FC Andorra - SD Huesca

Nicht nur das Dasein der andorranischen Nationalmannschaft lässt sich anhand der Legende von David gegen Goliath treffend einordnen, sondern auch jenes des einzigen Profiteams des Landes: dem FC Andorra. Die Geschichte des Klubs, der seit 1948 in der spanischen Ligapyramide figuriert, gleicht einem kleinen Fussballwunder: Bis 2009 noch in der siebten Spielklasse aktiv, stieg der FC Andorra zur Saison 2022/23 in die zweitklassige Segunda Division auf und hält sich bei seiner Premiere gar in der vorderen Tabellenhälfte.

Als «Märchenprinz im Fürstentum» agiert Ex-Barcelona-Spieler Gerard Piqué, der seit 2018 Besitzer und Präsident des Klubs ist und ihn mithilfe einer Holdinggesellschaft aus der Verschuldung und den sportlichen Niederungen in den Profifussball führte. Nichtsdestotrotz erfährt der FCA verhältnismässig geringen Zuschauerzuspruch und hat mit dem Basketballteam BC Andorra eine – ebenfalls im spanischen Ligabetrieb – erstklassig spielende Konkurrenz.

Auch beim «Lokalduell» gegen den aragonischen Vertreter Huesca ist das 2014 eröffnete «Estadi Nacional» bei weitem nicht ausverkauft. Lediglich 2030 Zuschauer bevölkern das Stadion, das mit einem einmaligen Häuser- und Bergpanorama aufwarten kann und im besagten Fall Schauplatz eines 1:0-Heimsieges ist.

Während die Prise Provinzialität, den der FC Andorra dem Hochglanz-Produkt «La Liga» einhaucht, für den neutralen Beobachter charmant sein mag, ist der Klub den Organisatoren aus vermarktungstechnischer Sicht ein Dorn im Auge. Ganz anders sieht es für den andorranischen Breitensport aus: Dieser profitiert vom sportlichen Höhenflug seines Aushängeschilds, welches etwa das alte Nationalstadion zum Trainingsgelände umfunktionierte und im Zuge dessen auch die Innenräume renovierte. In der Ortschaft Encamp soll in den nächsten Jahren zudem eine neue Heimat für den FC Andorra entstehen.


CE Carroi - FC Encamp

Startbahn 06/24, Boeing 737, Reihe 8, Gangplatz links. «Erfahrung mindert die Neugierde», entnehme ich als abstrahierte Essenz der soeben gelesenen Seite aus einem Werk des Schweizer Schriftstellers Max Frisch. Meine Autorenwahl für diesen Flug kann passender kaum sein, denn das Ziel von Andri(n)s Reise ist tatsächlich Andorra.

Obschon Frisch in seinem bekannten Theaterstück unter «Andorra» ein Modell und nicht das Land versteht, passt seine anfängliche Schlussfolgerung – auch wenn sie aus einem anderen seiner Werke stammt – in den Kontext. Nicht zum ersten Mal nämlich hatte ich den Zwergstaat als Zielort auserkoren und so war meine Gefühlslage vor dem Besuch in den Pyrenäen nicht von Neugierde dominiert, sondern glich eher jener vor der ersten Stippvisite bei den Eltern einer neuen Freundin: von Anspannung geprägt und froh, wenn alles wieder vorbei ist.

Damals im Februar 2018 hatte ich das kleine Fürstentum vom südfranzösischen Toulouse aus angesteuert. Ein scheinbar durchdachtes Unterfangen, ehe am «Pas de la Casa» ­– wenige Kilometer vor der Grenze – dichtes Schneegestöber die fluchende Besatzung eines Mietautos ohne Schneeketten zur Umkehr zwang.

Gleiche Distanz, andere Himmelsrichtung

Fünf Jahre später sind es wiederum exakt 122 Kilometer Luftlinie, die mich nach der Landung im katalanischen Girona von der Hauptstadt Andorra la Vella trennen. Aus südlicher Richtung stoppt mich diesmal aber kein unerwarteter Wintereinbruch und auch das letzte potenzielle Hindernis in Form grimmiger Zöllner meistere ich, zwar mit pochendem Herzschlag, aber doch problemlos.

