Der Ausflug nach Süditalien beginnt im heimischen Espenblock. Am Samstagnachmittag hatte ich im Krontal-Quartier dem ersten St. Galler Heimsieg beigewohnt, ehe am Abend, garniert mit reichlich Pyrotechnik, der zweite Vollerfolg in Grün-Weiss folgte. Auf das Feiern mit der Mannschaft, die zurzeit wahrlich Freude bereitet, musste ich verzichten, um die letzte Zugverbindung des Tages zu realisieren, die mich in vier Stunden an die italienische Grenze brachte.

Hier hiess es – wie zu Anfangszeiten meiner „Hopper-Karriere“ – einige Stunden in der Kälte zu verharren. Der Bahnhof in Chiasso wurde vor einiger Zeit umgebaut, weshalb auch das beheizte Zollhäuschen, das nie abgeschlossen war, aus dem Gesamtbild verschwand. So dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis ich den Bus vom Bahnhof bis nach Malpensa besteigen durfte. Ursprünglich war für diese Strecke eine Zugverbindung angedacht, das verzogene Kind von SBB und Trenitalia mit Namen TILO (Treni Regionali Ticino Lombardia) machte mir mit einem Streik allerdings kurzfristig einen Strich durch die Rechnung. Nach dem Sommer in Indonesien ringen mir solche Planänderungen nur noch ein müdes Kopfschütteln ab und ich sattelte auf den privaten Busanbieter um, der zwar teurer kommt, mir jedoch eine zeitige Ankunft garantiert.

Schliesslich hatte ich mir vorab einen Platz auf dem ersten Flug nach Brindisi, einem Ferienort auf der Halbinsel Salento, gesichert. Wer mit Italien wenig bewandert ist; die Rede ist von Apulien, dem Absatz des Stiefels. Vom kleinen Flughafen aus bringt mich der Bus und anschliessend die Regionalbahn in einer halben Stunde nach Lecce. Hier kommen durch die milde, nach Meerwasser riechende Luft, Sommergefühle auf. Auch die Altstadt vermag zu gefallen, zählen für mich italienische Gassen bei Sonnenschein doch zu den schönsten ihrer Art.

Bereits im Mai, als die Unione Sportiva den Wiederaufstieg in die Serie A realisierte, strich ich mir die erste und zugleich letzte freie Ferienwoche nach meiner Rückkehr aus Indonesien dick im Kalender an. Die Absicht dahinter: Den Giallorossi noch in der Anfangseuphorie bei einem Heimspiel einen Besuch abzustatten. Dass ich mit dem Knaller gegen die „Figli del Vesuvio“ beschenkt werde, ist reiner Zufall. Weniger glücklich präsentierte sich die Anspielzeit am Sonntag, die sich mit diversen attraktiven Partien aus der dritten und vierten Liga überschnitt und deshalb keine weiteren Hopping-Auswüchse in Form neuer Grounds (um mich vollständig des Jargons zu bedienen) zuliess.

Spätestens das Intro im Heimbereich machte diesen kleinen Wermutstropfen wieder wett. Zwar hängt im Oberrang der Heimkurve nur noch die kleine Fahne der Ultra’ Lecce und nicht das bekannte Exemplar mit ausgefranstem Rand, dennoch versprüht die Kurve zumindest optisch den Charme vergangener Tage. Aus Napoli sind knapp tausend Gäste mitgereist, wobei sich die aktiven Fans im Unterrang und die regionalen Fanclubs im Oberrang niedergelassen haben. Die Vertreter der Curva A, jener Kurve der Himmelblauen, die sich mittlerweile mit der Tessera-Pflicht arrangiert hat, werden von bulgarischen Freunden rund um den Verein Lokomotiv Plvodiv unterstützt und geben oberkörperfrei das perfekte Bild von humorlosen und sattgefressenen Mafiosi ab.

Auf dem Rasen können sich die Neapolitaner bis zum Pausenpfiff eine Zweitoreführung erarbeiten. Der zweite Treffer schlägt insbesondere beim Heimpublikum grosse Wellen. So kann der Torhüter der Gastgeber einen fragwürdigen Penalty mirakulös parieren, steht dabei aber (nicht unüblich) etwas vor der Grundlinie. Nach Reklamationen und minutenlanger VAR-Konsultation darf Insigne den Strafstoss wiederholen und trifft mit einem satten Schuss ins andere Ecke. Zuviel für einige ältere Herren auf der Haupttribüne, welche die restlichen Besucher mit wildem Gestikulieren auf zwei Betreuer der Gästemannschaft im Pressebereich aufmerksam machen. Nebst Schimpftiraden prasseln vereinzelt auch Becher auf die beiden ein, sodass die Staff-Mitglieder unter Polizeibegleitung in den VIP-Bereich übergesiedelt werden. Augenscheinlich wird die unterschiedliche Mentalität auch bei den Trainern: Auf der einen Seite Carlo Ancelotti im geglätteten Anzug, auf der anderen Fabio Liverani, der braun gebrannt in T-Shirt und Trainerhose lässig an der Seitenlinie steht. Zurück zum spielerischen Teil, bei dem Lecce nach dem dritten Treffer für Napoli ebenfalls einen Elfmeter versenkt und kurz Hoffnung im Rund aufkommt. In der Folge verfallen die Süditaliener allerdings wieder in alte Muster und müssen sich nach unglücklichem Spielverlauf letztendlich klar mit 1:4 Toren geschlagen geben.

Vor Ort sind an diesem Sonntag mit 21’644 Zuschauer zwar mehr Saisonabonnenten als beim ersten Heimspiel der Saison, jedoch wurden an der Tageskasse nur halb so viele Einzeltickets abgesetzt, wie gegen Hellas Verona. Dies gründet in der Preispolitik, die in Italien seit einigen Jahren zu beobachten ist und bei Spielen gegen Topteams zu horrenden Eintrittspreisen führt. Die Einnahmen sind beim heutigen Spiel mit 410’000 Euro rund 50’000 Euro höher als beim erwähnten Spiel gegen Verona; jedoch auf Kosten der ärmeren Zuschauer, deren Sitzschale verwaist bleibt und durch den höheren Preis, den liquideren Matchbesucher bezahlen, ausgeglichen wird. Hier werden von den Vereinsverantwortlichen in erster Linie wirtschaftliche und weniger sportliche, geschweige denn sozioökonomische Interessen gewahrt. Im Allgemeinen sind Topspielzuschläge eine Unart, der es kritisch gegenüberzustehen gilt.

Mein Vermieter, der mich netterweise in seinem Auto mitnahm, vermerkte nach Spielschluss indes in ironischem Unterton: „Sembra che oggi la Camorra abbia le mani in pasta.“ Meine Antwort? „Si, caro Massimo – in campo sia sugli spalti!“

Den spielfreien Montag nutzte ich für einen Ausflug ins nahegelegene Küstenstädtchen Otranto, das nebst malerischen Gässchen auch einen einladenden Strandabschnitt bereithält. Heisst konkret: Badehose montieren und ab ins blaue Meer!