Fehlende Alternativen, Abstinenzerscheinungen und eine Parallelwelt ohne Masken- oder Abstandspflicht. Dies sind die Zutaten, die mich nach reichlicher Überlegung über meinen Schatten springen und damit das erste Mal an einen fussballerischen Grossevent auf nationaler Stufe reisen liessen.
Bei einem verlängerten Wochenende in Budapest besteht auch während der Sommerpause die Möglichkeit, mehr als ein Fussballspiel zu besuchen. So empfing MTK am Samstagmorgen Zweitligaufsteiger III. Kerületi TUE und der BVSC Zugló spielte gegen das knapp am Aufstieg gescheiterte Vasas, doch der Reiz von einem Spiel auf dem Trainingsplatz oder in einem bereits besuchten Stadion war zu gering.
Für Fussballfeeling war dennoch bereits am Vortag des EM-Spiels gesorgt. So vertrieben wir uns die Zeit in der Innenstadt mit holländischen Fans aus Doetinchem. Einmal mehr war der Alkohol (ihrerseits) sowie die fussballbedingten Kenntnisse ihres Heimatvereins De Graafschap (meinerseits) der Türöffner für unterhaltsame Stunden in der Nachmittagshitze der ungarischen Hauptstadt. Während das Gastspiel ihrer Mannschaft in Budapest voraussehbar war, wussten die Holländer lange nicht, auf wen sie im Achtelfinale treffen werden. Ein uninspirierter Auftritt Polens und ein spätes Tor der Deutschen machten meine Hoffnungen auf einen Auftritt der Ungaren in ihrer Heimat am letzten Spieltag der Gruppenphase zunichte.
Obschon Holland gegen Tschechien nicht das attraktivste Achtelfinale dieser Europameisterschaft darstellt, zeichnet sich am Sonntag schon früh ein Fussballfest ab. Die Sonne scheint mit aller Kraft und die Fanzone rund um den Heldenplatz ist brechend voll, als sich die orangene Karawane drei Stunden vor Anpfiff ihren Weg zum Stadion bahnt. Angeführt wird sie von einem offenen Doppeldeckerbus, dessen Lautsprecher die holländischen Fans mit Hardstyle-Klängen beschallt. Der Treffpunkt der Fans wird direkt nach deren Abmarsch geputzt, sodass eine halbe Stunde später nichts mehr darauf hindeutet, dass sich hier noch vor wenigen Augenblicken mehrere Tausend Leute unter reichlich Alkoholeinfluss auf das anstehende Spiel – und die vermeintlich sichere Qualifikation für das Viertelfinale – eingestimmt hatten.
Wer die Strecke vom Heldendenkmal zum Stadion ruhiger angehen möchte, dem sei die Variante durch den Városliget empfohlen, einer der grossen Parks in der Innenstadt, der jüngst aufwendig restauriert wurde. Nicht weniger spektakulär kommt das neue Nationalstadion, die Puskás Arená, einige Gehminuten weiter südlich daher. Der nach Ferenc Puskás benannte Bau ist imposant, erinnert an den pompösen sowjetischen Baustil und war für den fussballbegeisterten Autokraten Viktor Orbán eine Herzensangelegenheit.
Während mir vor dem Stadion und in der Innenstadt vor allem die holländischen Fans aufgefallen sind, zeigen sich meine Begleitung und ich im Stadioninnern überrascht, wie viele Tschechen die verhältnismässig kurze Anreise ausgenutzt haben. Begünstigt durch den Spielverlauf werden sie in der Folge besser zu hören sein, als die holländischen Fans. Am lautesten wird es an diesem Sommerabend aber bei den Hungaria-Rufen des einheimischen Publikums, das die 52‘834 Zuschauer beim vierten und letzten Spiel in Budapest noch ein letztes Mal daran erinnert, wer hier stolzer Gastgeber ist.
Auf dem Rasen sorgt eine rote Karte gegen Matthijs de Ligt für die Entscheidung zu Ungunsten der Holländer. Der Verteidiger von Juventus spielt den Ball mit der Hand und verhindert damit eine klare Torchance. Damit verliert die holländische Dreierkette ihr zentrales Glied. Die tschechische Nationalmannschaft weiss diesen Vorteil auszunutzen und sorgt mit dem 0:2 aus Sicht des Favoriten für die erste Überraschung am diesjährigen Turnier. Auch wenn in der Mannschaft der Tschechen die absoluten Stars fehlen, haben sie nebst einem starken Kollektiv mit Patrik Schick und dem Ex-Basler Tomas Vaclik vorne und hinten zwei Akteure, die den Unterschied ausmachen können.
Von der holländische Feststimmung ist nach der Niederlage in der Stadt nichts mehr zu spüren. Stattdessen sind es die Tschechen, die den ersten Einzug ins Viertelfinale seit 2012 feiern. Für Holland reiht sich die EM damit in die enttäuschenden Auftritte der letzten Jahre ein: Seit den grossen Erfolgen an den Weltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien ging es für die Oranje nur noch bergab.