FC Bihor Oradea - FC Dinamo Bucuresti

In Oradea wird Profisport in der höchsten Liga und im Europapokal betrieben – allerdings im Wasserball. Im Fussball ist der Ort unweit der ungarischen Grenze nicht derart erfolgreich, obschon die Annalen der 180’000-Einwohner-Stadt eine Vielzahl an Vereinsnamen bergen. Der jüngste von ihnen ist der nach dem gleichnamigen Gebirge benannte FC Bihor Oradea, der 2022 – sechs Jahre nach seiner Insolvenz – neugegründet und in die dritte Liga integriert wurde.

Die Wurzeln des Klubs reichen bis 1958 zurück, als er unter dem Namen Crisul Oradea ins Leben gerufen wurde. Seit der Auflösung des sportlichen Aushängeschilds Clubul Atletic Oradea (CAO) fünf Jahre später setzt er die städtische Fussballtradition fort. CAO war der einzige rumänische Klub, der in zwei Ländern den Meistertitel erringen konnte: 1944 reüssierte er als Nagyvaradi AC in Ungarn, 1949 gelang ihm unter dem Namen IC Oradea das Kunststück auch in der rumänischen Liga. 1956 ergänzte der Klub, diesmal als Progresul Oradea, sein Palmarès um die Cup-Trophäe Rumäniens.

Davon ist der FC Bihor weit entfernt. Immerhin führt er in der Liga ungeschlagen seine Staffel an und kämpft mit 100 anderen Drittligisten – aus neun weiteren Divisionen – um einen der fünf Aufstiegsplätze. Im Cup hat der Klub in einer Hammergruppe mit vier Erstligisten hingegen kaum Chancen auf den Einzug in die K.o.-Phase. Einer davon ist Dinamo Bukarest, der bei einem Aufstieg Bihors bald schon zum Konkurrenten in der Liga avancieren könnte, zumal sich der Klub in der Krise befindet. Auch beim Cup-Duell hat der Vorletzte der Superliga Mühe und wird seiner Favoritenrolle nur bedingt gerecht. Prompt müssen die Hauptstädter in der Schlussphase den Ausgleich zum 1:1 hinnehmen, der im Iuliu-Bodola-Stadion für grossen Freudentaumel sorgt. Dieses ist mit 8000 Zuschauern gut gefüllt – nur die einstige Haupttribüne ist gesperrt und wartet seit über 15 Jahren vergeblich auf eine Renovierung.


Universitatea Cluj - CFR Cluj

Das bekannte Filmzitat «Some men just want to watch the world burn» auf einer Zaunfahne vor der Heimkurve von Universitatea Cluj bringt mich zum Schmunzeln. Es beschreibt den Aufenthalt in Rumänien äusserst passend, wo dank günstigen Terminierungen im Pokal und in der Liga der Besuch vierer Derbys innert fünf Tagen möglich ist. Bereits die grosse Choreografie zum Einlauf der Teams, untermalt von der Klubhymne zur Melodie von Beethovens Ode an die Freude, liess erahnen, dass die «Freu(n)de schöner Götterfunken» auch bei diesem Lokalduell auf ihre Rechnung kommen würden.

In der städtischen Beliebtheitsskala liegt Universitatea Cluj – entgegen der internationalen Wahrnehmung – deutlich vor dem Rivalen CFR. Zwar ist der Eisenbahnerverein wesentlich erfolgreicher und regelmässig in europäischen Wettbewerben zu Gast, eine breitere Basis besitzt allerdings der 1919 von Studenten gegründete Multisportklub mit einer einzigen Trophäe (vom Cupsieg 1965) im Palmarès. 2015 wäre beinahe die zweite hinzugekommen, stattdessen folgte nach der Niederlage im Cupfinal ein sportlicher Niedergang, der bis in die Viertklassigkeit führte. Seit Sommer 2022 zählt «U Cluj» wieder zum Teilnehmerfeld der ersten Liga.

Cluj ist mit 290’000 Einwohnern das zweitgrösste Zentrum des Landes und blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Der Vertrag von Trianon gliederte Siebenbürgen nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien. Klausenburg hiess fortan Cluj, Siebenbürgen wurde zu Transsilvanien. Zwei Jahrzehnte später war es der zweite Wiener Schiedsspruch, der Nordsiebenbürgen – und damit auch die Stadt Cluj – wieder Ungarn vermachte, bis mit den Beschlüssen der Pariser Friedenskonferenz die Region 1947 endgültig an Rumänien zurückfiel.

