FC Paradiso - FC St. Gallen

«Wenn jemand sucht, dann geschieht es leicht, dass sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht, dass er nichts zu finden, nichts in sich einzulassen vermag, weil er nur an das Gesuchte denkt, weil er ein Ziel hat, weil er vom Ziel besessen ist. Finden aber heisst: frei sein, offen stehen, kein Ziel haben.» Das «Ding» oder «Ziel» in den Zeilen aus Siddhartha von Hermann Hesse verkörpert im Kontext des FC St. Gallen der Schweizer Cup-Pokal.

Gleich zwei Mal hatte Grün-Weiss in den letzten Jahren aufgrund der besessenen Sucherei auf Rang und Rasen das Finden vergessen und das Endspiel im Pokalwettbewerb verloren. Schmerzhafte Erinnerungen, sodass angesichts der 1/16-Final-Partie des FC St. Gallen in Montagnola, wo Hesse das zitierte Werk geschrieben hat, das Finden im Fokus stand.

Gefunden habe ich im kleinen Tessiner Dorf sowohl die Casa Camuzzi als auch die Casa Rossa mit ihrer wunderschönen Aussicht, in denen der Schriftsteller lebte und später seinesgleichen wie Thomas Mann oder Bertolt Brecht politisches Asyl bot. Noch vor Hesses Tod hatten sich mit Friedrich Pollock und Max Horkheimer auch ein Wegbereiter und ein Gründer der Frankfurter Schule nach ihrer Emeritierung in Montagnola niedergelassen. Auf dem nahegelegenen Friedhof erinnert ein unscheinbares Grab an den Nobelpreisträger Hesse.

Als unscheinbar lässt sich auch die Heimat des drittklassigen FC Paradiso bezeichnen. Das «Campo Pian Scairolo» liegt weit unterhalb des Dorfkerns im industriell geprägten Talboden und ist ein schlichter Kunstrasenplatz. Die Fertigstellung der geplanten Tribüne ist nach politischem Geplänkel rund um FCP-Präsident Antonio Caggiano unterbrochen, sodass die Anlage dem rasanten sportlichen Aufstieg der letzten Jahre hinterherhinkt. Seit der kleine Verein am Fusse des Monte San Salvatore 2017 sein 100-jährigen Bestehen gefeiert hat, durfte er über drei Aufstiege jubeln. Heute zählt er zum vorderen Mittelfeld der Promotion League, die er in seiner Debütsaison auf dem beachtlichen vierten Rang abschloss. Auch in der 1. Runde des Schweizer Cups wurde der FCP seiner Favoritenrolle gerecht, wenn auch der Sieg beim FC Schattdorf knapp ausfiel. Im Matchbericht liessen enttäuschte Schattdorfer verlauten: «Während die Trainer des FC Schattdorfs die Töggeli und Lätzli selbst auf dem Platz verteilten, bewerkstelligten dies auf Seiten des FC Paradiso nicht weniger als fünf (!) Assistenztrainer, während der Haupttrainer in reger Diskussionen mit seinem sechsten Assistenztrainer vertieft zuschaute.» Die sportlichen Ambitionen der Tessiner unterstreicht auch ein Blick in deren Kader, wo nebst dem ehemaligen FCSG-Akteur Mickaël Facchinetti mit Ezequiel Schelotto ein Routinier figuriert, der einst in der Premier League und in der Serie A im Einsatz stand.

Wenig überraschend bot der FC Paradiso den Ostschweizern vor 920 Zuschauern bei starken Böen mehr Paroli als noch der FC Malcantone in der ersten Cup-Runde, dessen Sportplatz auf der anderen Uferseite des Lago di Lugano zu finden ist. Bereits nach fünf Minuten ging der Aussenseiter in Führung, ehe die Gäste das Resultat zu einem 1:3 aus Sicht der Tessiner zurechtrückten. Durch das Weiterkommen im Pokal und in der Conference League dauert die Dreifachbelastung für den FCSG an. Um es mit einem – zugegeben pathetisch anmutenden – Ausschnitt aus Siddhartha zu sagen: «Nun beginnt sein Schicksal zu sprossen, und mit seinem das meine.»


Türkgücü München - FC Eintracht Bamberg

Die Münchner Stadionknappheit treibt nebst merkwürdigen auch schöne Blüten – zumindest in den Augen von Liebhabern historischer Sportstätten. Angespannter präsentierte sich die Lage aus Sicht des Viertligisten Türkgücü, der nach dem Rauswurf aus dem Grünwalder Stadion zur Sommerpause noch ohne neuerliche Heimat dastand.

