Gillingham FC - Bromley FC

Derzeit verkörpert der Fussballklub in Gillingham alles andere als den «Pride of Kent», den er sich selbstbewusst auf die Fahnen schreibt. Gegen den Aufsteiger aus der beschaulichen Londoner Vorstadt Bromley liegt der Gastgeber bereits nach 26 Minuten mit zwei Toren zurück. Die Pfiffe und Unmutsbekundungen der Anhänger sind – obwohl die Ansprüche englischer Fans und die Möglichkeiten ihres Lieblingsteams stark voneinander abweichen – an diesem Abend nachvollziehbar. Die «Gills» agieren in der Defensive stümperhaft und kassieren nach dem Seitenwechsel prompt das 0:3. Ein in den Nachthimmel beförderter Elfmeter stellt in der 87. Minute den Schlusspunkt eines missglückten Auftritts im Lokalduell dar.

Konträr präsentiert sich die Gemütslage bei den knapp tausend Gästefans, die sich auf der unüberdachten Hintertortribüne sowie in den äusseren Sektoren der Gegentribüne eingefunden haben. Für sie ist bereits die Teilnahme an der viertklassigen League Two ein Highlight, schliesslich stellt sie für den Klub die erste Spielzeit im englischen Profifussball dar. In welchen Gefilden der Bromley FC normalerweise verkehrt, zeigt die gelungene Verfilmung «The Bromley Boys», die auf der gleichnamigen Autobiografie des Bromley-Fans Dave Roberts basiert.

Aus Sicht der Gastgeber bleibt an diesem Abend einzig das mit 7454 Zuschauern beachtlich gefüllte Priestfield Stadium positiv in Erinnerung, das im Schummerlicht der Flutlichter inmitten eines Wohnquartiers auch nach einer bitteren Niederlage versöhnlichen Charakter aufweist und dem die Fans aus der Stadt an der Themsenmündung vielleicht die eine oder andere bittere Anekdote eher verzeihen.


Brentford FC - Arsenal FC

Der Anfang des neuen Jahres erinnert mich an meine Anfänge als fussballbegeisterter Jugendlicher, als ich meinen Vater während eines Städtetrips nach London zu einem Pokalspiel zu überreden vermochte. Brentford, damals Drittligist, duellierte sich an einem Dienstagabend mit Crawley Town. Das Ticket kostete fünf Pfund und die wenigen tausend Fans konnten sich auf den Tribünen des Griffin Park frei bewegen. Über zwölf Jahre später hat sich im Westen der englischen Hauptstadt viel verändert: Der Klub spielt mittlerweile in der obersten Liga und besitzt ein neues Stadion sowie ein abstrahiertes Logo. Der Einlass kostet inzwischen das Zehnfache, die Einlassberechtigung gibt es nur noch digital. Die Verpflegung für in der Halbzeitpause können die Fans am Bildschirm vorbestellen. Vor Anpfiff sorgt Live-Musik in den Gängen des Stadions für Unterhaltung, während auf dem Bildschirm Werbung zur Serie «Squid Game» läuft und auf den Rängen eine Lichtshow – unterlegt von lauten Bässen – die Zuschauer blendet. Einzig die abrupt abfallenden Ecken der Hintertortribünen, bedingt durch die dahinterliegende Bahnlinie, und der grosse Safe-Standing-Bereich verleihen dem Stadion eine gewisse Charakteristik.

Immerhin ist das kurzweilige Treiben auf dem Rasen nach dem Abnützungskampf am Vortag in Scunthorpe eine Wohltat für die Augen. Brentford erzielt entgegen dem Spielverlauf früh die Führung, findet im Anschluss immer besser in die Partie und muss dennoch vor dem Seitenwechsel den Ausgleich hinnehmen. Nach der Pause sorgen die Gunners mit einem Doppelschlag vor 17‘190 Zuschauern früh für klare Verhältnisse. Am 1:3 aus Sicht der couragiert auftretenden Gastgeber ändert auch ein etwas verzweifelt wirkender Vierfachwechsel zum Anbruch der Schlussphase nichts mehr. Mit dem Besuch in der neuen Heimat der «Bees» komplettiere ich abermals die Premier League ­– zumindest bis im Sommer mit dem Goodison Park das nächste historische Stadion vom englischen Erdboden verschwindet.


