VfR Kaiserslautern - FV Kindsbach
Direkt neben dem Betzenberg liegt der Erbsenberg, ein bewaldeter Hügel südlich der Innenstadt von Kaiserslautern, nur etwa 400 Meter Luftlinie vom Fritz-Walter-Stadion entfernt. Auf einer Waldlichtung findet sich die Heimat des Vereins für Rasenspiele Kaiserslautern, der seiner Leidenschaft aber eher auf einer rumpligen Wiese nachgeht.
Unabhängig davon steht bei unserem Besuch ohnehin das Rundherum im Fokus: Nebst den Resten einer Aschelaufbahn sorgen die zugewachsenen und auf der Gegenseite gar komplett verwilderten Stehstufen – ähnlich wie am Vortag in Ludwigshafen – für eine Kulisse, die traditionelle Stadionliebhaber sentimental werden lässt. Das Herzstück bildet die alte Holztribüne, von der Teile in diesem Jahr 100 Jahre alt werden. Sie stammen noch von der früheren Heimat auf der Wormser Höhe, die dem Militär weichen musste und 1938 auf der «Erbse» wieder aufgebaut wurden.
An jene dunklen Zeiten erinnern auch die US-Flieger der Air Force, die über den Platz in Richtung Ramstein brummen und damit die Idylle an diesem schönen Herbsttag zwischen den Birken stören. Auch die sportliche Ausgangslage lässt die Gastgeber derzeit nicht entspannen, die – einst von Fritz Walter persönlich trainiert – in den fünfziger Jahren kurze Intermezzi in der Oberliga Südwest vorwiesen, der vor der Einführung der Bundesliga höchsten Spielklasse Deutschlands.
Die Realität weist den VfR derzeit nämlich mit einem mickrigen Punkt abgeschlagen am Tabellenende der achtklassigen Bezirksliga Westpfalz aus. Hoffnung macht einzig, dass mit dem FV Kindsbach die schwächste Offensive bei der anfälligsten Defensive der Liga gastiert. Das Spiel vor 120 Zuschauern endet für die Kaiserslauterer denn auch mit einem statistisch logischen Ergebnis: 0:3 – immerhin eine Niederlage mit einem Gegentor weniger als im Durchschnitt.
Arminia Ludwigshafen - Wormatia Worms
«In der Regel mit einem langen Eisbad – aktuell aber gar nicht.» So antwortet Maximilian Krämer im Programmheft auf die Frage, wie er nach einem Spiel am liebsten entspannt. Der Mittelstürmer von Arminia Ludwigshafen hat derzeit zurecht allen Grund zur Sorge – sein Team steckt in der Oberliga Rheinland-Pfalz/Saar mitten im Abstiegskampf.
Wenig überraschend verfolgen nur 245 Zuschauer die fünftklassige Partie in der mit rund 177’000 Einwohnern zweitgrössten Stadt des Bundeslandes. Das liegt nicht nur am sportlichen Tief der Arminia: Mit dem SV Waldhof sowie den Adlern Mannheim ziehen gleich zwei Grossklubs auf der anderen Rheinseite die meisten lokalen Sportfanatiker an.
Dabei zählt das Südweststadion zu den wenigen echten Sehenswürdigkeiten der noch jungen Stadt. Einst aus Trümmerschutt wieder aufgebaut, trug es früher den Namen Adolf-Hitler-Stadion, beherbergte Pokal- und Ligaendspiele – und lockte bis zu 83’000 Zuschauer an. Auch internationale Musikgrössen traten hier auf.
Heute ist das Stadion grösstenteils gesperrt und überwuchert, nur die Haupttribüne und ein kleiner, sanierter Teil der Gegengerade sind noch nutzbar. Neben der Arminia spielt auch der SV Südwest auf dem Areal, ebenfalls in einer sehenswerten Spielstätte. Für Arminia Ludwigshafen dient der in die Jahre gekommene Bau allerdings nur als Ausweichstätte bei Spielen gegen prominentere Gegner mit Gästefans – so wie heute gegen den Lokalmatador Wormatia Worms, der einige Anhänger, darunter rund 25 aktive «Sups», mitgebracht hat. Ansonsten tragen die Arminen ihre Heimspiele im Stadtteil Rheingönheim aus, der auch im Vereinswappen verewigt ist.