Bereits in der Saison 2021/22 hatte der damalige Drittligist einige Partien im sonst nicht mehr bespielten Olympiastadion ausgetragen. Das Abenteuer während der Corona-Pandemie endete für Türkgücü aber vorzeitig und in der Insolvenz. Mittlerweile hält sich der Klub seit drei Spielzeiten in der Regionalliga Bayern, doch die Stadion-Odyssee dauert auch eine Stufe tiefer an. So haben die Verantwortlichen auf ihrer verzweifelten Irrfahrt gar ein Exil-Dasein im 150 Kilometer entfernt gelegenen Dörfchen Seligenporten nicht ausgeschlossen. Statt eines trostlosen Daseins in der Oberpfalz tritt der Klub zu seinen «Heimspielen» nun primär in Heimstetten an, während er immerhin vier Partien auf Münchner Boden im Städtischen Stadion an der Dantestrasse ausgetragen darf. Mehr Gastspiele auf der Anlage lässt deren dichter Belegungsplan mit den beiden Hauptmietern aus dem Bereich des American Football, den Munich Cowboys und den München Rangers, nicht zu.

Wie der Name des angrenzenden Freibads geht auch jener der Spielstätte auf den italienischen Dichter und Philosophen Dante Alighieri zurück. Wie beim vorab besuchten Campus des FC Bayern lässt sich auch beim einst über 30’000 Plätze bietenden Bau die NS-Vergangenheit aus architektonischer Sicht nicht vollends verbergen. So entstand der Durchbruch der Gegengerade zugunsten der Marschkolonnen der Hitlerjugend, die einst Veranstaltungen im Stadion abhielten. Für den türkischstämmigen Klub bedeuten die vier Heimspiele eine Rückkehr nach 18 Jahren, gastierte Türkgücü zuletzt 2006 unter dem Namen Türk SV 1975 München im Dantestadion. Dieses beeindruckt mit schöner Fassade, trapezförmiger Tribüne und von Bäumen gesäumten Stehtraversen. Seit 2022 gilt die Spielstätte deshalb zurecht als bayerisches Baudenkmal und erinnert mich ein wenig an das Beke teri Stadion im Süden Budapests.

Nach früher Führung ging Türkgücü ganz offenbar die «Gücü» (türkisch für Kraft) aus, sodass die Hausherren die Partie gegen Eintracht Bamberg noch aus der Hand gaben. Nach dem 1:2 gegen die Oberfranken steht der Klub nach sieben Runden ohne Sieg und mit lediglich zwei Punkten am Tabellenende. Die 524 Zuschauer nahmen die Pleite gelassen zur Kenntnis, war doch über die Hälfte von ihnen des Stadions wegen und ohne Bezug zum Heimteam angereist. Auch aus Bamberg hatte sich ein Dutzend Anhänger eher «lustlos» hinter einer Zaunfahne mit der Aufschrift «Raglos» eingefunden. So bleibt das rare Highlight der Gruppe die Ankündigung aus dem Oktober 2023, als sie für das Auswärtsspiel in Memmingen eine Anreise per Flieger mit zwei Zwischenstopps in Italien propagierte.


FC Bayern München - Karlsruher SC

3:40 Uhr: Abflug in Trabzon. 6:40 Uhr: Umstieg in Istanbul. 9:15 Uhr: Landung in München. 10:20 Uhr: Erster Schluck aus der Weissweinschorle im Klubheim auf dem FC Bayern Campus.

Das Nachwuchsleistungszentrum im Norden der Stadt umfasst acht Fussballfelder, die von sämtlichen Jugend- und Frauenteams des Rekordmeisters genutzt werden. Die Pläne für die Akademie, die sich die Bayern stattliche 70 Millionen Euro kosten liessen, stammen vom Architekturbüro «Albert Speer + Partner», das bis zu seinem Ableben vom Sohn des gleichnamigen Architekten und Reichsministers für Bewaffnung und Munition aus der Zeit des Nationalsozialismus geführt wurde. Herzstück der Anlage ist der «Platz 1», ein Stadion mit über 4000 Plätzen, das auch für Partien der Youth League genutzt wird. Die Profis aus dem Herrenbereich sind hingegen weiterhin an der Säbener Strasse im Süden Münchens beheimatet.

Mit fünf Siegen in ebenso vielen Partien ist die U19-Mannschaft der Bayern optimal in die Saison gestartet und führt ihre Division innerhalb der acht Gruppen an, in welche die DFB-Nachwuchsliga während der Vorrunde unterteilt ist. Auch die Gäste aus Karlsruhe stehen nach fünf Runden ohne Punktverlust und mit einer um 16 Treffern positiven Torbilanz in ihrer Gruppe an der Tabellenspitze. Trotz dieses sportlichen Höhenfluges war ich überrascht, dass einige Karlsruher in weissen T-Shirts mit der Aufschrift «Gegengerade» an diesem Samstagvormittag am Campus aufkreuzten und wenige Meter neben den «Red Munichs» anflaggten.

Neben dem Rasen fielen aber einzig die vielen Betreuer der Nachwuchshoffnungen auf, während die Akteure auf dem Platz mit filigraner Technik und hoher Präzision beeindruckten. Die Bayern drehten im Laufe der Partie einen 0:2-Rückstand, mussten drei Minuten vor Schluss aber den 3:3-Ausgleich verkraften. Die anschliessende Verlängerung endete vor 500 Zuschauern trotz Vorteilen für die Gastgeber torlos, sodass die Entscheidung vom Punkt aus herbeigeführt werden musste. Hier versagten drei Münchnern die Nerven, sodass das 5:6 aus Sicht der Hausherren das Weiterkommen des KSC und das exakt gleiche Resultat wie beim Auswärtsspiel des FC St. Gallen in Trabzon besiegelte.


