Tomislav Tomislavgrad - Rudar Kakanj

Litex Lovech, Robotron Sömmerda und Unirea Urziceni. Drei Klubs mit Namen, die ich so skurril finde, dass ich sie so schnell nicht mehr aus meinem Kopf bringen werde. Seit einem Besuch in der bosnischen Hochebene Duvanjsko Polje ist diese Liste um einen Vertreter angewachsen: den HNK Tomislav Tomislavgrad.

Dabei hat auch diese Geschichte, wie beim erwähnten Trio, namenstechnisch weitaus unspektakulärer begonnen: 1920 riefen die Gründer den Klub Tomislav Zupanjac ins Leben, wobei sie mit dem Namenszusatz dem kroatischen König Tomislav die Ehre erwiesen. Erst als die Stadt Zupanjac acht Jahre später ebenfalls seinen Namen in Tomislavgrad änderte, bekam der Klub sein Alleinstellungsmerkmal verliehen. Im Gegensatz zu den Fussballern argumentierte die Stadtverwaltung den Namenswechsel mittels einer Würdigung von Prinz Tomislav, dem Sohn von König Alexander I. von Jugoslawien.

Weil der Gedanke dahinter aber – wie beim Klub – viel eher König Tomislav von Kroatien galt, benannten die kommunistischen Behörden Jugoslawiens die Stadt nach dem 2. Weltkrieg in Duvno um. Erst 1990 wurde der Name Tomislavgrad wiederhergestellt.

Unumstritten ist hingegen Tomislavgrads Titel als höchste Stadt Bosnien-Herzegowinas, die auf 900 Höhenmetern im Winter und bei beissendem Wind viel eher an die russische Tundra erinnert. Weite trostlose Landstriche, an deren Horizont schneebedeckte Hügel in den Himmel ragen. Tatsächlich leben in dieser Gegend denn auch Wölfe und Bären. 

Ein ziemlicher Kälteschock für zwei Westeuropäer, die zuvor noch bei Sonnenschein der Karstquelle in Blagaj, den Kravica-Wasserfällen und dann auch noch dem pittoresk gelegenen Stadion im kroatischen Imotski einen Besuch abgestattet hatten.

Ähnlich überrascht ob der äusseren Bedingungen schienen nur noch die Gäste aus Kakanj zu sein, anders liess sich ihr passives Auftreten in dieser Zweitligapartie vor 200 Zuschauern nicht erklären. So konnte Tomislav Tomislavgrad beim 3:0-Erfolg seinen Heimvorteil auch ohne stimmungsvolles Ambiente allfälliger Fans ausspielen – diese sassen nämlich zu grossen Teilen hinter den Scheiben des Klubheims und warteten, genüsslich an ihrer Zigarette ziehend, auf wärmere Tage.


NK Siroki Brijeg - FK Sarajevo

Gastiert der FK Sarajevo in Siroki Brijeg, ruft dies interessierten Fussballfans unweigerlich die Geschehnisse aus dem Oktober 2009 ins Gedächtnis zurück. Wie immer, wenn der bosnische Hauptstadtklub im kroatisch geprägten Teil der Herzegowina antritt, herrschte auch vor 14 Jahren bei den Behörden erhöhte Alarmbereitschaft.

Schliesslich geht es für die meisten der rund 30‘000 Einwohner in der Stadt am breiten Hügel (Siroki Brijeg) bei diesem Duell um mehr als drei Punkte für eine Schlussplatzierung, die zur Teilnahme am internationalen Geschäft berechtigt. Wie etwa in Banja Luka in der Republika Srpska ist auch in der fast ausschliesslich von Kroaten bewohnten Gemeinde das Stadion zum Schauplatz interethischer Querelen geworden, die den Vielvölkerstaat Bosnien-Herzegowina seit Ende des Krieges Anfang der 90er-Jahre eng begleiten.

Nur eines war an jenem verhängnisvollen Herbsttag anders, als sich Sarajevos Horde Zla (Horde des Bösen) und die nach der antikommunistischen Guerilla-Armee benannten Skripari (Kreuzfahrer) gegenüberstanden: Weil zeitgleich das Stadtderby von Mostar stattfand, waren beim zweiten Hochrisikospiel in der Region deutlich weniger Polizeikräfte vor Ort.

