Ein gefrorener Untergrund und die für eine Inbetriebnahme zu teure Rasenheizung führten dazu, dass auch das 110. Thüringenderby von Kontroversen begleitet wurde. Bereits das Hinspiel im letzten Herbst hatte nämlich mit einer ursprünglichen Ansetzung unter der Woche um 17 Uhr heftige Proteste ausgelöst. Und so witterten viele Fans auch bei der neuerlichen Absage im Februar Kalkül – besonders, da zum besagten Termin am Wochenende bei 13 Grad die Sonne schien. Doch wie bei vielen Ticketbesitzern fand auch bei mir der Nachholtermin eineinhalb Monate später erneut den Weg in den Kalender, und ich schlug zeitig im Zentrum Thüringens auf. Die 220’000 Einwohner beherbergende Landeshauptstadt hält mit der Krämerbrücke, dem Dom und der Severikirche sowie einer historischen Altstadt schliesslich eine Vielzahl an Sehenswürdigkeiten bereit.
Weniger rosig sind die Aussichten beim lokalen Viertligisten, der trotz einer ordentlichen Saison bereits die Kaderplanung für die kommende Spielzeit andenken kann. Während an der Spitze der Regionalliga Nordost mit komfortablem Vorsprung der FC Lokomotive Leipzig steht, ging es in diesem Verfolgerduell einzig um die Vorherrschaft im Bundesland. Das Steigerwaldstadion war mit 15’040 Zuschauern dennoch ausverkauft – auch dank einer Sondergenehmigung für die sonst geschlossene Westtribüne. Die markante Dachkonstruktion ebenjener Tribüne ist nur eines der Merkmale, die dem Stadion seinen Charakter verleihen. Da der Stadt das Geld für die Sanierung der letzten historischen Tribüne fehlt, bleibt das Achteck als solches ebenso bestehen wie die Flutlichter aus früheren Tagen. Die Elf aus Erfurt kam mit der grossen Kulisse besser zurecht und bedankte sich für die gelungene Choreografie der Steigerwaldkurve – die auf fünf realen Inszenierungen an regionalen Sehenswürdigkeiten basierte – mit einer fulminanten ersten Halbzeit und drei Treffern. Am Ende stand mit einem 3:1 ein hochverdienter Triumph gegen den Lokalmatadoren zu Buche – der erste seit über acht Jahren.
Die lange Durststrecke war dem Fanblock unter der Leitung der «Erfordia Ultras», über dessen Zaunfahne die Ultras aus Groningen anflaggten, allerdings nicht anzumerken. Zwar zeigte die Kurve besonders bei Klatscheinlagen eine hohe Mitmachquote und zum Start in den zweiten Durchgang auch eine sehenswerte Pyroshow – die ganz grossen Euphoriemomente blieben dem Auftritt jedoch verwehrt. Nichtsdestotrotz scheint in Erfurt eine gefestigte und standhafte Fanszene zu existieren, was auch der Umgang mit extremen politischen Strömungen unterstreicht: Das übriggebliebene Klientel der einstigen «Kategorie Erfurt» und des «Jungsturm», die Kontakte zur einschlägigen Gruppe «Animals» von ZSKA Sofia pflegen, musste mit einem Platz am Rand der Westtribüne Vorlieb nehmen.
Auch rund um das Grossprojekt «Rot-Weisse Republik», welches die Fanszene angesichts des Stadionumbaus und des gewachsenen Heimblocks lancierte, gilt es den Rot-Weissen Lob auszusprechen. Mit einer vielfältigen Kampagne – anfangs gar in Zusammenarbeit mit dem Verein – gelang es der Fanszene, Anhänger und Fanklubs aus umliegenden Dörfern und Städten mit verschiedenen Anlässen zu (re-)aktivieren, die eigenen Grenzen auszuweiten und den Klub sowie die Fankultur in ländlich geprägten Regionen Thüringens zu festigen. Auf die Reaktion der Gästefans – Anhänger des FC RWE hatten im Vorlauf des Derbys Transporter eines Paketzustellers aus der Umgebung von Jena mit Graffitis verziert – wusste die Heimseite ebenfalls prompt zu kontern.
Vor dem Stehplatzbereich des Gästeblocks hing an diesem Abend lediglich eine Zaunfahne mit der Aufschrift «Südkurve», die von einem kleinen Banner der Freunde des FSV Frankfurt überhangen wurde. Eigentlich schade, gehört die Jenaer Fanszene in meiner Wahrnehmung doch optisch zu den besten in Deutschland – auch wenn das Akronym hinter dem CHWDP-Banner etwas im Widerspruch zum selbstauferlegten Tenor der progressiven Kurve steht. Für optische Genugtuung sorgten die Gästefans stattdessen vor beiden Halbzeiten: Während sie zum Spielbeginn eine kreative Vorstellung des «Zirkus der Tricolore» ankündigten, der seine Pforten für die vermeintlich siegreichen Farben und seine Anhänger öffnete, präsentierte in der zweiten Halbzeit ein manischer Clown erbeutete Fanartikel aus Erfurt. Allgemein vermochten die rund 2’000 Fans aus Ostthüringen mit langandauernden Liedern, akustischen Spielereien und auf Trommelrhythmen abgestimmten Fahnenbewegungen zu überzeugen – auch wenn der ungünstige Spielverlauf der Kurve zuzusetzen schien.