Leser, die meinen Blog regelmässig verfolgen, wissen Bescheid: Avellino hat es mir, primär nach dem Auftritt vor zwei Jahren in Bologna, mächtig angetan. Am Derby gegen Salerno, ein grosser Verein mit renommierter Anhängerschaft, kam ich daher auf lange Sicht nicht vorbei.

Glücklicherweise terminierte die Liga dieses Duell auf einen Samstag im Mai, der perfekt mit einem Abstecher nach Bari kombiniert werden konnte. Eine kurzfristige Verschiebung dieser Partie führte jedoch dazu, dass meine beiden Begleiter Cédric und Lukas kurzfristig umdisponieren mussten. Während meine zwei Freunde ihren Flug nach Brindisi wahrnahmen, buchte ich meine Verbindung nach Rom um, von wo aus ich am nächsten Morgen die restlichen Kilometer per Zug bis nach Salerno bewältigte. Hier traf ich auf das Duo, das mit dem Mietwagen die Strecke von Brindisi nach Salerno zurückgelegt hatte. Es ist immer wieder besonders schön, wenn einem tausend Kilometer von der Heimat entfernt plötzlich bekannte Gesichter angrinsen.

Für dieses Derby sah der Verband eine Tessera-Pflicht vor. Diese Tatsache stellte für uns ein Problem dar. Zwar bietet die Unione Sportiva aus Salerno eine solche Karte in ihrem Ticketshop an, jedoch hat der Kauf einige Haken. So kann ich hier zwar die Herkunft Schweiz anwählen, muss den Wohnort jedoch nach Salerno verlegen. Im dritten Anlauf fanden sich schliesslich überall grüne Haken und ich konnte meine Bestellung abschliessen. Die Tatsache, dass die Lieferkosten den Kartenpreis um ein Vielfaches überstiegen, nahm ich mürrisch zur Kenntnis. Wäre ja eine Frechheit, wenn jetzt die Tessera trotzdem nicht pünktlich geliefert wird. Immerhin stellten uns die Verantwortlichen eine Bestätigung per Mail zu. Damit war Kauf der Eintrittskarten für die gewünschte Partie möglich. Lediglich im Hinblick auf den Einlass an den Stadiontoren verblieb ein flaues Gefühl im Magen.

Als wir aber am Spieltag am Meer, einen Golf südlich von Neapel, ausspannen und durch die Altstadt schlendern, sind die Gedanken aber ganz woanders. Das mediterrane Flair lässt gepaart mit den warmen Temperaturen Ferienstimmung aufkommen. Als es an der Zeit ist, in Richtung Stadion Arechi aufzubrechen, stellen wir uns an den Strassenrand. Einen Fahrplan gibt es hier nicht und trotzdem kommt nach einiger Zeit ein Bus mit dem richtigen Ziel. Nach der Fahrt ist ein kurzer Fussmarsch nötig, den wir für einen Schwatz mit den Einheimischen nutzen, ehe sich die Spielstätte vor unserem Trio auftut. Unsere Reisegruppe ist sich sofort einig. Die einzige Zutat, aus der dieses Stadion besteht, ist Beton.

Kurz vor dem Eingang meldete sich das flaue Gefühl aus der Magengegend wieder zurück. Zwar schauten die Herrschaften bei der Kontrolle etwas blöd, nach kurzer Erörterung der Sachlage liessen sie uns aber gewähren. Das Stadion sucht mit seinen wuchtigen, steilen Stufen wahrlich seinesgleichen. Eine Wahnsinnsschüssel direkt am Meeresufer, in der lediglich auf dem Unterrang der Haupttribüne Sitzschalen zu finden sind. Wir setzten uns in den Oberrang und nippen in der brütenden Hitze am Borghetti. Langweilig wird es uns auch vor dem Spiel nicht, denn entweder schweift unser Blick zum Gästeanhang, der mit Bussen hinter die Tribüne verfrachtet wird oder liegt auf der Heimkurve. Hier sind bereits die beiden Zaunfahnen der Seguaci aus Bari sowie der Brigata Fidelis Andria präsent. Irritierend ist einzig die vorgefertigte Choreografie, die einiges an grüner Farbe erahnen lässt – die Farben Avellinos.

Das Geheimnis lüftet sich mit dem Anpfiff, wo die Mannschaften unter (Sch)mährufen den Platz betraten. Während die Gästefans grün-weisse Fähnchen schwenken, haben sich die Heimfans etwas ganz Spezielles einfallen lassen. So traue ich anfangs meinen Augen nicht, als ich meine, im Block von Salernitana die «Curva Sud Avellino» Fahne zu erblicken. Beim genaueren Hinschauen bemerken wir jedoch, dass das letzte Wort in «Agnellino» abgeändert ist. Dies heisst Lämmchen und macht nun in Kombination mit den zu vernehmenden Lauten Sinn. Hier wird auf die ländlich geprägte Heimat der Gäste abgezielt. In der Mitte des Fanblocks steht zudem der Bauer aus der Comicserie «Shaun das Schaf», dem eine Gedankenblase mit den Worten «Leben eines Schafes» hinzugefügt ist. Hunderte Schafe und einen Holzzaun umgeben den Hirten. Ein gelungener Anblick und absolut würdig für ein Derby. Nach der Aktion erstrahlt die Kurve im klassischen weinrot und lässt einige Rauchtöpfe in den Himmel steigen. Eine Gruppe Salernitana-Fans scheint sich zudem direkt neben den Gästen am Ende der Gegentribüne eingefunden zu haben und provoziert mit Leuchtspuren. Avellino lässt sich nicht zweimal bitten und antwortet mit Böllern, die mitten im pöbelnden Publikum detonieren. Die Druckwelle ist auch auf der Haupttribüne zu spüren und in der Heimat wäre ein Spiel nach solchen Vorkommnissen schnell abgebrochen. Hier scheint es zum Rahmenprogramm zu gehören und ändert sich erst mit dem Einschreiten der Polizei nach einer kurzen Spielunterbrechung. Aber auch die eigentliche Aufgabe erledigen die beiden Fanlager sehr gewissenhaft. Für die spielerischen Höhepunkte müssen wir über eine Stunde warten, ehe Salernitana die 13’265 Zuschauer erlöst. Bis zum Schlusspfiff kann der Gastgeber gar noch ein Tor nachlegen und feierte damit einen verdienten 2:0-Erfolg im Duell gegen den Lokalrivalen. Avellino kürt mit dieser Schmach eine Grottensaison und muss nun sogar um den Klassenerhalt bangen.

Wir machen uns zu Fuss auf den gut einstündigen Marsch zurück in die Innenstadt. Einmal mehr hätte sich eine Vespa nach einem Spiel in Italien als sehr nützlich erwiesen. Seinen Abschluss fand der Tag übrigens in Castellammare di Stabia, einer Küstenstadt südlich von Pompeji, wo für das morgige Playoff-Spiel drei Tickets den Besitzer wechselten.