Kurze Nacht und lange Fahrt. Das Programm kurz zusammengefasst nach dem Derby vom Vortag. Tatsächlich sollte uns die polnische Bahn heute in etwas mehr als sechs Stunden Fahrt von Krakau nach Posen bringen, wo man dann sein Tagesziel erreicht hätte. Zu Beginn dem Unterfangen bezüglich der langen Zugfahrt noch etwas kritisch gegenüber gestanden, wurde mir das Gegenteil bewiesen. Das Gefährt war in gutem Zustand und pünktlich war man im ehemaligen Kriegsgebiet auch unterwegs. Für einen Spottpreis von umgerechnet zehn Franken darf man da definitiv nicht meckern. Hatte ich mir schlimmer vorgestellt. Lediglich das triste Landschaftsbild mit teilweise kilometerlangen Stücken verwilderter Natur und verlassenen Häusern drückte da etwas auf das Gemüt. Zumindest drei Herren mit ihrem weiblichen Gefolge ein paar Abteile nebenan liessen sich davon aber nicht beirren und begossen den Morgen bereits mit reichlich Hochprozentigem. Einen Verein konnte ich sie auf die Schnelle nicht zuordnen, zumindest am fussballerischen Rahmenprogramm sollten diese Kampfsportler jedoch durchaus interessiert sein. 😉

Kurz nach dem Mittag erreichten wir schliesslich den Hauptbahnhof „Poznan Glowny“, von wo aus es per Tram und zu Fuss bis zum Nachtquartier ging. Auf dem Weg lag noch ein sogenannter Lost Ground, also eine nicht mehr benutzte Spielstätte, die jedoch bereits so in die Hände der Natur übergegangen war, dass man keinen begehbaren Eingang mehr in die Anlage fand. Wäre von innen sicherlich nett gewesen. So erleichterte man sich im Hotel vom Gepäck und begab sich in die Innenstadt. Dort dann erst einmal kollektives Staunen. Die Altstadt mit diversen Prachtbauten tatsächlich eine der schönsten Stadtzentren, die ich bisher je gesehen habe. So verweilte unser Trio ein wenig und machte diverse Fotos, ehe man sich in einer Lokalität neben einem halben Liter Gerstensaft eine polnische Spezialität gönnte. Auch hier gewohnt tiefe Preise für umgerechnet viel Leistung.

Eilig hatte man es ja nicht, zumal man für dieses Spiel bereits im Voraus über den Onlineauftritt von Lech Poznan problemlos drei Karten für die Gegentribüne erwerben konnte. Ziemliche Diskrepanz die bei dieser Fankarten-Thematik herrscht, zumal man sich auf die neue Saison hin (nach abermaligem Zuschauerschwund) eigentlich auf eine Aufhebung geeinigt hatte. Nach dem gestrigen Spielbesuch dachte ich, dass zumindest bei Risikospielen die Karte noch im Betrieb sei, wobei das heutige Duell ja auch als solches angesehen werden kann, was meine Theorie widerlegen würde. Fest stand zumindest, dass Lechia Gdansk ziemlich wenig für Lech übrig hat, zumal Lech mit Lechia’s geografischem Nachbarn Arka aus Gdynia (Gdingen) Kontakte pflegt sowie zu Cracovia, während man in Gdansk (Danzig) wie auch in Wroclaw (Breslau) Kontakte zu Wisla pflegt. Bekanntlich der Erzfeind von Cracovia. Die ziemlich komplizierte Sache hier mit den zwei wichtigsten Dreieckverbindungen nochmals erklärt:

Lech Poznan – Arka Gdynia – Cracovia Krakow

Slask Wroclaw – Lechia Gdansk – Wisla Krakow

Somit bietet das heutige Duell indirekt auch wieder mächtig Zündstoff, zumal in Polen Fanfreundschaften richtig gross geschrieben werden. Da kann der Glubb mit seinem Turteltäubchen aus Gelsenkirchen erst einmal einpacken. Ziemlicher Zufall, dass wir bei unseren drei Partien gleich die ganze Fraktion der zweiten wichtigen Fanfreundschaft Polens allesamt als Gästeteam gesehen haben. Bei der ersten fehlte auch nur noch Arka Gdynia. Die werden dann wohl eines schönen Tages im Derby gegen Lechia Gdansk gemacht.