Gespielt werden sollte an diesem Tag keine einzige Minute, stattdessen wird bei den Ausschreitungen in der Stadt Sarajevo-Fan Vedran Puljic von einer Polizeikugel derart unglücklich getroffen, dass er kurz darauf im Krankenhaus verstirbt. Die Horde Zla zerstört nach dieser Meldung die Stadt und zündet ein Polizeiauto an – insgesamt werden 10 Personen verletzt, darunter mehrere Polizisten. Für den Mord an Puljic werden zwei Verdächtige in Gewahrsam genommen, aber noch vor einer allfälligen Verurteilung wieder entlassen. Erst 2017 wird ein nach Kroatien geflohener Polizist verhaftet und 2022 nach einem langwierigen Prozess zu einer vierjährigen Gefängnisstrafe wegen gefährlicher Handlungen verurteilt. Vom zweiten Anklagepunkt, jenem des versuchten Mordes, wird er hingegen freigesprochen.

All diese Erinnerungen halten bis zum heutigen Tag an, weshalb die Horde Zla für die Reise ins Stadion Pecara im gleichnamigen Ortsteil in den eigenen Reihen bewusst mobilisiert. Prompt ist es ein eindrückliches Bild der in Bomberjacken gekleideten Sarajevo-Fans, das – auch wenn die Freundschaft zu Dynamo Dresden seit zwei Jahren beendet ist – an eine Schar ostdeutscher Anhänger erinnert. Doch nicht nur die Gäste legen einen lautstarken Auftritt hin, auch die Gesänge der Heimanhänger – besonders jene, die sich gegen die Hauptstädter richten – erreichen eine beeindruckende Lautstärke und werden von praktisch allen der 5’000 Zuschauer inbrünstig in Richtung Gästeblock getragen.

Dieser wird von der Polizei nach rund 75 Minuten geräumt, wie es bei Risikospielen in Bosnien-Herzegowina üblich ist – noch beim Hinausgehen kann der «12. Mann des Klubs aus Titove 38b» den dritten Treffer bejubeln. Die Sarajevo-Fans sind längst wieder auf der Heimreise, als mit dem 1:3 in der Schlussminute den Gastgebern per Elfmeter immerhin noch verdiente Ehrentreffer gelingt.


Zrinjski Mostar - HSK Posusje

Der älteste Fussballklub Bosnien-Herzegowinas ist gleichzeitig auch einer der jüngsten. Obschon Zrinjski Mostar bereits 1905 gegründet wurde, steht der Klub 118 Jahre später erst in seiner 32. Spielzeit.

Dass der nach einem kroatisch-ungarischen Adelsgeschlecht benannte Klub lange nicht in den Annalen der Balkan-Ligen auftauchte, ist eng mit Josip Broz Tito und dessen ideologischen Grundsätzen verknüpft. Der kommunistische Führer Jugoslawiens verbot sämtliche nationalistischen und religiösen Strömungen im Vielvölkerstaat – entsprechend auch den kroatisch geprägten Klub aus Mostar. Mit dem Zerfall Jugoslawiens Anfang der 90er-Jahre erlebte Zrinjski seine Renaissance und trat 1993/94 erstmals seit über 50 Jahren wieder mit einem Team im organisierten Spielbetrieb an.

Kündigung zwecks Eigenbedarf

Der Eintritt Zrinjskis in die bosnisch-herzegowinische Liga hatte auch Folgen für Stadtrivale Velez. Weil der Bosnienkrieg für Mostar in einer neuen ethnischen Aufteilung der Stadt mündete, musste Velez mit dem Bijeli-Brieg-Stadion seine Heimat im neuerdings kroatischen Westen der Stadt an Konkurrent Zrinjski abtreten. Bis heute gilt die Neustadt rund um die «Avenija» als Zuhause der Kroaten, während die Gebiete jenseits des «Bulevar» und in der Altstadt der bosniakischen Bevölkerung angerechnet werden.

Wegen Arbeiten am Estrich des Spielfelds kann aber auch Zrinjski derzeit nicht in seiner Heimat antreten. Exil bietet mit dem NK Brotnjo ein Drittligist aus der fast ausschliesslich von Kroaten bewohnten Kleinstadt Citluk. Eine Geste mit Symbolcharakter, feierte Zrinjski im ebenfalls zur Gemeinde gehörenden Wallfahrtsort Medugorje doch seine Auferstehung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Mit dem FC Zürich war 2002 auch schon ein Schweizer Vertreter für ein Pflichtspiel im Stadion Bare zugegen. In der ersten Runde des Intertoto Cups setzte es für die Zürcher damals nach einem klaren Heimsieg eine knappe Pleite gegen den bosnischen Aussenseiter ab.