Auch nach den beiden Weltkriegen blieb Cluj nicht von nationalistisch motiviertem Gebaren verschont. Mitte der 1970er-Jahre fügte der rumänische Herrscher Nicolae Ceaușescu der Stadt die antike Bezeichnung «Napoca» hinzu, um die gesellschaftliche Wahrnehmung einer Abstammung der Rumänen vom Volk der Daker zu etablieren. Im Volksmund hat sich der Zusatz jedoch nie etabliert.

Die Innenstadt weist zahlreiche historische Gebäude auf, die von Renaissancebauten, über prunkvolle Barocktheater bis hin zu Belegen der kommunistischen Zeit reichen. Ein Blickfang stellt auch die Cluj Arena am Ende des Stadtparks dar, besonders aufgrund der gegenversetzten Seitentribünen, die von niedrigeren Hintertortribünen ergänzt werden. Diese sind beim Stadtduell mit 25’026 Zuschauer beinahe vollständig bevölkert und bergen drei Stimmungszentren: In der «Peluza Sepcile Rosii» rund um die Gruppen Groparii, Boys und jener aus der Plattenbausiedlung Manastur, im Unterrang der Gegengerade sowie im ausverkauften Gästeblock der «Peluza Visinie». Mit einem 1:1 endet das Derby wie bereits am Vorabend in Bukarest mit einem Unentschieden, was dem Format des rumänischen Cups geschuldet keine Überraschung darstellt.


CSA Steaua Bucuresti - FC Rapid Bucuresti

«Steaua inseamna CSA», steht an einer Hauswand in der rumänischen Hauptstadt Bukarest gesprüht. Übersetzt lesen sich die drei Worte als «Steaua bedeutet CSA» und sollen zum Ausdruck bringen, dass der aktuelle Zweitligist CSA Steaua Bucuresti der rechtmässige Nachfolger des erfolgreichsten Klubs Rumäniens ist. Dieser wurde 1947 als Armee-Sportklub gegründet und erlebte seine Sternstunden in den 1980er-Jahren. Nebst zahlreichen nationalen Titeln gewann der Klub 1986 auch den Europapokal der Landesmeister und stellte das Lieblingsteam der Diktatorenfamilie um Oberhaupt Nicolae Ceaușescu dar.

Umkämpfter kommunistischer Scherbenhaufen

Mit der Hinrichtung der Ceaușescus endete 1989 das kommunistische Regime in Rumänien, was auch die nationale Sportlandschaft veränderte. Profiklubs wurden in langwierigen und intransparenten Prozessen privatisiert und von ihren staatlichen Trägern entkoppelt, was im Fall des Armeeklubs «CSA Steaua Bucuresti» auch mit einer Namensänderung hin zu «FC Steaua Bucuresti» einherging. 2003 gelangte der niedergewirtschaftete Verein schliesslich in den Besitz von George «Gigi» Becali, einem der zwielichtigsten Geschäftsleuten des Landes.

Becali kam – wie praktisch jeder Klubpräsident in Rumänien – mehrere Male mit dem Gesetz in Konflikt und trat 2013 wegen unrechtmässiger Übertragung von Grundbesitz und Korruption eine mehrjährige Haftstrafe an. Dies forcierte die Bestrebungen des Verteidigungsministeriums, die einst staatliche Marke «Steaua Bucuresti» aus der Versenkung zu hieven. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit, bei dem Becali unter anderem die Namensrechte verlor und seit 2017 sein Team offiziell nur noch unter der sperrigen Bezeichnung «SC Fotbal Club FCSB SA» und mit adaptiertem Wappen auflaufen lassen darf.