Die ersten Berührungspunkte mit andorranischem Fussball lassen dann kurzfristig dennoch länger auf sich warten als gedacht: Weil im Zweitligaduell zwischen der CE Carroi und dem FC Encamp ein Akteur mit seinen Kontaktlinsen kämpft, verzögert sich der Anpfiff um sechs Minuten. Im Anschluss steht der Partie und damit einem diskussionslosen 4:0-Sieg der nach dem Berg «Pic de Carroi» benannten Team aber nichts mehr im Weg. An diesem Vormittag beehren 35 Zuschauer die kleine Tribüne im modernen und schön am Hang gelegenen Sportzentrum in La Massana.


Derry City - Bohemians Dublin

Bereits wenige Augenblicke nachdem ich das belebte Pub an der Waterloo Street betreten hatte, musste ich mir eingestehen: Hier mit dem geplanten einen Pint den Tag zu besiegeln, dürfte inmitten feiernder Celtic-Fans schwierig werden. Prompt bescherte mir mein verdutzter Blick erst die Aufmerksamkeit und später auch die ausschweifende Gastfreundschaft eines grün-weissen Trios, das mich siegestrunken darüber aufklärte, warum ausgerechnet in Derry ein Celtic-Triumph im «Old Firm» derart frenetisch bejubelt wird.

Grundlage sämtlicher Ausführungen ihrerseits bot der Nordirlandkonflikt sowie die spezielle Rolle der Grenzstadt Derry (von britischstämmigen Einwohnern auch Londonderry genannt) in diesem Glaubensstreit. Schliesslich war es in den 1960er-Jahren ein Protestmarsch in Derry gewesen, nach dessen gewaltsamer Auflösung sich das Verhältnis zwischen republikanischen Katholiken (der Republik Irland zugetan) und protestantischen Unionisten (dem Vereinigten Königreich zugetan) in ganz Nordirland und in der Stadt immer weiter zuspitze. Mittendrin: Derry City. Mit dem Brandywell-Stadion lag die Heimat des Klubs im Quartier Bogside, dem umkämpftesten aller Gebiete.

Schriftzüge wie «You are now entering Free Derry» und Malereien zum «Bloody Sunday», dem verhängnisvollen Sonntag Ende Januar 1972, an dem 13 Zivilisten ihr Leben bei einem Massaker durch die britische Fallschirmjäger liessen, zeigen eindrücklich, mit welcher Überzeugung und Brutalität der Identitätskampf zur damaligen Zeit geführt wurde.

Der irisch geprägte Klub zog sich daraufhin aus der Liga zurück, auch weil der nordirische Verband ihn für seine Heimspiele ins «Feindgebiet» nach Coleraine verbannt hatte. Erst Mitte der 80er-Jahre kehrte der Profifussball in die 85’000-Einwohner-Stadt zurück, deren Team seither in der irischen Liga erfolgreich um Trophäen kämpft und sich Cupsieger und Meister beider Länder nennen darf.

Exakt 25 Jahre nach dem friedensstiftenden Karfreitagsabkommen ist im Südwesten Derrys selbst an Spieltagen Ruhe eingekehrt. Einzig ein Penaltypfiff sorgt ein Vierteljahrhundert später für erhitzte Gemüter beim Gros der 3600 Zuschauer, der den Bohemians Dublin den Auswärtssieg und Derry City eine ärgerliche 0:1-Niederlage im Kampf um die Tabellenspitze beschert.


Bohemians Dublin - Shamrock Rovers

Seit langer Zeit hegte ich den Wunsch, einmal dem Stadtderby von Dublin beizuwohnen. Grund dafür sind die langjährigen Kontakte zwischen einigen St. Galler Fans und jenen des irischen Klubs Shamrock Rovers.

Umso mehr freute es mich, als ich an einem frühlingshaften Freitagnachmittag das Pub nahe dem Fluss Liffey betrat, welches die Anhänger des Kleeblatts zum Treffpunkt erkoren hatten. Fussball liegt in Irland in der Beliebtheitsskala deutlich hinter dem Gaelic Football. Entsprechend ernteten die rund 60 dunkel gekleideten Gestalten immer wieder verdutzte Blicke von Touristen und Einheimischen, als sie sich in den Abendstunden von der Polizei unentdeckt den Weg durch die Innenstadt zum Dalymount Park bahnten.