Gegen Worms, das im Fernduell mit der TuS Koblenz um den Regionalliga-Aufstieg kämpft, erwischen die Gastgeber einen starken Tag. Mit Kampfgeist, einem gehaltenen Elfmeter und trotz spätem Platzverweis gelingt ein verdienter 2:1-Sieg – ausgerechnet gegen ein Spitzenteam. Maximilian Krämer, Torschütze zum 1:0, darf sich damit endlich wieder auf sein Eisbad freuen.
FC Wiltz - CS Fola Esch
Wenn deine beiden Mitfahrer neben über zwölf Jahren Stadionverbot auch den Reiz nach Länderpunkten teilen, wird auf dem Heimweg nach dem Spiel in Aachen selbst eine kurzfristige Fahrt weitab jeglicher Autobahnen in den Norden Luxemburgs in Kauf genommen, um einem Vertreter aus dem Trio einen neuen Länderpunkt zu ermöglichen. Immerhin durch einen Frituurbesuch auf halber Strecke im belgischen Verviers sollte der Umweg eine Aufwertung erfahren, über die sich alle einig waren.
Die luxemburgische Gemeinde Wiltz verfügt über Stadtrecht und wurde im 2. Weltkrieg durch die Ardennenoffensive fast vollständig zerstört. Zu den 8000 Einwohnern zählen auch jene aus dem Stadtteil Weidingen, in dem seit 10 Jahren auch das neue «Stade Am Petz» steht. Älter ist der lokale Fussballklub, ein Fusionsverein, der als offizielles Gründungsdatum im Namen das Jahr 1971 führt, in der heutigen Form aber erst seit 1978 existiert.
Erfolge sucht man hier vergebens, immerhin Cupfinalist war der FCW einst kurz nach der Jahrtausendwende. Auf diese Saison hin sind die Rot-Weissen allerdings aus dem nationalen Oberhaus abgestiegen. Ein ähnliches Schicksal erlebte der prominente Gegner aus Esch: Die CS Fola, ältester Verein Luxemburgs, musste ebenfalls den Gang in die Zweitklassigkeit antreten. Das 1:0 für «Wooltz» fällt erst in der 92. Minute, was den Speaker vor 224 Zuschauern in einer Mischung aus vermeintlichem Sächsisch und Schweizerdeutsch zu Höchstleistungen antreibt. Damit hält die Partie – wie jene in Aachen – zuerst eine rote Karte gegen das Heimteam und schliesslich ein Siegtor in der Nachspielzeit bereit.
Alemannia Aachen - TSV 1860 München
Für einen symbolischen Euro kaufte die Stadt Aachen 2015 das Tivoli der Alemannia ab – ein für 50 Millionen Euro erbautes Stadion für dreissigtausend Zuschauer, in unmittelbarer Nähe zum alten Tivoli. Schon bei seiner Eröffnung wenige Jahre zuvor stand der Neubau unter keinem guten Stern: Rund um das löbliche Vorgehen, den traditionellen Namen zu bewahren, legte der Verein eine «Tivoli-Anleihe» auf, die sich an Vereinsanhänger richtete. Insgesamt kamen so über vier Millionen Euro zusammen – verzinst über fünf Jahre und im August 2013 vollständig rückzahlbar. Doch da die Alemannia Ende 2012 Insolvenz anmeldete, wurde die Inhaberschuldverschreibung für alle Anleger praktisch zum Totalverlust.
So umgibt den Ort, wo einst die Villa Tivoli lag heute nur noch ein Hauch des einstigen Glanzes, und auch von der Schönheit der namensgebenden Villa Adriana in der italienischen Stadt Tivoli ist man im Norden von Aachen weit entfernt. Sehenswerter ist in der westlichsten deutschen Grossstadt mit 260’000 Einwohnern an der Grenze zu Holland und Belgien die Altstadt. Als Grablege von Karl dem Grossen verfügt die Kaiserstadt über ein pompöses Rathaus sowie ein UNESCO-Weltkulturerbe in Form des Doms.