Geteilte Fanszene und fehlende Basis

Seine finanzielle Schlagkraft und den Platz in der höchsten Spielklasse konnte der umbenannte Hauptstadtklub hingegen behaupten, verlor aber einen Teil der Anhängerschaft: Die Gruppen Banda Ultra‘, Glas, Hunters, Outlaws, Shadows, South Boys, Stil Ostil und Vacarm aus der Peluza Sud zogen ob den Eskapaden des Mäzens die Konsequenzen und unterstützen seither – in einer optischen Mischung aus Basler Muttenzerkurve und ZSKA Moskaus Sektor A – das Bukarester Armeeteam in der – damaligen – vierten Spielklasse. Die Peluza Nord rund um ihren dubiosen Anführer Gheorghe Mustata blieb Besitzer Becali und seinem FCSB hingegen treu.

Trotz der Teilung auf den Rängen ist es ein äusserst stimmungsvoller Abend, den die 13’678 Zuschauer beim Cup-Heimspiel zwischen dem unterklassigen CSA und Erstligist Rapid Bukarest erleben. Da der rumänische Pokal zu Beginn in einer Gruppenphase ausgespielt wird, ehe es in die K.o.-Phase geht, ist auch das Resultat in Form eines 0:0 in diesem für beide Seiten wichtigen Spiel keine Überraschung. Obschon die Kurven voll und die Affiche klangvoll sind, bleiben im neugebauten Ghencea-Stadion zahlreiche Sitzschalen leer – und untermauern damit: Dem Armeeklub fehlt die breite Basis.

Der Multisportverein – so spielt etwa die Wasserball-Abteilung wenige Stunden vor den Fussballern in der Champions League gegen Novi Belgrad – ist noch immer Teil des rumänischen Verteidigungsministeriums und kann sich damit laut dem nationalen Sportgesetz nicht für die höchste (und einzige Profi-)Liga des Landes qualifizieren. Statt in emotionalen Stadtderbies tritt CSA im Wochenturnus gegen Dorfklubs aus Selimbar oder Tunari an. Nebst unattraktiven Gegnern gibt es aber noch einen triftigeren Grund, der potenzielle Anhänger argwöhnisch bleiben lässt: Der Verein verschlingt Gelder aus dem Staatshaushalt eines Landes, in dem ein wesentlicher Teil der Bevölkerung an der Armutsgrenze lebt.


Hallescher FC - SSV Jahn Regensburg

Hätte der Hallenser Barockkomponist Georg Friedrich Händel sein Oratorium «Messias» doch nur 282 Jahre später komponiert! So muss Stürmer Dominic Baumann einspringen, der zwar einen leicht untersetzten und dicklichen Messias abgibt, mit seinem Torriecher aber am ehesten noch die Rolle des Heilsbringers beim Tabellenvorletzten verkörpert. Diesen brauchen sie in der Stadt an der Saale mehr denn je, soll die Drittliga-Saison nicht in einer bösen Überraschung oder – um im musikalischen Kontext zu bleiben – in einem Requiem enden.

Nicht minder überrascht war ich, als der Anhang aus Halle beim Gastspiel in Essen im Januar dem wohl bekanntesten Sohn der Stadt eine grosse Choreografie widmete, wirkte die Unterstützung der Rot-Weissen auf mich doch stets «typisch ostdeutsch». Anders gesagt: Beinharte Kerle, simple Trommelrhythmen und Anfeuerungsrufe wie «Erfurt Halle – nur Kaputte» hätten Händels frommes Publikum wohl ziemlich irritiert. Auch der Begriff «Chemie» fällt immer wieder in den Supportbemühungen der HFC-Fankurve und erinnert an den Zusatz, den der Klub seit seiner Ausgliederung 1966 bis zur deutschen Wiedervereinigung aufgrund der regionalen Chemieindustrie im Namen trug.

Verschwunden ist bis auf die denkmalgeschützte Aussenmauer und die Torbögen auch das Kurt-Wabbel-Stadion. Der seit 2011 existierende Neubau ist für das Duell gegen Jahn Regensburg aufgrund der sportlichen Baisse der Gastgeber mit 5867 Zuschauern nur spärlich gefüllt. Die «Saalefront» sowie deren Jugend-Ableger (Sektion 19), die zweite Ultrà-Gruppe mit dem Namen «Surreale» und einige befreundete Anhänger aus Erfurt und Leipzig werten das Stadionerlebnis zumindest akustisch auf.