Trabzonspor - FC St. Gallen

Der enge Terminplan in der Qualifikation zur Conference League bietet weder dem FC St. Gallen noch seinen Fans nach dem dramatischen Weiterkommen bei Slask Wroclaw eine Verschnaufpause! Doch auch wenn die Kurzfristigkeit der Reise Planungsgeschick und vielseitige Koordination erfordert, erachten es beide Parteien als Privileg, angesichts der Playoffs wieder nach Osten und zum türkischen Vertreter Trabzonspor reisen zu dürfen.

Der Klub aus dem Nordosten des Landes zählt mit sieben Titeln in der Liga und neun Pokalsiegen hinter dem bekannten Istanbuler Trio um Besiktas, Fenerbahce und Galatasaray zu den erfolgreichsten des Landes und hat 2022 letztmals die Meisterschaft geholt. Geht es nach Trabzonspor selbst, wären sie gar achtfacher Champion, da Fenerbahce der Meistertitel der Saison 2010/11 trotz erwiesener Spielmanipulation nicht aberkannt wurde. Obschon dieser vermeintlichen Ungerechtigkeit weist der Trabzonspor Kulübü angesichts der noch jungen Klubgeschichte ein beeindruckendes Palmarès auf, entsprang der Klub doch erst 1967 einer Fusion lokaler Vereine. Bei der Farbwahl liessen sich die Türken von den weinrot-blauen Trikots von Aston Villa inspirieren und auch der trapezförmige Oberrang der Haupttribüne sowie die Backsteinmauern rund um die Spielerbänke erinnern an den Villa Park.

Im Gegensatz zur türkischen Riviera birgt die Schwarzmeerküste im Norden des Landes keine Sandstrände und die Uferhänge sind bergig und bewaldet. Touristen finden sich in der Gegend von Trabzon denn auch eher im Kloster Sumela im Zigana-Gebirge oder in den Einkaufspassagen der lebendigen Innenstadt als an den wenig sehenswerten Strandabschnitten. Während das Stadtzentrum (Ortahisar) zu Fuss zu erkunden ist, offenbart erst die Aussicht vom Hügel Boztepe, wie weitläufig die Grossstadtkommune mit über 800’000 Einwohnern ist. Vom Hafen aus verlassen Fähren die Stadt ins russische Sotchi und auch die georgische Grossstadt Batumi liegt nur eine dreistündige Autofahrt entfernt. Wie bereits im Frühling in Istanbul dominieren Cay (Rize-Tee) trinkende und Simits (Sesamringe) essende Menschen gemeinsam mit den unzähligen Katzen die Szenerie im Zentrum. Einzig die Warteschlangen vor den Geldautomaten scheinen angesichts der anhaltenden Inflation noch länger geworden zu sein.

Weit ausserhalb liegt hingegen das moderne Stadion mit seiner karoförmigen Fassade, während im Zentrum nur noch eine symbolische Tribüne in einer Parkanlage an die einstige Heimat von Trabzonspor erinnert. Das futuristische Design verdankt der nach Klublegende Senol Günes benannte Neubau einem Stuttgarter Architekten, der sich mit dem gleichen Entwurf bereits erfolglos für den Stadionneubau in Mainz beworben hatte.

Die 26’064 Zuschauer in der Arena sorgen für die gewohnt «türkische» Stimmung – mit einigen Dezibel weniger auf dem Schallpegel als die Istanbuler Grossklubs. Zwar ist es bisweilen ebenfalls sehr laut, doch die zügig vorgetragenen Lieder und Klatscheinlagen verebben ebenso schnell wie die Pfeifkonzerte bei gegnerischem Ballkontakt. Auch das mit den Smartphones erzeugte Lichtermeer fehlt nicht und wird in Trabzon jeweils in der 61. Minute durchgeführt – in Anlehnung an die osmanische Eroberung der Stadt im Jahr 1461. Seit den Sanktionen im Nachgang der Partie im März gegen Fenerbahce, als das Duell gegen den «Meisterdieb» in einem Platzsturm und wilden Jagdszenen endete, zeigt sich bei den sowieso bereits zerstreuten Fangruppen weiterer Aderlass.