Dieser ist dann auch gemeinsam mit dem lateinischen Stadtnamen Aquisgrana Teil der sehr schön und detailliert gemalten Choreo beim Einlauf der beiden Teams – ein würdiger Rahmen für das 15-jährige Jubiläum der Aachener Karlsbande. Diese pflegt Freundschaften zu den E1 Ultras von Hammarby, trägt die grosse Freundschaft nach Kerkrade mit und unterhält auch Kontakte nach Mannheim. Komplizierter ist die Situation im eigenen Lager, wo interne Differenzen bereits zur Auflösung der Aachen Ultras (2013) und vor kurzem auch zu jener der Yellow Connection geführt haben. Die Gruppe hatte etwa das Fanprojekt boykottiert und ist – abgesehen von wenigen Vertretern, die zur sportlichen Fraktion abgewandert sind – nicht mehr im Stadion anzutreffen.
Der Werner-Fuchs-Tribüne sind der personelle Aderlass sowie die erst zweite Saison in der 3. Liga mit dem damit gestiegenen Zuschauerinteresse deutlich anzumerken. Nur selten vermag der Kern an diesem Nachmittag trotz vergleichsweise einfachem Liedgut das grosse Potenzial zu entfalten, und auch das Zaunfahnenbild wirkt heterogen. Hinzu kommt von offizieller Seite der deutsche Ordnungsdrang, der sich in Form stets freigehaltener Treppen im Stehplatzbereich äussert.
Auch auf der Gegenseite, im Fanlager von 1860 München, ist seit der Auflösung der Münchner Löwen keine klare Führungsgruppe mehr erkennbar. Zum unkoordinierten Eindruck gesellen sich die roten Schals der Kaosbrigade, einer Gruppe aus dem Umfeld der Nürnberger Banda di Amici.
Zum Jubiläum wird die bemühte Karlsbande gegenüber ausgerechnet mit einem bitteren Spielverlauf beschenkt, bei dem ihr Team mit einem Mann weniger auf bescheidenem Niveau lange um ein Remis kämpft. Beim 0:2 vor 24’920 Zuschauern kassieren die «Öcher» die entscheidenden Gegentore schliesslich erst in der Nachspielzeit.
Energie Cottbus - Hannover 96
Als ich über die Spreebrücke schlendere, erkenne ich ihn wieder: den Platz, auf dem Investigativjournalist Günter Wallraff anlässlich seines Films «Schwarz auf Weiss» einst gegangen ist und etwas von der Cottbuser Willkommenskultur erlebt hat. Doch die Zeiten ändern sich – zumindest teilweise. Denn heute erklärt mir an ebendieser Stelle ein ergrauter Mittdreissiger mit Jutebeutel nicht ohne Euphorie, dass man auch in Cottbus für 7.50 Euro veganen Nudelsalat mit Falafel im Stadion essen kann.
Die Gruppe Inferno Cottbus ist mittlerweile aufgelöst und auf den Rängen verboten. Schliesslich gehören Teile der Lausitzer selbst einer Minderheit an. In «Chosebuz» finden sich viele Strassenschilder und schön gemalte Wandbilder, die zeigen, wie stark die sorbische Sprache verankert ist und sich die Bewegung auch hier auf einem bisherigen Höhepunkt bewegt. Der Auftritt rund um «Ultras Energie» sowie die Gruppen «Collettivo Bianco Rosso» und «Ultima Raka» (Raka steht im Sorbischen für Krebs) überrascht trotzdem positiv. Natürlich war das auch dem Spielverlauf geschuldet – aber es war eine wirklich reife Leistung der Fanszene, die Cannabis verteufelt, Basels Liedgut adaptiert und Kontakte zu Anhängern von Union Berlin, Beskid Andrychow und dem VfB Stuttgart pflegt. Nur aus Dresden gab es zuletzt Nadelstiche in Bereichen, wo im Vergleich zu den ganz Grossen des Ostens noch Aufholbedarf besteht.
Im sportlichen Wettkampf auf dem Rasen ist der Klub aus der Stadt mit knapp 100’000 Einwohnern nahe der polnischen Grenze nach einer sehr ansprechenden Premierensaison in der 3. Liga auf Bestätigung aus. Pünktlich zum 60-jährigen Jubiläum – das historische Wappen prangt bereits auf dem Trikot – soll am Ende der Saison der nächste Schritt vorwärts gemacht werden. Schliesslich spielten die Brandenburger 2009 noch in der Bundesliga. Ihren Namenszusatz Energie verdanken sie übrigens einem Leserwettbewerb der Lausitzer Rundschau, zumal der ehemalige Bezirk Cottbus mit seinen Kraftwerken und Braunkohletagebauen als Energieproduzent galt.
