FC Hansa Rostock - SG Dynamo Dresden

Müsste ich mich auf ein Duell beschränken, das in Deutschland auf Fanebene die grösste Brisanz aufweist, es wäre das Aufeinandertreffen zwischen Hansa Rostock und der Sportgemeinschaft aus Dresden. Beide Klubs verfügen über eine Anhängerschaft, welche die deutsche Fanlandschaft mitprägt – auf und neben den Rängen sowie an den Wänden. Wesentlich objektiver ist die Bezeichnung der Partie als «grösstes Ostduell», zumal die beiden die einzigen Klubs waren, die in der Premierensaison nach der Wende in der 1. Bundesliga antraten. Während Hansa dieses Kunststück im 21. Jahrhundert zu wiederholen vermochte, bleibt Dynamo immerhin der Titel des erfolgreichsten Ostvereins mit kumuliert 15 Siegen im FDGB-Pokal und in der DDR-Oberliga.

Für Menschen, die ihre Freizeit damit verbringen, in Kreuzworträtseln die internationale Fanfreundschaft von Ingolstadt (Caen) einzutragen, sind die Klubs aber primär aufgrund der Machenschaften der beiden Fanszenen, angeführt von den Suptras Rostock und den Ultras Dynamo, bekannt. Bereits das Hinspiel in Sachsen war durch eine grosse Zahl Frühaufsteher aus Mecklenburg-Vorpommern in den Morgenstunden lanciert worden – eine Revanche für den Dresdner Besuch in Warnemünde vor einem Jahrzehnt. Auch im Stadion geizten die Rostocker im Hinspiel nicht mit Sticheleien und führten diese heuer fort. Nebst dem Vorwurf der Nutzung von KI-Bildgenerierungstools für Choreografien äusserte sich die Südtribüne im Infozine «Greif zu» zur Social-Media-Inszenierung des K-Blocks kritisch. Da im Rostocker Selbstverständnis kein Platz für Fanfreundschaften bleibt, griffen die Autoren auch die Dresdner Kontaktfreudigkeit auf und stellten das neue Bündnis zu Motor Lublin dem mittlerweile aufgelösten zum GKS Katowice gegenüber.

Tatsächlich transportiert die Rostocker Fanszene für Aussenstehende eine starke Kompromiss- und Bedingungslosigkeit, die im Stadionumfeld von Sprüchen wie «Wenn ich zwei Leben hätte, würden beide dir gehören» oder dem bekannten «Alles für den FCH» untermauert werden. In meinen Augen offenbart diese Gesinnung, die unbestritten Eindruck verschafft, auch eine verletzliche Seite, die ostdeutsche Menschen und Fanszenen nach der Wende und der Abwanderung vieler in den Westen zu verbinden scheint. Dass diese Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Mentalität nicht mit dem Mauerfall endete, zeigten nebst den schlagkräftigen Ultra-Gruppierungen in anderem Kontext auch die Bundestagswahlen am Folgetag.

Die östliche Prägung bestätigt auch ein Blick auf die beiden Fankurven. Statt Fahnen und Folklore sind Klatscheinlagen und kurze, aber sehr laute Fangesänge Trumpf. Besonders auf Seiten der Dresdner scheint der polnische Stil mit martialischer Aussendarstellung und langen Pausen zwischen den Liedern immer stärker Einzug in die Supportbemühungen zu halten. Den Vorwurf, Künstliche Intelligenz als Inspirationsquelle zu nutzen, konterten sie hingegen mit einem gelungenen Spruchband, welches das Wort Handarbeit um eine Deutungsdimension erweiterte und auf einige Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit abseits des Spielfelds anspielte.