Aus dem St. Galler Lager rechneten nach dem torlosen Hinspiel nur die grössten Optimisten mit einem Weiterkommen gegen einen Gastgeber, dessen Kader einen rund fünf Mal so hohen Marktwert aufweist, sofern man der Plattform Transfermarkt Glauben schenkt. Umso überraschter war die Mehrheit der 185 St. Galler Fans hinter dem Plexiglas im Oberrang, als ihr Team nach einer halben Stunde unerwartet in Führung lag. Zwar folgte kurz nach der Pause der Ausgleich, doch das 1:1 hatte trotz mehrerer heikler Situationen sowohl nach 90 Minuten als auch zum Ende der Verlängerung Bestand. So musste das Penaltyschiessen über das Weiterkommen entscheiden, bei dem die ersten acht Schützen ihre Aufgabe mehrheitlich souverän erledigten. Für Trabzon trat der einstige Champions-League-Finalist Stefan Savic als letzter Schütze an. Mit seinem satten Schuss liess er dem erneut starken FCSG-Goalie Lawrence Ati Zigi keine Abwehrchance, traf aber nur die Latte. Dies ebnete seinem St. Galler Namensvetter Ambrosius die Chance auf den grossen Coup. Dass der FCSG in den letzten Jahren auch im sportlichen Bereich einen grossen Schritt vorwärts gemacht hat, unterstrich der Verteidiger mit einem abgebrühten No-Look-Schuss ins grün-weisse Glück.

Aus Sicht der Türken bedeutete das 5:6 nach Penaltys das Ausscheiden, während der FC St. Gallen gleich bei seiner Premiere die Ligaphase der Conference League erreicht. Damit haben die Ostschweizer auf der mit zwölf Pflichtspielen längsten europäischen Reise der Klubgeschichte noch mindestens die Hälfte eines aufregenden Weges vor sich.


Slask Wroclaw - FC St. Gallen

Das Gastspiel des FC St. Gallen bei Slask Wroclaw anlässlich der Qualifikation zur Conference League ist nicht nur aus grün-weisser Fansicht ein vorgezogenes Endspiel. Tatsächlich steigt im grössten Stadion der polnischen Ekstraklasa Ende Mai 2025 der Final des jüngsten Uefa-Wettbewerbs. Doch so imposant die moderne Spielstätte auch daherkommt, so überdimensioniert ist sie. Für die Europameisterschaft 2012 errichtet, steht der Neubau beispielhaft für zahlreiche Projekte, welche die polnische Stadionlandschaft in den letzten Jahren ihrer Individualität beraubt haben.

Hinzu gesellt sich die Lage in der nordwestlichen Agglomeration, die dazu führt, dass viele Spiele vor spärlicher Kulisse stattfinden und nicht selten dafür das alte Stadion Oporowska ausgereicht hätte. Dies, obwohl Wroclaw (zu Deutsch «Breslau») hinter Warschau, Krakau und Lodz die viertgrösste Stadt des Landes darstellt. Rund 650’000 Einwohner leben im Zentrum Niederschlesiens, einer Region im Westen Polens mit bewegter Geschichte. Erst seit dem Potsdamer Abkommen steht die Stadt endgültig unter polnischer Verwaltung, während sie zuvor bereits zu Österreich, Preussen und zum Deutschen Reich gezählt hatte. Trotz schwerer Beschädigung im 2. Weltkrieg überzeugt die Stadt an der Oder mit einem sehenswerten Zentrum und einer malerischen Dominsel.

Weniger prunkvoll präsentiert sich der Trophäenschrank des lokalen «Wroclawski Klub Sportowy» (Breslauer Sportklub), der lediglich zwei Meistertitel (1977 und 2012) und zwei Siege im Pokal (1976 sowie 1987) vorzuweisen hat. Das bescheidene Palmarès lässt sich ein Stück weit mit der geschichtlich begründeten und verhältnismässig kurzen Historie erklären, denn wie praktisch alle Vereine der Region wurde auch Slask erst nach dem 2. Weltkrieg gegründet. Der Stolz über die Herkunft ist in diesem Namenszusatz, der für Schlesien steht (und als «Schlonsk» ausgesprochen wird), wie auch in Form des polnischen und schlesischen Adlers im Logo gut ersichtlich.

Mein erster und bisher einziger Spielbesuch mit Breslauer Beteiligung liegt knapp zehn Jahre zurück. Damals existierte auf Fanebene noch das grosse Dreigespann um Wisla Krakau, Lechia Gdansk und Slask Wroclaw. Mittlerweile haben die Krakauer mit den einstigen Freunden aber gebrochen und sind mit Ruch Chorzow, Widzew Lodz und Elana Torun eine neue Allianz eingegangen. Dem weiterhin bestehenden Bündnis mit Lechia Gdansk widmeten die 700 Gäste aus Niederschlesien im Hinspiel in St. Gallen denn auch einige ihrer Gesänge bei insgesamt doch stark vom Spielgeschehen abgekoppelten Supportbemühungen.

Anders als in Westeuropa liegt der Fokus in der polnischen Fanbewegung aber weder auf der Stimmung noch dem visuellen Auftreten. Entsprechend flaggte im ersten Aufeinandertreffen mit «Ave Silesia» auch die erlebnisorientierte Abordnung der Westpolen zentral im St. Galler Gästeblock an. Deren Zaunfahne geriet 2014 beim Auswärtsspiel in Sevilla gemeinsam mit der von «Wielki Slask» sowie jener der beiden Fanclubs aus Strzelin und Skokowa in die Fänge der Biris Norte. So zählen die Andalusier denn auch bis heute zu den grossen Rivalen von Slask, wenn auch aus anderen Gründen als etwa der geografisch designierte Derby-Gegner Zaglebie Lubin.

