstadion abermals ein Spiel an, das grosses Interesse weckte. Die Tickets für die 46’000 Zuschauer waren in Windeseile vergriffen, alleine Fans des Hauptstadtklubs hatten 42’000 Kartenanfragen eingereicht. Da diese das jeweilige Kontingent von 20’000 Tickets pro Klub klar überstiegen, verfolgten viele RSC-Anhänger das Spiel auf Grossleinwand im Stadion des Rekordmeisters.
Gents späte Genugtuung
Deswegen aber nicht minder imposant präsentierte sich der Aufmarsch der Anderlecht-Supporter rund um die Fanmeile am Atomium. Hier fieberten sie bei Sonnenschein, Musik und Bier zuversichtlich dem 10. Cuperfolg der Geschichte entgegen. Zuletzt holte sich der Royal Sporting Club den «Beker van Belgie» 2008 – ausgerechnet gegen die KAA Gent.
Diese avancierte in der Reprise 14 Jahre später prompt zum Spielverderber und nahm Revanche. In einem defensiv geprägten Spiel ohne zwingende Strafraumszenen fiel die Entscheidung nach 120 torlosen Minuten erst im Penaltyschiessen. Hier hatten zum Schluss gleich zwei Spieler von Anderlecht gepatzt, die anschliessende Ekstase rund um das 4:3 und den 4. Cuptitel für Gent entschädigte für den bis dahin bescheidenen Auftritt im Sektor der «Buffalos».
Lech Poznan - Rakow Czestochowa
Ganz ohne Fussball sollten die Tage in der Kaschubei dann doch nicht verstreichen. Und so stieg ich am Tag des polnischen Pokalfinals kurzfristig in den Zug nach Warschau. Zwar hatte Rakow Czestochowa einen Traumfinal auf Fanebene zwischen Legia Warszawa und Lech Poznan verhindert, doch aus sportlicher Sicht verkörperte das Aufeinandertreffen der «Krebse» mit dem Klub aus Westpolen den logischen Final. Zumal Rakow, amtierender Pokalsieger und Aufsteiger der letzten Jahre, sich mit Lech auch in der Meisterschaft einen spannenden Zweikampf um den Titel liefert.
Ein sturer Stadtpräsident
Was aber an jenem Montagnachmittag am Ufer der Weichsel folgte, verkörperte den wohl trostlosesten Cupfinal in der Geschichte des polnischen Fussballs. Verantwortlich dafür war mit Rafal Trzaskowski niemand geringerer als der Bürgermeister Warschaus, der auf Empfehlung der städtischen Feuerwehr hin sämtliche Banner und Fahnen – und damit auch Choreografien – verbot, welche die Masse von 1,5 x 2 Meter überstiegen. Eine Missachtung seiner kurzfristig eingeführten Regelung sah gestützt auf Art. 58 des polnischen Sicherheitsgesetzes zu Massenveranstaltungen eine Freiheitsstrafe von bis zu 8 Jahren vor.
Mit dem polnischen Fussballverband ging gegen diese absurde Regelung gar der Veranstalter des Endspiels in Berufung. Trzaskowski blieb jedoch bei seiner Meinung und verwies auf den Brandschutz. Da kurzfristige Repressalien im Hinblick auf den Pokalfinal in Polen keine Neuheit bedeuteten, appellierten die Fanszenen an die Vernunft und reisten trotzdem an. Dass dennoch nicht alle von ihnen an eine erneute Kursänderung glaubten, zeigten die zahlreichen Einweggrills und Campingstühle hinter der Lech-Kurve. Und so war es denn auch: Trzaskowski zeigte auch am Spieltag selbst keine Einsicht. Und obwohl Lech Walesa in diesem Kontext eher Glatze und ein T-Shirt mit martialischem Spruch darauf trug, erinnerte mich die Konsequenz, mit der die Fanszene Lechs angeführt von ihrem Vorsänger solidarisch vor den Toren des Stadions verharrte, an die Einstellung des Solidarnosc-Anführers, dessen Grundsätze mich tags zuvor im Museum in Danzig bereits beeindruckt hatten.
