Von aussen wirkt die «Pancho Arena» wie eine Tempelanlage aus Asien. Doch das Fussballstadion steht keine Stunde von Budapest entfernt im Dorf Felcsút, dem Heimatort des Präsidenten Viktor Orbán. Mit einer Dachkonstruktion aus Holzsäulen und geschwungenen Schieferplatten wirkt das Stadion majestätisch. Ein zweiter Palast für Orbán, als ob ihm Országház, das prunkvolle Parlamentsgebäude am Donauufer, nicht ausreicht.

Neben dem Stadion stehen alte Häuser, ihre Gärten sind verwildert. Keine zweitausend Einwohner zählt Felcsút, im Stadion ist dennoch Platz für doppelt so viele. Der lokale Verein, die Puskas Akademia, hat am Wochenende mit einem Sieg erstmals die Möglichkeit, Vizemeister zu werden. Das 2014 gebaute Stadion ist Sinnbild für die Politik des Autokraten Orbán. Zusammen mit der Groupama Arena, der Heimat des Rekordmeisters Ferencvaros in Budapest, gehört es bereits zu den ältesten Stadien der obersten Liga. Einzig Újpest, die zweite Kraft in der Hauptstadt, besitzt eine Heimstätte, deren Tribünen allesamt älter als sieben Jahre sind.

Seit Viktor Orbán vor elf Jahren Ministerpräsident Ungarns geworden ist, hat er zwei Milliarden Franken in den Sport investiert. Prompt hat das Land zweimal den Sprung an die EM geschafft und wird auch im Sommer – wohl als einziger Veranstalter vor ganz vollen Rängen – im eigenen Land um den Pokal spielen. Doch worin gründet dieser Bauboom?

Orbán will über den Fussball, seine grosse Leidenschaft, das Selbstbewusstsein der ungarischen Gesellschaft stärken. Wo der Zusammenhang zwischen neuer Stadien in Szombathely oder am anderen Ende des Landes in Kisvárda und einer zufriedenen Gesellschaft liegen, weiss wohl nur Orbán selbst. Auch in seiner Politik finden sich Parallelen zum Fussball. Der ehemalige Stürmer ist ein Taktikfuchs, weiss, wie man Druck macht und schnell zum Gegenangriff übergeht. So verabschiedet er Steuererleichterungen, damit sich lokale Unternehmen am Bau neuer Stadien beteiligen. Nebst Vetternwirtschaft im Beschaffungswesen wird ihm und seiner Partei Fidesz auch der Missbrauch von EU-Geldern vorgeworfen. Diese werden in Brüssel nach dem Subsidiaritätsprinzip verteilt. In der Theorie ein gutes System, das in einem Land, welches sich auf dem Weg zur Diktatur befindet, jedoch nicht funktioniert. Innert wenigen Jahren hat sich Orbán nämlich vom Liberalisten zum Rechtspopulisten gewandelt. Seine Politik funktioniert in einem Land, das auf der Flüchtlingsroute liegt.

Damit kann Orbán verdecken, dass Ungarn gemäss Eurostat, dem Statistischen Amt der EU, im europäischen Vergleich was die kaufkraftgewichteten Bildungsausgaben pro Kopf betrifft, weit hinterherhinkt. Dazu kommt die Unterfinanzierung im Gesundheitswesen bei Personal und Krankenhäuser, resultierend in einer Fachkräfteflucht, die besonders während der Pandemie ins Gewicht fällt. So belegt Ungarn im Ranking europäischer Gesundheits­systeme laut dem Euro Health Consumer Index (EHCI) 2018 gar den drittletzten Platz.

Stattdessen fördert Orbán weiter Investitionen im Fussballsektor. Alleine in der Hauptstadt Budapest stehen drei nagelneue Stadien. So bezieht Erstligist Honvéd bald sein neues Stadion, während der designierte Aufsteiger Vasas bereits schon in seiner neuen Heimat spielt. Mit der Puskas Arena im Osten der Stadt hat Orbán nun auch sein prunkvolles und überdimensioniertes Nationalstadion. Benannt ist es, wie der Verein in Felcsút, nach Ferenc Puskás, dem grössten Fussballer des Landes. Dass sich Orbáns Liebe zum Fussball sogar über Landesgrenzen hinwegsetzt, zeigte jüngst die Meldung aus Miercurea Ciuc. In der rumänischen Stadt finanziert der ungarische Staat dem lokalen Drittligisten, der vor allem auf Spieler ungarischer Ethnie setzt, ein neues Stadion. Auch in der Slowakei gibt es mit DAC Dunajská Streda einen Club, der eine ungarischer Minderheit repräsentiert – und prompt auch in einem neuen Stadion spielt.