Ich mochte Wigan Athletic nicht. Er verkam für mich zum Inbegriff von unattraktivem Fussball und wenigen Gästefans. Seit dem Abstieg aus der Premier League vor sieben Jahren ging es mit dem Club aus dem Ballungsraum von Manchester stetig bergab. Ich freute mich, dass die «Latics» seit Beginn der Saison das Tabellenende zierten und es so aussah, als ob sie die Championship endlich in Richtung dritte Liga verlassen würden.

Ende Januar gewann Wigan nach sieben sieglosen Heimspielen schliesslich wieder einmal zuhause: An einem kalten Dienstagabend resultierte ein 2:1 gegen Sheffield Wednesday. Das Siegtor schoss das Tabellenschlusslicht in der letzten Spielminute. Die Zuschauerzahl war nicht einmal fünfstellig. Viele der Fans werden die drei Punkte an jenem Abend als kleinen Trost für die Treue in der enttäuschenden Saison angesehen haben. Doch der Sieg war vielmehr eine Initialzündung. Es folgten in sechzehn Spielen nur noch zwei Niederlagen, die Mannschaft stand in der drittletzten Runde erstmals nicht mehr auf einem Abstiegsplatz* – dank einem 8:0-Heimsieg gegen den direkten Konkurrenten Hull City.

Anfang Juli – mitten im sportlichen Höhenflug des designierten Absteigers – folgte die Hiobsbotschaft: Wigan Athletic muss Insolvenz anmelden. Die Erklärung, dass der Verein infolge ausbleibender Einnahmen dem Coronavirus zum Opfer gefallen sei, leuchtete ein. Nur die Insolvenzverwalter selbst vertraten die Meinung, dass nicht die Pandemie dem FA-Cup-Gewinner von 2013 das Genick gebrochen hatte. Auf der Suche nach Antworten auf diese irritierende Aussage taucht besonders ein Name immer wieder auf: der von Dr. Choi Chiu Fai Stanley.

Ein Name so sperrig, dass ihn selbst die 11-Freunde-Redaktion in ihrem Beitrag zu den Geschehnissen in Wigan falsch geschrieben hat. Dr. Choi präsentiert sich im Internet als Chef einer Finanzgruppe aus Hongkong – die südafrikanische Zeitung «The Citizen» hält ihn gar für einen professionellen Pokerspieler. Auf jeden Fall soll er mit dem Abstieg von Wigan viel Geld verdienen – weil in den Philippinen darauf gewettet wurde. Als das Schlusslicht plötzlich das Verlieren verlernte, sind die Initianten nervös geworden. Als Folge gab der ehemalige Mehrheitseigentümer des Fussballclubs, eine ebenfalls in Hongkong sitzende Corporation mit dem Namen «IEC», die ihr Geld mit Glücksspiel (ein Casino steht in der Hauptstadt der Philippinen) und Hotels verdient, die Mehrheitsanteile anfangs Juni an die «Next Leadership Fund Limited Partnership», kurz NLF genannt, weiter. Deren Zahlungen an den englischen Verein sind seither offenbar ausgeblieben. Auch der Vorsitzende der NLF, Au Yeung Wai Kai, scheint nicht zu existieren. Es sei denn, der Geschäftsmann hat seine bemerkenswerte berufliche Laufbahn bis zum Besitzer von Wigan Athletic ohne einen einzigen Eintrag in irgendeiner Suchmaschine hingelegt. Nun kommt wieder Dr. Choi ins Spiel. Als Geschäftsführer der IEC und als Teilhaber der NLF ist dieser nämlich als einzige Person nachweislich in beide Unternehmen involviert; und bedacht darauf, sämtliche Verbindungen zur Personalie Au Yeung Wai Kai zu negieren.

Unabhängig vom potenziell grössten Wettskandal in der Geschichte des englischen Fussballs verkündete die «English Football League» ihr Urteil, das dem insolventen Verein nach dem Saisonende blühen wird. Zwölf Punkte sollen Wigan Athletic in der Schlusstabelle abgezogen werden. Die grosse Rechnerei begann und tatsächlich hatten die Latics dank ihrer grossen Aufholjagd noch die Chance, den für unmöglich gehaltenen Klassenerhalt zu realisieren. Vor dem letzten Spieltag verzeichneten sie zehn Punkten Vorsprung auf einen Abstiegsplatz und würden mit einem Sieg gegen Fulham – bei gleichzeitig günstigen Resultaten der direkten Konkurrenz – die Klasse halten. Im abschliessenden Heimspiel gegen den Verein aus London, der um den Aufstieg in die Premier League spielt, kamen sie allerdings nicht über ein Unentschieden hinaus und auch die Konkurrenz patzte nicht. Und so blieb es aus, das Wunder von Wigan.

* unter Berücksichtigung des späteren Punkteabzugs