Mehr Energie beweisen die Hausherren auch im Pokalfight gegen den Zweitligisten. Hannover präsentiert sich auf den Rängen deutlich eingespielter als auf dem Rasen; einzig die Adaption des Ostdeutschland-Fangesangs der Dresdner hin zu «ostdeutsche Dullis» wirkt plump und etwas an den Haaren herbeigezogen. Die Quittung gibt es prompt auf dem Platz: Vor 18’659 Zuschauern bezwingt Cottbus die Gäste – auch dank eines gehaltenen Elfmeters – mit 1:0. Die über zweitausend Niedersachsen im Stadion der Freundschaft müssen damit das dritte Erstrunden-Aus hintereinander verkraften.
BFC Dynamo - VfL Bochum
Günter ist Ost-Berliner. Ein freundlicher Senior, der gerne erzählt, viel weiss und manchmal etwas abschweift. Er ist gelernter Physiker, noch heute schmerzt es ihn ein wenig, dass er zu DDR-Zeiten nicht am Zentralinstitut für Astrophysik in Potsdam aufgenommen wurde. Seit vielen Jahren führt er Besucher durch die Gedenkstätte Hohenschönhausen. Mit leichter Monotonie, wohl auch durch die Routine, aber eindringlich, besonders, wenn er die Rollen verschiedener Vernehmer nachspielt, die er aus eigener Erinnerung kennt. Günter wurde aus der DDR ausgebürgert – wie sein Bekannter Wolf Biermann, dessen Stasiballade er uns nach ein paar unbeholfenen Klicks auf seinem Smartphone vorspielt. Moderne Technik nutzt er nur ungern, nicht aus Altersgründen, sondern aus Misstrauen – ein Überbleibsel der ständigen Kontrolle durch die DDR. Auch deshalb zahlt er bis heute ausschliesslich bar. Denn erst 1993 – als die Mauer längst gefallen war – erfuhr er, dass es sein eigener Pfarrer war, der ihn über Jahre bespitzelt hatte.
An diesem Samstagvormittag führt Günter durch die zentrale Untersuchungsanstalt im Sperrbezirk Hohenschönhausen. Er schildert perfide Verhör- und Foltermethoden, Kollektivstrafen und soziale Isolation – aber auch die Überwachung im Alltag, wenn einer der 189’000 inoffiziellen Mitarbeiter (IM) mithalf, freie Meinungsäusserung zu kriminalisieren. Einst arbeiteten hier 2500 Personen, in den Werkstätten wurden Knopfkameras gefertigt, und in der Postkontrolle konnten täglich bis zu 90’000 Briefe geöffnet werden.
Später am Tag erinnert mich die Choreo der BFC-Fans, die ihr Stadion mithilfe zweier Wachtürme als «letzte Festung Ost-Berlins» inszenieren, an eine Aussage Günters: dass die Aufarbeitung der DDR-Machenschaften in den neuen Bundesländern kaum stattfindet. Tatsächlich scheinen einige Exponate im Fanlager des BFC ganze Epochen auszublenden – neben Typen mit Koteletten, Hosenträgern und Schirmmütze auch jene mit streng seitlich gekämmtem Kurzhaarschnitt und plakativen Botschaften in einschlägigen Schriftarten auf T-Shirts und Zaunfahnen.
Im Heimbereich sorgen Banda Invicta und Fraktion H für Stimmung, unterstützt von sportlichen Gästen aus Trier, Szczecin und der polnischen Stadt Chojna. Den optischen Höhepunkt setzen allerdings die Fans aus Bochum. Zwar ist vieles ihres Materials austauschbar, doch die Zaunfahnen des Block P und des Ruhrstadtkollektivs stechen positiv hervor, eigenständig in ihrer Gestaltung – und deutlich unverwechselbarer als manches austauschbare Material, das an Karlsruhe oder 1860 München erinnert. Auf Spruchbändern fordern die zwei Fanlager – die älteren Semester beider Seiten kennen sich – zudem den Erhalt traditioneller Stadionnamen und Spielstätten.
