Das Thema der Woche, das über die Grenzen Deutschlands hinaus polarisiert: der Grossstreik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. Über mehrere Tage sollen in einem der grössten Länder Europas die Züge stehenbleiben – für viele Leute unvorstellbar. Entsprechend bröckelt auch der Rückhalt von GDL-Chef Claus Weselsky, dessen Ziel es ist ist, nicht nur die Lokführer, sondern auch das restliche Zugpersonal unter seine Fittiche zu bringen. Langsam dämmert es den Lokführern, die als Mittel zum Zweck missbraucht werden, und die Kritik wird immer lauter. Ein riesiges Durcheinander bei unseren nördlichen Nachbarn und wir mittendrin, stand doch an diesem Wochenende der Besuch in Ulm an.

Rückblickend war es sicher einer der turbulentesten Ausflüge in diesem Jahr und ich weiss gar nicht, wo ich mit der Berichterstattung beginnen soll. Am Besten bei der Hinreise, die ist nämlich schnell erzählt: Am Morgen traf ich am Bahnhof auf Luigi, mit dem es zusammen per Zug nach Romanshorn ging. Dort stand bereits die Fähre bereit, die uns über den Bodensee nach Friedrichshafen brachte. Am Hafenbahnhof der Zeppelinstadt erreichte uns die Information, dass der Zug an den Stadtbahnhof ausfiel, dank dem Baden-Württemberg-Ticket (27 Euro für zwei Personen) konnten wir aber auf den Bus ausweichen und sassen kurze Zeit später in einem der einzigen fahrenden Züge an diesem Morgen in Richtung Ulm. Kurz nach zehn Uhr fuhren wir in die Stadt an der Donau ein. Da das Spiel erst um 14.30 Uhr beginnen sollte blieb genügend Zeit, um sich die Universitätsstadt genauer anzuschauen. Die bekannteste Sehenswürdigkeit in Ulm ist sicherlich das Münster. Mit einer Höhe von 161.5 Metern besitzt es den höchsten Kirchturm der Welt. Da müssen wir rauf! Von oben genossen wir einen Blick auf die Stadt, die Donau sowie das Stadion.

Langsam machte sich der Magen bemerkbar und wir verpflegten uns schnell, um an der Donau entlang zum Stadion zu schlendern. Die Temperaturen und das Wetter zeigten sich für die Jahreszeit ansprechend, sodass sich ein gemütlicher Nachmittag entwickelte. Am Stadion herrschte bereits grosses Aufkommen. Wir sicherten uns zwei Karten für die Gegentribüne. Kurz vor Spielbeginn ging es dann ins Rund, vorher mussten wir aber durch die Einlasskontrollen und wurden dort von einem gehässigen Bundespolizisten grundlos gestresst. Dafür weiss das Stadion zu gefallen, das neben den beiden Sitztribünen auch über Stehtraversen hinter den Toren verfügt.

Angepfiffen wurde die Partie übrigens zehn Minuten später als geplant, da laut Speaker noch mehrere hundert Leute an den Eingängen auf Einlass warteten. Zu Beginn zeigte Ulm eine Choreo in Erinnerung an den Aufstieg im Stadion von Reutlingen, während die gut fünfhundert mitgereisten Gästefans ihre Schals hochhielten. Das Spiel war weit weniger gehässig, als die Stimmung auf den Rängen, wo Ulm mit herausfordernden Spruchbändern gegen Reutlingen nicht geizte. Auf dem Rasen ging es eine Weile bis die beiden Teams ins Spiel fanden, ehe das Heimteam in der 40. Minute in Führung ging. Nach dem Seitenwechsel waren die Gäste an der Reihe, die zu Beginn der Schlussviertelstunde zum mittlerweile verdienten Ausgleich kamen. Als die 2’841 Zuschauer bereits mit einem Unentschieden rechneten, kam der grosse Moment von David Braig, der mit dem letzten Angriff der Partie in der Nachspielzeit zum 2:1 für den SSV Ulm einschieben durfte. Auf den Rängen herrschte nun natürlich grossartige Stimmung und niemand, der sich nicht auskennt, hätte gedacht, dass wir hier in der an einem Spiel der Oberliga sind – der fünften Spielklasse.

Nach dem Schlusspfiff standen Busse bereit, die uns – wie wir dachten – in die Stadt zurückbringen sollten. Schnell stellte sich aber heraus, dass dies die Busse für die Gästefans waren, die zwar eigentlich auch zum Bahnhof fahren sollten. Die gehässige Derbystimmung übertrug sich nämlich nach draussen und einige Ulmer versuchten mit verschiedenen Mobs die Reutlinger anzugreifen. Die Polizei wusste aber von der Rivalität der beiden Anhängerschaften und war mit einem grossen Aufgebot vor Ort: normale Polizisten, Bereitschaftspolizei sowie berittene Polizei. Der eine oder andere bekam dann auch etwas Pfeffer ab, ehe sich die Busse, mit je zwei Bereitschaftspolizisten an der Tür, um einen Gegenangriff der Reutlingen zu verhindern, in Bewegung setzten. Weit kamen sie nicht, da überall kleine Grüppchen von Ulmer standen und die Busse angriffen. Irgendwann schafften es die Busse zu entkommen und mit einer Polizeieskorte ging es gegen Norden. An eine Rückkehr an den Ulmer Bahnhof war nicht zu denken, da vernommen wurde, dass Ulmer Hooligans mit Steinen auf die eintreffenden Freunde der St. Galler Szene warten würden.

Also ging es eine halbe Stunde lang durch die Provinz, ehe wir an einem Bahnhof im Dörfchen Beimerstetten ausgesetzt wurden, wo man über eine halbe Stunde einfach mal am kalten Bahnhof rumstehen durfte. Ein Zug in die Heimat wäre zu schön gewesen, als nach einer halben Stunde aufgrund des Streiks überhaupt einer kam, war es uns dann auch egal, dass der Zielort ebendieses Zuges Stuttgart war. Hauptsache weg von diesem gottverlassenen Provinzkaff! Etwas mehr als eine Stunde später, mittlerweile zeigte das Handydisplay 20 Uhr, kam man am Baustellenbahnhof an und war mit den Nerven am Ende, zumal Stuttgart alles andere als in der Richtung von St. Gallen liegt. Die Frage war nun, ob wir es überhaupt noch nach Hause schaffen, oder ein Zimmer in Stuttgart nehmen sollten. Wir entschieden uns für Variante eins, aufgrund der Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn und des Streikes eigentlich ein Kamikaze-Entscheid, trotzdem sollte es klappen. Nach diversen Umstiegen erreichten wir in sieben Stunden die Heimat; vom St. Galler Bahnhof musste allerdings gelaufen werden. Kurz nach drei Uhr morgens schloss ich die Haustüre auf und wir waren beide todmüde, sodass wir schnell einschliefen.

Im Nachgang mag man über eine solche Odyssee lachen, aber nur wer Ähnliches bereits erlebt hat, weiss wie nervtötend solche Situationen sind. Von Deutschland habe ich aber die Nase voll bis im Dezember. Dann soll es ans Frankenderby gehen und wer weiss, was da auf mich wartet…

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