Das Derby zwischen den Nachbarn Indonesien und Malaysia im Nationalstadion zu Jakarta fungiert gleich in doppelter Hinsicht als Qualifikationshürde für einen Grossanlass. Einerseits für die fragwürdige Endrunde im Wüstenstaat Katar, andererseits für den Asiencup, mit der nicht minder zweifelhaften Volksrepublik China als Gastgeber. Zwei Ereignisse, die drei respektive vier Jahre in der Zukunft liegen, nach zwei Monaten in den hiesigen Gefilden erachte ich eine längere Vorlaufzeit aber durchaus als sinnvoll.

Für den Weg in die Hauptstadt griff ich auf das Flugzeug zurück, wobei ich verwundert war, dass in Indonesien auf Inlandflügen die Mitnahme von Getränken gestattet ist. Der Flughafen Halim im Osten ist ähnlich weit vom Stadtzentrum entfernt, wie der Flughafen Soekarno im Westen. Bei letzterem ist die Zuganbindung für den Weg von Tangerang ins Stadtzentrum, das jährlich mehr als zwanzig Zentimeter absackt, als Vorteil zu werten. Am Hotel angekommen, traf ich auf Dominik, den ich aus meiner St. Galler Schulzeit kenne. Er lebt zurzeit auf den Gili-Inseln und macht dort seinen Divemaster-Kurs. Es herrscht dicke Luft; nicht zwischen uns, sondern generell, da sich in der Nähe unseres Hotels eine der zahlreichen Abfalldeponien befindet, welche die gesamte Stadt in eine Glocke aus dichtem Smog hüllt. Dieser sorgt in Kombination mit der verruchten Skyline für eine apokalyptische Endzeitstimmung; besonders bei einem Blick aus dem Hotelzimmer im 27. Stock.

Wir springen an den Abend des Spiels, an dem wir zeitig das nach dem ehemaligen Präsidenten Sukarno benannte Stadion aufsuchen, das zahlreichen Fussballfelder umgeben. Die Einlasskontrollen präsentieren sich erstaunlich lasch, sodass wir weiterhin an unseren Wasserflaschen nuckeln dürfen, während in den Bereichen hinter dem Tor zum Einlauf der Spieler Choreografien gezeigt werden. Diejenige der führenden Gruppierung Ultras Garuda ist gar zweiteilig und geizt nicht mit Beschimpfungen an die Gäste aus Malaysia, ist von unserem Sitzplatz aus allerdings nicht ideal einsehbar. In der Folge sind sie zusammen mit La Grande Indonesia durchgehend in Bewegung. Ein Gesamtfazit ist aufgrund des immensen Lärmpegels, hervorgerufen durch die Klatschelemente, schwierig zu ziehen. Als hätte Jakarta nicht schon ein Abfallproblem…

Insgesamt sind es 54’659 Zuschauer, die eine Heimmannschaft sehen, die zweimal führt und das Spiel bis zum erneuten Ausgleich – wir schreiben die 66. Minute – im Griff hat, von nun an allerdings völlig von der Rolle ist. Scheinbar um der Mannschaft die Möglichkeit zu bieten, sich wieder zu sammeln, bewegen sich vermummte Heimfans entschlossen in Richtung Gästeblock. Das prestigeträchtige Exemplar mit der Aufschrift „Ultras Malaya“ können die dreihundert tapferen Malaien verteidigen, eine kleinere Fahne gelangt jedoch in die Hände der Angreifer und wird wenig später präsentiert. Ich atme auf, schliesslich bin ich in fünf Tagen in Kuala Lumpur zu Gast und ein Verlust genannter Zaunfahne wäre auch ein herber Verlust auf Fanebene. Auch in anderen Bereichen des Stadions gibt es auf der Laufbahn Zusammenstösse mit der Polizei, nach einer Unterbrechung wird allerdings wieder gespielt – weiter nur auf das Tor der erschöpften Gastgeber.

Tatsächlich fällt in der siebten (!) Minute der Nachspielzeit der Siegtreffer zum 2:3 zugunsten von Malaysia. Die Gästefans freuen sich gefühlte zwei Sekunden darüber, dann wird verkrampft die Zaunfahne festgehalten, da sie – wie auch ich – mit einem erneuten Angriffsversuch aus den Reihen der Ultras Garuda rechnen. Dieser blieb wider Erwarten aus und kaum war die Partie abgepfiffen, setzten die mitgereisten Malaien mit dem Stück Stoff unter dem Arm zum Sprint in Richtung Spielertunnel an. Erst Minuten später realisierten wir soeben Gesehenes. Da fürchten sich einfache Fussballfans derart, dass sie kollektiv und ohne Angst vor Konsequenzen seitens des Weltverbandes über das Spielfeld in die Katakomben ihrer Mannschaft flüchten. Hilfe von der indonesischen Polizei bekommen sie nur wenig, schliesslich haben jene als stolze Indonesier auch nur bedingt Gefallen an der Idee, für den Gegner geradezustehen. Zustände, wie sie für einen Menschen mit europäischem Grund- und Fussballverständnis schlicht unvorstellbar sind.

 

Das anschliessende Verkehrschaos mit kilometerlangen Staus gehört für uns zwei mittlerweile genauso dazu, wie das Nasi Goreng am Strassenrand zum Tagesabschluss. Es ist das indonesische Nationalgericht schlechthin, wird mit scharfem Sambal garniert und bedeutet übersetzt „gebratener Reis“. Es ist der ideale Zeitpunkt für ein kurzes Fazit zu Indonesien.

In negativer Erinnerung bleiben wird mir die schlechte Verkehrsführung und die oftmals untragbaren Strassenverhältnisse, das fehlende Verhältnis zum Plastikverbrauch, die Handysucht und teilweise mangelnde Hygiene. In den Grossstädten herrscht nebst dem Abfallproblem oftmals auch schlechte Luft, bedingt durch die Abgase und Mülldeponien. Kombiniert mit der Tatsache, dass in Indonesien satte 75% der männlichen Bevölkerung raucht, überrascht die tiefe Lebenserwartung nicht. Mit ihrer Vulkanlandschaft, der schmackhaften Küche sowie der einfachen Sprache gibt es aber auch Aspekte abseits vom Fussball, die mir in positiver Hinsicht bleiben werden. Indonesien: Ein Land, das ich an Orten weit weg von…

Am-Schulterblatt-oder-am-Fussknöchel-Tätowierten,
Weite-Hosen-Tragenden,
Europa-als-gestresst-Empfindenden,
Auf-die lokale-Küche-Schwörenden-aber-vor-einem-ästhetischen-Guacamole-Gericht-Sitzenden,
Ich-folge-Greta-Thunberg-auf-Instagram-Pseudo-Umweltschützenden,

…Pauschaltouristinnen und -touristen sowie selbst ernannten Travel-Gurus gerne wieder besuche.