Scunthorpe United - King's Lynn Town

Für das Schweizer Radio und Fernsehen schrieb ich am Ende einer Abendschicht einst eine Lückenfüller-Meldung mit dem Titel «Scunthorpe United: Das schlechteste Team der Geschichte». Der zugegeben etwas gewagte Titel bezog sich auf den Tweet eines englischen Fussballfans – einer Gattung, die mit Kritik gegen den eigenen Verein in Krisenzeiten nicht geizt – und hatte durchaus seine Berechtigung. Der Fan wies mit seiner drastischen Wortwahl darauf hin, dass die 26. Saison-Niederlage für Scunthorpe United den vorzeitigen Abstieg aus dem Profifussball bedeutete.

Tatsächlich verkörperten «The Iron» mit 26 Punkten aus 46 Spielen und einem Torverhältnis von minus 61 zum Ende der Spielzeit den schlechtesten Absteiger in der Geschichte der English Football League (EFL). Doch mit dem Fall aus der EFL war die Misere für das Team und seine Anhänger, die 2018 noch in den Playoffs um den Aufstieg in die zweite Liga mitgefiebert hatten, noch nicht ausgestanden: Als Vorletzter in der Folgesaison wurde Scunthorpe United gar in die sechste Spielklasse durchgereicht.

Von «Sunny Scunny», einem bekannten Lied einer lokalen Punkband, ist nicht nur der Klub derzeit meilenweit entfernt. Auch die Industriestadt mit 80‘000 Einwohnern hat ihre Blütezeit rund um die Stahlproduktion längst hinter sich und in der strukturschwachen Gegend dominieren heute Barbershops und Wettbüros die Szenerie. Das am Stadtrand neben einem Moor am Bahngleis gelegene Stadion mit Wellblechfassade fügt sich nahtlos in das trostlose Gesamtbild ein. Bei starkem Wind und sandiger Unterlage ist das sechstklassige Verfolgerduell geprägt von englischer Härte – passend zum Vereinslogo, das eine Faust, die einen Stahlträger hält, zeigt. Trotz des Termins in den Nachmittagsstunden eines Wochentages sehen beachtliche 4165 Zuschauer einen verdienten 3:0-Sieg ihrer Mannschaft über die Gäste aus King’s Lynn.


AFC Wimbledon - Gillingham FC

Offiziell steht das Akronym «AFC» im Vereinsnamen des AFC Wimbledon für «Association Football Club». In der Alltagssprache wird es jedoch häufig als «A Fan’s Club» interpretiert – ein subtiles Indiz dafür, dass im Süden Londons vieles anders läuft. 1889 gegründet, war der FC Wimbledon lange Zeit im Amateurfussball verankert, bevor ihm Mitte der 1960er-Jahre der Einstieg in die Profiligen gelang. Es folgten bemerkenswerte Jahre, in denen der Verein ab 1986 sogar in der Premier League vertreten war. Der grösste Triumph der Vereinsgeschichte gelang zwei Jahre später mit dem überraschenden Sieg im FA Cup.

Doch dieser Höhenflug hielt nicht ewig: Der Jahrtausendwechsel läutete den sportlichen und finanziellen Niedergang ein. In einem beispiellosen Schritt beschloss die Klubführung, den Verein nach Milton Keynes zu verlegen – einer Planstadt nördlich von London. Diese Entscheidung sorgte für grosse Empörung unter den Fans. Die Verantwortlichen brachen Versprechen, änderten den Namen in «MK Dons» und entfernten ausser dem Übernamen jeglichen Bezug zu Wimbledon. Mit der offiziellen Neugründung im Jahr 2004 verschwand der FC Wimbledon endgültig von der Fussballlandkarte.

Doch die Wimbledon-Fans liessen sich davon nicht entmutigen. Bereits 2002, als die Verlagerung des Vereins beschlossen wurde, gründeten sie einen neuen Klub: den AFC Wimbledon. Nebst dem Namen und Logo sicherten sie mit dem «Dons Trust» auch die Kontrolle über den Verein. In dieser von den Fans getragenen Non-Profit-Organisation besitzt jedes Mitglied eine gleichwertige Stimme. Von der breiten Basis getragen, kämpfte sich der AFC Wimbledon durch die englische Ligapyramide zurück und feierte 2011 die Rückkehr in die «English Football League».