Souveräner erledigte Zrinjski über zwei Dekaden später seine Hausaufgaben. Gegen den ebenfalls kroatisch geprägten HSK Posusje durften die 3’500 Zuschauer einen eindeutigen 5:0-Sieg bejubeln. Damit steuert der Klub, bei dem vor 20 Jahren einst Luka Modric seine Karriere lancierte, ein weiteres Mal dem nationalen Meistertitel entgegen.


Zeljeznicar Sarajevo - Sloboda Tuzla

Dort, wo «meine» Geschichte mit Bosnien-Herzegowina ihren Anfang nimmt, beginnt auch das prägendste Kapitel in der jüngeren Zeitrechnung des Landes: in Grbavica, einem Stadtteil von Sarajevo. Am 5. April 1992 steht das Spiel der jugoslawischen «Prva Liga» zwischen dem lokalen Eisenbahnerverein Zeljeznicar und Rad Belgrad kurz vor der Halbzeitpause, als ein Schusswechsel vor den Stadiontoren zum Abbruch der Partie führt. Er markiert den Anfang der Belagerung Sarajevos durch die Armee der bosnischen Serben, die 1425 Tage andauern wird. Einen Tag später beginnt offiziell der Bosnienkrieg, der über 100‘000 Menschenleben forderte.

Vergebliche Hilferufe

Am Ursprung dieser dreieinhalb Jahre andauernden Kampfhandlungen stand der Nationalismus. Nach dem Tod von Josip Broz Tito und dem Zerfall Jugoslawiens hatten sich sowohl der serbische Präsident Slobodan Milosevic als auch sein kroatisches Pendant, Franjo Tudman, für mehr Einfluss ihrer Volksgruppe innerhalb des multiethnischen Schmelztiegels auf der Balkanhalbinsel engagiert. Wie fest die Gebietserweiterung in ihren politischen Agenden manifestiert war, zeigte sich nach der Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas im März 1992 auch der breiten Öffentlichkeit.

Trotz perfider Kriegstaktiken blieb die internationale Gemeinschaft lange passiv und überliess die aufgrund des verhängten Waffenembargos unbewaffnete Zivilbevölkerung in Sarajevo sich selbst. Auf dem einzigen Weg, der aus der Hauptstadt ins bosnische Umland führte, lag der internationale Flughafen, der unter UN-Schutz stand und von den Einheimischen nicht überquert, sowie von den Aggressoren nicht beschossen werden durfte. Um die vielschichtige Mangellage in der Stadt zu lindern, gruben Bosniaken deshalb einen 800 Meter langen Tunnel unter dieser Sperrzone hindurch. Ein eindrückliches Bauwerk, das – in reduzierter Länge – bis heute besteht und besichtigt werden kann.

Enge Gassen und weite Ausblicke

Die Geschehnisse in den 90er-Jahren waren aber nicht das erste Mal, dass Sarajevo zum Ausgangspunkt weitreichender Kriegshandlungen wurde. So ist die Lateinerbrücke im Stadtzentrum bis heute eng mit dem Auslöser des Ersten Weltkriegs verbunden, auch wenn der junge Attentäter Gavrilo Princip damals kaum ahnen konnte, dass sein Mord an Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Gattin die Julikrise auslösen würde.

Nebst jener Brücke, unter der die Miljacka durchfliesst, zieht heutzutage besonders das orientalische Viertel Bascarsija die Touristen an, die nebst lokaler Kupferschmiedekunst auch traditionellen bosnischen Kaffee in den verwinkelten Gassen serviert bekommen. Einen besseren Überblick gewährt hingegen ein Besuch der Zuta Tabija (Gelbe Bastion), unter der sich nebst der Altstadt auch zahlreiche Friedhöfe mit Grabsteinen in weisser (Muslime), grauer oder schwarzer (Orthodoxe) Farbe erstrecken.

Eingebettet in das Dinarische Gebirge gehört mit dem «Trebevic» an den südlichen Ausläufern auch jener Berg zur 300‘000-Einwohner-Stadt, an dessen Hängen 1984 diverse Wettkämpfe der Olympischen Winterspiele stattfanden. Bekanntestes Überbleibsel davon ist die Bobbahn, die in den Wäldern unter dem Gipfel verwildert.