Auch aus fussballerischer Sicht bot die drittklassige Partie im ausverkauften Ostseestadion eine vielversprechende Ausgangslage. Während die Kogge nach einem Schuss vor den Bug in Mannheim auf Wiedergutmachung aus war, reiste Dynamo mit breiter Brust und auf einem Aufstiegsplatz stehend zum Absteiger. Vom Fehltritt beim Waldhof war wenig zu spüren und so sahen 26‘000 Zuschauer aufopferungsvolle Hanseaten, die das frühe 1:0 bis zum Schlusspfiff zu konservieren vermochten. Eine beeindruckende Auslastung im Jahr des 60-jährigen Bestehens des FCH, besonders, wenn man bedenkt, dass der Klub vor einer Dekade gegen unattraktive Gegner noch vor drei Mal weniger Publikum gespielt hatte.

Dass ein Teil der Anwesenden einzig im Duell mit St. Pauli noch mehr Abneigung verspürt, zeigte sich vor Beginn der 2. Halbzeit, als die Gästefans gleich von zwei Seiten mehrere Minuten mittels Feuerwerkskörper unter Beschuss genommen wurden. Die Reaktion aus dem Gästeblock liess nicht lange auf sich warten: Aus den unteren Reihen stürmten Personen hinter die Tribüne, wo sie das Tor in Richtung Südtribüne zu öffnen versuchten, sich aber nur Ordner und der Polizei gegenüberstehen sahen.

Ausschreitungen werden in Rostock auch durch die Einteilung der Sektoren befeuert, zumal der Gästeblock ebenfalls im Süden und damit unmittelbar neben dem Standort der Fanszene des FCH liegt. Auch vom zweiten Stimmungszentrum aus, dem Block 9A, ist es ein leichtes, über die Osttribüne bis wenige Meter vor den Gästeblock zu gelangen. Die spezielle Situation ist historisch bedingt und gründet nebst dem Neubau des Stadions auf dem Umzug von Teilen der Fanszene aus dem Nordosten in den Sektor 27A, wo auch die Suptras entstanden und in den Folgejahren stets gewachsen sind. Weil eine Rückkehr auf die Nordtribüne seitens des Vereins aufgrund von bereits vergebenen Dauerkarten scheiterte, etablierte sich das neue Stimmungszentrum im Süden über die Jahre und grenzt seither an den permanenten Pufferblock.

Die dortigen Sitzschalen und das Stahlnetz stehen stellvertretend für den schmalen Grat in Rostock zwischen grandiosem Support und verantwortungslosem Rowdytum. Diese Ohnmacht teilt die Vereinsführung, dessen Aufsichtsrat mit Sebastian Eggert der Suptras-Mitgründer und ehemalige Vorsänger vorsteht, mit Teilen der Fanszene, etwa wenn nach einer Woche Kampfsporttraining das Porzellan in den Toiletten der Gästeblöcke als einziger Gegner bereitsteht.


FC Barcelona - Atalanta BC

Soweit das Auge reicht: Trikots der grossen europäischen Topklubs. Doch die Szene spielt nicht etwa an einem Verkaufsstand an der Strandpromenade von Rimini, sondern am Flughafen von Barcelona. Anlässlich der 18 (!) zeitgleichen Champions-League-Spiele sind unzählige Fussballfans quer durch Europa unterwegs: Benfica-Anhänger stehen am Gate für den Flug nach Turin, gestresste Exil-Milanisti machen sich auf den Weg nach Zagreb, Arsenal-Fans reisen ins nahegelegene Girona, während Bologna-Supporter ihr Gate für den Weiterflug nach Lissabon suchen.

Bologna weckt schmerzhafte Erinnerungen. Vor zehn Jahren reiste ich mit gerissenem Kreuzband in die Emilia-Romagna, um ein Aufstiegsspiel der Serie B zu sehen. Ein Jahrzehnt später spielt Bologna in der Königsklasse – und ich habe mir das Kreuzband im anderen Knie gerissen. Doch wie damals hält mich das nicht von einem lang geplanten Spielbesuch ab. Mit Krücken kämpfe ich mich durch das Terminal und später hinauf auf den Montjuïc, Barcelonas Hausberg. Dort, im Olympiastadion der Sommerspiele 1992, trägt der FC Barcelona seit Mai 2023 seine Heimspiele aus, weil das Camp Nou immer mehr an die Sagrada Família erinnert – ein weiteres Bauprojekt ohne absehbares Ende.