Nicht zu verwechseln ist der Erstligist aus Lubin mit dem Aufsteiger Motor Lublin, zu dem die Breslauer eine Freundschaft pflegen. Wie auch im Fall von Miedz Legnica unterhalten nebst den Slask-Anhängern auch Vertreter von Dynamo Dresden zu diesen zwei Klubs Kontakte. Dass in Polen Freundschaften auch sehr sichtbar gelebt werden können, zeigt die Danziger Ultra-Gruppierung «Green Gang», die ihren Freunden aus Breslau als Zeichen der Bruderschaft gleich ein eigenes Exemplar ihrer Zaunfahne überlassen hat.

Zu Spielbeginn breiten die Heimfans eine kleine Fahne über dem zentralen Sektor hinter dem Tor aus, welche die Flagge der polnischen Heimatarmee mit der Kotwica zeigt, dem Symbol der polnischen Widerstandsbewegung im 2. Weltkrieg. Diese Fahne bleibt zu Ehren des Feiertags zur Schlacht bei Warschau bis in die 20. Minute sichtbar, ehe Rauchsäulen in den Landesfarben durch Daytime-Feuerwerkskörper die Aktion abrunden. Auch im grössten Gästeblock Polens, in dem sich über 500 St. Galler eingefunden haben, wird mit Pyrotechnik hantiert. Doch anstelle des bekannten «Breslauer» Blendfeuers, dessen Name auf die Nutzung dieses durch deutsche Truppen im 1. Weltkrieg zurückgeht, zünden die Ostschweizer Vertreter lediglich die «bewährten» Seenotsignale.

Während bei Slask die Euphorie über den 2. Platz aus der Vorsaison nach einem verpatzten Saisonstart bereits verflogen ist, tritt St. Gallen mit sechs Siegen in Folge und einem 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel mit breiter Brust an. Dennoch sind es nach zehn Minuten die Gastgeber, welche die vermeintliche Führung erzielen. Eine VAR-Intervention lässt den Schiedsrichter den Treffer jedoch aberkennen und stattdessen eine Viertelstunde später die Espen über die Führung jubeln. Damit scheint die Partie vor 18’053 Zuschauern bereits früh entschieden, doch drei Slask-Tore innert sechs Minuten egalisieren vor der Pause das Gesamtskore und lassen die Stimmung ihren Siedepunkt erreichen.

Die psychologischen Vorteile liegen nun bei den Polen und so überrascht es nicht, dass der Schiedsrichter eine Viertelstunde vor Schluss auf den Punkt zeigt. Doch statt dem Todesstoss für Grün-Weiss folgt eine erneute VAR-Konsultation. Im Anschluss daran ahndet der kroatische Unparteiische nicht ein vermeintliches St. Galler Foul, sondern eine Schwalbe eines Breslauer Stürmers und stellt ihn gar mit Gelb-Rot vom Platz.

Auch tief in der Nachspielzeit ist es der kleine Bildschirm am seitlichen Spielfeldrand, der zum Protagonisten avanciert: Nach einem Handspiel im Strafraum der Polen zieht ihn der Unparteiische bei – und entscheidet auf Penalty für St. Gallen. Es kommt zu einer Rudelbildung und der nächste Pole fliegt vom Platz. Ein Treffer würde trotz der Niederlage das Weiterkommen bedeuten, doch dem St. Galler Vertreter versagen – ebenfalls wenig überraschend – die Nerven. Doch auch hier sieht der Schiedsrichter in Form des Torhüters, der sich zu früh von der Linie wegbewegt hat, eine Regelwidrigkeit und lässt den Elfmeter wiederholen. Nun übernimmt Willem Geubbels die Verantwortung – und verkürzt in der 18. Minute der Nachspielzeit zum 3:2 aus Sicht der Gastgeber.

Riesiger Jubel im Gästeblock, doch noch immer wird in Wroclaw munter bis zur nächsten brenzligen Situation weitergespielt. Diese ereignet sich fünf Minuten später im St. Galler Strafraum: Nach einem umkämpften Zweikampf ertönt abermals ein Pfiff. Doch – ihr ahnt es – nicht etwa wegen eines Foulspiels des FCSG-Verteidigers, sondern erneut um eine Schwalbe mit einer gelben Karte zu ahnden. Der polnische Sünder kann dies nicht fassen und wird für seine Reklamationen ebenfalls des Feldes verwiesen. Erst nach 25 Minuten (!) Nachspielzeit ertönt gegen acht Polen der aus St. Galler Sicht erlösende Schlusspfiff und damit der Auftakt für weitere Auseinandersetzungen unter den Akteuren, die sich bis in den Spielertunnel fortsetzen. Selten waren auswärtige Anhänger in Breslau wohl so froh, dass mit den «Ochrona» und «Sluzba» an beiden Enden des Gästeblocks Sicherheitseinheiten bereitstehen, die nicht für ihr zimperliches Auftreten bekannt sind.