Übermannt von Gefühlen
Anders sah das Bild auf Seiten Rakows aus. Hier gab es bis kurz vor Schlusspfiff zwar ebenfalls keine Bemühungen um stimmliche Unterstützung, doch mit – zugegeben günstigem – Spielverlauf strömten immer mehr rotgekleidete Fans in die Kurve. Als mit dem 3:1 für Czestochowa der Pokalsieg eine Viertelstunde vor Schluss praktisch feststand, hob die Fanszene übermannt von Gefühlen und wohl auch überfordert von der Konsequenz auf Seiten Lechs ihren Boykott auf. Eine Aktion, die ihr in der polnischen Fanlandschaft in den Tagen darauf viel Hohn und Spott einbringen sollte. Während Lech also im Jubiläumsjahr die erste Chance auf einen eigenes Geschenk zum 100. Geburtstag verpasste, feierte Rakow zusammen mit einem Teil der 35‘694 Zuschauer in doch eher trostlosem Ambiente den zweiten Pokalerfolg de suite.
Optimistisch in die Zukunft blicken liessen da einzig die Worte des Verbandspräsidenten Cezary Kulesza, der im Nachgang der Partie in den sozialen Medien anmerkte, bei anhaltender Drangsalierung durch die Warschauer Politik den Final zukünftig nicht mehr in der Hauptstadt auszuspielen. Mit dem Stadion Slaski würde in Chorzow auch schon eine reizvolle Alternative bereitstehen.
SC Admira Dornbirn - SV Austria Salzburg
Kennen Sie die Regionalliga West? Also nicht die, in der sich Preussen Münster und Rot-Weiss Essen einen packenden Aufstiegskampf liefern. Nein, jene Regionalliga West, an deren Spitze Schwaz und Hohenems der Konkurrenz die Punkte abknöpfen. Wie bereits bei der Namensgebung der höchsten Liga hat sich Österreich auch auf dritthöchster Stufe beim grossen Nachbarn bedient.
Hier kämpfen je zwei Teams aus der Eliteliga Salzburg, der Eliteliga Tirol und der Eliteliga Vorarlberg in zehn weiteren Partien mit je einem Heim- und Auswärtsduell gegen jeden Gegner um den Aufstieg in die 2. Liga. Da in der laufenden Austragung allerdings keiner der sechs Klub Interesse an einer Teilnahme im Profifussball bekundet, stellen nur die Regionalliga Mitte und Ost je einen Aufsteiger. Weil der LASK-Nachwuchs und das finanziell angeschlagene Wacker Innsbruck zudem bereits ihren Rückzug aus der 2. Liga vermeldet haben, sind beide Absteiger schon bekannt. Aus sportlicher Sicht hätte es aber wohl ausgerechnet Admiras Rivale, den FC Dornbirn, getroffen.
Zu nahe an die Sonne heran
850 Zuschauer dürfte denn für gewöhnlich auch nur das Stadtduell auf die Sportanlage Rohrbach locken. Es sei denn, mit der Austria Salzburg gastiert ein grosser Traditionsverein im Vorarlberg. Bei meinem letzten Matchbesuch wähnte sich dieser gar noch im Profifussball. Wie Phönix aus der Asche hatte der Gegenentwurf in Salzburg damals den Aufstieg bis in die 2. Liga geschafft – und übernahm sich dann finanziell. Nach zwei Abstiegen in Folge landete «das Original aus der Mozartstadt» schliesslich in der Salzburger Liga.
Auch heuer sieht sich der Klub wieder mit einer scheinbar unüberwindbaren Hürde konfrontiert, läuft 2024 doch die Genehmigung für die aktuelle Heimat in Salzburg-Maxglan aus. Die engagierte Führung stellt sich aber auch dieser Aufgabe und präsentierte vor einiger Zeit gemeinsam mit der Max-Aicher-Gruppe Pläne für ein Mehrzweckstadion mit über 400 Wohnungen am Messegelände.
Nach Vorarlberg begleiten die Austria über 200 Fans, die sehen, wie ihr Team die Admira dominiert. Diese wehrt sich im ersten Heimspiel in der Regionalliga West aber nach Kräften und lauert auf ihre Chance. Eine davon bietet sich nach einem Konter bei Anbruch der Schlussphase und bringt prompt das 1:0 und damit den vielumjubelten Siegtreffer mit sich.