Alteingesessen und stimmungsvoll

Zurück in Grbavica, wo in den 90er-Jahren die Frontlinie mitten durch das Quartier verlief, sind auch drei Dekaden später an vielen Häuserwänden noch Einschusslöcher zu finden. Gar noch älter als die Spuren des Krieges sind mit den 1987 gegründeten «Manijaci» die Ultras Zeljeznicars, deren Murals zumindest etwas Farbe in die trostlosen Häuserschluchten rund um das Stadion bringen. Bei winterlichen Temperaturen nehmen die Fans an diesem Samstag auf der überdachten Gegengerade Platz, während mit der «Jug» ihre eigentliche Heimat aufgrund der winterlichen Bedingungen gesperrt bleibt.

Trotz des abwechslungsreichen Liedguts, das sie lautstark auf den Platz tragen, vermag das Spiel zwischen «Zeljo» und den Gästen aus Tuzla bei klirrender Kälte nur wenige der 4500 Zuschauer zu erwärmen. Entsprechend symptomatisch fällt mit dem 1:0 für das Heimteam der einzige Treffer der Partie vom Elfmeterpunkt aus.


FAR Rabat - Future FC

Die internationalen Klubwettbewerbe sorgten im marokkanischen Fussball für die aussergewöhnliche Konstellation, dass die drei grössten Teams des Landes an aufeinanderfolgenden Tagen ein Heimspiel bestritten. Während ich die einmalige Atmosphäre bei Raja und Wydad Casablanca bereits zu einem früheren Zeitpunkt miterleben durfte, bedeutete ein Besuch in Rabat Neuland für mich.

Der Westküste entlang brachte mich der Zug in die Hauptstadt Marokkos, die mit etwas mehr als einer halben Million Einwohnern deutlich kleiner daherkommt als Casablanca. So konnte ich den Hassan-Turm und das Mausoleum Mohammed V., eine imposante Grabstätte aus Marmor zum Gedenken an den Sultan, problemlos zu Fuss besichtigen. Einen Abstecher in die «Kasbah des Oudayas» sparte ich mir hingegen für einen Besuch in einer wärmeren Jahreszeit auf.

Dieser weitere Besuch lässt sich insofern prognostizieren, als dass mit der «Fath Union Sport» (FUS) nebst dem Giganten «Forces armées royales» (FAR) ein zweiter Klub aus Rabat im Spitzenquartett der marokkanischen Botola mitmischt. FUS versteht sich allerdings als Ausbildungsklub und zieht bei seinen Heimspielen nur wenige hundert Fans an. Entsprechend besteht zwischen den beiden Erstligateams der Stadt keine Rivalität, wie sie etwa in Casablanca vorzufinden ist.

Der Armeeklub FAR peilt in der laufenden Spielzeit nebst der zuschauertechnischen auch die sportliche Vormachtstellung in Rabat an und besitzt gute Chancen auf den ersten Titelgewinn seit 15 Jahren. Auch international ist der Botola-Tabellenführer derzeit erfolgreich und stieg im Confederation Cup – dem afrikanischen Pendant der Europa League – als Favorit in die Partie gegen den Future FC.

Der Klub aus Kairo, welcher der ägyptischen Niederlassung der Firma Coca-Cola entsprang, besitzt seit Herbst 2021 neue Eigentümer und damit auch einen gewöhnungsbedürftigen Namen. Eine Fangemeinde hat sich trotz der geänderten Besitzverhältnisse bisher keine gebildet. Gründe dafür sind nebst dem geringen Stellenwert des Klubs in der Hauptstadt die politische Verfolgung im Nachgang des arabischen Frühlings, welche die ägyptische Fankultur praktisch ausrottete und im Massaker von Port Said 2012 ihren tragischen Höhepunkt gefunden hatte.

So sind in nordafrikanischen Stadien auch über eine Dekade nach den politischen Umwälzungen Fangesänge zu hören, die von der Aussagekraft her jene weit übersteigen, die in heimischen Breitengraden – bisweilen nicht einmal auf lokale Gegebenheiten umgemünzt – ins unermessliche reproduziert werden.