Beim 1:2 gegen formstarke Regensburger haben sie einmal mehr wenig zu feiern, obschon der erwähnte HFC-Messias Baumann seine Treffsicherheit auch gegen den Jahn unter Beweis stellt. Sein Führungstor kontern die Gäste mit einem Doppelschlag tief in der zweiten Halbzeit. Besonders der Distanzschuss zum Ausgleich verdient dabei das Prädikat «weltklasse». Oder wie Händel schlicht gesagt hätte: «Halleluja!»


Viktoria Köln - Erzgebirge Aue

Samstagnachmittag, Profifussball in Köln, die Akteure in Rot-Weiss wärmen sich auf dem Rasen auf. Doch nicht etwa Annenmaykantereit, sondern die Stimme von Guido Cantz dröhnt aus den Lautsprechern. Und das, obwohl Henning und May im Stadion sind – allerdings nicht in der Person von Henning May, dem Leadsänger der genannten Kölner Band, sondern in Form der beiden Spieler Bryan Henning und Niklas May von Viktoria Köln.

Der Drittligist von der Schäl Sick – also der rechten (und im Kölner Jargon «falschen») Rheinseite – ist aus sportlicher Sicht die zweite Kraft der Stadt, auch weil der Traditionsverein und Erzrivale Fortuna Köln seit einigen Jahren nur noch in der Regionalliga spielt. Ambitionierter sind die Pläne im Sportpark Höhenberg, der über eine sehenswerte Giebeldachkonstruktion verfügt und zu diesem Verfolgerduell gegen Aue 4093 Zuschauer beherbergt.

Der Erfolg im Osten Kölns geht zu grossen Teilen auf den im Frühling verstorbenen Mäzen Franz-Josef Wernze zurück, dessen finanzielles Engagement die 2010 gegründete Viktoria erst in den Profifussball gehievt hat. Auch Lokalmatador und Spassvogel Cantz hat seine Finger im Spiel, wenn auch nur als selbsternannter «Premiumpartner». Seit 2019 spielt der Klub in der dritten Liga, auch dank der Lizenzübernahme des FC Junkersdorf und dem damit erkauften Startrecht für die fünftklassige Oberliga zeigte der Weg für die Kölner in weniger als einer Dekade derart rasant nach oben. Von einer traditionellen Klubgeschichte ist man im Stadtteil Höhenberg trotz Berufung auf den Ursprungsverein von 1904 weit entfernt, entsprechend überschaubar präsentiert sich auch die Anhängerschaft.

Der Kern dieser schart sich auf der Stahlrohrtribüne im Block 11 hinter dem Tor. Obschon 2018 im Derby vom städtischen Lokalrivalen präsentiert, flaggt der Kern der Viktoria-Fanszene weiter mit einem nachgedruckten Exemplar der Zaunfahne «Juniors Höhenberg» an, die nach der Auflösung der «High Society Höhenberg» im Folgejahr die zentrale Fangruppierung darstellen. Grossartig Gehör verschafft sich die Fanszene an diesem Samstag nicht.

So haben die rund 300 Schachter auf den Stehplätzen entlang der Gegengerade und im separaten Sitzplatzbereich an der Grundlinie die Stimmungshoheit inne. Lange liebäugeln sie dank eines Doppelschlags trotz anfänglichem Rückstand mit drei Punkten, ehe den Gastgebern in der Nachspielzeit doch noch der umjubelte Ausgleich zum 2:2 gelingt.


FC Gspon - FC Tobias Mund

Wer über 100 Fussballspiele im Jahr besucht und damit zumindest in diesem Kontext nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, muss sich von seinem sozialen Umfeld einiges anhören lassen. «Du laugst deinen Körper aus» oder «Irgendwann passiert dir etwas» sind dabei zwei der Äusserungen, die ich immer wieder zu hören bekomme. Noch häufiger sind einzig die Fragen, die nicht das seelische oder physische Wohlbefinden thematisieren, sich aber ebenfalls ähneln: Wo warst du zuletzt, wo gehst du als nächstes hin, welches war dein bisher bestes Spiel, und welches das schönste Stadion, das du je besucht hast?