Entsprechend entspannt gestaltet sich der Aufenthalt abseits des Fussballs: An der Carrer de Blai im Viertel Poble Sec laden Tapas und Tinto de Verano sowie die milden Temperaturen zum Verweilen ein. Der Spielbesuch folgt auf Rängen und Rasen dem erwarteten Muster: Während Bergamo aus sportlicher Sicht tapfer mithält und den Katalanen zum Abschluss der Ligaphase ein 2:2 abringt, bleibt der Grossteil der 42‘728 Zuschauer apathisch. Unter ihnen weilen viele Touristen – besonders junge Paare – bei denen die gelangweilte Freundin ihrem Freund wohl einen Gefallen tut. Statt Bier gibt es Popcorn, anstelle von selbstgemalten Bannern werden im Innenraum Fahnen mit der Aufschrift «Let‘s go Team» geschwenkt und die zagen Barca-Rufe verebben zügig im Rund. Generell scheint die Anhängerschaft der «Blaugrana» das nach Lluis Companys, dem ehemaligen Präsidenten Kataloniens, benannte Stadion nicht zu akzeptieren, zumal es trotz deutlich tieferer Kapazität als das Camp Nou nur selten ausverkauft ist.

Auch die dreitausend Gäste aus Bergamo wirken hinter der Plexiglasscheibe im weitläufigen Oberrang etwas verloren und vermögen einzig in der ereignisreichen zweiten Halbzeit mit einigen lauten Gesängen auf sich aufmerksam zu machen. Trotz des engen Spielplans weilen auch einige Vertreter von Ultras Frankfurt unter ihnen, zumal die Partie den offiziellen Besuch zum 25-jährigen Bestehen der Freundschaft darstellt, auch wenn diese zum Zeitpunkt der Partie bereits ins 26. Jahr übergegangen ist. Auf den Tag genau 30 Jahre zurück liegt hingegen der Tod von Vincenzo Spagnolo, dem Genoa-Fan, der 1995 von einem Anhänger der AC Milan erstochen wurde. Die Bergamasken erinnern mit einem Spruchband an ihn – eine Geste, die besonders passend erscheint, trägt Spagnolo doch den Übernamen «Spagna» (Spanien).


Gillingham FC - Bromley FC

Derzeit verkörpert der Fussballklub in Gillingham alles andere als den «Pride of Kent», den er sich selbstbewusst auf die Fahnen schreibt. Gegen den Aufsteiger aus der beschaulichen Londoner Vorstadt Bromley liegt der Gastgeber bereits nach 26 Minuten mit zwei Toren zurück. Die Pfiffe und Unmutsbekundungen der Anhänger sind – obwohl die Ansprüche englischer Fans und die Möglichkeiten ihres Lieblingsteams stark voneinander abweichen – an diesem Abend nachvollziehbar. Die «Gills» agieren in der Defensive stümperhaft und kassieren nach dem Seitenwechsel prompt das 0:3. Ein in den Nachthimmel beförderter Elfmeter stellt in der 87. Minute den Schlusspunkt eines missglückten Auftritts im Lokalduell dar.

Konträr präsentiert sich die Gemütslage bei den knapp tausend Gästefans, die sich auf der unüberdachten Hintertortribüne sowie in den äusseren Sektoren der Gegentribüne eingefunden haben. Für sie ist bereits die Teilnahme an der viertklassigen League Two ein Highlight, schliesslich stellt sie für den Klub die erste Spielzeit im englischen Profifussball dar. In welchen Gefilden der Bromley FC normalerweise verkehrt, zeigt die gelungene Verfilmung «The Bromley Boys», die auf der gleichnamigen Autobiografie des Bromley-Fans Dave Roberts basiert.