Aber zurück nach Posen, wo wir drei uns nach der Stärkung langsam per Strassenbahn in Richtung INEA Stadion aufmachen (nein, nicht IKEA) zum zumindest äusserlichen Pendant der Allianz Arena. Die moderne Spielstätte der Blau-Weissen wurde im Zuge der EM 2008 an den Stadtrand von Posen gepflastert und fasst ein Zuschauervermögen von über 40’000. Dies ist natürlich masslos überdimensioniert, wenn nicht gerade Legia Warschau hier zu Gast ist oder die Meisterschaft in ihre entscheidende Phase übergeht. Lech darf sich ja momentan polnischer Meister nennen. Der Zusatz Lech ist übrigens auf den Gründervater Polens zurückzuführen, was den hier stark ausgeprägten Patriotismus einmal mehr unter Beweis stellt. So verwundert es auch nicht, dass wir auf unserer ganzen Polenreise die Anzahl Dunkelhäutige die uns über den Weg liefen an einer Hand abzählen konnten. Verständlich, da gibt es sicherlich sympathischere Pflaster für jene Volksgruppe.

Vor dem Stadion dann kaum einer der nicht in blau oder weiss gekleidet war und so hatten auch wir im Vorneherein darauf geachtet, nicht unbedingt in einem grünen Outfit aufzukreuzen. In Polen fährt es sich ja grob gesagt am Sichersten, wenn man einfach ein Trikot der Nationalmannschaft trägt; damit ist man quasi überall vor Übergriffen „geschützt“.

Im Gegensatz zum Spielerischen hört man über die Fans des polnischen Meisters ja so einiges. Gewaltbereit und äusserst gefährlich seien sie. Scheint aber zumindest bei Heimspielen nicht der Fall zu sein und vor allem nicht wenn erneut keine Gästefans anreisen dürfen. Da hat die Polizei wohl weiche Knie bekommen und mir somit eine Traumquote von 2 Spielen mit genau 0 Gästefans beschert. Herrlich!

Somit war leider ein weiteres Mal die Stimmung bei uns etwas mies, spätestens als die in blau-weiss geteilte Heimkurve aber zu singen begann war diese Lethargie unsererseits aber wieder abgelegt und man ergötzte sich an den rauen Klängen polnischer Kampfsportler. Dies guten Grundes, denn was da auf dem Rasen gezeigt wurde war vor allem von den Gästen ziemlich schwach. Und so verwunderte es nicht, als Posen noch vor der Halbzeit dank einem Schuss via Innenpfosten mit einer Länge in Front ging. Damit begnügten sich die lieben Herren und Gdansk kam nach dem Seitenwechsel zum eigentlich nicht möglich gehaltenen Ausgleichstreffer.

In der Folge war wieder Poznan am Drücker, dass der Favoritenrolle gerecht werden musste und die 13’821 Zuschauer schlussendlich in der 90. Minute mit dem 2:1 erlöste. Somit war man auch wieder mit den Anhänger in Butter, die die Spieler noch lange nach Spielschluss feierten. Fantechnisch sicher ein guter Auftritt, das letzte Quäntchen Pöbel von den Gästen her hätte die Partie von der Stimmung her aber wohl auf ein noch höheres Niveau gehoben. Aber was solls, besser als der ganze Alltagssupport in der Heimat und in weiten Teilen Deutschland war es sowieso. Etwas vom Spielverlauf abgekoppelt aber richtig laut und konstant. Nach Schlusspfiff war aufgrund des Gästeverbotes keine Aktivitäten der dritten Halbzeit zu erwarten, sodass wir lediglich im Tram zurück in die Innenstadt auf unsere Kosten kamen. Es wurde gesungen und gesprungen, wobei man die Lieder entweder den Freunden aus Gdingen und Krakau widmeten oder halt dem heutigen Gegner aus Danzig.

Da man das Krakauer Nachtleben verpasst hatte, galt es heute noch einiges nachzuholen, wobei bei mir „ungewohnte Schwächen“ bezüglich dem Trinkverhalten zum Vorschein kamen, das Ganze kann aber zumindest teilweise dadurch erklärt werden, dass die beiden Herren Mirko und Jonathan beim Vortrinken im Hotel mit meinem Glas bezüglich dem Wässerchen etwas grosszügiger umgingen, als ich kurz auf die Toilette musste. Höhöhö Kindergarten. Und so entwickelte sich ein recht heiterer Abend, an dem uns irgendein Jüngling noch die nächste Diskothek zeigte, wo man bis in die frühen Morgenstunden blieb, ehe wir uns noch für zwei Stunden hinlegten. Gross etwas gerissen hatte niemand von uns, wenn dann am ehesten noch ich. Ist aber auch ein relativ heikles Pflaster, wenn man praktisch nur polnische Rüppel und Glatzköpfe als Mitstreiter hat, bleibt man da für einmal gerne etwas zurückhaltender. 😉

Der Beitrag endet hier jetzt wie er angefangen hatte, nämlich mit dem Einsteigen in den Zug und der Fahrt weiter quer durch Polen. Ziel war der Norden des Landes mit der Stadt Szczecin, wo noch mehr Fussball, Bier und schöne Stadien auf uns warteten…