Raja Casablanca - ES Sétif
Soeben hatte der Schiedsrichter das Heimspiel von Raja Casablanca abgepfiffen und ich lief mit den Menschenmassen zurück zur Hauptstrasse. In diesem Moment ging mir eine einzige Frage durch den Kopf: Wieso höre ich jetzt nicht auf? Ein Besuch in einem Fussballstadion wird nach diesem Wochenende nie mehr lauter und wohl auch nie mehr emotionaler sein. Was bringt es mir also, irgendwann noch nach Wolfsberg oder zu Perugia Calcio zu fahren? Ziemlich genau zehn Jahre nach meinen Groundhopping-Anfängen stellte ich mir zum ersten Mal die Sinnfrage.
Gleich und doch anders
Obwohl mich die beiden Fussballabende in der marokkanischen Metropole im selben aufgewühlten Gemütszustand zurückliessen, waren sie doch ganz unterschiedlich. Zwar mussten auch bei Raja bewusstlose Jugendliche mit Fischerhut auf dem Kopf von Polizisten aus dem Block getragen werden, während ihre Kollegen im Innenraum von der Menge mit allerhand Gegenständen eingedeckt wurden.
Doch im Gegensatz zum perfekt orchestrierten Anhang von Wydad wirkte die Curva Sud Magana von Raja deutlich weniger organisiert. Bereits beim ersten Blick offenbarte sich dem Betrachter ein in schwarz gehüllter Block voller testosterongeladener Jugendlicher, die sich im Minutentakt und auf engem Raum kurze aber heftige Auseinandersetzungen lieferten. Rohe Gewalt, die Erinnerungen an das verheerende Duell im Frühjahr 2016 zwischen Raja und Chabab Rif Al Hoceima aufkommen liessen. Jenes Spiel, das die Subkultur der Ultras in Marokko beinahe hatte aussterben lassen. Damals kam es zwischen Vertretern der Ultra Green Boys und der Ultras Eagles zu Machtkämpfen, die in schwersten Ausschreitungen und tragischerweise auch im Tod zweier Rajaouis endeten.
Mittlerweile hat sich die Ultrà-Bewegung Marokkos wieder erholt und scheinbar auch die Corona-Pandemie überwunden. Als die Zaunfahnen kurz vor dem Anpfiff ausgerollt wurden, offenbarte sich dennoch eine Änderung zu früher. Die dritte Gruppe «Derb Sultan» – benannt nach dem Stadtviertel, aus dem Raja stammt – hat sich aufgelöst, um den beiden grossen Gruppen Platz zu lassen, darunter mit den Green Boys auch die älteste des Landes.
Gesellschaftskritik in Liedform
Unter ihrer Leitung sorgten in den kommenden 90 Minuten besonders die Lieder L’Khadra L’Wataniya (Grüne Nation) und Fbladi Delmouni (Mein Land hat mich betrogen) für Gänsehaut. Während ersteres an die Klub-WM 2013 erinnert, bei der Raja erst im Final von den Bayern gestoppt wurde, beschäftigen sich die Zeilen des zweiten mit dem gescheiterten Staat und der Hoffnungslosigkeit junger Marokkaner. Ihren Siedepunkt erreichte die Stimmung, als Raja mit Anbruch der Schlussviertelstunde endlich das 1:0 erzielte und sich – mit nur sieben Toren in sechs Spielen – wie Erzrivale Wydad vor 43’651 Zuschauern den Gruppensieg in der Champions League sicherte.
Es mag stimmen, dass ich künftig nicht mehr viele Fussballspiele erleben werde, die mich von der Stimmung, den Melodien und dem Stadionerlebnis derart fesseln, wie die beiden an diesem Wochenende in Marokko. Doch geht der Reiz solcher Partien nicht auch davon aus, dass man sie nur ganz selten erlebt? Denn erst wer einmal an einem kalten Samstagabend frierend auf der Gegentribüne in Annecy gesessen hat, kann Abende wie jene in Casablanca so richtig geniessen.