Aus Sicht der Gastgeber bleibt an diesem Abend einzig das mit 7454 Zuschauern beachtlich gefüllte Priestfield Stadium positiv in Erinnerung, das im Schummerlicht der Flutlichter inmitten eines Wohnquartiers auch nach einer bitteren Niederlage versöhnlichen Charakter aufweist und dem die Fans aus der Stadt an der Themsenmündung vielleicht die eine oder andere bittere Anekdote eher verzeihen.


Brentford FC - Arsenal FC

Der Anfang des neuen Jahres erinnert mich an meine Anfänge als fussballbegeisterter Jugendlicher, als ich meinen Vater während eines Städtetrips nach London zu einem Pokalspiel zu überreden vermochte. Brentford, damals Drittligist, duellierte sich an einem Dienstagabend mit Crawley Town. Das Ticket kostete fünf Pfund und die wenigen tausend Fans konnten sich auf den Tribünen des Griffin Park frei bewegen. Über zwölf Jahre später hat sich im Westen der englischen Hauptstadt viel verändert: Der Klub spielt mittlerweile in der obersten Liga und besitzt ein neues Stadion sowie ein abstrahiertes Logo. Der Einlass kostet inzwischen das Zehnfache, die Einlassberechtigung gibt es nur noch digital. Die Verpflegung für in der Halbzeitpause können die Fans am Bildschirm vorbestellen. Vor Anpfiff sorgt Live-Musik in den Gängen des Stadions für Unterhaltung, während auf dem Bildschirm Werbung zur Serie «Squid Game» läuft und auf den Rängen eine Lichtshow – unterlegt von lauten Bässen – die Zuschauer blendet. Einzig die abrupt abfallenden Ecken der Hintertortribünen, bedingt durch die dahinterliegende Bahnlinie, und der grosse Safe-Standing-Bereich verleihen dem Stadion eine gewisse Charakteristik.

Immerhin ist das kurzweilige Treiben auf dem Rasen nach dem Abnützungskampf am Vortag in Scunthorpe eine Wohltat für die Augen. Brentford erzielt entgegen dem Spielverlauf früh die Führung, findet im Anschluss immer besser in die Partie und muss dennoch vor dem Seitenwechsel den Ausgleich hinnehmen. Nach der Pause sorgen die Gunners mit einem Doppelschlag vor 17‘190 Zuschauern früh für klare Verhältnisse. Am 1:3 aus Sicht der couragiert auftretenden Gastgeber ändert auch ein etwas verzweifelt wirkender Vierfachwechsel zum Anbruch der Schlussphase nichts mehr. Mit dem Besuch in der neuen Heimat der «Bees» komplettiere ich abermals die Premier League ­– zumindest bis im Sommer mit dem Goodison Park das nächste historische Stadion vom englischen Erdboden verschwindet.


Scunthorpe United - King's Lynn Town

Für das Schweizer Radio und Fernsehen schrieb ich am Ende einer Abendschicht einst eine Lückenfüller-Meldung mit dem Titel «Scunthorpe United: Das schlechteste Team der Geschichte». Der zugegeben etwas gewagte Titel bezog sich auf den Tweet eines englischen Fussballfans – einer Gattung, die mit Kritik gegen den eigenen Verein in Krisenzeiten nicht geizt – und hatte durchaus seine Berechtigung. Der Fan wies mit seiner drastischen Wortwahl darauf hin, dass die 26. Saison-Niederlage für Scunthorpe United den vorzeitigen Abstieg aus dem Profifussball bedeutete.

Tatsächlich verkörperten «The Iron» mit 26 Punkten aus 46 Spielen und einem Torverhältnis von minus 61 zum Ende der Spielzeit den schlechtesten Absteiger in der Geschichte der English Football League (EFL). Doch mit dem Fall aus der EFL war die Misere für das Team und seine Anhänger, die 2018 noch in den Playoffs um den Aufstieg in die zweite Liga mitgefiebert hatten, noch nicht ausgestanden: Als Vorletzter in der Folgesaison wurde Scunthorpe United gar in die sechste Spielklasse durchgereicht.

