Müsste ich mich auf ein Duell beschränken, das in Deutschland auf Fanebene die grösste Brisanz aufweist, es wäre das Aufeinandertreffen zwischen Hansa Rostock und der Sportgemeinschaft aus Dresden. Beide Klubs verfügen über eine Anhängerschaft, welche die deutsche Fanlandschaft mitprägt – auf und neben den Rängen sowie an den Wänden. Wesentlich objektiver ist die Bezeichnung der Partie als «grösstes Ostduell», zumal die beiden die einzigen Klubs waren, die in der Premierensaison nach der Wende in der 1. Bundesliga antraten. Während Hansa dieses Kunststück im 21. Jahrhundert zu wiederholen vermochte, bleibt Dynamo immerhin der Titel des erfolgreichsten Ostvereins mit kumuliert 15 Siegen im FDGB-Pokal und in der DDR-Oberliga.

Für Menschen, die ihre Freizeit damit verbringen, in Kreuzworträtseln die internationale Fanfreundschaft von Ingolstadt (Caen) einzutragen, sind die Klubs aber primär aufgrund der Machenschaften der beiden Fanszenen, angeführt von den Suptras Rostock und den Ultras Dynamo, bekannt. Bereits das Hinspiel in Sachsen war durch eine grosse Zahl Frühaufsteher aus Mecklenburg-Vorpommern in den Morgenstunden lanciert worden – eine Revanche für den Dresdner Besuch in Warnemünde vor einem Jahrzehnt. Auch im Stadion geizten die Rostocker im Hinspiel nicht mit Sticheleien und führten diese heuer fort. Nebst dem Vorwurf der Nutzung von KI-Bildgenerierungstools für Choreografien äusserte sich die Südtribüne im Infozine «Greif zu» zur Social-Media-Inszenierung des K-Blocks kritisch. Da im Rostocker Selbstverständnis kein Platz für Fanfreundschaften bleibt, griffen die Autoren auch die Dresdner Kontaktfreudigkeit auf und stellten das neue Bündnis zu Motor Lublin dem mittlerweile aufgelösten zum GKS Katowice gegenüber.

Tatsächlich transportiert die Rostocker Fanszene für Aussenstehende eine starke Kompromiss- und Bedingungslosigkeit, die im Stadionumfeld von Sprüchen wie «Wenn ich zwei Leben hätte, würden beide dir gehören» oder dem bekannten «Alles für den FCH» untermauert werden. In meinen Augen offenbart diese Gesinnung, die unbestritten Eindruck verschafft, auch eine verletzliche Seite, die ostdeutsche Menschen und Fanszenen nach der Wende und der Abwanderung vieler in den Westen zu verbinden scheint. Dass diese Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Mentalität nicht mit dem Mauerfall endete, zeigten nebst den schlagkräftigen Ultra-Gruppierungen in anderem Kontext auch die Bundestagswahlen am Folgetag.

Die östliche Prägung bestätigt auch ein Blick auf die beiden Fankurven. Statt Fahnen und Folklore sind Klatscheinlagen und kurze, aber sehr laute Fangesänge Trumpf. Besonders auf Seiten der Dresdner scheint der polnische Stil mit martialischer Aussendarstellung und langen Pausen zwischen den Liedern immer stärker Einzug in die Supportbemühungen zu halten. Den Vorwurf, Künstliche Intelligenz als Inspirationsquelle zu nutzen, konterten sie hingegen mit einem gelungenen Spruchband, welches das Wort Handarbeit um eine Deutungsdimension erweiterte und auf einige Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit abseits des Spielfelds anspielte.

Auch aus fussballerischer Sicht bot die drittklassige Partie im ausverkauften Ostseestadion eine vielversprechende Ausgangslage. Während die Kogge nach einem Schuss vor den Bug in Mannheim auf Wiedergutmachung aus war, reiste Dynamo mit breiter Brust und auf einem Aufstiegsplatz stehend zum Absteiger. Vom Fehltritt beim Waldhof war wenig zu spüren und so sahen 26‘000 Zuschauer aufopferungsvolle Hanseaten, die das frühe 1:0 bis zum Schlusspfiff zu konservieren vermochten. Eine beeindruckende Auslastung im Jahr des 60-jährigen Bestehens des FCH, besonders, wenn man bedenkt, dass der Klub vor einer Dekade gegen unattraktive Gegner noch vor drei Mal weniger Publikum gespielt hatte.

Dass ein Teil der Anwesenden einzig im Duell mit St. Pauli noch mehr Abneigung verspürt, zeigte sich vor Beginn der 2. Halbzeit, als die Gästefans gleich von zwei Seiten mehrere Minuten mittels Feuerwerkskörper unter Beschuss genommen wurden. Die Reaktion aus dem Gästeblock liess nicht lange auf sich warten: Aus den unteren Reihen stürmten Personen hinter die Tribüne, wo sie das Tor in Richtung Südtribüne zu öffnen versuchten, sich aber nur Ordner und der Polizei gegenüberstehen sahen.

Ausschreitungen werden in Rostock auch durch die Einteilung der Sektoren befeuert, zumal der Gästeblock ebenfalls im Süden und damit unmittelbar neben dem Standort der Fanszene des FCH liegt. Auch vom zweiten Stimmungszentrum aus, dem Block 9A, ist es ein leichtes, über die Osttribüne bis wenige Meter vor den Gästeblock zu gelangen. Die spezielle Situation ist historisch bedingt und gründet nebst dem Neubau des Stadions auf dem Umzug von Teilen der Fanszene aus dem Nordosten in den Sektor 27A, wo auch die Suptras entstanden und in den Folgejahren stets gewachsen sind. Weil eine Rückkehr auf die Nordtribüne seitens des Vereins aufgrund von bereits vergebenen Dauerkarten scheiterte, etablierte sich das neue Stimmungszentrum im Süden über die Jahre und grenzt seither an den permanenten Pufferblock.

Die dortigen Sitzschalen und das Stahlnetz stehen stellvertretend für den schmalen Grat in Rostock zwischen grandiosem Support und verantwortungslosem Rowdytum. Diese Ohnmacht teilt die Vereinsführung, dessen Aufsichtsrat mit Sebastian Eggert der Suptras-Mitgründer und ehemalige Vorsänger vorsteht, mit Teilen der Fanszene, etwa wenn nach einer Woche Kampfsporttraining das Porzellan in den Toiletten der Gästeblöcke als einziger Gegner bereitsteht.