In der 1. Runde des DFB-Pokals schnuppert der Regionalligist vor 4705 Zuschauern im altehrwürdigen Sportforum lange an der Sensation. Erst ein zweifelhafter Platzverweis in der Schlussphase und ein Torwartfehler in der 85. Minute bringen die Bochumer zurück ins Spiel. In Unterzahl retten sich die Berliner in die Verlängerung, parieren sogar einen Elfmeter, doch ein weiterer Platzverweis besiegelt das Ende. Neun Viertligisten stemmen sich wacker, unterliegen am Ende aber dem Zweitligisten mit 1:3.
B68 Toftir - NSI Runavik
Das Fischerdorf Tjornuvik am Ende der Küstenstrasse, der Blick vom Gonguturur auf das Meer, die Hänge bei Vidareidi mit dem markanten Malinsfjall oder eine Gratwanderung entlang des Klakkurs oberhalb von Klaksvik – die Färöer bieten weit mehr als eine Fülle an steilen Klippen und Basaltbergen mit eindrücklichen Lavaschichten. Wären da nicht die Gebühren für die Wanderwege, die Lachszucht und die traditionelle Treibjagd auf Grindwale, liesse sich die Inselgruppe beinahe uneingeschränkt als lohnender Flecken Erde empfehlen. Sehenswert ist hier sogar ein Tunnel: ein Unterwasserbau mit Kreisverkehr und spezieller Beleuchtung.
Der besagte Tunnel verbindet die Hauptstadt Torshavn mit Toftir auf der Insel Eysturoy, wo eine weitere Sehenswürdigkeit liegt. Die Rede ist vom Svangaskard, dem einzigen zugelassenen Austragungsort für Länderspiele neben dem Nationalstadion Torsvollur in der Hauptstadt. Die Heimat von B68 Toftir liegt pittoresk über dem Meer, für den Bau wurde einst gar eine Bergkuppe weggesprengt. In den Genuss dieser einmaligen Aussicht kam 2002 auch schon der FC St. Gallen, als er in der 1. Runde des Intertoto-Cups auf den Färöern gastierte und einen souveränen 6:0-Erfolg verbuchte.
Ein internationales Aufeinandertreffen gibt es heute nicht, doch das Derby zwischen Toftir und dem Nachbarort Runavik sorgt immerhin bei den kleinen Fangruppen auf der Gegentribüne für erhöhten Puls. Letztere ist unter den 400 Zuschauern in der Überzahl und unterhält zeitweise gar mit einer färöischen Version von «Un giorno all’improviso». Beim Gastspiel des Tabellenzweiten werden Toftirs «Reydi Pantarin» (Rote Panther) gezähmt und unterliegen Lokalmatador Runavik mit 1:3.
07 Vestur - Vikingur Gota
Kein echter Färinger ist, wer nicht schon einmal aus dem Auto heraus bei Starkregen ein Fussballspiel verfolgt hat. Die garstigen Bedingungen und der starke Wind machten tagsüber bereits das Besichtigen der Klippe Tralanipa sowie des scheinbar schwebenden Sorvagsvatn-Sees zur Herausforderung und liessen die Wasserfälle Mulafossur und Skarosafossur zeitweise entgegen der Schwerkraft nach oben oder seitlich wegfliessen.
Der Ausflug in den Westen der Inselgruppe zeigt, dass die Menschen auf den Färöern ein wetterfestes, fussballverrücktes Volk sind. Alle grösseren Orte verfügen über ein eigenes Team, knapp zehn Prozent der Bevölkerung sind in Fussballvereinen gemeldet – und 2023 setzte mit KI Klaksvik auch eine färöische Mannschaft sportlich ein Ausrufezeichen. Sie qualifizierte sich für die Gruppenphase der Conference League und trotzte dort unter anderem Lille ein Remis ab.
Auch in Sorvagur, einem Seehafen mit rund tausend Einwohnern in einer der drei namensgebenden Buchten auf der Insel Vagar, ist mit 07 Vestur ein Klub aus der höchsten Liga beheimatet. Er entstand 2007 aus einer Fusion – was den speziellen Namen jedoch nur teilweise erklärt. Dieser verweist nämlich nicht nur auf das Gründungsjahr, sondern auch auf die Lage der Insel Vagar auf dem 7. westlichen Längengrad.
