Der VfL Wolfsburg und die Hand Gottes. Der Leser fragt sich, was dieser Satz zum Beitragsanfang zu bedeuten hat. Viel eher müsste doch die Komplettierung der Bundesliga im Eingangssatz Erwähnung finden? Aber nein, Andrin unterwegs ist auch nach achtzehn besuchten Bundesliga-Stadien noch immer für eine Überraschung gut.

Soeben pfiff der Schiedsrichter im kleineren AOK-Stadion das Heimspiel der Jungwölfe ab. Damit war der Zeitpunkt gekommen, um die wenigen Schritte zur nebenan gelegenen Heimstätte der Profis zu bewältigen. Trotz beissender Kälte fanden sich an diesem Sonntagabend 25’214 Zuschauer im Stadion ein. Besser als erwartet, präsentiert sich auch die Heimkurve des Werkvereins. Damit stützt sie meine These, dass ein paar Jahre Erstklassigkeit eben doch ein gewisses Lernpotenzial im Bereich „Ultrà-Dasein“ bergen.

Zur Komplettierung zeigte sich die Bundesliga spielerisch noch einmal von ihrer besten Seite. So fiel die Führung für die Hauptstädter bereits nach 22 Sekunden. Dies sorgte logischerweise für ausgelassene Stimmung im gut gefüllten Gästeblock. Neben der einfallsreichen Art, die Zaunfahnen an einer Wäscheleine aufzuhängen, ist vor allem das Exemplar der Harlekins Berlin hervorzuheben. Nebst der Zaunfahne von Lokomotive Moskau im Stil der italienischen Trendmarke «Napapijri» gehört es sicherlich zu den schönsten Exemplaren in Europa. Auf dem Platz bot das Duell im Zeichen des Dialogs mit dem DFB neben der frühen Führung mitunter zwei, durch den Videobeweis, aberkannte Tore. Der Fussballgott zeigte allerdings Gerechtigkeit, und so durften sich die beiden Unglücksraben Mario Gomez und Yunus Malli noch vor dem Seitenwechsel doch noch als Torschützen für den VfL feiern lassen. Besonders Altmeister Gomez war der Treffer zu gönnen, zumal er bereits einen Elfmeter an die Latte setzte. Im zweiten Durchschnitt ging es im selben Stile weiter. Berlin reagierte postwendend mit dem neuerlichen Ausgleich, ehe Divock Origi auf Seiten des Werkvereins die Weichen wieder auf Sieg stellte. Hertha-Einwechselspieler Selke sorgte mit seinem späten Treffer zum 3:3 allerdings dafür, dass der Schweizer Trainer Schmidt auch in seinem siebtes Spiel als Chefcoach von Wolfsburg die Punkte teilt. Eine unheimliche Serie.

Persönlich beschäftigte mich neben dem unterhaltsamen Spielverlauf jedoch eine andere Tatsache beinahe mehr: der Videobeweis. Seit wann wurde das Glück des Tüchtigen in die Kunst des Reklamierens eingetauscht? Auch die Spieler wissen um ihre Möglichkeiten und probieren den Schiedsrichter in jeder strittigen Situation bewusst zu beeinflussen. Beim dritten Anlauf und damit dem ersten regulären Tor auf Wolfsburger Seite wurde zudem äusserst verhalten gejubelt. Dies ist nur verständlich, schliesslich kreist der Video Assistent Referee quasi als Damoklesschwert über jeder gefährlichen Torraumszene. Was ist aus dem kurzen Moment der totalen Deindividuation, dem kollektiven Ausrasten und damit dem Abstreifen der Alltagssorgen, geworden? Ich positioniere mich bewusst gegen den modernen Fussball und seine Symptome. Dass auch nach Einführung des angeblichen Hilfsmittels dem Fussball kein Gefallen getan wurde, zeigte die Absetzung des Projektleiters aufgrund von Manipulationsvorwürfen am Folgetag dieser Begegnung.

Um damit auf den Beitragsanfang zurück zu kommen. Es tut mir leid, lieber Verein für Leibesübungen aus Wolfsburg, dass ich den Besuch bei dir für mein Plädoyer gegen den Videobeweis missbrauche. Ist es aber nicht so, dass wir uns in Bezug auf Diego Maradona insbesondere an zwei Szenen erinnern? Einerseits an dieses viel zitierte Hand-Tor aus dem Anfangssatz und andererseits an sein unwiderstehliche Dribbling von der Mittellinie. Beide Szenen ereigneten sich anlässlich der Weltmeisterschaft 1986 im gleichen Spiel. Durch die beiden Tore Maradonas feierte Argentinien den Einzug in den Halbfinal; später sogar den Titelgewinn. Wer weiss, wenn bereits damals der Videobeweis im Einsatz gestanden hätte. Diego Maradona wäre für sein Handspiel vom Platz gestellt und das Tor aberkannt worden; doch weit schlimmer – die Fussballgeschichte wäre um eines ihrer grossartigen Kapitel ärmer.