Wer in der Türkei als Vertreter der «Spor Polisi» ein Fussballstadion betritt, der muss schnell sein und ein gutes Auge besitzen. Diese Eigenschaften sind aber nicht für einen polysportiven Wettkampf unter Berufskollegen relevant, sondern beim Filmen von Zuschauern, die etwa durch Becherwürfe bei Gegentoren negativ auffallen. Es ist ein bisweilen hilflos wirkendes Mittel der Exekutive im Kampf gegen Verfehlungen. Deutlich mehr erhofft sich der türkische Staat deshalb vom Passolig-System. Dieses basiert auf dem umstrittenen Paragraph 6222 des Strafgesetzbuches und reglementiert seit einer Dekade den Verkauf von Tickets in den beiden höchsten Fussballligen des Landes. Nebst administrativen Hürden wie dem verpflichtenden Online-Vorverkauf sowie dem Ausstellen von einmalig gültigen, physischen Einlassberechtigungen am Spieltag an den Stadionkassen ist das System auch aus anderen Gründen fragwürdig: Als Betreiber der Passolig-Karte, die auch als Kreditkarte figuriert, verdient die Aktif Bank viel Geld und sammelt nebenbei persönliche Daten für ihr System, das eng mit staatlichen Behörden verknüpft ist.

Der allseits präsente Nationalismus findet in Form der türkischen Hymne den Weg ins Stadioninnere hingegen problemlos und ist bei einem Süper-Lig-Vertreter besonders ausgeprägt: Istanbul Basaksehir. Dabei stellte der junge Klub noch bis vor einem Jahrzehnt lediglich die Fussballabteilung des Sportvereins der Stadtverwaltung dar, ehe er ausgegliedert, in ein Unternehmen umgewandelt, umbenannt und in die Agglomeration versetzt wurde. Zu den treibenden Kräften von damals zählt sich laut eigenen Angaben auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan – mit Vereinspräsident Göksel Gümüsdag steht dem Klub zudem bis heute ein angeheirateter Verwandter der Familie vor. So überrascht es wenig, dass die Zaunfahne in der kleinen Heimkurve auf die Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1453 referenziert und die Vorsänger eher wie AKP-Parteiabgeordnete gekleidet sind.

Das Gegenstück stellt der «Besiktas Jimnastik Kulübü» dar, der lange als Verein der Unterschicht und Arbeiterklasse galt und dessen führende Fangruppierung «Carsi» mit dem Anarchisten-Symbol im Schriftzug dies auch öffentlich zum Ausdruck bringt. Spätestens seit den Protesten um den Erhalt des Gezi-Parks im Jahr 2013 gelten ihre Vertreter als Staatsfeinde. Wegen des vermeintlichen Putschversuches mussten sich 35 Gruppenmitglieder gegen die von Seiten der Staatsanwaltschaft geforderte, lebenslange Haftstrafe behaupten.

Das nach Fatih Terim, dem langjährigen Nationaltrainer, benannte Stadion liegt an der Autobahn im Nordwesten und fällt nebst dem Namen des «Imperators» vor allem durch die ausserhalb stehenden Flutlichtmasten auf. Trotz eines 7. Zwischenrangs und des klangvollen Gegners sind an diesem Abend nur gerade 3687 Zuschauer zugegen. Eine Zahl, die noch tiefer ausfallen würde, wären nicht seit kurzer Zeit beim Stadtduellen wieder vereinzelt auswärtige Fans zugelassen. So sorgten 1500 Gästeanhänger – lediglich mit einem Banner mit der Aufschrift «Sadece Besiktas» (Nur Besiktas) im Gepäck – für Stimmung. Lange durften Alex Oxlade-Chamberlain, Milot Rashica und Portugals einstiger Europameister-Trainer Fernando Santos auf einen Auswärtssieg hoffen, ehe dem türkischen Champion von 2020 in der fünften Minute der Nachspielzeit doch noch der 1:1-Ausgleich gelang.