Wydad Casablanca - Petro de Luanda
Es hörte sich zu gut an, um wahr zu sein: Die Chance auf Heimspiele von Wydad und Raja Casablanca am selben Wochenende in der afrikanischen Champions League. So war ich denn auch nervöser als vor anderen Reisen. Ich bangte erstmals um ein negatives Testresultat, stellte mir vier statt nur einen Wecker, wählte bewusst eine frühere Verbindung zum Flughafen und traute der Sache selbst dann noch nicht, als ich am Zoll in Marokko mein «Fiche sanitaire» dem Zöllner durch die Luke schob.
Erst als ich im Zug ins Stadtzentrum sass und wusste, dass ich soeben eine weitere Hürde gemeistert hatte, löste sich ein Teil meiner Anspannung. Der Hürdenlauf hatte bereits vor dem Reisetag begonnen. Nebst den sich stets ändernden Reisebestimmungen kam es nur Wochen zuvor im Ligaspiel zwischen FAR Rabat und Maghreb Fès zu heftigen Ausschreitungen, sodass mein Besuch im Stade Mohammed V auf der Kippe stand. Der Verband sah jedoch von einer ligaweiten Kollektivstrafe ab und brummte lediglich den Hauptstädtern aus Rabat Geisterspiele bis zum Saisonende auf.
Liebeskummer auf Marokkanisch
Den Anfang der beiden Klubs aus der grössten marokkanischen Stadt sollte an diesem Wochenende Wydad machen. Wie Stadtrivale Raja war auch der 1937 als Schwimmverein gegründete Rekordmeister bereits vor dem abschliessenden Gruppenspiel für das Viertelfinal der Champions League qualifiziert. Zwischen dem Vertreter aus Casablanca und dem angolanischen Klub Petro de Luanda sollte nun der Gruppensieger ausgespielt werden – im erst dritten Heimspiel mit Zuschauern. Diese mussten während der Pandemie ihrer «Wydad» (im Arabischen verkörpert der Ausdruck das Wort Liebe) lange fernbleiben.
Seine treusten Liebhaber findet der Klub in den Ultras Winners, der grössten Gruppierung der Rot-Weissen, die seit 2005 existiert. Deren Auftritte dürften jedem Fussballfan, dessen Interesse über den Spielfeldrand hinausgeht, bekannt sein. Besonders an den Hauswänden und Mauern der Medina sind ihre Liebesbekundungen omnipräsent. Das Logo der Winners erinnert an die Fedayn aus Napoli und so weht jeweils auch in der Curva Nord eine Fahne mit dem Namen der legendären italienischen Ultràs.
Wer die Show der Winners an diesem Samstagabend nicht verpassen wollte, hatte zwei Kontrollringe, eine Körperkontrolle sowie ein Drehkreuz zu überwinden. Auch wenn der Anpfiff nach diesem Prozedere noch immer über zwei Stunden in der Ferne lag, boten sich den zahlreichen Anwesenden bereits jetzt allerhand spannende Szenerien: Im einen Eck überstiegen etwa Leute die hohen Gitter auf dem Weg aus dem vollen Heimblock zur Haupttribüne, auf der Gegenseite rannte eine Gruppe Jugendlicher in entgegengesetzter Richtung quer über die Sitzschalen, um sich einen Platz hinter dem Tor zu ergattern. Währenddessen transportierten Sanitäter im Viertelstundentakt bewusstlose Heimfans aus der Menge ab.
Selbstregulierung mit Hintergedanken
Auch der Umgang mit Pyrotechnik überraschte mich. Wie mir mein Sitznachbar erklärte, würde der Gebrauch von Feuerwerkskörpern – im Gegensatz zum Ligaalltag – in der Champions League vom Verband rigide und kompromisslos mit Geisterspielen sanktioniert. Weil kein Wydadi sein Team noch länger nur am Fernseher mitverfolgen will, schlugen sich die Anhänger die Fackeln gegenseitig aus der Hand. Auch die Tatsache, dass das Tragen von Fanutensilien der Ultras Männern vorbehalten ist, sorgte für Tumulte. So hatte ein Fotoversuch mit einem Winners-Schal unmittelbar neben mir etwa eine verängstigte europäische Ehefrau eines Marokkaners zu Folge, die wohl weder ihren Gatten noch dessen Landsmänner je so laut hat schreien hören.