FC Lausanne-Sport - FC St. Gallen

Seit der Eröffnung der Tuilière (Ziegelbrennerei) müssen sich Gästefans in Lausanne nochmals einen Kilometer weiter den Hügel hochquälen. Drei Mal bereits hatte ich dabei mit wehmütigem Blick die historische Pontaise passiert und gar schon dem Nebenplatz mit seiner futuristischen Tribüne einen Besuch abgestattet. Nur ein Spiel im Ende 2020 fertiggestellten Stadion mit architektonisch interessantem Baustil blieb mir bisher aus verschiedenen Gründen verwehrt.

Auch die kleine Fanszene, die sich im Schatten der etablierten Anhängerschaft des Eishockeyclubs Lausanne HC gut zu entwickeln scheint, überzeugt mit ästhetischem Material und ansprechendem Support. Nur der Kunstrasen und die sperrigen Vario-Sitze im Heimsektor stören die visuelle Wahrnehmung. Gleiches gilt für den Gästeblock, der an diesem Sonntag von den zahlreich in die «olympische Hauptstadt» angereisten grün-weissen Unterstützern bevölkert wird.

Das fussballerische Aushängeschild der Stadt ist nach dem Abstieg von Lausanne-Ouchy auch in sportlicher Hinsicht unumstritten der FC Lausanne-Sport. Dieser gehört seit Ende 2017 dem britischen Petrochemiekonzern Ineos, der in seiner Amtszeit bereits einige fragwürdige Entscheide getroffen hat: Die Engländer führten ein neues Logo ein (und kehrten nach Protesten zum alten zurück), degradierten den Schweizer Vertreter zum Ausbildungsverein des OGC Nice – nebst dem südfranzösischen Klub hält Ineos auch Anteile an Manchester United – und liess das Kader der Blau-Weissen Jahr für Jahr internationaler werden. Den kurzzeitigen Abstieg im Sommer 2022 konnten die Investoren dennoch nicht verhindern.

Mit Lausanne-Sport assoziieren viele St. Galler Fans nebst einem mühsamen Fussmarsch zum Stadion zwei herbe Niederlagen im Pokal: 1998 verlor St. Gallen den Cupfinal (nach 2:0-Führung) und zwölf Jahre später den Halbfinal – vor heimischem Anhang und gegen die damals unterklassigen Gäste aus der Romandie. Auch diesmal bereiteten die Westschweizer dem FCSG nach intensiven Tagen rund um das Europacup-Spiel in Kasachstan in der Schlussphase Probleme. Die Grün-Weissen hatten vor 6024 Zuschauer ihren Vorsprung zwischenzeitlich auf drei Tore ausgebaut, mussten beim 3:4 aus Sicht der Gastgeber nach einem Leistungseinbruch aber gleichwohl noch um den Sieg zittern.


FC Vignoble - FC Châtel-St-Denis II

Wer mit dem Zug von Bern in die Westschweiz fährt, dem tut sich kurz vor Lausanne die Riviera des Genfersees auf. Es ist ein einmaliger Anblick, der den Reisenden hier rund um die sonnenverwöhnten Weinterrassen, die charmanten Dörfer an den Hangausläufern, die französischen Alpen und dem türkisfarbenen Wasser gewährt wird. Kein Wunder steht die Region Lavaux seit 17 Jahren auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes.

Mit dem «Stade des Ruvines» liegt auch ein Fussballfeld mit pittoreskem Ausblick an den Waadtländer Uferhängen. Ein Besuch hier stand bereits seit vielen Jahren auf der Agenda, liess sich bisher allerdings nicht mit dem Kalender vereinbaren. Dieses Mal sollte das Testspiel zwischen dem FC Vignoble und den Gästen aus Châtel-Saint-Denis perfekt in den Zeitraum zwischen der Rückkehr aus Kasachstan und dem St. Galler Auswärtsspiel in Lausanne passen. Vor dem Besuch beim Siebtligisten blieb auch Zeit, um bei einer längeren Wanderung durch die Rebberge von Vevey bis nach Lutry den lokalen Weisswein der Sorte Chasselas (Gutedel) in seinem gesamten Spektrum aus den Anbaugebieten Calamin, Dézaley, Epesses und Saint-Saphorin zu verköstigen.

«Visit Lavaux» steht dann auch auf dem Trikot des FC Vignoble, der zwar in Cully beheimatet ist, allerdings alle Dörfer der Weinregion vertritt. Inspirieren liess sich der Klub beim Slogan von Arsenals «Visit Rwanda», wie Bernard Porret erklärt. Der Funktionär ist seit 1987 im Verein aktiv, wird von allen nur «Mucho» genannt und gewährt uns vielschichtigen Einblick in die Annalen und das aktive Vereinsleben. So erfahren wir auch, dass die sehenswerten Graffiti hinter dem Tor und beim Vereinsheim – eines davon zeigt Klublegende Porret selbst – von Ultras des Eishockeyteams Lausanne HC gefertigt wurden und mit Numa Lavanchy auch ein Spieler aus der Super League eine Vergangenheit beim FC Vignoble aufweist.

