Der Weg einmal quer von West nach Ost reicht in Deutschland für eine kulturelle Zeitreise. Zwar dauert die Fahrt von Bochum nach Magdeburg mit dem Zug nur gut drei Stunden, doch angekommen im ehemaligen DDR-Gebiet zeigen sich noch heute Unterschiede. Nichtsdestotrotz: Das Stadtzentrum kommt einladend daher und besonders der Alte Markt mag zu gefallen. Da die Uhr bereits gegen Mittag zuging, liessen sich Cédric und ich in einem Biergarten nieder. Der anschliessende Weg per Tram zum Stadion führt über die Elbe und wir hatten beinahe das Gefühl, dass am heutigen Tage ausschliesslich Fussballfans den Weg aus der Haustüre gefunden haben. Und dies obwohl die Sonne über ganz Sachsen-Anhalt steht.

Dass abertausende Anhänger am frühen Sonntagnachmittag den Weg in Richtung Heinz-Krügel-Stadion antreten, war jedoch nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren spielte der einst so erfolgreiche Verein in den Niederungen des Amateurfussballs. Grund dafür waren nicht etwa die sportlich ungenügenden Leistungen, sondern eine Insolvenz, die den Verein aus der Ottostadt nahe an den Abgrund trieb. Seit der Spielzeit 15/16 ist der 1. FCM wieder in der 3. Liga und damit im Profifussball vertreten, wo die Blau-Weissen stets dem vorderen Drittel der Tabelle angehören. Auch dieses Jahr dürfen sich die Jungs aus Sachsen-Anhalt gewisse Chancen auf den Aufstieg in die zweite Bundesliga ausrechnen. Am Stadion angekommen, sind bereits gravierende Unterschiede gegenüber dem Supercup-Spiel am gestrigen Abend in Dortmund zu erkennen. Der Kontrast erstreckt sich nicht nur über die sprachlichen Begebenheiten, sondern vor allem über das Fussballpublikum selbst. Kaum einer trägt hier kein blau-weisses Shirt. Wer Fussball als Konsumgut sieht, ist am falschen Ort. Keine Touristen, Hipster oder arrogante Jugendliche mit zerrissenen Röhrenjeans und der Freundin im Arm sind zugegen. Nein, das hier ist der raue Osten! Genauso wie ich ihn mag. Und darum überrascht auch das Gezeigte auf den Rängen nicht mehr grossartig. Eine unglaublich hohe Mitmachquote, viel Bewegung in den Blöcken und oftmals wird auch die Gegen- und Haupttribüne in die Gesänge miteinbezogen. Neben der eindrücklichen Schalparade und der Hymne zum Spielbeginn gibt es im Anschluss Melodien auf das Ohr, welche auch ich als mittlerweile geübter Fussballfan das erste Mal in einem Stadion hörte. Hier wird noch Fussball und nicht der Event gelebt, ich ziehe den Hut.

Zwar ist mit Würzburg der Absteiger zu Gast, jedoch spielt von Beginn an nur Magdeburg. Die frühe Führung zugunsten der Gastgeber ist die logische Folge darauf. 15’922 Zuschauer sind völlig aus dem Häuschen. Welche Stimmung herrscht hier denn bei einem Ostklassiker? Unglaublich. Wer den Block U, das Stimmungszentrum der Magdeburg-Fans, näher betrachtet, sieht die Spalterflagge am Zaun hängen. Die Vergangenheit hinterlässt auch im Stadion prägende Spuren. Auf dem Rasen kann Magdeburg den Vorsprung im Laufe des Spiels ausbauen, in der Schlussphase fällt allerdings der Anschlusstreffer zum verdienten 2:1. Durch eine couragierte Leistung bis zum Schluss bleiben die drei Punkte heute aber in Sachsen-Anhalt.

Im Block der Würzburger fand sich eine Hundertschaft an mitgereisten Fans ein, die ihr Auftreten getreu dem Motto „Würzburg asozial“ auslegten. Reine Selbstinszenierung einer Szene, der ich wenig abzugewinnen weiss. Und wer denkt, dass wir als „Fussballtouristen“ im Osten auf der Tribüne gross hätten Acht geben müssen, sah sich getäuscht. Im Gegenteil, wir wurden von unseren Sitznachbarn herzlich aufgenommen und Cédric bekam sogar einen Schal geschenkt. Dessen Aufschrift? «FC Magdeburg – alles andere ist nur Fussball.»