Auf den Tag genau elf Jahre nach dem Europa-League-Auftritt in Swansea gastiert der FCSG wieder in einer europäischen Gruppenphase. Dies realisiere ich am Vorabend der Abreise, während ich – wie der Schüler von damals – meinen Reiseproviant packe. Wehmütig suche ich nach Parallelen und Entwicklungen – und stelle fest: St. Gallen ist noch immer eine kleine Stadt mit grossen Träumen, auch wenn sie im Vergleich zum Duell mit den Walisern auf internationaler Ebene mittlerweile einen Wettbewerb tiefer und gegen scheinbar weniger ruhmreiche Gegner zu Werke geht.
Dafür überzeugt mit Brügge – wie in den Runden zuvor – die Reisedestination. Zwischen «Vlaamse Frites», belgischem Hausbier und mit Schokolade überzogenen Waffeln dominiert in den Gassen um den Burgplatz und den «Grote Markt» am Spieltag bereits zur Mittagszeit die grün-weisse Glückseligkeit. Wer sich nicht den kulinarischen Versuchungen der 120’000-Einwohner-Stadt in Westflandern hingibt, geniesst bei bestem Herbstwetter den Blick vom Rosenkranzkai auf den Belfort, oder jener von der Bonifatiusbrücke auf die Liebfrauenkirche. Kein Wunder zählt das mittelalterliche Zentrum Brügges mit seinen Kanälen seit der Jahrtausendwende zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Weniger ästhetisch präsentiert sich die Spielstätte am westlichen Stadtrand. Von Beton dominiert, erinnert der Bau eher an das Stadion in Salerno als an einen renovierten Austragungsort der EM 2000. Weil sich nebst der belgischen Regierung bei den damaligen Renovationskosten auch die Flämische Gemeinschaft beteiligte, trägt die Heimat der beiden lokalen Erstligisten den Namen Jan-Breydel-Stadion, der auf Jan Breydel zurückgeht, der 1309 den städtischen Aufstand gegen den französischen König angeführt hatte.
Wie die Ostschweizer spielt auch Cercle in dieser Saison die bisher längste Europapokal-Kampagne seiner Geschichte, die bis ins Jahr 1899 zurückreicht. Trotz der überschaubaren Anhängerschaft ist der Klub ein wahrer Traditionsverein, was auch die Matrikelnummer 12 belegt, die jeder belgischer Fussballklub vom Verband auf Basis seines Gründungsjahres zugewiesen bekommt. Auch der Trophäenschrank der Belgier ist ähnlich leer und verstaubt wie jener des FCSG, liegen die einzigen drei Meistertitel – nebst zwei Pokalsiegen – doch fast ein Jahrhundert zurück. Für frischen Glanz sollte vor zwei Jahren das Rebranding durch eine lokale Agentur sorgen, die das bereits gewöhnungsbedürftige Klubwappen mit einem Kalligramm im schrillen Grünton aber weiter verunstaltet und die Fangemeinde damit entrüstet hatte. Diese spielt – wie auch der Klub selbst – in der Stadt hinter dem Rivalen Club Brügge nur die zweite Geige. Der Name von Cercle geht auf die Gründerväter zurück, die sich der Bedeutung des französischen Wortes für «Kreis» im Kontext einer «Gemeinschaft» bedienten.
Für den FC St. Gallen und seine 1500 mitgereisten Fans, die sich nach den gelungenen Auftritten in der Qualifikation zur Conference League auch zum Auftakt der Ligaphase Chancen ausgerechnet hatten, setzte es in Brügge einen herben Dämpfer ab. Die Grün-Weissen schienen die Belgier nach deren bescheidenem Saisonstart unterschätzt zu haben und die Partie war nach der frühen Führung vor 5395 Zuschauer bereits nach wenigen Minuten entschieden. Bis zum Schlusspfiff schraubte Cercle das Verdikt auf 6:2 Tore. Immerhin bleiben dem FC St. Gallen dieses Mal gleich fünf Partien Zeit für eine Korrektur.