Von «Sunny Scunny», einem bekannten Lied einer lokalen Punkband, ist nicht nur der Klub derzeit meilenweit entfernt. Auch die Industriestadt mit 80‘000 Einwohnern hat ihre Blütezeit rund um die Stahlproduktion längst hinter sich und in der strukturschwachen Gegend dominieren heute Barbershops und Wettbüros die Szenerie. Das am Stadtrand neben einem Moor am Bahngleis gelegene Stadion mit Wellblechfassade fügt sich nahtlos in das trostlose Gesamtbild ein. Bei starkem Wind und sandiger Unterlage ist das sechstklassige Verfolgerduell geprägt von englischer Härte – passend zum Vereinslogo, das eine Faust, die einen Stahlträger hält, zeigt. Trotz des Termins in den Nachmittagsstunden eines Wochentages sehen beachtliche 4165 Zuschauer einen verdienten 3:0-Sieg ihrer Mannschaft über die Gäste aus King’s Lynn.


AFC Wimbledon - Gillingham FC

Offiziell steht das Akronym «AFC» im Vereinsnamen des AFC Wimbledon für «Association Football Club». In der Alltagssprache wird es jedoch häufig als «A Fan’s Club» interpretiert – ein subtiles Indiz dafür, dass im Süden Londons vieles anders läuft. 1889 gegründet, war der FC Wimbledon lange Zeit im Amateurfussball verankert, bevor ihm Mitte der 1960er-Jahre der Einstieg in die Profiligen gelang. Es folgten bemerkenswerte Jahre, in denen der Verein ab 1986 sogar in der Premier League vertreten war. Der grösste Triumph der Vereinsgeschichte gelang zwei Jahre später mit dem überraschenden Sieg im FA Cup.

Doch dieser Höhenflug hielt nicht ewig: Der Jahrtausendwechsel läutete den sportlichen und finanziellen Niedergang ein. In einem beispiellosen Schritt beschloss die Klubführung, den Verein nach Milton Keynes zu verlegen – einer Planstadt nördlich von London. Diese Entscheidung sorgte für grosse Empörung unter den Fans. Die Verantwortlichen brachen Versprechen, änderten den Namen in «MK Dons» und entfernten ausser dem Übernamen jeglichen Bezug zu Wimbledon. Mit der offiziellen Neugründung im Jahr 2004 verschwand der FC Wimbledon endgültig von der Fussballlandkarte.

Doch die Wimbledon-Fans liessen sich davon nicht entmutigen. Bereits 2002, als die Verlagerung des Vereins beschlossen wurde, gründeten sie einen neuen Klub: den AFC Wimbledon. Nebst dem Namen und Logo sicherten sie mit dem «Dons Trust» auch die Kontrolle über den Verein. In dieser von den Fans getragenen Non-Profit-Organisation besitzt jedes Mitglied eine gleichwertige Stimme. Von der breiten Basis getragen, kämpfte sich der AFC Wimbledon durch die englische Ligapyramide zurück und feierte 2011 die Rückkehr in die «English Football League».

Eine Dekade später folgte der nächste Meilenstein für die «Womblers»: die Rückkehr an die Plough Lane, den Ort, an dem der Verein einst beheimatet war. Nach Jahren im Exil an der Kingsmeadow konnte Wimbledon wieder in seinem Viertel Fuss fassen – einer Gegend, die sonst vor allem durch das jährliche Tennisturnier auf den Rasenplätzen des «All England Lawn Tennis and Croquet Club» bekannt ist.

Doch zwischen modernen Wohnblocks, saftigen Ticketpreisen und sterilen Stadiongängen wirkt der Charakter des Fanvereins zunehmend verblasst. Beim Heimspiel gegen Gillingham siegt Wimbledon vor 8’281 Zuschauern knapp mit 1:0. Der entscheidende Treffer fällt nach einem Eckball und wird regelwidrig mit dem Arm erzielt – ein Umstand, den der gesamte Gästeblock bemerkt, nur der Schiedsrichter nicht. Die drei glücklichen Punkte bedeuten für Wimbledon nicht nur einen Fortschritt im engen Kampf um die Aufstiegsplätze in der League Two: Sie festigen auch den Vorsprung der echten «Dons» auf die vermeintlichen Totengräber aus Milton Keynes.