Eine Dekade später folgte der nächste Meilenstein für die «Womblers»: die Rückkehr an die Plough Lane, den Ort, an dem der Verein einst beheimatet war. Nach Jahren im Exil an der Kingsmeadow konnte Wimbledon wieder in seinem Viertel Fuss fassen – einer Gegend, die sonst vor allem durch das jährliche Tennisturnier auf den Rasenplätzen des «All England Lawn Tennis and Croquet Club» bekannt ist.

Doch zwischen modernen Wohnblocks, saftigen Ticketpreisen und sterilen Stadiongängen wirkt der Charakter des Fanvereins zunehmend verblasst. Beim Heimspiel gegen Gillingham siegt Wimbledon vor 8’281 Zuschauern knapp mit 1:0. Der entscheidende Treffer fällt nach einem Eckball und wird regelwidrig mit dem Arm erzielt – ein Umstand, den der gesamte Gästeblock bemerkt, nur der Schiedsrichter nicht. Die drei glücklichen Punkte bedeuten für Wimbledon nicht nur einen Fortschritt im engen Kampf um die Aufstiegsplätze in der League Two: Sie festigen auch den Vorsprung der echten «Dons» auf die vermeintlichen Totengräber aus Milton Keynes.


Peterborough United - Barnsley FC

Eine Stunde nördlich von London liegt Peterborough, das seinen Namen als auch die prunkvolle normannische Kathedrale aus dem Mittelalter dem heiligen Petrus verdankt. Das zweite sehenswerte Bauwerk in der 220’000-Einwohner-Stadt ist auf der südlichen Uferseite des Flusses Nene an der namensgebenden London Road zu finden. Es handelt sich um das Stadion des lokalen Fussballklubs, bei dem besonders die Haupttribüne mit ihren Holzbänken und dem Giebeldach aus Wellblech in Zeiten moderner Multifunktionsarenen für willkommene Abwechslung sorgt.

Dies, obwohl das hier beheimatete Peterborough United den Übernamen «The Posh» (Die Noblen) trägt. Tatsächlich schwingt bei dieser Bezeichnung Sarkasmus mit, zumal sie auf die Aussage eines Trainers in der Anfangszeit zurückgeht, der einen «noblen Klub» mit «noblen Spielern» formen wollte – stattdessen ging Peterborough United wenige Jahre später bankrott. Etwas mehr Bescheidenheit hätte auch Victoria «Posh Spice» Beckham nicht geschadet, die 2002 beim britischen Patentamt mit einer Gegenklage auf den Antrag des Klubs reagierte, als dieser den Spitznamen «Posh» für kommerzielle Zwecke registrieren wollte. Das ehemalige Spice Girl blieb mit seiner Klage erfolglos.

Kaum Erfolge verzeichnet auch Peterborough United, das nach einer Spielzeit in der 2. Liga seit 2022 wieder in der drittklassigen League One antritt. Eine Ausnahme stellt der Gewinn der EFL-Trophy dar, den Pokalwettbewerb der Dritt- und Viertligisten sowie der oberklassigen Reserveteams, bei dem Peterborough den Titelverteidiger stellt. In der Liga kommen die Blau-Weissen hingegen auch zum Jahresabschluss nicht auf Touren: Gegen Barnsley werden die 9404 Zuschauer – ausverkauft ist das Stadion meist nur im Derby gegen Cambridge – für ihr Kommen nicht belohnt. Nach einem schwachen Start in die zweite Halbzeit vermiest ein unglücklicher Platzverweis den Gastgebern die Aufholjagd, sodass ihr Maskottchen «Peter Burrow» beim 1:3 nur einmal euphorisch an der Seitenlinie entlangrennen und seine Karotte frenetisch durch die Luft schwingen kann.


Soul Tower Hamlets - Clapton CFC

«Im East End fanden sie einen tief verwurzelten Zusammenhalt und starkes Misstrauen gegenüber Fremden und Autoritätspersonen.» Mit diesen Worten beschreibt der britische Fernsehsender BBC die Wahl für den Namen ihrer vielfach ausgezeichneten Serie «EastEnders», die seit 40 Jahren vom Alltag fiktiver Bewohner im Osten von London erzählt, deren Heimat längst zum nationalen Synonym für sozial unterprivilegierte Stadtgebiete oder Arbeiterviertel avanciert ist.