Die vier St. Galler unter den 50 Zuschauern sind längst zentrales Gesprächsthema, während das 1:0 für die Hausherren in der Generalprobe vor dem Saisonstart eher beiläufig zur Kenntnis genommen wird. Auch Porret hat sich angesichts der hohen Temperaturen mittlerweile mit einer weiteren Flasche Weisswein an unseren Tisch gesetzt und wettert über die Gemeinde, die den einst grünen Rasen in den Sommermonaten derart hat austrocknen lassen.


FC Tobol Qostanai - FC St. Gallen

Einfach nicht gegen ein Team aus Aserbaidschan! Am Schluss sollte die Auslosung der 2. Quali-Runde zur Conference League für den FC St. Gallen und seine Fans gar einen noch weiter entfernten Gegner bereithalten: Tobol Qostanai aus dem Norden von Kasachstan. Nebst Qostanai liegen auch Städte wie Turbat in Pakistan oder Bala Murghab in Afghanistan auf dem 63. östlichen Längengrad. Ein Pflichtspiel über 3800 Kilometer Luftlinie von der Heimat entfernt, das sind wahrlich indonesische Verhältnisse. Very nice!

Viele Jahre nämlich liessen mich Klubnamen wie Torpedo Kutaissi und Schachtjor Karaganda oder Bilder von Basler Europacup-Reisen, darunter auch nach Qostanai (sämtliche eurer Sticker und Tags wurden selbstverständlich überklebt), sehnsüchtig von Osteuropa-Erfahrungen mit «meinem» Verein träumen. Und doch ereilten mich gemischte Gefühle, als sich nach dem 2:5 von Tobol im Hinspiel beim slowakischen Vertreter aus Ruzomberok in der EL-Qualifikation eine Reise nach Kasachstan abzeichnete. Schliesslich liegt Qostanai im wenig sehenswerten und schlecht erschlossenen Norden des neuntgrössten Landes der Welt. Da wäre ein Duell mit Kairat Almaty oder Ordabassy Schymkent aus dem Süden aus kultureller und reisetechnischer Sicht vielversprechender gewesen. Auch die von Qostanai knapp zehn Autostunden entfernte Hauptstadt Astana, die den östlichsten Vertreter der Uefa-Wettbewerbe auf Klubebene in der Saison 2024/25 beherbergt, wäre einfacher zu erreichen gewesen.

Dass die kasachischen Klubs an den europäischen Wettbewerben teilnehmen dürfen, haben sie fünf Prozent ihrer Landmasse zu verdanken, die aus geografischer Sicht in Europa liegt. Der Rest zählt zu Zentralasien – so auch Qostanai, die mit einer Viertelmillion Einwohnern lediglich zwölftgrösste Stadt des Landes. Wie der FC St. Gallen ist auch Qostanai 1879 gegründet worden; von einem Generalgouverneur zu Ehren des letzten russischen Zaren. Die sowjetische Prägung und die Nähe zu Russland sind bis heute spürbar und auch die russische Grossstadt Tscheljabinsk liegt nur 300 Kilometer entfernt. Im Gegensatz zum muslimisch geprägten Kasachstan sind im Norden der 1991 gegründeten Republik die Muslime in der Minderheit und nur wenige Bewohner sprechen Kasachisch, geschweige denn Englisch.

Der nach dem städtischen Fluss benannte FC Tobol wird im Alltag kaum wahrgenommen und hat bereits fünf Umbenennungen hinter sich. Mit zwei Meistertiteln und Cupsiegen ist der Klub kein sportliches Schwergewicht und verdiente sich die Teilnahme an der Europacup-Qualifikation durch den Erfolg im Pokal im Vorjahr. Auch auf fantechnischer Ebene sind die beiden Gruppen «We are Tobol» und «10 Sever Fans» als weniger schlagkräftig als ihre Pendants aus Aktobe (13 Sector) und der einstigen Hauptstadt Almaty (Basmachi) einzuschätzen.

Nichtsdestotrotz sieht sich die Polizei dazu verpflichtet, die beiden Unterkünfte für die 130 St. Galler Fans die ganze Zeit über zu bewachen, weil sie Angriffe aus fussballfernen Teilen der wenig touristenfreundlichen Bevölkerung offenbar nicht ausschliessen. Im Stadion selbst herrscht dagegen unerwartet friedliche Stimmung und auch die im Gästesektor zahlreich präsenten Polizei- und Militärvertreter sind zu keiner Zeit auf Konfrontation aus. Nur die erntebedingte Präsenz von Kornkäfern und die nach Überschwemmungen zurückgebliebene Mückenplage sorgen dafür, dass beim 0:1 aus Sicht der Einheimischen immer wieder einer der 5842 Zuschauer wild um sich schlägt.


FK Suduva - FK Kauno Zalgiris

Das Zentrum von Marijampole ist zweckmässig gebaut, Betonstrukturen dominieren das Stadtbild. Nur selten versucht eine vergilbte Holzfassade eines grünen oder gelben Häuschens dem Ort etwas Lebenslust einzuhauchen. Auch die Gesichter der Menschen sind hier im Südwesten Litauens gefühlt noch etwas furchiger, die Augenringe ausgeprägter und die Blicke eine Stufe leerer als etwa in Vilnius. Im 2. Weltkrieg besetzten sowohl sowjetische als auch deutsche Truppen Marijampole und zogen die Stadt in kriegerische Mitleidenschaft. Bis heute erinnert die nur 40 Kilometer entfernte russische Exklave Kaliningrad an diese Zeit.