Peterborough United - Barnsley FC

Eine Stunde nördlich von London liegt Peterborough, das seinen Namen als auch die prunkvolle normannische Kathedrale aus dem Mittelalter dem heiligen Petrus verdankt. Das zweite sehenswerte Bauwerk in der 220’000-Einwohner-Stadt ist auf der südlichen Uferseite des Flusses Nene an der namensgebenden London Road zu finden. Es handelt sich um das Stadion des lokalen Fussballklubs, bei dem besonders die Haupttribüne mit ihren Holzbänken und dem Giebeldach aus Wellblech in Zeiten moderner Multifunktionsarenen für willkommene Abwechslung sorgt.

Dies, obwohl das hier beheimatete Peterborough United den Übernamen «The Posh» (Die Noblen) trägt. Tatsächlich schwingt bei dieser Bezeichnung Sarkasmus mit, zumal sie auf die Aussage eines Trainers in der Anfangszeit zurückgeht, der einen «noblen Klub» mit «noblen Spielern» formen wollte – stattdessen ging Peterborough United wenige Jahre später bankrott. Etwas mehr Bescheidenheit hätte auch Victoria «Posh Spice» Beckham nicht geschadet, die 2002 beim britischen Patentamt mit einer Gegenklage auf den Antrag des Klubs reagierte, als dieser den Spitznamen «Posh» für kommerzielle Zwecke registrieren wollte. Das ehemalige Spice Girl blieb mit seiner Klage erfolglos.

Kaum Erfolge verzeichnet auch Peterborough United, das nach einer Spielzeit in der 2. Liga seit 2022 wieder in der drittklassigen League One antritt. Eine Ausnahme stellt der Gewinn der EFL-Trophy dar, den Pokalwettbewerb der Dritt- und Viertligisten sowie der oberklassigen Reserveteams, bei dem Peterborough den Titelverteidiger stellt. In der Liga kommen die Blau-Weissen hingegen auch zum Jahresabschluss nicht auf Touren: Gegen Barnsley werden die 9404 Zuschauer – ausverkauft ist das Stadion meist nur im Derby gegen Cambridge – für ihr Kommen nicht belohnt. Nach einem schwachen Start in die zweite Halbzeit vermiest ein unglücklicher Platzverweis den Gastgebern die Aufholjagd, sodass ihr Maskottchen «Peter Burrow» beim 1:3 nur einmal euphorisch an der Seitenlinie entlangrennen und seine Karotte frenetisch durch die Luft schwingen kann.


Soul Tower Hamlets - Clapton CFC

«Im East End fanden sie einen tief verwurzelten Zusammenhalt und starkes Misstrauen gegenüber Fremden und Autoritätspersonen.» Mit diesen Worten beschreibt der britische Fernsehsender BBC die Wahl für den Namen ihrer vielfach ausgezeichneten Serie «EastEnders», die seit 40 Jahren vom Alltag fiktiver Bewohner im Osten von London erzählt, deren Heimat längst zum nationalen Synonym für sozial unterprivilegierte Stadtgebiete oder Arbeiterviertel avanciert ist.

Tatsächlich wirkt die Gegend, in der einst Jack the Ripper oder die Kray-Zwillinge Angst und Schrecken verbreiteten, auch heute noch wenig einladend. In der Dämmerung ziehen Jugendgruppen durch die Seitenstrassen und von den öffentlichen Mini-Fussballfeldern sind teils heftige Wortgefechte zu vernehmen. Auch im Pub reicht ein energisches «Alice» eines verwahrlosten Mittdreissigers, um die Dame hinter dem Tresen zu animieren, ihm einen Drink zu spendieren. Diesen schlürft er lautstark und verlässt kurz darauf wortlos die leere Bar – nicht aber, ohne uns noch kurz auf die Schulter zu klopfen.

