Für all die vielen unpassenden Terminierungen in den letzten Jahren konnte sich der Spielplangott also an diesem Wochenende erstmals revanchieren und schenkte mir neben dem morgigen Derby auch ein Heimspiel des dritten Vereins in Stockholm. Und dieser dritte Verein, die Idrottsförening (das deutsche Pendant dafür wäre der Namenszusatz Sportvereinigung) von Hammarby sollte der heimliche Star der gesamten Reise werden. Bis zum Anpfiff am späten Nachmittag unweit von meinem Nachtquartier auf der Halbinsel Södermalm würde es aber noch mehr als einen halben Tag dauern. Genügend Zeit also, um Sack und Pack im Hotel zu lassen und sich auf den Tipp eines Kollegen hin mit der T-Bana (U-Bahn in Stockholm) zur Station Slussen zu begeben. Von dort aus bringt einem nämlich ein kleiner Bus in knapp dreissig Minuten raus aus dem Zentrum Stockholms und mitten in die herrliche Natur Schwedens. So ruhig und friedlich wie es hier draussen zu- und hergeht, könnte man beinahe vergessen, dass man sich nur unweit einer Metropole befindet.
Die Haltestelle Hellasgarden bedeutete für mich auszusteigen und die kurze Strecke bis hin zum See Källtorpssjön zurückzulegen. Bereits vor dem Mittag erfreuten sich am öffentlichen Strand viele Leute einer Abkühlung. Mein Ziel war aber nicht der gut bevölkerte Strand und schon gar nicht die dortige FKK-Abteilung, nein, für mich ging es am Seeufer entlang in einer halben Stunde auf die gegenüberliegende Seite, wo man mitten in der Natur ein ruhiges Plätzchen fand, bei dem der Einstieg ins erstaunlich warme Wasser besonders einfach zu bewerkstelligen war. Pure Entspannung und eine Aussicht in den Tannenwald sowie fast keine Menschenseele um sich herum. Da tanke ich Kraft. Nachdem die Batterien wieder vollends geladen waren ging es den Hinweg im gemächlichem Tempo zurück, was mit der Stimme von Bon Iver im Ohr ebenfalls ein wunderbar effizientes Mittel ist um abzuschalten. Gerade zufällig stand beim Erreichen der Haltestelle auch schon der Bus bereit, der mich zurück ins „zivilisierte Leben“ bringen sollte. Da die Uhr am heutigen Sonntag langsamer tickte als gedacht bot sich vor der Partie noch die Möglichkeit an, ein eigentlich für morgen geplantes Prunkstück der Stadt zu besuchen. Das Stockholmer Olympiastadion und damit die alte Heimat vom Verein auf der schönen und gleichnamigen Insel Djurgarden.
Nach dem Abriss des Rasundastadions ist dies wohl noch die einzige Stadionperle, welche die schwedischen Hauptstadt zu bieten hat. Leider war die Anlage wie erwartet rundherum abgeschlossen, „echte Groundhopper“ finden aber natürlich immer einen Weg, sodass ich wenige Zeit später an der zweiten Ruheoase des Tages den wunderschönen Ausblick ins Rund genoss. Punkten kann die Spielstätte nicht nur durch ihre zwei einmaligen Wachtürme sondern auch durch schön langgezogene Sitztraversen aus Holz, die zum Teil richtig aufwendig verziert sind. Des Weiteren erinnert einem das kleine Dach auf der Haupttribüne auf irgendeine Weise an den Vorbau einer chinesischen Tempelanlage.
Bevor man allenfalls noch von einem Sicherheitsbeauftragten entdeckt wurde schlüpfte ich wieder ins Freie und machte mich nun langsam aber sicher auf den Weg zum heutigen Austragungsort der Allsvenskan-Partie. Vorbei an einigen schönen U-Bahn-Stationen ging es für einen kurzen Stopp noch einmal ins Hotel, um die Kamera zu schnappen, ehe man zurück zur U-Bahn eilte und dabei in der Hotellobby beinahe noch einen Celtic-Fan über den Haufen rannte. Dieser war hier um seine Zweitliebe Hammarby zu unterstützen. Vom morgigen Derby wusste er nichts wie sich herausstellen sollte, er versicherte mir aber, wenn der Preis stimmt doch noch hinzugehen. Mach was du willst Scotsman! Dort sei er aber gut beraten, wenn er sein Hammarby-Shirt im Hotel lassen würde, wie auch ich gut beraten war, ihm meine Rangers-Vorliebe zu verschweigen.
Obwohl der Stadionkomplex nur etwa zehn Fussminuten entfernt liegt, war man so faul und hüpfte (bin ja schliesslich Hopper höhö) für die eine Station noch in die Metro, schliesslich will man ja auch seine Access-Karte ausnützen. So heisst hier das Pendant zur Londoner Oyster Card und ist ebenfalls einfach in der Handhabung sowie auch touristenfreundlich. Vor dem heutigen Duell liegen die Widersacher der Hauptstädter auf dem guten vierten Rang, während Hammarby, nach dem Aufstieg im letzten Jahr, auf dem elften von 16 Tabellenplätzen zu finden ist. Trotz der sportlichen Belanglosigkeit in der sich der Club befindet, darf er sich ligaübergreifend über einen sehr hohen Zuspruch der Bevölkerung freuen. Hier zeigen sich bereits einige Gemeinsamkeiten zu meinem Herzensverein, dem FC St. Gallen. Nicht aus den heimischen Gefilden bekannt war mir die Dichte von Fanartikeln, die man als weiblicher Fan auf sich tragen kann. Zum Teil rechte schicke Kurzarmshirts mit der Aufschrift „Ultras Hammarby“ und definitiv nicht solch offizielle Fantrikots mit nervigen Werbebadges drauf, wie man sie von Zuhause kennt. Sah schon recht nett aus, wenn da die blonden Schwedinnen so herumliefen. Allgemein hatte der Club nur schon wegen den gleichen Farben relativ schnell Sympathien in mir geweckt. Nur die leider etwas zu ähnlichen Bierpreise verglichen mit der Heimat trübten die Romanze.
