Einfach nicht gegen ein Team aus Aserbaidschan! Am Schluss sollte die Auslosung der 2. Quali-Runde zur Conference League für den FC St. Gallen und seine Fans gar einen noch weiter entfernten Gegner bereithalten: Tobol Qostanai aus dem Norden von Kasachstan. Nebst Qostanai liegen auch Städte wie Turbat in Pakistan oder Bala Murghab in Afghanistan auf dem 63. östlichen Längengrad. Ein Pflichtspiel über 3800 Kilometer Luftlinie von der Heimat entfernt, das sind wahrlich indonesische Verhältnisse. Very nice!

Viele Jahre nämlich liessen mich Klubnamen wie Torpedo Kutaissi und Schachtjor Karaganda oder Bilder von Basler Europacup-Reisen, darunter auch nach Qostanai (sämtliche eurer Sticker und Tags wurden selbstverständlich überklebt), sehnsüchtig von Osteuropa-Erfahrungen mit «meinem» Verein träumen. Und doch ereilten mich gemischte Gefühle, als sich nach dem 2:5 von Tobol im Hinspiel beim slowakischen Vertreter aus Ruzomberok in der EL-Qualifikation eine Reise nach Kasachstan abzeichnete. Schliesslich liegt Qostanai im wenig sehenswerten und schlecht erschlossenen Norden des neuntgrössten Landes der Welt. Da wäre ein Duell mit Kairat Almaty oder Ordabassy Schymkent aus dem Süden aus kultureller und reisetechnischer Sicht vielversprechender gewesen. Auch die von Qostanai knapp zehn Autostunden entfernte Hauptstadt Astana, die den östlichsten Vertreter der Uefa-Wettbewerbe auf Klubebene in der Saison 2024/25 beherbergt, wäre einfacher zu erreichen gewesen.

Dass die kasachischen Klubs an den europäischen Wettbewerben teilnehmen dürfen, haben sie fünf Prozent ihrer Landmasse zu verdanken, die aus geografischer Sicht in Europa liegt. Der Rest zählt zu Zentralasien – so auch Qostanai, die mit einer Viertelmillion Einwohnern lediglich zwölftgrösste Stadt des Landes. Wie der FC St. Gallen ist auch Qostanai 1879 gegründet worden; von einem Generalgouverneur zu Ehren des letzten russischen Zaren. Die sowjetische Prägung und die Nähe zu Russland sind bis heute spürbar und auch die russische Grossstadt Tscheljabinsk liegt nur 300 Kilometer entfernt. Im Gegensatz zum muslimisch geprägten Kasachstan sind im Norden der 1991 gegründeten Republik die Muslime in der Minderheit und nur wenige Bewohner sprechen Kasachisch, geschweige denn Englisch.

Der nach dem städtischen Fluss benannte FC Tobol wird im Alltag kaum wahrgenommen und hat bereits fünf Umbenennungen hinter sich. Mit zwei Meistertiteln und Cupsiegen ist der Klub kein sportliches Schwergewicht und verdiente sich die Teilnahme an der Europacup-Qualifikation durch den Erfolg im Pokal im Vorjahr. Auch auf fantechnischer Ebene sind die beiden Gruppen «We are Tobol» und «10 Sever Fans» als weniger schlagkräftig als ihre Pendants aus Aktobe (13 Sector) und der einstigen Hauptstadt Almaty (Basmachi) einzuschätzen.

Nichtsdestotrotz sieht sich die Polizei dazu verpflichtet, die beiden Unterkünfte für die 130 St. Galler Fans die ganze Zeit über zu bewachen, weil sie Angriffe aus fussballfernen Teilen der wenig touristenfreundlichen Bevölkerung offenbar nicht ausschliessen. Im Stadion selbst herrscht dagegen unerwartet friedliche Stimmung und auch die im Gästesektor zahlreich präsenten Polizei- und Militärvertreter sind zu keiner Zeit auf Konfrontation aus. Nur die erntebedingte Präsenz von Kornkäfern und die nach Überschwemmungen zurückgebliebene Mückenplage sorgen dafür, dass beim 0:1 aus Sicht der Einheimischen immer wieder einer der 5842 Zuschauer wild um sich schlägt.