Tatsächlich wirkt die Gegend, in der einst Jack the Ripper oder die Kray-Zwillinge Angst und Schrecken verbreiteten, auch heute noch wenig einladend. In der Dämmerung ziehen Jugendgruppen durch die Seitenstrassen und von den öffentlichen Mini-Fussballfeldern sind teils heftige Wortgefechte zu vernehmen. Auch im Pub reicht ein energisches «Alice» eines verwahrlosten Mittdreissigers, um die Dame hinter dem Tresen zu animieren, ihm einen Drink zu spendieren. Diesen schlürft er lautstark und verlässt kurz darauf wortlos die leere Bar – nicht aber, ohne uns noch kurz auf die Schulter zu klopfen.

Im East End ist auch der Soul Tower Hamlets FC beheimatet. Der etwas sperrige Name entspringt einer Fusion zwischen dem Soul FC und den bekannteren Tower Hamlets, die sich auf den gleichnamigen Stadtteil berufen. Das Zuhause des Zehntligisten stellt das Mile End Stadium dar, welches – für England untypisch – über eine Laufbahn sowie eine kleine Tribüne verfügt. Richtig eng wurde es im Osten der Hauptstadt nur einmal vor dreissig Jahren, als die Band «Blur» vor knapp 30‘000 Zuschauern ein Konzert spielte. An diesem Samstag ist die Kulisse mit 327 Zuschauern ebenfalls überdurchschnittlich. Grund dafür ist das Derby in der «Southern Counties East League Division One», welches die Soul Tower Hamlets gegen den fangeführten Clapton CFC austragen. Ähnlich wie in Manchester oder Wimbledon hatten hier Fans, die sich mit dem Clapton FC nicht mehr identifizieren konnten, ihren eigenen Klub mit dem Zusatz «Community» ins Leben gerufen und begleiten diesen seither durch den Ligaalltag im englischen Unterhaus. Beim 2:1-Sieg für die Gastgeber steigen ihre Gesänge zur Melodie von «Dirty Old Town» wie eine Ode ans Londoner East End an den hinter dem Spielfeld im Nebel versinkenden Hochhäuser der Docklands empor.


Fortuna Sittard - Twente Enschede

Starker Regenschauer und eine zügige Bise erinnern uns in Sittard daran, dass es Ende November angenehmere Tätigkeiten an einem Samstagabend gibt, als auf einer nassen Sitzschale im Freien auszuharren. In der 38‘000-Einwohner-Stadt unmittelbar hinter der deutschen Grenze hält sich der lokale Erstligist seit sechs Jahren in der höchsten Spielklasse der Niederlande. Erstmals steht der kleine Klub halbwegs souverän in der vorderen Tabellenhälfte und darf als Siebter der Eredivisie mit breiter Brust den FC Twente aus Enschede empfangen.

Trotz des ansprechenden Saisonverlaufs hält sich die Stimmung beim Heimanhang rund um die «Tifosi Giallo Verde» – früher als «TGV Boys» bekannt – in Grenzen. Die Versuche, die 9013 Zuschauer in den Support miteinzubeziehen, wirken ähnlich unglücklich wie die grün-gelbe Farbkombination des Klubs im Zusammenhang mit den zu grossen Teilen blau-gelben Sitzschalen des Stadions.

Am lautesten wird es nach einem langen Abstoss von Fortuna-Goalie Mattijs Branderhorst, der zur Vorlage für den zwischenzeitlichen Ausgleich avanciert. Dass am Ende dennoch die 800 Anhänger im Gästeblock jubeln dürfen, verdankt Twente dem ehemaligen Basel-Stürmer Ricky van Wolfswinkel. Dem Siegtorschützen zum 1:2 aus Sicht der Gastgeber widmen die Gästefans prompt ein eigenes Lied. Zwar fehlen den meisten ihrer Gesänge noch die inhaltliche Tiefe, doch die Freundschaft zur renommierten Fanszene des FC Schalke 04 scheint auch in diesem Zusammenhang langsam ihre Früchte zu tragen.