Als schliesslich beide Teams den Rasen betraten, erhellte tatsächlich kaum Feuerwerk den Nachthimmel. Stattdessen unterstrich die Heimkurve den Schriftzug «These games are first aid, but we’re afraid the damage can’t be repaired» mit einer grossen Zettelchoreo, die das Wort «Homesick» formte und auf die – hoffentlich vergangene – Zeit mit dem omnipräsenten Virus anspielte. Zumindest bei mir war der Abend aber Kompensation genug, um den «Schaden» aus den letzten zwei Jahren zu reparieren.
Denn was nach dem sehenswerten Intro folgte, war – auch dank des günstigen Spielverlaufs – etwas vom Besten, was ich bisher in einem Fussballstadion miterleben durfte: Eine Kurve, die angepeitscht von einem einzigen Capo geschlossen ihre Mannschaft in einer brachialen Lautstärke zum Sieg trieb und euphorisch die mehrstrophigen Melodien in die Nacht hinaustrug. Für ihren Auftritt wurden die Wydad-Fans belohnt. Aus einer 3-Tore-Führung nach einer halben Stunde resultierte zum Schluss vor offiziell 41‘413 Zuschauern ein 5:1-Erfolg und damit der hochverdiente Gruppensieg.
TAS Casablanca - IZ Khémisset
Seit 867 Tagen darf sich Tihad Athletic Sport Cupsieger von Marokko nennen. Möglich macht dies eine Kombination aus Corona-Pandemie und Unentschlossenheit seitens des nationalen Fussballverbands, der den nationalen Pokal seit November 2019 nicht mehr neu vergab.
Wütende Finalisten und ein Profiteur
Dabei ist der Wettbewerb nicht etwa gar nicht ausgetragen worden, sondern einmal nach den Halbfinals und in der darauffolgenden Saison in den 1/16-Finals steckengeblieben. Während die Austragung 2020/21 derzeit wieder aufgenommen wurde, dürften sich besonders die Finalisten von 2019/20 aus Tétouan und Rabat über das ausgefallene Endspiel geärgert haben.
In der Liga sieht der Alltag des Titelträgers TAS, wie der Klub schlicht genannt wird und nicht mit dem internationalen Sportgerichtshof in Lausanne zu verwechseln ist, wesentlich trister aus. Der Klub aus dem Nordosten Casablancas steht im hinteren Mittelfeld der zweitklassigen «Botola 2» und tritt auch gegen die IZ Khémisset als Aussenseiter an.
Scharmützel im renovierten Stadion
Das Duell gegen das Team aus dem nördlichen Hügelland Marokkos wollen nur 500 Zuschauer sehen. Dabei bietet das Larbi-Zaouli-Stadion rund 30’000 Menschen Platz und ist gar frisch renoviert. Nur auf einer Seite findet sich weiter kein Ausbau, dafür offenbart sich dem Besucher hier ein schöner Ausblick auf das dahinterliegende Quartier Hay Mohammadi.
Die 200 Kilometer lange Anreise nehmen auch rund 70 Gästefans auf sich. Sie erreichen das Stadion allerdings erst Mitte der ersten Halbzeit und sehen dann einen trägen Favoriten, der sich in den Schlussminuten gar den Gegentreffer fängt. Das 1:0 für TAS fällt nach einem vermeintlichen Foulspiel vom Punkt aus und veranlasst die Khémisset-Fans nach Spielende dazu, ihren Spielern eine Standpauke zu halten, die gar in Handgreiflichkeiten zwischen den beiden Parteien endet.
SV Ried - SK Sturm Graz
Ried ist die fussballverrückteste Stadt der Welt – zumindest an diesem Wochenende. Denn mit 5‘112 Zuschauern bei einer Stadtgrösse von 12‘209 Einwohnern (41.8%) schlagen die Innviertler gar die Marke aus dem deutschen Erzgebirge klar, wo in Aue mit 6‘280 Zuschauern theoretisch 31,5% der städtischen Wohnbevölkerung im Stadion war.
