Nach einer kurzen Nacht erreichten Simon und ich am nächsten Morgen wieder Brüssel, wo Sightseeing auf dem Programm stand. Nebst diversen Palästen und Kirchen besuchten wir auch das Atomium und das daneben liegende Heyselstadion, wo sich vor 30 Jahren bei einer Massenpanik mit 39 Toten eine der grössten Katastrophen im Fussball ereignete.
Danach standen wir vor einer Entscheidung: Sollten wir bei Union St. Gillis, einem traditionsreichen Drittligisten aus der Innenstadt oder in Denderleeuw, ebenfalls in der dritten Liga aber etwas ausserhalb von Belgiens Hauptstadt, ein Spiel besuchen. Da wir genügend Zeit hatten entschieden wir uns für die zweite Variante und somit für das grössere der beiden Stadien. So ging es vom imposanten Atomium zurück zum Bahnhof und auf ins weniger imposante Denderleeuw, wo der Fussballclub mit dem längsten Namen der Welt beheimatet ist. Das behaupte ich zumindest, lautet der vollständige Name des Vereins doch: „Koninklijke Football Club Verbroedering Dender Eendracht Hekelgem“. Schwer zu toppen, nicht?
Zu Gast beim Sorgenkind der Liga war an diesem Sonntag der Königliche Racing Club aus Gent, der heute, zumindest wenn man der Tabelle Glauben schenkt, als Favorit antrat. Anstatt einem Auswärtssieg sahen wir allerdings einen ungefährdeten 3:0-Heimsieg gegen extrem abschlussschwache Gäste. Ein schmerzhaftes Novum brachte die Partie auch noch mit sich: In der vierten Minute musste der Schiedsrichter verarztet werden, nachdem ihn ein Befreiungsschlag eines Spielers genau an der Stelle traf, wo es uns Männern immer besonders weh tut.
Spielerisch war das Niveau etwa so, wie man es sich für eine dritte Liga in einem relativ wenig fussballbegeisterten Land vorstellt. Demnach die relativ tiefe Zuschauerzahl von nur 300 Zuschauern nicht weiter verwunderlich. Der Schauplatz der Partie ist das Florent Beeckmanstadion, ein modernes Stadion mit Platz für mehr als sechstausend Zuschauer. Und ja, die Frage, wer in der dritten Liga ein solches Stadion braucht, ist absolut berechtigt. Die Antwort darauf aber ebenso simpel: Seit der Einführung der „Youth League“, der Champions League für die Jugendmannschaften der jeweiligen Teilnehmer, trägt die Mannschaft vom RSC Anderlecht hier in UEFA-konformen Umgebung jene Spiele aus.
Zurück zum FCV Dender, wie der Verein in seiner gekürzten Form heisst. Support gab es überraschenderweise von ein paar älteren Fans, die ihre Schlachtrufe auf Englisch in die kalte Januarluft posaunten und gelegentlich die eine oder andere WC-Rolle auf das Spielfeld schmissen. Irgendwann war der gesamte 5-Meter-Raum des Gästetorhüters mit weissen Papierrollen zugedeckt, was jedoch niemand zu stören schien. Man möge sich den Wortwechsel nach einem Spiel zwischen Mutter und Tochter zu Gemüte führen. Das könnte in etwa so tönen:
Tochter: Du Mama, wo hat es denn noch WC-Papier?
Mutter: Da musst du deinen Vater fragen, der schmeisst die doch sonntags jeweils den Gästetorhütern nach, nicht?
Sehr amüsant. Im Grossen und Ganzen ist es aber ein gelungener Ausflug mit einem neuen Länderpunkt und einem sympathischen Club, der für ein Bier sage und schreibe 5.50 Euro weniger als am Vorabend (7 Euro) in Lille verlangt. Unglaublich!
Nach Spielschluss ging es für uns zurück zum Bahnhof und von dort weiter zum Flughafen, wollten wir doch so eine Stresssituation wie anfangs Monat in London verhindern. Die abschliessende Anekdote betrifft den Heimflug, bei dem ich genau neben demselben Typen sass, wie schon beim Hinflug. So kamen wir ins Gespräch und er erzählte, dass er das Wochenende in Brügge verbracht hatte und diese Stadt sehr empfehle. Ja mein Freund, Brügge wäre eigentlich auch unser Ziel gewesen; womit wir wieder bei meiner Initiative für fangerechte Anspielzeiten sind.