KFC Uerdingen - MSV Duisburg

Der «Grotifant» trottet traurig in die Kabine, sein KFC-Fähnchen hat er zusammengerollt, den Kopf hält er gesenkt. Dabei stand das Krefelder Maskottchen zwei Stunden zuvor noch wild gestikulierend am Spielfeldrand, als wären für einmal die Elefanten auf Zebrajagd. Zwischen den beiden Momentaufnahmen liegen zwei Stunden und ein verlorenes Lokalduell, das der KFC Uerdingen gegen den MSV Duisburg innert drei Minuten aus der Hand gegeben hatte. Während des Doppelschlags auf dem Platz zum 1:2 waren sich auch mitten auf der Haupttribüne einige Ehrengäste in die Haare geraten.

Als Aussenstehender passte diese Szenerie zum KFC. Bereits die zwölfminütige Verspätung beim Anpfiff aufgrund eines technischen Defekts hatte gezeigt, dass hier vieles anders läuft: An jedem Flutlicht brennen unterschiedlich viele Lampen, im Medienraum wird dünner Filterkaffee serviert und auf den Stehtraversen sorgt einzig das nasse Herbstlaub für halbwegs farbliche Lebensfreude. Trotz den zu grossen Teilen gesperrten Hintertotribünen vermeldet der KFC ein mit 10‘000 Zuschauern ausverkauftes Regionalliga-Heimspiel.

Einen kleinen Sieg im «Stadtteilderby» gegen Meiderich hatte Uerdingen bereits vor Anpfiff gefeiert, als die Gastgeber erstmals in dieser Saison mit einem Sponsor auf der Brust aufliefen. Diese schien mit der Neuheit gleich noch breiter, sodass der KFC verdient mit einer Führung in die Pause ging und sich auch nicht über die Unterstützung von den Tribünen, wo Freunde aus Venlo und Graz ihrem Anhang zur Seite standen, beklagen konnte. Erst mit dem erwähnten Doppelschlag erlangte der Tabellenführer aus Duisburg die doppelte Vorherrschaft: Während die MSV-Akteure ihre Ausdauer unterstrichen, vermochte der Kern der blau-weissen Fanszene, unterstützt von Vertretern der Ultras Mainz, der Brigata Tifosi von De Graafschap und Anhängern der Colectivo Ultras 95 des FC Porto, nun vermehrt den Grossteil der fünftausend Gästeanhänger in ihre Gesänge einzubinden.

Während die spielerische Geschichte an diesem kalten Herbstnachmittag schnell erzählt ist, stellt die Aufschlüsslung der Vereinsgeschichte des KFC unbestritten den Opus magnum eines jeden Groundhoppers und Hobbyhistorikers dar. Für Diskussionen sorgen bereits der Vereinsname als auch die Herkunft, schliesslich trägt der Klub sowohl den Namen seiner Stadt als auch den eines Stadtteils in sich. Dass Uerdingen bereits 1255 und damit deutlich vor Krefeld (1372) das Stadtrecht verliehen bekam, befeuert die Diskussion zusätzlich. Die Tatsache, dass der Klub zwischen 1975 und 1995 mit dem Namen und Logo des nahegelegenen Pharmakonzerns auftrat, offenbart einen weiteren Nebenschauplatz in den wirren Annalen dieses Vereins.

Zu den Diskussionen rund um den Namen und die Herkunft gesellen sich sportliche und vereinsinterne Unbeständigkeit. Hatte Uerdingen 1986 mit dem Wunder von der Grotenburg noch den Einzug in den Halbfinal des Europapokals der Pokalsieger über den DDR-Vertreter Dynamo Dresden geschafft, fand sich der Klub 35 Jahre später in der fünften Liga wieder. Zwar kämpfte sich der KFC nach zwei Spielzeiten in der Ober- wieder in die Regionalliga hoch, doch leere Versprechen, strukturelle Misswirtschaft und finanzielle und menschliche Defizite gehören weiterhin zu den Begleiterscheinungen in der Anamnese des KFC. Mit Agissilaos «Lakis» Kourkoudialos oder Michail Ponomarew seien hierbei stellvertretend zwei Namen genannt, die den KFC als vermeintliche Heilsbringer an den Abgrund hievten und das Krankheitsbild des KFC in den letzten Jahren prägten. Wer weiss, ob statt des einstiges Klubnamens «Bayer 05 Uerdingen» nicht viel eher die überstrapazierten Nerven der KFC-Anhänger dafür verantwortlich sind, dass die Fanszene ihre Gedanken und Erfahrungen in einem Fanzine mit dem Titel «Beipackzettel» bündelt.