Immerhin auf die letzte Frage halte ich seit diesem Septemberwochenende eine Antwort bereit. Die «Ottmar Hitzfeld Arena» in Gspon ist nämlich nicht nur das höchstgelegenste Stadion Europas, sondern in meinen Augen auch das schönste. Benannt nach dem ehemaligen Schweizer Nationaltrainer thront es im Weiler oberhalb der Gemeinde Staldenried im Vispertal und ist nur mit der Seilbahn erreichbar.

Inmitten der wenigen Ferienhäuser und der ausruhenden Wanderer stört einzig der knatternde Motor eines Einachsschleppers die Idylle. Die zum Sportplatz gekarrten Bier- und Weissweinreserven sind der einzige Lohn, für den die Spieler der Walliser Bergdorfmeisterschaft antreten. Was aber nicht heissen soll, dass sie ihren speziellen Wettbewerb nicht ernst nehmen – im Gegenteil. Von Anfang Mai bis Ende September spielen sie in 14 Runden den Bergdorfmeister aus, Gspon ist Rekordsieger in der erstklassigen Gruppe A.

In diesem Jahr droht dem Gastgeber allerdings der Fall in die Zweitklassigkeit (Gruppe B). Dann nämlich, wenn im letzten Saisonspiel eine Niederlage resultiert und die Schützenhilfe ausbleibt. Ziemlich bald ist auf dem kleinen Spielfeld auf knapp 2000 Höhenmetern klar, dass der FCG auf ebendiese angewiesen ist, da er gegen die Gäste aus Mund mit 1:5 Toren in Rückstand liegt. Zwar drehen die Gsponer – wie vom Trainer prophezeit – nach dem Seitenwechsel in der dünnen Höhenluft auf und kommen auf 4:5 heran, der Ausgleich bleibt aber trotz Chancen in den Schlussminuten aus. Ein Happy End hält die Saison für die 50 Zuschauer dennoch bereit: Weil Gamsen den direkten Konkurrenten aus Unterbäch knapp schlägt, bleibt der FC Gspon erstklassig.


SV Austria Salzburg - RB Salzburg

Vom Hass-Derby über das Nord-Süd-Derby bis zum B1-Derby mutiert im Sportjournalismus heutzutage gefühlt jedes dritte Spiel zum Derby, selbst wenn Meppen gegen Spelle oder St. Gallen gegen Winterthur antritt. Gar die «Mutter aller Derbys» wurde bereits simultan nach Belgrad, Buenos Aires, Krakau und Rom verdingt.

Auch rund um das Cup-Spiel zwischen dem Vorortklub aus Wals-Siezenheim und der Austria Salzburg gab es zahlreiche Derby-Neologismen. Faktisch ist es jedoch «nur» das Aufeinandertreffen eines ambitionierten Drittligisten und eines internationalen Dauergasts, emotional ist es zumindest das Duell zwischen Tradition und Moderne, das in Sachen Fankultur und soziokulturellem Werteverständnis grösstmögliche Dissonanz erkennen lässt.

Den medial heraufbeschworenen «Kampf um die Identität» hat die Austria Salzburg bereits weit vor diesem Abend gewonnen. Nichts verkörpert die Ideale des Salzburger Ursprungsvereins besser, als in den Gründerfarben durch die Region zu tingeln und engagierten Menschen, die vielfach in Fronarbeit der lokalen Jugend das Fussballspiel ermöglichen und das Vereinsleben hochhalten, etwas zurückzugeben. Und spätestens seit der 90-Jahres-Feier Anfang September und der dabei kommunizierten Schuldenfreiheit ist die Austria nach klammen Jahren auch wirtschaftlich gerüstet, mit mehr Weitsicht und Nachhaltigkeit den nächsten Anlauf mit dem Ziel Profifussball zu wagen und so den treuen Wegbegleitern auf Fanebene etwas zurückzugeben.

Übrigens: Vor 4101 Zuschauern endete das 1/16-Final im österreichischen Cup mit 0:4. Derart sekundär wie an diesem einseitig stimmungsvollen Abend dürfte ein Resultat in der Arena des ehemaligen Bundesligisten aber noch nie gewesen sein. Weitere Auftritte der Violetten wird es in Grödig allerdings nicht geben. Laut Sicherheitsbehörden ist das kleine Stadion am Fusse des Untersberg für Risikospiele ungeeignet, auch spricht sich das Land Salzburg gegen die Installation eines Kreisverkehrs an der Autobahneinfahrt aus. So scheint die Zukunft der Austria weiter in Maxglan: mit Lärmschutzwand und LED-Flutlicht, aber auch mit der Fantribüne und ihren unbeugsamen Vertretern darauf. Diese sammeln weiterhin für die Begleichung der Verbandsstrafe für den Einsatz von Pyrotechnik und können hier unterstützt werden.