Klar ist dieser Vergleich nicht stichfest und doch unterstreicht er, dass in der kleinen Gemeinde in Oberösterreich seit Jahren eine solide Fanbasis gedeiht. So hatte ich mir denn auch für einen Besuch hier stets einen würdigen Rahmen als Voraussetzung auferlegt.
Das erste Spiel ohne Corona-Massnahmen, der Rieder Einzug in den Cupfinal unter der Woche sowie die Entscheidung im Kampf um die Qualifikation zur Meisterrunde lieferten mir gleich eine Vielzahl von Gründen. Mit dem Gegner aus Graz und seiner renommierten Fanszene waren schliesslich alle Zweifel beseitigt. Besonders die sportliche Ausgangslage versprach Hochspannung, kämpfte mit Ried, Klagenfurt sowie den beiden Wiener Klubs gleich ein Quartett um die letzten Plätze in der Meistergruppe. Die SVR hatte ein Abschneiden unter den besten sechs Teams mit einem Sieg in den eigenen Händen – mit den zweitplatzierten Grazern aber auch eine hohe Hürde zu meistern.
Entsprechend euphorisch empfingen die beiden Fanlager ihre Mannschaften zum Einlauf in der kompakten Arena. Während die Grazer Fans eine Choreografie zum Lied «Three Little Birds» von Bob Marley zeigten, brannten im Heimblock minutenlang unzählige pyrotechnische Gegenstände. Nach einem torlosen Startdurchgang ging Ried unmittelbar nach der Pause in Führung. Die Stimmung erreichte nun allmählich ihren Höhenpunkt, denn auf den Ausgleich der Grazer wussten die Rieder in der 78. Minute abermals zu reagieren. Die Hochgefühle in Schwarz-Grün währten aber nur kurz: Zwei Minuten nach der neuerlichen Führung schloss der Schiedsrichter in einem umstrittenen Entscheid den SVR-Goalie aus und der Gastgeber musste den Sieg nun in Unterzahl über die Zeit retten.
Dies klappte bis kurz vor Schluss, ehe mit Gregory Wüthrich ausgerechnet der Schweizer im Dienst der Grazer das 2:2 erzielte. Zwar warfen die Rieder in der Nachspielzeit nochmals alles nach vorn, konnten aber nicht verhindern, dass ihr Traum von der Meisterrunde mit dem späten Remis auf der Zielgeraden platzte.
Seregno Calcio - Calcio Padova (13.02.22)
40 Jahre lang mussten die Bewohner Seregnos auf die Rückkehr ihrer Mannschaft in den Profifussball warten. Grosse Euphorie hat der Aufstieg in die Serie C auf diese Saison hin allerdings nicht ausgelöst. Gegen Padova – immerhin langjähriger Zweitligist – verirren sich nur gerade 400 Zuschauer ins «Stadio Ferruccio». Die im Stil des italienischen Rationalismus der 30er-Jahre erbaute Spielstätte ist nach dem Sohn eines ehemaligen Präsidenten benannt, der als 7-Jähriger bei einem Unfall ums Leben kam.
Der triste Ligaalltag nagt auch an den Auswärtsfahrerzahlen Padovas. So sind aus der Region Veneto nur knapp 60 Leute zugegen, die ihre Liebe für die Gästemannschaft gelegentlich akustisch zum Ausdruck bringen. Noch bescheidener präsentiert sich die Heimseite, wo nach der Auflösung der «Curva Nord Seregno» vor zweieinhalb Jahren einzig Graffitis an den Stadionmauern an bessere Zeiten erinnern.
Für ihre Anreise in den Speckgürtel der norditalienischen Metropole werden die Padovani mit einem Auswärtssieg beim Tabellen-Siebzehnten belohnt. Dabei beginnt die Partie aus ihrer Sicht alles andere als vielversprechend: Nach einer schönen Direktabnahme erzielt Seregno die Führung, die bis kurz vor der Pause Bestand hat – dann gleichen die Gäste sehenswert per Freistoss aus.