Die Heimstätte der Bohemians kann sich trotz abgerissener Gegentribüne sehen lassen. Die Inkonsequenz beim Umbau gründet im Norden der irischen Hauptstadt auf zwei Tatsachen: Einerseits hat sich mit dem Lokalrivalen Shelbourne ein designierter Mitnutzer zurückgezogen, andererseits sorgt eine asbestverseuchte Unterlage für eine deutlich kostenintensivere und kompliziertere Ausgangslage. So dürfte das Stadion mit seinen charmanten Stehtraversen, dem unebenen Spielfeld und dem einmaligen Panorama dank der nebenan liegenden Peterskirche noch länger als erwartet die Fussballfans erquicken.

Einzig der billige Wellblechverschlag auf der Gegengerade und das daraus resultierende reduzierte Gästekontingent trübte die Stimmung. Normalerweise decken 450 Tickets bei weitem die Nachfrage der Fans in irischen Gästeblöcken, in denen «Ultras» nicht selten ein nicht unumstrittenes Randdasein fristen. Bei einem Duell gegen den Erzrivalen unter Flutlicht sind aber die Plätze aller anwesenden 4’290 Zuschauer heiss begehrt. So wechselte ich denn auch erst in der Pause vom Fotografenplatz aus in den Gästeblock.

Während die Shamrock-Fans zu Spielbeginn mit einem martialischen Spruchband eine blutige Auseinandersetzung voraussagten, zeigten die «Bohs» rund um die Gruppierung «Notorious Boo Boys» (NBB) eine kleine Choreografie, die sie durch den Einsatz von Pyrotechnik untermalten.

Als schwach in die Sommermeisterschaft gestarteter Titelverteidiger feierten die Shamrock-Fans das überraschende 0:2 aus Sicht des favorisierten Tabellenführers entsprechend ausgelassen. Blut floss in einer hart geführten Partie aber nur im Gästeblock: An den Trennzäunen aufgeschnittene Handflächen war der emotionale Auswärtssieg aber allemal wert. Dublin’s Green and White!


FK Austria Wien - SK Rapid Wien

Nebst dem «Old Firm» in Glasgow ist kein europäisches Derby so oft schon ausgespielt worden, wie jenes in Wien. So standen sich die Erzrivalen seit meinem letzten Besuch bei der Austria im Sommer 2016, damals im Exil des Ernst-Happel-Stadions, bereits wieder 20 Mal gegenüber.

Passend dazu präsentierten die Austria-Fans in der 338. Auflage des Stadtduells eine Choreografie mit einem Motiv aus dem Film «Back to the Future». Ein gewagtes Spruchband, das den Derbysieg prognostizierte, untermalte diese Aktion. Gewagt deshalb, weil in keinem der letzten neun Duelle das Heimteam als Sieger vom Platz ging. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt – oder abstrahiert: wer wagt, gewinnt. Im Fall der Austria resultierte dank einer abgebrühten Leistung gegen schwache Rapidler ein 2:0. Für die Gastgeber traf mit Haris Tabakovic auch ein Schweizer, der mit seinen Toren gewichtigen Anteil an der Platzierung in der oberen Tabellenhälfte zum Abschluss des Grunddurchgangs hat.

Für die Grünen war die Partie vor 15’200 Zuschauern hingegen erneut von Ernüchterung geprägt. Seit September 2019 wartet der Klub auf einen Derbysieg und hat auch in der Meisterschaft, trotz abermaliger Teilnahme an der Meisterrunde, kaum reelle Chancen auf einen Titelgewinn.

Transformers: Ära des Untergangs

Eine Besonderheit bekam das beschriebene Aufeinandertreffen am Verteilerkreisel erst wenige Wochen später verliehen. War mit den «Viola Fanatics» die führende Gruppierung der Austria-Fans im Derby noch mit einer Blockfahne in Erscheinung getreten, gab sie Anfang April nach 22 Jahren die Auflösung bekannt. Ein Entscheid als Konsequenz für den Verlust der Jubiläumschoreografie der eigenen Jugendgruppe an den Stadtrivalen.

Was wie ein heftiger Schlag klingt, darf zumindest als Aussenstehender auch als Chance für die Fanszene der Austria wahrgenommen werden. Mit dem «Block 116» rund um die Gruppierung «KAI2000» hinterliess das zweite Stimmungszentrum im Franz-Horr-Stadion zuletzt sowieso einen besseren Eindruck. Gut möglich, dass in Favoriten bald Zaunfahnen, die nicht an Transformers oder Lucky Luke erinnern, noch mehr in den Fokus rücken.