FC Gagra - FC Dila Gori

In Georgien existieren bis heute Regionen, die ausserhalb der staatlichen Kontrolle stehen. Das bekannteste De-facto-Regime ist das im Westen des Landes gelegene Abchasien, das sich nach dem Niedergang der UdSSR mit russischer Hilfe für unabhängig erklärte. Auch Südossetien ersuchte zu dieser Zeit eine engere Bindung zum russischen Nordossetien und hält diese bis zur Gegenwart mit russischer Unterstützung aufrecht. Als unabhängige Staaten werden beide Regionen weltweit nur von jeweils fünf Ländern anerkannt. Als Antwort auf den Krieg mit Russland 2008 und den Verlust der beiden abtrünnigen Regionen wendet sich Georgien seither auf verschiedenen politischen Ebenen verstärkt dem Westen zu.

In Abchasien liegt auch Gagra, ein kleiner Küstenort am Schwarzen Meer, unweit der russischen Grenze. Mit Goderdzi Chikhradze und seinem Cousin Beso hegten 2004 zwei aus Gagra stammende Georgier den Plan, der Region mit dem FC Gagra einen Klub im georgischen Ligasystem zu schenken. Aufgrund der anhaltenden russischen Okkupation verwirklichten sie ihre Idee stattdessen in Tiflis – in Gagra hat der Klub indes noch kein einziges Spiel ausgetragen. So prangt eher symbolisch im Vereinswappen der Schriftzug «Georgia United», der als Aufruf zur Wiedervereinigung Abchasiens mit Georgien zu verstehen ist und dem Klub Kritik eingebracht hat, da er im Konflikt als georgische Propaganda angesehen wird. Nicht zu verwechseln ist der FC Gagra mit dem FK Gagra, der sich als Nachfolger des aufgelösten Klubs Dinamo Gagra sieht und aktuell am Spielbetrieb der höchsten Liga Abchasiens teilnimmt.

Gespielt wird im Davit-Petriashvili-Stadion im Norden von Tiflis, die Szenerie erinnert aber eher an eine Partie in einem Wüstenstaat: eine Lage im Niemandsland, Staub auf der Laufbahn, eine sterile Tribüne und – allem voran – zahlreiche leere Sitzschalen. Nur gerade 300 Zuschauer bevölkern die Spielstätte und sehen ein bescheidenes 0:0. Für den grössten Aufreger sorgt ein Kleinkind, das mehrere Sitzreihen herunterfällt (was hier lediglich Erwähnung findet, weil der Vorfall zum Glück nur kleine Blessuren und grosses Weinen zur Folge hat). Deutlich interessanter ist der Gegner und dessen Herkunft: Mit dem FC Dila Gori ist der Klub zu Gast, der seinem Namen dem bekannten Gedicht «Dila» (Morgen) verdankt. Es stammt aus der Feder von Josef Dzhugashvili, besser bekannt als Josef Stalin. Gori ist denn auch die Stadt, in welcher der Vater der Sowjetunion einst das Licht der Welt erblickte.


FC Lokomotivi Tbilisi - FC Kolkheti Poti

2022 war für Lokomotivi Tbilisi ein Jahr zum Vergessen. Hatte der Klub im Herbst 2020 noch in der 3. Qualifikationsrunde zur Europa League gestanden, brachte er in der jeweils unter dem Kalenderjahr ausgespielten Vorsaison kein Bein vor das andere: Aus 36 Spielen resultierte ein einziger Sieg, dazu gab es über 100 Gegentore. Für die grösste Schmach zeichnete allerdings die eigene Zweitmannschaft verantwortlich: Während sich Lokomotivis Profis bereits im Achtelfinal aus dem Wettbewerb verabschiedet hatten, qualifizierte sich der Viertligist sensationell für den georgischen Pokalfinal.