Dem Fussball ist im Norden der rund 40‘000-Einwohner-Gemeinde eine Anlage gewidmet, zu der nebst zwei Trainingsplätzen und dem Stadion auch eine Fussballhalle zählen, die in den bisweilen kalten ersten Monaten der Meisterschaft als alternative Spielstätte dient. Der FK Suduva wirkt wie ein Breitensportklub mit zu gross geratener Haupttribüne: Die Anzeigetafel ist kaputt, der Medienchef agiert von der Tribüne aus auch als Speaker und am einzigen Verpflegungsstand kennt man sich. Trotz der familiären Atmosphäre hegt der Klub sportliche Ambitionen und ist auf internationaler Bühne bereits drei Mal bis in die Playoffs zur Europa League vorgedrungen. 2017 haben die Litauer auf diesem Weg auch den Schweizer Vertreter FC Sion souverän eliminiert.

Der Name des Klubs aus Marijampole geht auf die gleichnamige historische Landschaft zurück. Des Ausrufs «Su-du-va» bedienen sich mit den «Suduvos Sakalai» (Suduvas Falken) auch die elf Heimfans, die hinter drei Zaunfahnen stehen und gelegentlich Gesänge anstimmen. Unter dem Dach ziehen jedoch keine Falken, sondern Schwalben ihre Kreise, wobei sie bei ihren Flügen auf das einsame Kommentatoren-Duo Rücksicht nehmen müssen, das sich – etwas gewöhnungsbedürftig – ebenfalls in der Dachschräge eingenistet hat.

Unter den 425 Zuschauern weilt auch ein Ehepaar aus Kaunas, das gar eine Fahne von Kauno Zalgiris (ausgesprochen als «Schalgiris») im Gepäck hat. Diese zeigt das Vereinslogo, das sich die Fussballer mit der wesentlich bekannteren und älteren Basketballabteilung teilen. Die beiden Anhänger aus der zweitgrössten Stadt des Landes verfolgen das umkämpfte 2:2 stehend und im Fall der Frau bisweilen gar springend, wobei dieses Verhalten eher auf ihre Nervosität als auf konkrete Supportbemühungen zurückzuführen sein dürfte.


DFK Dainava - FA Siauliai

«Du hast dir ein schlechtes Spiel ausgesucht», erklärt mir ein Vertreter der «Dzuku Tankai» in der Pause. Trotz der frühen Anstosszeit unter der Woche unterstützt die 2001 gegründete Ultra-Gruppe ihre Mannschaft unermüdlich, wenn auch ihren Anfeuerungsrufen an diesem Dienstagabend etwas die Durchschlagskraft fehlt. Viele Dainava-Fans sind aufgrund der Arbeit aus Alytus weg- oder gar in die Hauptstadt gezogen. Dorthin pflegen die Panzer (Tankai) in Person der «Rytas Ultras» denn auch eine Freundschaft. Für beide Fanlager stellt Zalgiris den Hauptfeind dar, beim Basketballklub Rytas ist es jener aus Kaunas, für Dainava der gleichnamige Fussballklub aus der Hauptstadt.

Den ersten Teil ihres Namens verdanken die Ultras der historischen Region Dzukija, die früher Dainava – ausgesprochen als «Dai-na-wa» – hiess und damit auch am Ursprung des Vereinsnamens steht. Die Gegend ist polnisch geprägt, wenn auch mit Grodno die fünftgrösste Stadt von Belarus nur 80 Kilometer entfernt in südlicher Richtung liegt. Alytus ist mit 50‘000 Einwohnern eher klein und hält kaum Attraktionen bereit, dafür ist die Fahrt von Vilnius aus umso sehenswerter. Nebst den zahlreichen Störchen, die durch die Felder entlang der Landstrasse stolzieren, versprüht besonders der Ort Trakai mit seiner Altstadt und der malerischen Wasserburg, dem einstigen Sitz der litauischen Grossfürsten, besonderen Charme.

Auch das Stadion umgibt dank seiner Lage inmitten eines Kiefernwaldes besonderes Flair. Einzig die vielen Mücken, die vom Geruch des traditionellen Kepta Duona angelockt werden, stören die Idylle. Das gebratene Roggenbrot mit Knoblauch sieht aus wie zu lange frittierte Country Potatoes und wird in einem Becher serviert. Aus der Tradition zurück in die Gegenwart werden die 600 Zuschauer durch Dainavas Torschütze zum 2:0 geführt, der für seinen Jubel zum VAR-Bildschirm rennt und gestenreich den eigenen Treffer überprüft. Wie bereits beim letzten Auftritt beweisen die Gäste aus Siauliai aber Moral und holen in der letzten halben Stunde einen doppelten Rückstand auf, sodass am Schluss ein 2:2 von der Anzeigetafel flimmert.