SV Kematen - FC Wacker Innsbruck

«Geniesst es, Jungs!», lauteten die passenden Worte des Schiedsrichters beim Einlauf der Mannschaften. Das Gastspiel von Wacker Innsbruck in der Tiroler Gemeinde Kematen stellte nicht nur für den Unparteiischen und seine Assistenten ein Highlight dar.

Seit dem Fall in die Viertklassigkeit beehrt der ehemalige Erstligist FC Wacker im 14-Tage-Rhymthus die Dorfvereine der «Tiroler Liga». Ein Schicksal, das der Klub ausgerechnet mit dem Rivalen aus Salzburg teilt. Wie auch in der Mozartstadt lässt dessen Fanszene deswegen den Kopf nicht hängen, wenn auch mit dem Rückrundenauftakt und damit der ersten Partie seit der Auflösung der führenden Gruppierung «Verrückte Köpfe» in Innsbruck eine neue Ära eingeläutet wird.

Die Anhängerschaft der Gäste hatte nach der langen Winterpause eine Mottofahrt einberufen, die mit einem Sommer-Fokus angesichts der frühlingshaften Temperaturen gut in den Rahmen passte. Nebst eines themenspezifischen Intros zeigten die Innsbrucker Fans auch Spruchbänder seitens der Gruppe «Wacker Unser», dazu gab es ansprechenden Support sowie einige bekannte Melodien aus Bergamo.

Mit der (Fels-)Wand im Rücken

Die grösste Sehenswürdigkeit stellte aber nicht die Abordnung aus Innsbruck dar, sondern die hinter dem Stadion liegende Martinswand. Dieser rund 600 Meter hohe Abbruch des Kleinen Wandkopfs sorgt für eine unvergleichliche Optik, die sich den 1563 Zuschauern auf der Nordseite auftut. Mit den ehemaligen Drehkreuzen aus dem Londoner Boleyn Ground gibt es an der «Melach Road» – wie das Stadion für Groundhopper auch genannt wird – eine weitere Attraktion. Diese sind der Affinität des lokalen Vereinsobmanns zu West Ham United zu verdanken.

Erinnerten die Rahmenbedingungen an ein Cupspiel, agierte der vermeintliche David auf dem Rasen auf Augenhöhe mit Goliath. Keine Überraschung ist dies deshalb, weil der Kader von Wacker Innsbruck seit der Zwangsrelegation zu grossen Teilen aus Spielern der einstigen 2. Mannschaft besteht. Diese mussten sich nach dem Seitenwechsel mit der Führung im Rücken gleich mehrere Vorwürfe gefallen lassen: Zwei Platzverweise sowie zwei Gegentore nach ruhenden Bällen sorgten für den Fehlstart ins neue Jahr und einen vielumjubelten 2:1-Sieg auf Seiten des SV Kematen.

Unterstützung aus Nordamerika

Die anhaltende Baisse in den Folgewochen sowie ein Insolvenzverfahren beim Trikotsponsor endeten beim krisengebeutelten FC Wacker darin, dass der Klub eine strategische Partnerschaft mit dem Los Angeles FC einging, um nebst einer finanziell breiten und transparenten Basis auch auf sportlicher Ebene Erfolge zu feiern.

Mit der Unterstützung des Meisters der US-amerikanischen MLS wird der Aufstieg als eines der besten fünf Teams der Liga in die drittklassige Regionalliga Tirol angepeilt. Ein Hauch Glamour aus der Filmmetropole soll die Innsbrucker zurück auf die nationale Landkarte bringen – beim Auftritt in Kematen ist immerhin die Kulisse bereits hollywoodreif.


NK Osijek - Hajduk Split

Die Zahl Vier beschreibt Osijek gleich in mehreren Dimensionen treffend: Einerseits figuriert die Stadt mit etwas weniger als 100‘000 Einwohnern hinter Zagreb, Split und Rijeka als viertgrösste Kroatiens. Andererseits passt die Ziffer zum Dasein des lokalen Fussballklubs NK Osijek, der nicht nur in der Tabelle, sondern auch fantechnisch hinter Dinamo, Hajduk und HNK Rijeka den Reigen der «Big Four» des Landes beschliesst.