Auch nach dem Abstieg hängt der Haussegen beim Klub mächtig schief, der derzeit auf einem Relegationsplatz stehend weiterhin um die kommende Teilnahme an der zweiten Liga zittern muss. Gegen den Favoriten aus der Küstenstadt Poti zeigten die Gastgeber allerdings einen gelungenen Auftritt und gingen früh in Führung. Lediglich ein kurz ausgeführter Eckball vermochte die Abwehr der Hauptstädter in der Folge zu knacken und das 1:1 kann von den 300 Zuschauern als Teilerfolg auf der Mission Ligaerhalt gewertet werden. Seine Heimspiele trägt der Eisenbahnklub auf dem ausgebauten Nebenplatz des Micheil-Meschi-Stadions aus, das am Fusse des bewaldeten Hangs unter dem bekannten Schildkrötensee liegt.

Lokomotivis Heimatbezirk Saburtalo wirkt mit seinen modernen Gebäuden, Hochhäusern und Bürokomplexen wie ein Fremdkörper in Tiflis und Georgien, das ansonsten eher von gelb markierten oberirdischen Erdgasleitungen, Autos, denen die halbe Karosserie fehlt, und von Strassenhunden geprägt ist. Immer wieder sorgen auch Alltagsszenen für Unterhaltung: Sei dies in Form eines 1860er-Trikots aus der Kleidersammlung oder eines alten Feuerwehrautos, das bei seinen Einsätzen noch immer die Aufschrift aus dem bayrischen Geretsried trägt.

Abseits dieser Eindrücke zeigt sich besonders Georgien von seiner religiösen Seite: 90 Prozent der einheimischen Bevölkerung sind Christen, hauptsächlich georgisch-orthodox, und das mit einer Hingabe, die sich nicht nur auf dem Papier widerspiegelt. Auf ausgeprägten Traditionen beruht auch die lokale Küche, die kulinarische Köstlichkeiten wie Khachapuri (überbackenes Käsebrot), Khinkali (gefüllte Teigtaschen) oder Dolma (gefüllte Weinblätter) bereithält. Zumindest aus optischer Sicht gewöhnungsbedürftig sind hingegen die verbreiteten Tschurtschchela – aufgeschnürte Nüsse mit einem Überzug aus Traubensaft.


FC Rustavi - FC Chikhura Sachkhere

Der Zerfall der Sowjetunion brachte Georgien zwar die Unabhängigkeit, aber auch den wirtschaftlichen Niedergang. Beispielhaft dafür ist die Industriestadt Rustavi, eine halbe Stunde südöstlich von Tiflis gelegen, die einst eines der grössten Stahlwerke des Vielvölkerstaates beherbergte, auf das auch die Existenz der 130’000-Einwohner-Stadt zurückgeht. Das Siedlungsgebiet ist durch den Fluss Kura in Alt- und Neustadt aufgeteilt, hält aber an beiden Uferseiten kaum architektonische Blickfänge bereit.

Einzig für Fussballromantiker bietet die Stadt mit dem Poladi-Stadion eine Sehenswürdigkeit. Dieses diente lange Zeit dem Klub Metallurg Rustavi als Heimstätte, seit 2015 hat das «Stahl-Stadion» mit dem FC Rustavi einen neuen Nutzer gefunden. Trotz modernem Anstrich im Logo vermag auch dieser die Massen nicht zu begeistern, sodass an diesem Donnerstag nach dem Feierabend rund 200 Zuschauer eintrudeln und einen Kantersieg des Heimteams zu sehen bekommen. Das diskussionslose 6:0 animiert ein Trio Jugendlicher, sporadisch ein barsches «Ru-sta-oui» von sich zu geben.

Der Gegner aus Sachkhere erlebte in den letzten Jahren einen beispiellosen Niedergang: Trat der Klub in der Saison 2019/20 noch in der Qualifikation zur Europa League an, begann mit der Trennung von Trainer Samson Pruidze kurz darauf die rasante sportliche Talfahrt. Gar nur ein Lizenzentzug eines Konkurrenten bewahrte den Ex-Erstligisten in der abgelaufenen Spielzeit vor dem Fall in die Viertklassigkeit. Dieser scheint aber nur eine Frage der Zeit: Chikhura steht abgeschlagen am Tabellenende der dritten georgischen Liga.