Im East End ist auch der Soul Tower Hamlets FC beheimatet. Der etwas sperrige Name entspringt einer Fusion zwischen dem Soul FC und den bekannteren Tower Hamlets, die sich auf den gleichnamigen Stadtteil berufen. Das Zuhause des Zehntligisten stellt das Mile End Stadium dar, welches – für England untypisch – über eine Laufbahn sowie eine kleine Tribüne verfügt. Richtig eng wurde es im Osten der Hauptstadt nur einmal vor dreissig Jahren, als die Band «Blur» vor knapp 30‘000 Zuschauern ein Konzert spielte. An diesem Samstag ist die Kulisse mit 327 Zuschauern ebenfalls überdurchschnittlich. Grund dafür ist das Derby in der «Southern Counties East League Division One», welches die Soul Tower Hamlets gegen den fangeführten Clapton CFC austragen. Ähnlich wie in Manchester oder Wimbledon hatten hier Fans, die sich mit dem Clapton FC nicht mehr identifizieren konnten, ihren eigenen Klub mit dem Zusatz «Community» ins Leben gerufen und begleiten diesen seither durch den Ligaalltag im englischen Unterhaus. Beim 2:1-Sieg für die Gastgeber steigen ihre Gesänge zur Melodie von «Dirty Old Town» wie eine Ode ans Londoner East End an den hinter dem Spielfeld im Nebel versinkenden Hochhäuser der Docklands empor.


Fortuna Sittard - Twente Enschede

Starker Regenschauer und eine zügige Bise erinnern uns in Sittard daran, dass es Ende November angenehmere Tätigkeiten an einem Samstagabend gibt, als auf einer nassen Sitzschale im Freien auszuharren. In der 38‘000-Einwohner-Stadt unmittelbar hinter der deutschen Grenze hält sich der lokale Erstligist seit sechs Jahren in der höchsten Spielklasse der Niederlande. Erstmals steht der kleine Klub halbwegs souverän in der vorderen Tabellenhälfte und darf als Siebter der Eredivisie mit breiter Brust den FC Twente aus Enschede empfangen.

Trotz des ansprechenden Saisonverlaufs hält sich die Stimmung beim Heimanhang rund um die «Tifosi Giallo Verde» – früher als «TGV Boys» bekannt – in Grenzen. Die Versuche, die 9013 Zuschauer in den Support miteinzubeziehen, wirken ähnlich unglücklich wie die grün-gelbe Farbkombination des Klubs im Zusammenhang mit den zu grossen Teilen blau-gelben Sitzschalen des Stadions.

Am lautesten wird es nach einem langen Abstoss von Fortuna-Goalie Mattijs Branderhorst, der zur Vorlage für den zwischenzeitlichen Ausgleich avanciert. Dass am Ende dennoch die 800 Anhänger im Gästeblock jubeln dürfen, verdankt Twente dem ehemaligen Basel-Stürmer Ricky van Wolfswinkel. Dem Siegtorschützen zum 1:2 aus Sicht der Gastgeber widmen die Gästefans prompt ein eigenes Lied. Zwar fehlen den meisten ihrer Gesänge noch die inhaltliche Tiefe, doch die Freundschaft zur renommierten Fanszene des FC Schalke 04 scheint auch in diesem Zusammenhang langsam ihre Früchte zu tragen.


KFC Uerdingen - MSV Duisburg

Der «Grotifant» trottet traurig in die Kabine, sein KFC-Fähnchen hat er zusammengerollt, den Kopf hält er gesenkt. Dabei stand das Krefelder Maskottchen zwei Stunden zuvor noch wild gestikulierend am Spielfeldrand, als wären für einmal die Elefanten auf Zebrajagd. Zwischen den beiden Momentaufnahmen liegen zwei Stunden und ein verlorenes Lokalduell, das der KFC Uerdingen gegen den MSV Duisburg innert drei Minuten aus der Hand gegeben hatte. Während des Doppelschlags auf dem Platz zum 1:2 waren sich auch mitten auf der Haupttribüne einige Ehrengäste in die Haare geraten.