Die Sektionen in den nahegelegenen Gemeinden Dakovo (Torcida) und Nasice (BBB) halten denn auch die lokale Kohorta auf Trab, auch wenn die seit 1988 aktive Gruppierung weder den Klub aus Split noch jenen aus Zagreb, sondern den derzeitigen Zweitligisten Cibalia Vinkovci als Erzrivalen nennt. Nichtsdestotrotz ist «Lokalpatriotismus» das passende Stichwort, hinter dem sich die rund 100 aktiven Osijek-Fans auch im Duell gegen den Klub aus Dalmatien versammeln.

Dieses Stichwort gewinnt mit einem Blick auf das Zentrum der ostkroatischen Region Slawonien weiter an Bedeutung. Denn Osijek, unterteilt in eine Altstadt mit Festung sowie eine Oberstadt mit dem heutigen Zentrum, leidet besonders stark unter der Abwanderung. Auch wenn bereits an den Strassen, die praktisch mit der bosnisch-kroatischen Grenze von besseren Schotterpisten in westeuropäischem Autobahnstandard münden, ersichtlich ist, wie viel EU-Entwicklungsgelder bewirken können, verlassen viele junge Menschen mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft die Stadt an der Drau.

Im «städtischen Garten», wie das Stadion Gradski vrt in der deutschen Sprache heisst, spielt der nach dem 2. Weltkrieg gegründete Klub übrigens nur noch wenige Monate. Danach folgt der Umzug in die neuerbaute Spielstätte im Westen der Stadt. In einer der letzten grossen Partien im alten Zuhause hat Osijek gegen Split mit 0:2 vor 6‘107 Zuschauern sportlich eindeutig das Nachsehen. Was den Heimfans aber mindestens so wichtig sein dürfte: Trotz zahlreich angereister Torcida-Anhängerschaft bieten sie Hajduk auf den Rängen lange Zeit lautstark Paroli.


Sloboda Tuzla - Leotar Trebinje

Auf der Fahrt nach Tuzla wird mir bewusst, dass ich mich nach einer Woche Aufenthalt mittlerweile an die lokalen Gegebenheiten gewöhnt habe. Die vielen 30er-Zonen auf schlecht erhaltenen Landstrassen gehören nun ebenso dazu wie der unterschwellige Geruch verbrannter Holzkohle, der erst in den Restaurants vom Zigarettenrauch abgelöst wird.

Bosnien-Herzegowina ist weit mehr als ein kompliziertes Staatskonstrukt mit bedeutender Schattenwirtschaft und hoher Arbeitslosigkeit, in dem orthodoxe Serben, katholische Kroaten und bosnische Muslime gemeinsam und doch irgendwie auch getrennt voneinander leben. Das Land überzeugt in Sachen Kulinarik, besitzt eine abwechslungsreiche Natur und kann auch mit der grossen Gastfreundschaft seiner Bewohner punkten.

Doch auch vor der drittgrössten Stadt machen die beschriebenen Problematiken und Kriegsfolgen nicht Halt. So galt Tuzla während und nach dem Höhepunkt der interethischen Auseinandersetzungen als Zufluchtsort vieler Flüchtlinge und weist mit dem Dorf Mihatovici eine Kriegsflüchtlingssiedlung auf, in der bis zum heutigen Tag eine grosse Anzahl Vertriebener lebt.

Auf dem Stadtgebiet sind grosse Salzvorkommen unter der Erde und damit verbundene Hohlräume dafür verantwortlich, dass der Boden immer weiter absackt. Entsprechend bestehen nur wenige historische Häuser und Sehenswürdigkeiten sind in der 120’000-Einwohner-Stadt rar gesät. In einer zentrumsnahen Senke machte die Verwaltung aus dieser Not eine Tugend und schuf mittels eines künstlichen Salzsees ein Naherholungsgebiet.

Lücken im Palmarès

Als «unspektakulär» lässt sich auch das sportliche Dasein des lokalen Fussballklubs treffend bezeichnen. Sloboda Tuzla gehört zwar zu den ältesten Vereinen Bosnien-Herzegowinas, hat aber nebst einem geteilten UI-Cup-Sieg 1982/83 sowie dem Pokal für die gewonnene Zweitligameisterschaft 2013/14 einen leeren Trophäenschrank vorzuweisen.