Doch weder die mit Inbrunst vorgetragenen Lieder noch der 2:0-Heimsieg von FAR sorgte in den südlichen Ausläufen Rabats vor 27’192 Zuschauern für die Schlagzeilen. Vielmehr war es ein interner Streit in der heimischen «Curva Ché» zwischen den führenden Fangruppen «Ultras Askary» und «Black Army», der nach einer mehrminütigen Eskalation von der Polizei gewaltsam beendet werden musste.


Persib Bandung - Persija Jakarta

Fussballfans kennen dieses ganz bestimmte Kribbeln im Bauch. Eine Art positive Anspannung vor einer wichtigen Partie oder einem Spielbesuch mit dem eigenen Team in einer fremden Stadt. Auch ich hatte diese spezielle Gefühlsregung schon oft durchlebt, etwa als Aussenstehender bei Lokalduellen in Osteuropa oder bei Auswärtsspielen mit meinem Lieblingsklub. Doch diesmal war es anders. Das erste Mal nämlich schien dieses mulmige Gefühl meine gesamte Vorfreude zu ersticken.

Erst die Tage in Malang, die ich für eine Reportage rund um die Auswirkungen der Kanjuruhan-Tragödie genutzt hatte, liessen mich erkennen, mit welcher Bedenkenlosigkeit ich zuvor bisweilen in Indonesiens Stadien unterwegs gewesen war. 135 Menschenleben hatte jenes schicksalhafte Aufeinandertreffen zwischen Arema Malang und Persebaya Surabaya am 1. Oktober 2022 nach einem unkoordinierten Polizeieinsatz gefordert.

Danach fiel die indonesische Fanlandschaft in eine von Trauer geprägte Schockstarre. Sämtliche Spiele – darunter auch das für den 2. Oktober angesetzte West-Java-Derby zwischen Persib Bandung und Persija Jakarta – wurden abgesagt. Doch nur rund hundert Tage sollten ins Land ziehen, ehe die indonesische Liga bereits wieder zum Alltag mit Zuschauern überging – noch bevor in Malang der Prozess gegen die fünf Angeklagten überhaupt erst begonnen hatte.

Von «Usut Tuntas», einer vollständigen Untersuchung, wie sie in Malang von Fans an vielen Strassen- und Häuserecken oder am Ort der Tragödie selbst gefordert wird, keine Spur.

Düstere Vorzeichen

Als Generalprobe für die Rückkehr der Fans fungierte nun – nebst zwei unbedeutenden Partien am gleichen Spieltag – ausgerechnet das Duell zwischen den beiden Erzrivalen Persib und Persija. Dazu kam mit dem Lautan-Api-Stadion in Bandung eine Ausweichspielstätte, in welcher erst im Juni 2022 zwei Fans an überfüllten Stadioneingängen bereits den Tod gefunden hatten. Am meisten Sorgen bereitete mir aber das unübersichtliche Voucher-System, mit dem der Klub die alten Tickets kurzerhand für ungültig erklärt und parallel dazu einen neuen Verkauf lanciert hatte.

Als wären diese Vorzeichen nicht schon bedrohlich genug, geisterte ein Bild von einem versöhnenden Treffen von Persibs Fananführern mit Abi Irlan, dem Capo von Persija Jakarta, durch die sozialen Medien. Auch die Information allfällig anreisender Gästefans machte die Runde – etwas, das es in Indonesien bei Risikospielen seit über einer Dekade nicht mehr gegeben hatte.

So war ich hin- und hergerissen, entschied aber dennoch, kurzfristig meine Reisepläne umzukrempeln und per Nachtzug quer durch Java nach Bandung zu reisen. Tobi von Football Fans Asia hatte dankenswerterweise bereits den Kontakt zum Klub aus der zweitgrössten Stadt des Landes hergestellt.

Ein erstes Indiz, dass die Behörden die Ausgangslage tatsächlich ernst nahmen, war die kurzfristige Verschiebung in die Nachmittagsstunden gewesen, um unübersichtliche Situationen unter Flutlicht zu verhindern. Auch die rigiden Kontrollen an den zwei Sicherheitsringen sowie bewaffnete Einsatzkräfte vor jedem Eingang zeugten von einer handfesten Polizeistrategie, wie ich sie in Indonesien zuvor noch nie erlebt hatte.