Auch der spätere Siegtreffer ist eine Erwähnung wert, schliesslich sind seit Wiederanpfiff erst acht Sekunden vergangen, ehe Padova mittels schöner Kombination die Führung erzielt. Während das 1:2 für Seregno den achten sieglosen Auftritt in Serie besiegelt, kämpfen die Gäste damit weiter mit dem FC Südtirol im Fernduell um den Aufstieg in die Serie B.
Cambridge United - Luton Town (05.02.22)
«Viertliga-Stadt» nennt Nick Hornby ein Kapitel von «Fever Pitch» kurz vor der Buchmitte, in dem er über Cambridge spricht. Ausgerechnet Hornby, der glühende Arsenal-Fan, dessen Liebeserklärung an den Londoner Klub gar verfilmt wurde, ging mehrere Jahre fremd – mit Cambridge United.
Doch der britische Autor sah im damaligen Viertligisten keine Konkurrenz für seine eigentliche Liebe. Viel eher war der Klub ein Ersatz für ihn, der seine Studienzeit in Cambridge verbracht hatte. Ersatz für die hochklassigen Spiele im Highbury, die Hornby in seiner Geschichte derart gekonnt beschreibt. Im Osten Englands schwärmt er hingegen von den Nebengeräuschen des Fussballs, dem alten Stadion oder dem sportlichen Unvermögen einiger Spieler.
Tatsächlich lassen sich bis heute, 44 Jahre nach Hornbys ersten Spielbesuchen in Cambridge, Gemeinsamkeiten erkennen. Wie 1978 sind die «U‘s» soeben in die 3. Liga aufgestiegen. Und auch im Abbey Stadium, das seinen Namen dem Vorgängerverein Abbey United und der wiederum dem gleichnamigen Stadtteil verdankt, scheint die Zeit stehen geblieben: Der Fan blickt auf eine Haupttribüne mit Giebeldach aus Wellblech, nachdem er den schmalen Eingang und das rostige Drehkreuz passiert hat. Wer die Toiletten aufsucht, betritt ein Verlies aus Bachstein, und jene, die ihren Stehplatz auf der Tribüne einnehmen, werden in schummriges, oranges Licht getaucht.
Mit 7’937 Zuschauern ist das Stadion bei diesem FA-Cup-Spiel so gut gefüllt, wie seit 5 Jahren nicht mehr. Das ist auch den rund 1‘500 mitgereisten Fans aus dem nahegelegenen Luton zu verdanken, die ihren Zweitligisten zum K.o.-Spiel begleiten. Sie besetzen die ganze Hintertortribüne, die überraschend weit hinter der Grundlinie liegt. Wie mir ein Fan zur Halbzeitpause erklärt, sollte das Spielfeld einst näher an diese neue Tribüne herangerückt werden, doch vor der Insolvenz stehend, hat sich Cambridge den Umbau anders überlegt. So erinnert im engen Stadion nur der Rasenstreifen vor dem Gästeblock an die einst grossen Pläne.
So heruntergekommen das Stadion, so pittoresk die Geburtsstadt der Band «Pink Floyd» am Fluss Cam. Mit ihrer «Mathematical Bridge», dem «King’s College» sowie dessen Kapelle im spätgotischen Stil bietet die Heimat der renommierten «University of Cambridge» zahlreiche Gründe für eine halbstündige Zugfahrt nordwärts, statt sich am Flughafen Stansted vom Strom der Pauschaltouristen in die entgegengesetzte Richtung nach London leiten zu lassen.
Im ausverkauften Abbey Stadium hat sich bis zum Anpfiff unter Flutlicht eine regelrechte Euphorie ausgebereitet, auch weil United in der vorangehenden Runde völlig überraschend beim neureichen Klub aus Newcastle gewonnen hat. «Vielleicht war heute deshalb die Luft draussen», konstatiert Connor eineinhalb Stunden und 0:3 Tore später. Der kleine Engländer, der uns mit Tickets ausgestattet hat, scheint erschöpft, nachdem er die Stimmung rund um die «Amber Army» das ganze Spiel über mit der Trommel angekurbelt hat – Hornby hätte dieser Abend bestimmt dennoch gut gefallen.