Auch in der aktuellen Saison läuft es Sloboda (Freiheit) nicht nach Wunsch, dennoch findet sich gegen Leotar Trebinje mit 3’550 Zuschauern eine ansprechende Zahl an Anhängern im Stadion Tusanj ein. Auch die 1987 gegründete Fangruppierung «Fukare» sorgt der sportlichen Baisse zum Trotz – wie schon eine Woche zuvor in Sarajevo –  für akustische Unterstützung. Ihre laustarken Rufe steuern ihren Teil dazu bei, dass der Gastgeber gegen den Klub aus dem südöstlichsten Zipfel des Landes ein 2:1 über die Zeit zu retten vermag.


Radnik Bijeljina - Famos Vojkovici

Mit Bosnien-Herzegowina verband ich vor meinem Besuch in erster Linie eine Kleinstadt namens Srebrenica. Durch die Geschehnisse rund um den Bosnienkrieg brannte sich der Name der leidgeprüften Gemeinde in den Bergen Ostbosniens unbewusst in mein Gedächtnis ein. Für mich war deshalb klar, dass während der Fahrt in den Norden des Landes ein Besuch vor Ort sowie eine Auseinandersetzung mit der Geschichte einen Programmpunkt darstellen soll.

Auch wenn die bekanntesten Kriegshandlungen in Srebrenica bei sengender Hitze im Hochsommer 1995 stattfanden, sorgen 18 Jahre später Nebel, Nieselregen sowie eine bissige Kälte für eine passende Atmosphäre, als ich unseren Mietwagen auf den Parkplatz der Gedenkstätte in Potocari steuere. Als dieses Dorf in den 90er-Jahren das industrielle Zentrum der Gemeinde darstellte, zählte eine stillgelegte Batteriefabrik zu den wichtigsten Gebäuden.

Ab Februar 1994 diente diese dem niederländischen Kontingent «Dutchbat» innerhalb der Schutztruppen der Vereinten Nationen (UNPROFOR) als Basis für die Friedenssicherung der im Jahr zuvor zur UN-Schutzzone deklarierten Gebiet Srebrenica. Traurigen Höhepunkt des systematischen Versagens der internationalen Völkergemeinschaft stellte der 11. Juli 1995 dar, als sich 25‘000 Flüchtlinge aus Srebrenica vor dem UN-Hauptquartier in Potocari einfanden. Sie alle waren vor den Truppen bosnischer Serben geflüchtet, die angeführt von Ratko Mladic unter dem Codenamen «Operation Krivaja» eine ethnische Säuberung in der bosniakisch geprägten Gegend durchführten.

Blick in menschliche Abgründe

Lediglich einem Fünftel aller Schutzsuchenden wurde Asyl geboten – einen Grossteil der Abgewiesenen liess Mladic daraufhin deportieren und an verschiedenen Standorten exekutieren. Viele Männer fielen auch während des beschwerlichen Fluchtversuchs durch die Berge Mladics Truppen zum Opfer.

Verminte sekundäre und tertiäre Massengräber, um die Gräueltaten zu verdecken und bei der Bergung noch mehr Menschen in den Tod zu reissen, geben einen Einblick, wie perfid die Aggressoren vorgegangen waren. Offiziell hat der Völkermord 8372 Menschen das Leben gekostet – noch immer werden in der von Landminen verseuchten Gegend jährlich im Juli neu geborgene Opfer auf dem Gedenkfriedhof beigesetzt.

Und doch noch Fussball …

Von Srebrenica geht es für uns im Anschluss in einer äusserst wortkargen Autofahrt entlang des Grenzflusses Drina weiter nach Bijeljina, der mit 100’000 Einwohnern zweitgrössten Stadt innerhalb der Republik Srpska. Der dort ansässige Fussballklub «Radnik» (zu Deutsch Arbeiter) hatte 2016 den Cup gewonnen, war in der Saison 2019/20 im internationalen Geschäft vertreten und gehörte in der Vorsaison immerhin noch der höchsten Spielklasse an. Heuer fristet der Klub im Mittelfeld der in zwei Divisionen geteilten zweiten Liga ein trostloses Dasein.

Passend dazu präsentiert sich das Ambiente: Lediglich 250 Zuschauer verfolgen bei Regenfall einen mageren 1:0-Heimsieg, bei dem wie bereits in Sarajevo der einzige Treffer der Partie durch einen Penalty fällt. So halten sich auch die Jubelstürme rund um die «Incident Bijeljina» nach Schlusspfiff in Grenzen. Die Fangruppe existiert seit 1995 und bietet ihrem Team nebst durchgehender akustischer Unterstützung auch wiederholt Pyrotechnik.