Offiziell fanden gar nur 21‘257 Zuschauer Zutritt ins Rund, sodass die Spielstätte lediglich etwas mehr als zur Hälfte ausgelastet war. Allfällige Persija-Anhänger waren – trotz angeblicher Versöhnung – keine zugegen, was angesichts der vielen Botschaften gegen den Rivalen aus der Hauptstadt ein vernünftiger Entscheid war. So hielt auch dieses Derby den obligaten Penaltypfiff zugunsten des Heimteams zur Beruhigung der Massen bereit. Der deutsche Trainer Thomas Doll und Landsmann Hanno Behrens in den Reihen Persijas tobten verständlicherweise, sahen die Gerechtigkeit aber zumindest vorerst in der Parade ihres Goalies wiederhergestellt. Das entscheidende 1:0 zugunsten Persibs fiel in der 2. Halbzeit nach einem Zweikampf mit grosszügiger Regelauslegung allerdings nicht minder umstritten.

Viele Köche verderben den Brei

Auf den Rängen widmete mit dem «Viking Persib Club» die älteste Fangruppierung des Landes (1992) dem indonesischen Klassiker eine Choreografie. Nach dieser optischen Aktion war es aber die Nordtribüne, wo mit der «Northernwall» ein noch junger Zusammenschluss die Stimmungshoheit fortan inne hatte. Wie so oft kochen auch in Bandung die verschiedenen Gruppen (VPC, NW, Ultras, Bomber) innerhalb der «Bobotoh» – wie sich die Anhänger Persibs nennen – ihren eigenen Stimmungsbrei, sodass erst das gemeinsam gesungene «Persib Road» das riesige Potenzial einer geeinten «Flower City» erahnen liess.

Kurz nach dem Schlusspfiff kehrte das mulmige Gefühl in meine Magengegend zurück, das ich am Beitragsanfang beschrieben hatte. Diesmal aber war der Grund dafür die beachtliche Geschwindigkeit mit dem das Motorrad unterwegs war, auf dessen Rücksitz ich Platz genommen hatte. Trotz vom Monsun überschwemmten Nebenstrassen brachte mich Persibs Pressechef höchstpersönlich sicher zurück zum Bahnhof, wo ich kurz darauf den Nachtzug nach Jogjakarta bestieg.


Barnsley FC - Bolton Wanderers

«Barnsley is a shithole, I wanna go home», hallt es durch das Oakwell. Der in England weitverbreitete Fangesang hat im Fall der Gästeanhänger aus Bolton durchaus seine Berechtigung, wie mir ein Stadtrundgang vor der Partie offenbarte. Vielleicht ist es Demut, dass der Klub aus dem Süden Yorkshires deshalb auf den Übernamen «Tykes» hört, was einen ungepflegten, sparsamen Proletarier aus der Region beschreibt und auf die Zeit Barnsleys als Zentrum des Steinkohlebergbaus zurückgeht.

Zur sportlich zuletzt bescheidenen Situation mit dem Abstieg in die dritte Liga und der strategisch ungünstigen Lage zwischen den Fussball-Zentren Leeds und Sheffield gesellt sich ein bescheidenes Palmarès mit dem FA-Cup-Sieg 1912 und dem Gewinn der EFL-Trophy 2016 als einzige Titel. Schwer nachvollziehbar also, wieso mit der Pacific Media Group eine gewinnorientierte Investorengruppe beschloss, am Barnsley FC Anteile zu erwerben, wie sie es zuvor beispielsweise schon in Nancy, Thun oder Kaiserslautern getan hatte.

Im Verfolgerduell der League One entscheiden eine Notbremse und der daraus resultierende Penalty die Partie bereits nach 12 Minuten. Mit der Führung im Rücken gibt Bolton das Zepter nicht mehr aus der Hand und darf kurz vor dem Seitenwechsel gar das zweite Gastgeschenk in Empfang nehmen: Überbringer ist diesmal Barnsley-Goalie Bradley Collins, der sich nach einem haarsträubenden Fehler erneut geschlagen geben muss. Die Hausherren raffen sich nach der Pause zwar nochmals auf, die Hypothek entpuppt sich vor 13’913 Zuschauern aber als zu gross. So erzielen die Wanderers mit einem Konter zum 0:3 aus Sicht Barnsleys eine Viertelstunde vor Schluss den Endstand.