Gresik United - Deltras FC

Nach zwei Partien in Solo – darunter ein Heimspiel der PS Sleman im Exil – bot sich eine Weiterreise nach Ost-Java an, wo es zum Derby zwischen Gresik United und den Deltras Sidoarjo kommen sollte. Von dieser Idee liessen sich nebst meinem Fahrer Tito mit Panji und Yanuarisnan zwei weitere Personen aus dem Kern der Brigata Curva Sud begeistern. Damit das Quartett am Folgetag zeitig und ausgeschlafen in Richtung Osten aufbrechen konnte, offerierte ich allen Mitfahrern ein Hotelzimmer in Solo. Pures Wunschdenken, wie ich am nächsten Morgen in der Hotellobby erfahren sollte, als mir Panji die Aussage des schelmisch grinsenden Tito übersetzt, dass sie direkt nach der Partie wieder zurück nach Sleman gefahren seien und die Nacht und Niederlage im Alkohol ertrunken hätten.

Die kurvigen Strassen, auf denen sich unsere Reisegruppe den Weg durch das Landesinnere an die Küste bahnt, sind nichts für flaue Mägen und schwache Nerven. Obschon Tito einer der offensivsten Verkehrsteilnehmer darstellt, ist er auch einer der aufmerksamsten und beeindruckt mehrmals mit wahnsinnigen Reflexen beim Ausweichen von Lastwagen, die in blinden Kurven plötzlich auf unserer Spur auftauchen. Trotz Müdigkeit lenkt er das Gefährt sicher nach Tuban, wo er während der Partie etwas Schlaf nachholen will. Dies obwohl Danial die gesamte Reisegruppe ans Spiel einlud. Eine äusserst nette Geste des Funktionärs von Gresik United, der sich damit dafür bedankte, dass ich ihm vor Jahren einmal bei seiner Masterthesis zu den Strukturen europäischer Fussballklubs geholfen hatte.

Tickets waren an diesem Montagnachmittag allerdings kein rares Gut, da der Verband und die Polizei auch diesem einst vielversprechenden Zweitliga-Derby mit einer Anstosszeit unter der Woche und an einem neutralen Ort den Zahn gezogen hatten. Weiter heisst es in Tuban, zwei Stunden von Gresik entfernt, ebenfalls «Tanpa Penonton Tamu», sodass unter den 2971 Zuschauern keine Gästefans weilen. Zumindest dieses Verbot ist nachvollziehbar, war es beim letzten Duell zwischen den beiden Städten, die nördlich (Gresik) und südlich (Sidoarjo) von Surabaya liegen, doch zu heftigen Ausschreitungen gekommen.

Ohne den Gegenpart auf den Rängen vermögen die «Heimfans» ihr grosses akustisches Potenzial nicht abzurufen. Lange Zeit fehlt im spärlich gefüllten Stimmungsblock gar ein Vorsänger, sodass einzig der Ausgleich von Sidoarjo in der Nachspielzeit zum 1:1 sowie das anschliessende Gerücht, dass vor den Stadiontoren einige Deltras-Anhänger gesichtet wurden, die für Indonesien typischen Emotionen hervorzurufen vermögen. Auch die Ultras Gresik, die 1999 als erste Gruppierung in Indonesien den bekannten Zusatz im Namen aufwiesen, existieren nicht mehr. Am ehesten noch erinnern einige Zaunfahnen im Stil der Boys Parma an die starke italienische Prägung dieser historischen Kurve.

