Der Sachsenpokal weist für den FC Lokomotive Leipzig besonders in dieser Saison nicht annähernd die Gewichtigkeit der Liga auf. Dennoch steht «die Loksche» im Final des Verbandspokals, wo im heimischen Bruno-Plache-Stadion der Drittligist aus Aue als Gegner wartet. Der Rasen liegt im weitläufigen Rund weit entfernt und die Flutlichter im Innenraum versperren einem die Sicht. Die Spielstätte jedoch versprüht ihren eigenen Charme. Die 1932 errichtete Holztribüne ist noch immer erhalten und Lok verzeichnet mit 12’154 Zuschauern, darunter 2’000 Gäste aus dem Erzgebirge, eine der höchsten Zuschauerzahlen im 21. Jahrhundert – auch dank einer Zusatztribüne.
Während die Spielstätte eine Konstante bildet, ist der Klub in seiner Geschichte vielen Änderungen unterworfen. Der erste Verein wurde 1893 als VfB Leipzig gegründet und feierte als Deutscher Meister 1903, 1906 und 1913 früh grosse Erfolge. Im Zuge der Restrukturierung des ostdeutschen Fussballs wurden in den 1960er-Jahren mehrere Vereine zusammengelegt und schliesslich der FC Lokomotive Leipzig gegründet, der sich als Nachfolgeverein des VfB verstand. In der Zeit der DDR gehörte Lok als Betriebssportgemeinschaft der Deutschen Reichsbahn zu den erfolgreichsten Vereinen des Landes und konnte insgesamt 77 Spiele auf internationaler Bühne vorweisen – 1987 stand Lok gar im Final des Europapokals der Pokalsieger.
Nach der Wende fiel diese Verbindung weg. Lok nannte sich wieder VfB Leipzig, um an die frühere Zeit anzuknüpfen und unter dem traditionsreichen Namen den Klub zu etablieren. Ein Vorhaben, das scheiterte und nach zwei Insolvenzverfahren schliesslich 2004 sein Ende fand. Die Auflösung hatte sich abgezeichnet, weshalb einige Fans bereits im Vorjahr den FC Lokomotive Leipzig neugründeten und in der untersten Spielklasse wiederbegannen – ein ähnlicher Weg, den auch Stadtrivale Chemie einst beschritt. Rasche Aufstiege und der Zusammenschluss mit einem höher spielenden Verein ermöglichten den Sachsen den schnellen Weg zurück bis in die Regionalliga Nordost. Dort sicherte sich Lok in der Saison 2024/25 souverän den Meistertitel, ist aber aufgrund einer weiter ausbleibenden Regionalliga-Reform noch nicht sicher aufgestiegen. In der Relegation gegen den TSV Havelse spielen die beiden Meister ihrer Staffeln den letzten Aufsteiger in die 3. Liga aus.
Für das erste Endspiel, quasi die Generalprobe im Pokal, war der Rahmen bereits würdig. Schönstes Wetter, der Paragraph 31 des sächsischen Polizeigesetzes wird im Innenraum von einem nervösen Beamten gleich zwei Mal vorgelesen, Helikopter kreisen über dem Stadion, Choreografien auf beiden Seiten, dazu die alte Anzeigetafel sowie die Stehtraversen und die Leute auf den Gittern – ein Hauch vergangener Zeiten weht durch den Stadtteil Probstheida.
Dass im Südosten von Leipzig aber auch andere Zeiten angebrochen sind, unterstreichen Teile der Fanszene. Eine Freundschaft zum italienischen Fanverein Ideale Bari Calcio, reflektierte Aussagen auf der Webseite und im stets schön gestalteten «Leiden des jungen Bahnwärters» zeigen, dass der Ruf der Lokisten nicht mehr der Wirklichkeit entspricht – trotz Gegenwind in den eigenen Reihen (Banda Resoluta) und einem breiten Restpublikum, das mit blau-gelber Ultrà-Kultur wenig anfangen kann. Auch die Bildsprache – Fotografengrüsse an Fräulein Katzenhaar – sowie der dunkle Gelbton und die spezielle Schriftart der Ultras-Zaunfahne verdienen ästhetische Bestnoten. Schade, dass sich dieselbe Gruppe mit einem Spruchband im Verlauf des Spiels selbst diskreditierte, als sie in plumper Weise das abgebrannte Affenhaus im Krefelder Zoo, bei dem an Silvester 2019 fünfzig Tiere ihr Leben verloren hatten, mit einem jüngst durch Wismut-Fans verursachten Brand auf dem Stadiondach in Aue verglich.
Die Partie gegen die Schachter entpuppte sich als der erwartete Härtetest vor den beiden undankbaren Aufstiegsspielen nach einer Ausnahmesaison. Die Leipziger bestanden ihn – nach torlosen 90 Minuten und einer chancenarmen Verlängerung. In der Entscheidung im Elfmeterschiessen gewannen sie knapp mit 6:5. Darauf folgte kollektiver Freudentaumel und ein Platzsturm – es sollte der einzige der Saison bleiben.