Ganz anders als bei Newcastle präsentiert sich die Gemütslage momentan etwas südlich gelegen. Genauer gesagt in der Stadt Middlesbrough, wo der lokale Zweitligist in den letzten 15 Partien elf Mal als Sieger vom Platz ging. So war für den Sonntag also – zumindest in tabellarischer Hinsicht -Kontrastprogramm angesagt. Kollege Claudio musste mich leider bereits wieder verlassen, sodass es bei schönstem Wetter alleine in Richtung Süden ging.
Spätestens in Darlington konnte ich die Sonnenbrille allerdings frustriert wieder einpacken, da der Nebel die Gegend einhüllte. Dieser durfte zu allem Übel länger als vorgesehen begutachtet werden, schlussendlich reichte die Zeit trotz der Verspätung aber aus. Der gewohnt kurz ausfallende Regionalzug mit Zielort Middlesbrough war beinahe nur mit Fussballfans beider Lager inklusive einem gut gelaunten Schaffner gefüllt. Zu Zeiten einer Frontline beziehungsweise einer Service Crew auf Seiten von Leeds wäre eine solche Anreise im gleichen Zug undenkbar gewesen, doch im heutigen England wurden viele dieser „Probleme“ durch die Anziehung der Preisschraube und somit erlesenem Publikum auf groteske Art und Weise aus der Welt geschaffen. Dennoch schaue ich mit Hoffnung in die Zukunft, was die englische Fankultur betrifft, zumal sich bei jedem Verein Gruppen junger Casuals formieren, die einen erfreulichen Umschwung andeuten.
Während der Fahrt sprach mich ein offensichtlich betrunkener Boro-Supporter an, der mich für den Sänger Sam Smith hielt. Ob dies nun als Kompliment zu werten ist und woher eine allfällige Ähnlichkeit denn kommen mag, frage ich mich noch heute. Sagen wir es mal so, Smith ist sicherlich der bessere Sänger von uns. Mein Liedgut beschränkt sich ja grösstenteils auf Lieder mit Fussballbezug, darunter hat sich übrigens auch ein Boro-Song eingeschlichen.
Bekanntlich treffen heute mit Leeds und Middlesbrough zwei der reisefreudigsten und stimmungsvollsten Anhängerschaften der Insel aufeinander. Dies zeigte sich sogleich nach dem Ausstieg am Zielbahnhof, wo dank der dort herrschenden Akustik die Gästefans für einen ersten Gänsehaut-Moment sorgten.
Von da aus sind es zu Fuss knapp zehn Minuten Fussmarsch durch ein modernes Quartier, ehe der Fussgänger den Ausläufer der Nordsee und damit auch das Riverside Stadium erblickt. Jener Ort also, wo 2006 Geschichte geschrieben wurde und an den ich mich bis heute gut erinnern kann. Damals war der FC Basel im Norden Englands zu Gast. Im Rahmen des EL-Viertelfinals, damals noch unter dem Namen UEFA Cup, galt es für den FCB einen 2:0-Heimsieg über die Zeit zu bringen. Die Partie begann für den Schweizer Vertreter durch ein frühes Tor ideal und alles deutete auf ein Weiterkommen der Basler hin. Denn Middlesbrough brauchte nun ganze vier (!) Treffer in einer guten Stunde.
Und von der elektrisierenden Stimmung getragen schaffte Boro tatsächlich das Unmögliche. In der 90. Minute schossen sie das 4:1 und qualifizierten sich somit für den Halbfinal. Auch dieser konnte in ähnlicher Manier gegen Steaua Bukarest gewonnen werden, ehe man sich im Final dem spanischen Vertreter aus Sevilla schliesslich geschlagen geben musste. Mit dieser Niederlage begann die Krise und wenige Jahre später hiess es sogar „Goodbye Premier League“. Erstklassig geblieben sind einzig die Fans.
Diese machten zum Einlauf der Akteure dann mit diversen Bannern, unter anderem mit der Aufschrift „SOS Save our Steel“ auf die bedrohten Arbeitsplätze der lokalen Industriearbeiter aufmerksam. Die Stimmung war im Laufe der ersten Halbzeit das Beste, was ich auf der Insel bisher erlebt habe. Leeds hingegen lebte heute grösstenteils von ihrem Ruf und wurde beim Versuch, ihre Hymne „Marching on“ anzustimmen, wie zuletzt in Derby gnadenlos ausgebuht. Nicht nur auf den Rängen gewann Middlesbrough schnell die Oberhand, sondern auch auf dem Platz. Nachdem der erste Treffer bereits in der dritten Minute fiel, liessen sie es gemächlicher angehen und doppelten erst eine halbe Stunde später nach. Den Schlusspunkt in einer einseitigen Partie setzte Publikumsliebling Diego Fabbrini nach einem Abwehrfehler kurz vor Schluss, indem er den Torwart elegant umkurvte und zum verdienten Schlussverdikt von 3:0 einnetzte. Middlesbrough ist somit auf dem besten Weg dahin zurückzukehren, wo sie hingehören, nämlich in die Premier League. Es wäre der Region und vor allem den 27’694 Zuschauer zu gönnen, die an diesem Sonntagnachmittag hier an der Riverside für ausgelassene Stimmung sorgten.
Am Folgetag stand für mich ein letzter Pflichttermin an. Auf dem Weg zum Flughafen stattete ich meiner ehemaligen Gastmutter, zur der Zeit als ich für zwei Monate in Newcastle weilte, einen Besuch ab. Obwohl sich ihre damaligen Kochkünste auf Aufwärmpizza und Garlic Bread beschränkten, erinnere ich mich gerne an die Zeit zurück. Bekanntlich sind es die Erinnerungen, die nach einer Reise zählen.