Die etwas mehr als 30’000 Zuschauer fassende Tele2Arena teilt sich Hammarby mit dem Stadtrivalen Djurgarden, der somit ebenfalls jede zweite Woche auf dem Kunstrasen im Stadion neben dem interessanten Globe, einer runden und nicht minder imposanten Eventhalle kickt. Nach der Eingangskontrolle sticht einem dann wieder die soziale Ader der Schweden in die Augen, wenn man sieht, wie sich die jüngeren Semester mit Tischfussball, Torwand schiessen oder dem Aufmalen von Schminke in der Vereinsfarben vor dem Spiel beschäftigen dürfen.
Gut eine halbe Stunde vor Anpfiff nahm ich Platz auf meinem Sitz schön mittig der Haupttribüne, dieser hatte aber auch seinen Preis. Dafür bekam man eine perfekter Sicht auf den Fansektor geliefert, dessen Revier sich nicht wie bei den Heimspielen des Kontrahenten nur auf eine Hintertorseite beschränkt, sondern auf einer Seite sogar noch um die Kurve bis beinahe zur Mittellinie hin erstreckt. Diese Kurve sorgte dann auch bereits vor Spielbeginn für den ersten positiven Eindruck, als sich der Kidsclub (aus der Bundesliga ja mittlerweile jedem bekannt) vom Pöbel mächtig feiern lassen durfte und prompt mitzog und nicht wie bei jedem anderen Trottelverein völlig abwesend und eingeschüchtert einmal fahnenschwingend im Kreis umherlief.
Als dann die von den Fans gesungene Hymne durch das mit 21’165 Zuschauer äusserst gut gefüllte Stadion dröhnte, hatte man das erste Mal Gänsehaut und auch in der Folge war die Stimmung meiner Meinung nach abgesehen von Derbypartien als eine der besten in der nördlichen Hemisphäre zu bezeichnen.
Die Gäste aus der Stadt Boras, die mit knapp 150 Gästefans im Gepäck angereist waren bestimmten zu Beginn das Geschehen, wobei aber Hammarby immerhin hinten dicht halten konnte. Bei den eigenen Angriffsbemühugnen scheiterte man aber jeweils am technischen Unvermögen einiger Akteure oder an den absolut wirren Entscheidungen des Unparteiischen, der seinen Namen heute definitiv nicht rechtzufertigen wusste. Beispielhaft dafür eine Szene in der 45. Minute, als er trotz einer Minute Nachspielzeit genau vor der Ausführung eines Freistoss von Hammarby am Sechzehner die Akteure in die Kabine bat. Kollektives Ausrasten auf den Rängen und die vier Herren wurden zurecht mit einem gellenden Pfeiffkonzert verabschiedet.
Wenn wir schon bei den Kuriositäten angelangt sind gilt es zu erwähnen, dass die Tribünen schräg verlaufen und zum Hammarby-Sektor hin noch ein stattliches Stück an Grösse zulegen. Das Schiedsrichtergespann blieb auch im zweiten Durchgang desolat, was bei gewissen Szenen manchen Zuschauer wild gestikulierend aus den Sitzen riss. Verständlich, eine solche Leistung hätte mich als Supporter wohl ebenfalls in Rage gebracht. Immerhin beschränkte sich die Unterstützung der Fans wie so oft aber nicht nur auf die Pfiffe gegen den Schiedsrichter sondern auch auf sehr lauten und durchgehenden Support. Zwar nicht die schönsten Melodien aber sicherlich Lieder mit Ohrwurm-Charakter! Trotz allem vermochten die Akteure den Ball nicht im gegnerischen Tor unterzubringen und das gefürchtete Abtraumszenario einer Nullnummer ist eingetroffen, nachdem es in den beiden vorherigen Partien noch durch äusserst späte Tore abgewendet werden konnte. Somit reisst also die 75-Spiele-Serie, die seit dem ersten Tag des Jahres und dem 0:0 zwischen Aston Villa und Crystal Palace Bestand hatte. Enttäuscht trat ich den Rückweg zum Hotel trotzdem nicht an, zu gut war die Unterstützung heute gewesen. Mir ja war aus diversen Berichten anderer Hopper klar gewesen, dass Hammarby durchaus seinen Reiz hat, aber dass der Support so nett war hätte ich nicht gedacht; vielleicht hatte ich aber auch nur Glück gehabt. Ist als Groundhopper ja immer schwierig zu sagen, wenn man nur einmal vor Ort ist.
Nach einer kurzen Verschnaufspause ging es auf den Tipp meines schwedischen Kollegen Jonas hin in Richtung Medborgarplatsen, wo tatsächlich gut etwas los war. Und so lernte man noch eine dänische Kindergartenlehrerin kennen, die vor ihrem ersten Arbeitstag noch „kurz einen Trinken“ ging. Sympathisch! Ich selbst verliebte mich ebenfalls an diesem Abend, allerdings in Briska, und nein, dies ist kein falsch geschriebener Mädchenname, sondern das beste alkoholische Getränk das ich je getrunken habe. Schlummertrunk und dann gute Nacht.