Strassen voller Schlaglöcher, bröckelige Häuserfassaden und zerbeulte Autos. Es braucht nur eine halbstündige Tramfahrt, um von Budapests prunkvoller Altstadt ins eigentliche Ungarn zu gelangen.
Hier in Pesterzsebet, im 20. Bezirk der Hauptstadt, ist am Sonntagnachmittag wenig los. Eidechsen liegen in der Sonne, ein Hund steht bellend am Gartenzaun und eine junge Frau schiebt gemächlich einen Kinderwagen durch die verwaisten Strassen. Kurz zweifle ich, ob hier demnächst ein Spiel der dritthöchsten Spielklasse angepfiffen wird. Genau in diesem Moment weht mir der Wind die Klänge von «Sarà perché ti amo» aus den Lautsprechern vom Stadion um die Ecke entgegen.
Wenig später weiss ich tatsächlich, warum ich den Fussball liebe. Die nach dem ungarischen Dichter Endre Ady benannte Spielstätte ist nämlich wirklich ein Gedicht. Während die Tribüne auf der Gegenseite der Terrasse eines schwedischen Landhauses gleicht, steht ihr gegenüber eine pittoreske Holztribüne mit Balken in den Vereinsfarben. Das Gemäuer rund um das Spielfeld zieren Malereien, wobei mir eine davon mit der Aufschrift «Brigate» im Stil der legendären BNA aus Bergamo besonders ins Auge sticht.
Zwei Drittel der 175 Zuschauer sind ältere Herren mit (Wohlstands-)Bauch, der Rest der Anwesenden scheint auf bestem Weg dazu. Ihr Quartierverein hat in seiner 112-jährigen Geschichte ganze 22 Namensänderungen hinter sich und lässt sich mit vollem Namen als «Fussballabteilung des Elisabeth-Spartacus-Arbeiterkreises für Leibesertüchtigung» ins Deutsche übersetzen. Im heutigen Heimspiel gegen das favorisierte Kozarmisleny setzt es für ESMTK, wie der Klub schlicht genannt wird, ein 0:1 ab. Der Senior neben mir nimmt die Niederlage fluchend zur Kenntnis, wischt sich das Bier aus dem Bart, streicht seinem Enkel zum Abschied durch die Haare und zieht langsam kopfschüttelnd von dannen.