Als Tito und Yanuarisnan nach dem Schlusspfiff verspätet und in Feierlaune am Tuban Sport Center vorfahren, ahne ich bereits Böses. Natürlich hatten die beiden in der Zwischenzeit kein Auge zugemacht und stattdessen mit der lokalen Sektion der Brigata Curva Sud zusammengesessen, Nelkenzigaretten geraucht und Arrak getrunken. Es gibt definitiv angenehmere Situationen, als mit einem angetrunkenen und übernächtigten Fahrer die sechsstündige Heimreise zu bestreiten. Spätestens als sich Tito über die grellen Lichter auf der Gegenfahrbahn beschwerte und ihn sein Beifahrer sowie treuer Trinkkumpane Yanuarisnan zu besonders waghalsigen Überholmanövern anspornte, war auch für mich der Moment gekommen, wie Sitznachbar Panji die Augen zu schliessen und mich dem Schicksal zu ergeben.


Adhyaksa FC - Persijap Jepara

Der Wutanfall von Persiraja-Spieler Andik Vermansyah im Duell mit Pekanbaru sollte gleich zwei Parteien teuer zu stehen kommen: einerseits seinen Klub aus Banda Aceh, der für die anschliessenden Rudelbildungen mit vier Geisterspielen sanktioniert wurde, und andererseits meine Wenigkeit, die eine Reise in den Norden Sumatras bereits gebucht hatte. Das Derby gegen Medan ohne die Unterstützung von den Rängen zu besuchen, war mir den langen Flug nicht wert, zumal Persiraja als Antwort auf die Strafe kurzfristig den Austragungsort wechselte und nicht das sehenswerte Stadion Harapan Bangsa bespielte.

Die vorherigen Besuche in Indonesien hatten mich aber gelehrt, stets einen Plan B bereitzuhalten. Das Stadion Sriwedari in Solo (Surakarta) ist zumindest aus architektonischer Sicht eine wertige Alternative, schliesslich handelt es sich hierbei um eine denkmalgeschützte Spielstätte, die über eine Tribüne mit Massivholzbänken im VIP-Bereich und ein Giebeldach verfügt. Mit dem Baujahr 1932 stellt das Stadion eines der ältesten des Landes dar und gar das erste, das nicht unter niederländischer Kolonialherrschaft erbaut wurde. Die von Bäumen gesäumten Stehtraversen erinnern an die Heimat von Slavia Sofia und lassen das Herz eines Fussballromantikers höher schlagen.

Der Verband hatte der Allgemeinheit zwar auch den Besuch der Zweitliga-Partie in Solo untersagt, die fragwürdige Massnahme stellte für mich dank Edwin Klok aber kein Hindernis dar. Mit dem Niederländer, der seit vielen Jahren in Indonesien lebt, tausche ich mich regelmässig über den lokalen Fussball und seine Fanszenen aus. Der frühere Sportchef des lokalen Erstligisten Persis schleuste mich denn auch problemlos an der Polizei vorbei ins Stadion, wo der Schiedsrichter eine halbe Stunde später als angekündigt anpfiff. Gestört hat es niemanden, genauso wenig wie die Tatsache, dass bis zur Halbzeit insgesamt 243 Zuschauer das Stadion betreten hatten und damit die Inkonsequenz der indonesischen Exekutive beispielhaft unterstrichen. Einzig die in kleiner Zahl angereisten Persijab-Fans wurden von den Ordnungshütern konsequent vom Eingang ferngehalten, sodass sie sich nach einiger Zeit mit der Aussicht von einer Mauer gegenüber begnügen. Edwin, der mittlerweile als Assistent des Technischen Direktors bei Persik Kediri im Osten Javas amtet, musste schmunzeln und beschrieb die Anhänger passend als «Walltras».

Das Drumherum sowie die Gespräche mit dem Kollegen aus Deventer waren denn auch deutlich unterhaltsamer als das lahme Treiben auf dem Rasen. Bei 37 Grad sündigte das Heimteam mehrfach, sodass es sich über das 0:1 gegen Jepara nicht beklagen durfte. Ausgeglichen präsentierte sich hingegen die Zahl der Aluminiumtreffer und der Platzverweise – immerhin ein wenig Gerechtigkeit für Adhyaksa, der Mannschaft der indonesischen Staatsanwalt. Diese stieg auf diese Saison hin in die zweite Liga auf und stammt eigentlich aus Kelapa Dua im Bezirk Tangerang in West-Java. Weil den «Prosecutors» in einem Land mit antiautoritär geprägter Zivilgesellschaft aber sowieso kaum jemand die Daumen drückt, spielt die Mannschaft aus Kostengründen im Exil.