Grimsby Town - Stockport County

Grimsby Town verkörpert innerhalb des englischen Profifussballs den Inbegriff von Unattraktivität. Seit 20 Jahren pendelt der Klub zwischen der vierten und fünften Liga, die wenigen Erfolge liegen schon Dekaden zurück, das Stadion ist veraltet und kaum ein auswärtiger Fan nimmt die Reise in die abgelegene Hafenstadt gerne auf sich. Vielleicht verspüre ich gerade deshalb seit einem Gastspiel der «Mariners» in Luton gewissen Reiz, dem Ort einen Besuch abzustatten, den Sacha Baron Cohen in seinem Film «The Brothers Grimsby» einst als Zwillingsstadt von Tschernobyl bezeichnete.

Meine Vorstellungen von der rauen und windigen Ostküste Englands manifestieren sich schon auf dem kurzen Weg vom Bahnhof zum Hotel, als mich die grasrauchende Trainerhosenjugend kritisch mustert. Der anschliessende Check-in findet an der hoteleigenen Bar statt. «You had a good Christmas? Naah, mate», vernehme ich vom anderen Ende des Tresens, während ein älterer Herr die von mir hervorgerufene Ablenkung der Bardame ausnutzt und sich mit einiger Mühe gleich selbst ein Guinness zapft.

«Same shit, different year»

Englischer Viertliga-Fussball definiert sich primär über den Kampf und lässt für gewöhnlich keinen Platz für Ästhetik. In Grimsby gesellen sich zu dieser Tatsache sieben wenig filigrane Defensivspieler in der Startaufstellung und ein tiefer, schlammiger Platz. Bereits Standardsituationen auf Höhe der Mittellinie werden als Torchancen ausgelegt und der Ball meist in hohem Bogen in den Strafraum bugsiert.

All das führt dazu, dass sich ein Grossteil der 6490 Zuschauer zu griesgrämigen Pessimisten entwickelt hat, wie das «Same shit, different year» aus dem Mund des Jünglings auf dem Sitz neben mir nach zwei Spielminuten eindrücklich unterstreicht. Tatsächlich ist es ein weiter Einwurf, der beim 1:0-Heimsieg über Stockport County den Anwesenden die einzige positive Gefühlsregung abgewinnt.

Sehenswert ist bei Grimsby Town mit seiner alten Haupttribüne und der schönen Aussicht auf die Nordsee einzig der Blundell Park – und der liegt streng genommen im benachbarten Cleethorpes.


Lincoln City - Bolton Wanderers

Pünktlich zum Jahresende hat die «Cancel Culture» auch das englische Schienennetz erreicht. Der Post-Brexit-Streik verschiedener Betreibergesellschaften hat in meinem Fall eine siebenstündige Odyssee von Blackpool nach Lincoln zur Folge und offenbart drei Erkenntnisse: Ich habe die Privatisierung relevanter Verkehrszweige stets zurecht kritisiert, der durchschnittliche Engländer verhält sich im Zug lauter als im Stadion und mein ausgeprägter Sarkasmus wird – wenn überhaupt – von 75-jährigen Ehemännern verstanden.

130 Kilometer nördlich von Cambridge und 58 Partien nach dem Auftakt in der Universitätsstadt endet mein Fussballjahr wiederum mit einem Besuch bei einem englischen Drittligisten. Tatsächlich hält der Abschluss einen raren Moment totaler innerer Zufriedenheit bereit: ein Beobachten des Gewusels vor den Stadioneingängen. Kindische Väter, die ihren Lieblingsklub auch dem desinteressierten und vor Kälte schlotternden Nachwuchs aufzwingen wollen, vorlaute Mittdreissiger-Gruppen, die mit einem Bier in der Hand Spielsystem und Trainer kritisieren oder unverwüstliche Senioren, die sich ungeachtet der Schlange hinter ihnen seelenruhig mit der Kassiererin der Würstchenbude unterhalten.

Aus der Zeit gefallen

Auch die Spielstätte versprüht mit ihrer alten Anzeigetafel und den unbequemen Ersatzbänken viel Charme. Einen Blickfang stellt die verhältnismässig kleine Haupttribüne dar. Aufgrund des Abstiegs von Lincoln City aus der EFL zum Zeitpunkt des Baus 1987 wurde sie bewusst kleiner gehalten und fällt 35 Jahre später in Zeiten der Drittklassigkeit aus dem Rahmen. Die vielen in Gelb gehaltenen Treppenaufgänge verleihen ihr zusätzliche Charakteristik. Insgesamt besteht die Sincil Bank aus sechs eigenständigen Tribünen, wobei die Gästefans derzeit auf dem «Stacey West Stand» Platz finden, der an Bill Stacey und Jim West erinnert. Die beiden Lincoln-Anhänger verloren 1985 beim Gastspiel ihres Klubs in Bradford gemeinsam mit 54 weiteren Personen bei der Valley-Parade-Feuerkatastrophe ihr Leben.