Als Aussenstehender passte diese Szenerie zum KFC. Bereits die zwölfminütige Verspätung beim Anpfiff aufgrund eines technischen Defekts hatte gezeigt, dass hier vieles anders läuft: An jedem Flutlicht brennen unterschiedlich viele Lampen, im Medienraum wird dünner Filterkaffee serviert und auf den Stehtraversen sorgt einzig das nasse Herbstlaub für halbwegs farbliche Lebensfreude. Trotz den zu grossen Teilen gesperrten Hintertotribünen vermeldet der KFC ein mit 10‘000 Zuschauern ausverkauftes Regionalliga-Heimspiel.

Einen kleinen Sieg im «Stadtteilderby» gegen Meiderich hatte Uerdingen bereits vor Anpfiff gefeiert, als die Gastgeber erstmals in dieser Saison mit einem Sponsor auf der Brust aufliefen. Diese schien mit der Neuheit gleich noch breiter, sodass der KFC verdient mit einer Führung in die Pause ging und sich auch nicht über die Unterstützung von den Tribünen, wo Freunde aus Venlo und Graz ihrem Anhang zur Seite standen, beklagen konnte. Erst mit dem erwähnten Doppelschlag erlangte der Tabellenführer aus Duisburg die doppelte Vorherrschaft: Während die MSV-Akteure ihre Ausdauer unterstrichen, vermochte der Kern der blau-weissen Fanszene, unterstützt von Vertretern der Ultras Mainz, der Brigata Tifosi von De Graafschap und Anhängern der Colectivo Ultras 95 des FC Porto, nun vermehrt den Grossteil der fünftausend Gästeanhänger in ihre Gesänge einzubinden.

Während die spielerische Geschichte an diesem kalten Herbstnachmittag schnell erzählt ist, stellt die Aufschlüsslung der Vereinsgeschichte des KFC unbestritten den Opus magnum eines jeden Groundhoppers und Hobbyhistorikers dar. Für Diskussionen sorgen bereits der Vereinsname als auch die Herkunft, schliesslich trägt der Klub sowohl den Namen seiner Stadt als auch den eines Stadtteils in sich. Dass Uerdingen bereits 1255 und damit deutlich vor Krefeld (1372) das Stadtrecht verliehen bekam, befeuert die Diskussion zusätzlich. Die Tatsache, dass der Klub zwischen 1975 und 1995 mit dem Namen und Logo des nahegelegenen Pharmakonzerns auftrat, offenbart einen weiteren Nebenschauplatz in den wirren Annalen dieses Vereins.

Zu den Diskussionen rund um den Namen und die Herkunft gesellen sich sportliche und vereinsinterne Unbeständigkeit. Hatte Uerdingen 1986 mit dem Wunder von der Grotenburg noch den Einzug in den Halbfinal des Europapokals der Pokalsieger über den DDR-Vertreter Dynamo Dresden geschafft, fand sich der Klub 35 Jahre später in der fünften Liga wieder. Zwar kämpfte sich der KFC nach zwei Spielzeiten in der Ober- wieder in die Regionalliga hoch, doch leere Versprechen, strukturelle Misswirtschaft und finanzielle und menschliche Defizite gehören weiterhin zu den Begleiterscheinungen in der Anamnese des KFC. Mit Agissilaos «Lakis» Kourkoudialos oder Michail Ponomarew seien hierbei stellvertretend zwei Namen genannt, die den KFC als vermeintliche Heilsbringer an den Abgrund hievten und das Krankheitsbild des KFC in den letzten Jahren prägten. Wer weiss, ob statt des einstiges Klubnamens «Bayer 05 Uerdingen» nicht viel eher die überstrapazierten Nerven der KFC-Anhänger dafür verantwortlich sind, dass die Fanszene ihre Gedanken und Erfahrungen in einem Fanzine mit dem Titel «Beipackzettel» bündelt.