Velez Mostar - Zrinjski Mostar

Die «Stari most» (Alte Brücke) als bildliche Allegorie für das geteilte Mostar zu verstehen, trägt weder der Vergangenheit noch der Gegenwart der Stadt vollständig Rechnung. Dennoch soll das namensgebende Wahrzeichen über dem Fluss Neretva in diesem Fall den Ausgangspunkt darstellen, um die prägende Geschichte der 110’000-Einwohner-Gemeinde und ihrer zwei Fussballklubs zu erzählen.

Ethnischer Schmelztiegel und Siedepunkt

Als Tor zu Europa verband das Bauwerk einst das osmanische Reich mit dem Westen und figurierte viele Jahrhunderte lang als Sinnbild für die Vereinigung unterschiedlicher Ethnien und Kulturen in Mostar. Im sozialistischen Jugoslawien stilisierten die Machthaber die Brücke zum Symbol für Einheit und Brüderlichkeit hoch, das die Verbindung zwischen Islam und Christentum darstellte.

Doch auch der Ort unweit der kroatischen Grenze wurde von den Handlungen rund um den Bosnienkrieg (1992-95) nicht verschont. Aus dem ursprünglichen, bosniakisch-kroatischen, Militärbündnis im Kampf gegen serbische Truppen gingen im Frühling 1993 gegenseitige Kriegshandlungen hervor, die mit der Zerstörung der Brücke durch bosnische Kroaten auch für eine visuelle Trennung der Stadt sorgten.

Nach dem Kriegsende und der Teilung stellten West- und Ost-Mostar bis 2004 gar zwei Städte mit separaten Verwaltungsstrukturen dar. Mit dem Wiederaufbau der Brücke legten die Verantwortlichen 2010 den symbolischen Grundstein für eine politische Annäherung, die eine Dekade später in einer Wahlordnung für ein gemeinsames Stadtparlament mündete. Die erhofften Veränderungen blieben seither aber aus und so sind in Mostar im neueren Westteil der Stadt bis heute praktisch nur römisch-katholische Kroaten beheimatet, während der Ostteil das Zuhause muslimischer Bosniaken darstellt.

Velez Mostar: (K)ein Klub für alle

Die innerstädtischen Zerwürfnisse machten auch vor dem Fussball keinen Halt. Dabei hatte sich Arbeiterklub Velez seit seiner Gründung in den 20er-Jahren als multiethnischen Verein verstanden, der Fussballer und Fans sämtlicher Bevölkerungsgruppen zusammenführt. Eine Vision, die spätestens der Zerfall der Sowjetunion und die Reaktivierung Zrinjskis jäh stoppten. Als Höhepunkt des Konflikts auf Fussballebene musste Velez nach dem Krieg sein Stadion an den Rivalen abtreten – die Umstände dazu habe ich im Beitrag zu Zrinjski beleuchtet.

Auch wenn sich hinter dem Stadion Rodeni im Vorort Vrapcici das namensgebende Velez-Massiv auftut, stellt die neue Heimat für den Klub und seine bosniakisch sowie antifaschistisch geprägte Fanszene rund um die «Red Army» keine Optimallösung dar. Rivale Zrinjski hingegen zieht primär patriotische Kroaten an, die ihrer Forderung nach einer Auflösung der Föderation und der Schaffung einer dritten Entität in Bosnien und Herzegowina auf den Rängen Ausdruck verleihen. Ein Bestreben mit Konfliktpotenzial, das aufgrund der Situation mit der serbisch geprägten Republik Srpska beinahe etwas in den Hintergrund gerät.

Trotz vielschichtiger Rivalität zwischen den Anhängerschaften, setzen diese im Stadtderby ein Zeichen der Solidarität. Weil die Zrinjski-Fans aufgrund einer Entscheidung seitens des Fussballverbands beim Risikospiel aus dem Stadion verbannt werden, boykottiert auch die Heimkurve die Partie und unterstützt ihre Mannschaft von draussen. Eine Geste mit Symbolcharakter, auch wenn den Velez-Spielern beim 1:3 vor 4’200 Zuschauern damit möglicherweise die notwendige Portion Zusatzenergie für einen Coup über den designierten Meister gefehlt hat.