Die 9074 Zuschauer, darunter eine vierstellige Anzahl aus Bolton, sehen eine hitzige Partie, in der nach dem Seitenwechsel mit dem Ausgleich der Gäste und einem Platzverweis gegen Lincoln die Machtverhältnisse schlagartig kippen. Die «Imps» überstehen eine intensive Schlussphase mit diversen Raufereien aber schadlos und können das 1:1 schliesslich über die Zeit retten.

Während diese Blogpräsenz primär schwärmerisch über Fankurven und Fussballstadien berichtet, kommt es an dieser Stelle zu einer Ausnahme. Grund dafür ist die Kathedrale Lincolns, die auf dem Castle Hill die Krönung einer schmucken Altstadt darstellt. Es kommt angesichts der unglaublich vielen architektonischen Details und Verzierungen beinahe einer Beleidigung gleich, dass ein nur etwa 30 Zentimeter grosser Neidkopf (zu Englisch «Imp») in einer hinteren Ecke des Kirchenschiffs als Hauptsehenswürdigkeit gilt und auch den lokalen Fussballklub bei der Logowahl inspiriert hat.


Blackpool FC - Sheffield United

Eine zügige Bise lässt die Gischt der Irischen See weit über die Ufer treten. Die wenigen Spaziergänger, die nicht in einem Pub oder in einer Spielhalle Zuflucht gefunden haben, gehen zügigen Schrittes und haben ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen.

Von einem «Pleasure Beach», wie es der gleichnamige Freizeitpark im Süden Blackpools verspricht, ist die Stadt zumindest Ende Dezember weit entfernt. Vielmehr stellt die Szenerie ein Abbild für den wirtschaftlichen Zerfall der 140’000-Einwohner-Gemeinde an der Westküste Englands dar, die innert wenigen Jahrzehnten von der einstigen Tourismushochburg zu einer den ärmsten Städten des Landes verkommen ist.

Ablenkung stiftet den Einheimischen nebst den erschreckend gut besuchten Spielsalons auch der lokale Blackpool FC, besonders seit Simon Sadler ihn 2019 aus den Fängen der Oyston-Familie befreit hat. Zuvor war der Klub über drei Dekaden erst von Familienoberhaupt Owen und nach dessen Schuldspruch in einem Vergewaltigungsfall von seiner Frau und schliesslich von ihrem Sohn mehr schlecht als recht geführt worden. In den Jahrzehnten bereicherte sich die Familie zudem mit rund 27 Millionen Pfund aus den Klubkassen.

Mut- und glücklose Hausherren

«It’s not bad, it just needs to be better», lautet das treffende Fazit eines Blackpool-Fans zur Halbzeitpause. Seine «Seasiders» zeigen gegen den Favoriten aus Sheffield, der sich anschickt in die Premier League zurückzukehren, das typische Spiel eines verunsicherten Teams im Tabellenkeller: kaum Kontrolle über das Mittelfeld, Fehler in den unpassendsten Momenten, stets einen Schritt zu spät und bemüht, aber doch glücklos. Auch in der Offensive agiert der abstiegsbedrohte Zweitligist vor 13’295 Zuschauern wenig zwingend und operiert stets mit (zu) langen Bällen.

Obschon für Blackpool das West-Lancashire-Derby gegen Preston North End noch mehr Zündstoff bietet, erreicht die Stimmung auch gegen die von 3500 Gästefans begleiteten Stahlstädter ein konstant gutes Niveau. Immer wieder liefern sich die Anhängerschaften auf der Nord- und der provisorischen Osttribüne – ein Überbleibsel aus der einzigen Premier-League-Saison 2010/11 – ein stimmliches Duell.

Derzeit müssen sich die «Tangerines» aber eher in Richtung Drittklassigkeit orientieren, glänzt bei Sheffield doch einmal mehr Iliman Ndiaye mit zwei Assists, was für Blackpool trotz des Anschlusstreffers eine 1:2-Niederlage zur Folge hat.