Wenn ich ein Buch kaufe, beeinflusst das Cover meinen Kaufprozess oft mehr als der Klappentext. Sehe ich ein packendes Sujet, ist mir egal, wie belanglos der Inhalt auf der Rückseite angerissen wird. Befreit von nüchterner Betrachtung lasse ich mich euphorisiert vom Irrglauben führen, ein gutes Bild verspreche automatisch ein spannendes Buch. Vor einiger Zeit habe ich mir wieder eines bestellt. Diesmal war es der Titel, der mich zum Kauf verleitet hatte.
Auch die Namen der einzelnen Kapitel sprachen mich an. Sie fallen mit «Stubenhocker» oder «Zonenschläger» entweder kurz und prägnant aus, oder sind länger und provozieren wie bei «Hitler war ein grosser Maler» gekonnt. Autor Andreas Glaser ist gewiss kein Nazi. So heisst das Kapitel auf Seite 42 denn auch «Ich will die soziale Marktwirtschaft». Vor dem Lesen kaum Sinn ergebend, zeigen sich die Titel im Anschluss als subtil ausgewählt und für den Inhalt repräsentativ. Gar dann, wenn der Leser – wie in meinem Fall – nicht jede Aussage komplett verstanden hat, etwa wegen des Berliner Dialekts oder der ihm unbekannten Eigenheiten beschriebener Stadtbezirke.
Gläser stammt aus der DDR. Auf dem Cover ist ein Jugendlicher zu sehen – wohl er selbst. Es ist ein Bildausschnitt aus der Schulzeit, Gläser ist adrett gekleidet. Er trägt halblanges Haar, sitzt leicht nach vorne gebeugt auf einem Trottoir und deutet ein Lächeln an. Seine Pose scheint proletarisch angehaucht; ein junger Berliner der mit anpackt. Zumindest interpretiere ich dies aufgrund seiner Aussagen im Buch, die direkt und authentisch wirken, in das Bild hinein.
Sie lösen in mir eine Sehnsucht aus. Ich habe das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Hineingeboren in eine geschichtliche Episode der Belanglosigkeit – von der gegenwärtigen aber kaum spürbaren Pandemie abgesehen – treibe ich durch mein frühes Erwachsenenalter. Wie aber kann ich eine Zeit romantisieren, die ich nicht selbst erlebte und die bis heute nicht für ihre Vorzüge bekannt ist? Besonders als Person, die geprägt vom Liberalismus in einer Freizeitgesellschaft mit digitalem Mitteilungsbedürfnis aufwächst. Gläser hatte in seiner Jugend wohl kaum die Möglichkeit, am Freitagmorgen um sechs Uhr mit dem Koffer am Flughafen Zürich zu stehen. In der Hand ein Cappuccino und ein Gipfeli. Ich bin 8.70 Franken und ein Schulterzucken weit davon entfernt, den Kapitalismus zu überwinden.
Ich weiss nicht, ob ein Spiel der Regionalliga Nordost zwischen Altglienicke und Auerbach – immerhin im Jahn-Sportpark und damit der Heimat vom BFC Dynamo ausgetragen – der richtige Anlass ist, um über ein Buch zu philosophieren, das mich nach Berlin getrieben hat. Es trägt den Titel «Der BFC war schuld am Mauerbau». Auch wenn es die gewagte These vermuten lässt, handelt das Buch nicht primär vom Berliner FC Dynamo. Vielmehr erzählt Gläser vom Aufwachsen und dem Alltag in Ost-Berlin sowie den Tücken von Bürokratie und Sozialismus vor und nach der Wiedervereinigung.
Altglienicke gewinnt übrigens 2:1, lediglich 202 Zuschauer sind an diesem Samstagnachmittag im Stadion. Ende Jahr soll der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, benannt nach dem Turnvater der DDR, abgerissen werden. In diesem Spielbericht schreibe ich aber über andere Sachen als Fussball, weil Gläser das in seinem Buch auch darf – ganz kommunistisch eben.