Vor 25 Jahren hielt die Schweizer Nationalmannschaft vor dem Qualifikationsspiel gegen Schweden ein Laken in die Höhe. Mit einer Spraydose standen die Worte «STOP IT CHIRAC» darauf geschrieben. Eine Geste mit grosser Aussagekraft und lautem medialem Echo. Adressat war der damalige Präsident Frankreichs, Jacques Chirac, unter dem das Land zu diesem Zeitpunkt auf dem Mururoa-Atoll im Südpazifik Atombomben testete.

Wer das Bild von damals genauer betrachtet, sieht, das einzig Alain Sutter das Laken mit beiden Händen festhält. Von ihm geht die spontane Aktion auch aus. Die anderen Nationalspieler halten das Laken eher zaghaft fest und Ciriaco Sforza behält seine Arme gar hinter dem Rücken und blickt in den Himmel. Gut möglich, dass sich einige von ihnen bewusst zurückhalten – eine solche Aktion braucht viel Mut. Dass sich der Fussball bisweilen mit Politik vermischt, ist eine Angst, die nicht nur Fussballspieler und Fanszenen teilen. Auch die UEFA fürchtet sich vor einer solchen Konstellation. So etwa im nächsten Sommer, wenn die Schweizer Nationalmannschaft an der Europameisterschaft im Olympiastadion von Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, gegen Wales und die Türkei antritt.

Aserbaidschan kämpft derzeit mit Armenien in einem uralten Territorialkonflikt um Bergkarabach. Die Region im Südkaukasus wird vorwiegend von Armeniern bewohnt. Nach Völkerrecht gehört die Republik Arzach, wie sie von ihren Bewohnern genannt wird, allerdings zu Aserbaidschan. In diesem Sommer startete Aserbaidschan eine Militäroffensive mit dem Ziel, das Gebiet unter seine Kontrolle zu bringen. Mit der eigenen Armee und der Unterstützung Armeniens versuchte sich Arzach zu verteidigen. Die ersten drei Waffenruhen brach Aserbaidschan, seit dem 9. November herrscht nun ein Waffenstillstand. Möglich gemacht hat dies ausgerechnet Russland, das als Vermittler agierte. Die Abmachung sieht vor, dass die beiden Parteien jene Gebiete zugesprochen bekommen, die sie zum Zeitpunkt der Abmachung kontrollierten. Für Armenien bedeutet dies grosse Gebietsverluste, während die Menschen in Baku die territorialen Gewinne als Sieg feiern.

Wie immer in Kriegssituationen, ist die Nachrichtenlage dünn. Klar ist jedoch, dass Armenien als demokratische Republik mit Parlament organisiert ist, während Aserbaidschan unter Präsidenten und Langzeitherrscher Ilham Aliyev ein autoritäres Regime darstellt, das durch Korruption und Einschnitte in die Freiheitsrechte auffällt. Während des Konflikts bezieht Aserbaidschan, das im Gegenzug Öl liefert, zudem Hightech-Waffen aus Israel.

Abgesehen von der Tatsache, dass die UEFA in Aserbaidschan ihre grösste Veranstaltung plant, zeigt sich eine weitere Verbindung. Hergestellt wird sie durch Rovnag Abdullayev, Abgeordneter im Parlament und Mitglied der Partei «Neues Aserbaidschan», die unter der Führung von Aliyev drei Mal einen Waffenstillstand im Konflikt um Bergkarabach verweigerte. Doch Abdullayev ist auch Präsident des Fussballverbands von Aserbaidschan. Seinem Verband gehört das Stadion, in dem nächstes Jahr vier Spiele der Europameisterschaft stattfinden sollen. Finanziert hat das Stadion zu grossen Teilen SOCAR, das staatliche Öl-Unternehmen Aserbaidschans, dem wiederum Rovnag Abdullayev vorsteht. SOCAR ist einer der sechs Hauptsponsoren der UEFA.

Sofern die UEFA angesichts der geopolitischen Spannungen nicht über ihren eigenen Schatten springt und die Konsequenzen zieht, wird sich kaum etwas ändern. Von den drei bisher bekannten Ländern, deren Mannschaften in Baku spielen, wird keines die Initiative ergreifen. Weder die Türkei, die Aserbaidschan den Rücken stärkt, noch Wales, das als Zweiter in der Qualifikation primär froh um die Teilnahme ist. Und auch die Schweiz und ihr Fussballverband werden ihr Neutralitätsprinzip kaum aufs Spiel setzen.

Bleibt einzig die Hoffnung auf eine spontane Aktion wie 1995 in Göteborg. Dass die Schweizer Nationalmannschaft auch ohne Alain Sutter politisch zu polarisieren vermag, hat sie an der letzten Weltmeisterschaft mit der Affäre um den Doppeladler bereits eindrücklich bewiesen.