Wie bereits am Vortag in Argir kommt der Gast aus Nordragota. Dieses Mal ist es allerdings nicht die Reserve von Vikingur, sondern die erste Mannschaft, die sich unter der Woche noch in den internationalen Qualifikationsrunden misst. Entsprechend tritt das Heimteam, Tabellenletzter mit lediglich zwei Siegen aus 17 Partien, als klarer Aussenseiter an. Im Dauerregen sorgt einzig der zwischenzeitliche Ausgleich für kurze Hupeinlagen vom Parkplatz, ehe ein Eigentor zum 1:2 die erwarteten Verhältnisse vor 200 Zuschauern wiederherstellt.
AB Argir - Vikingur Gota II
Wenn es einen Ort gibt, an dem man nachts ohne Sorgen durch die Strassen schlendern kann, dann sind es die Färöer-Inseln – nicht nur, weil es im Sommer praktisch nie dunkel wird. Ein Grill auf dem Balkon der Polizeihauptstelle und ein freundliches Winken, nachdem ich meine Begleitung darauf hinweise, unterstreichen die extrem niedrige Kriminalitätsrate auf amüsante Weise. So zählt Torshavn zu den sichersten Hauptstädten der Welt – auch wenn die Färöer streng genommen zu Dänemark gehören und als autonome Region mit Verwaltungsrecht in solchen Rankings selten berücksichtigt werden.
Dänemark liegt allerdings über tausend Kilometer entfernt, und auch unsere vorherige Reisedestination Island trennt eine 19-stündige Fahrt mit der Fähre. Mit nicht einmal 15’000 Einwohnern bildet Torshavn das nationale Zentrum der Insel Streymoy. Die Hauptstadt beherbergt neben der Altstadt mit ihrer ungewöhnlichen Kirche und den typischen grasbewachsenen Dächern auf Tinganes auch die historischen Parlaments- und Handelsgebäude.
Doch auch das beschauliche Torshavn wächst und dehnt sich vor allem an den Südhängen weiter aus. Aus dem Stadtteil Argir stammt auch Zweitligist Argja Boltfelag, kurz AB, die dritte Kraft in der Hauptstadt hinter den Schwergewichten HB und B36. Ihre Heimspiele trägt die Fahrstuhlmannschaft, derzeit Tabellenzweiter mit Ambitionen auf die Rückkehr ins Oberhaus, im Stadion «in der Bucht» (Inn i Vika) aus. Die Anlage liegt erhöht und bietet von der Tribüne aus einen schönen Blick auf ebendiese sowie die Insel Nolsoy.
Meine Frage nach einer Toilette führt mich wenige Minuten vor Anpfiff direkt in die Garderobe der Gäste. An der Tafel stehen noch die Anweisungen für die Reserve von Vikingur Gota, während die erste Mannschaft der Vikinger in der Qualifikation zur Gruppenphase der Conference League steckt. Die Zweitvertretung weist nur drei Spieler über 20 Jahre aus und bezahlt trotz letzter Taktiktipps einiges an Lehrgeld: Gastgeber AB lässt den Jungspunden vor 100 Zuschauern keine Chance und fertigt sie auf dem Kunstrasen diskussionslos mit 3:0 ab.
UMF Stjarnan - UMF Afturelding
Im Fussball gibt es bekannte Frisuren (Ronaldo an der WM 2002), bekannte Utensilien (der Helm von Petr Cech) und bekannte Torjubel (Mario Balotellis Oben-ohne-Pose im EM-Halbfinal 2012 gegen Deutschland). Noch etwas exquisiter ist einzig eine Serie spezieller Torjubel aus dem Jahr 2010 auf YouTube, wo ein Team wo ein Team in Blau-Weiss einen Treffer mal als Angler mit zappelndem Fisch, mal in Form eines menschlichen Fahrrads feiert.
Es waren Akteure des isländischen Stjarnan FC, der Fussballabteilung innerhalb des Ungmennafelagid Stjarnan (Deutsch: Jugendverein Stern), die diesen Einfallsreichtum an den Tag legten. Schauplatz ist ihre Heimat, das «Sternenfeld» in Gardabaer, einer Gemeinde in den südlichen Ausläufern von Reykjavik. Das Stadion wirkt von den in der Hauptstadt besuchten am vernachlässigsten: An der Wand prangt ein ausgebleichtes Logo und die Sitzpolster im Vereinsheim sind eher abgeranzt. An die grossen Tage des Meisters von 2014, mit Europacup-Auftritten gegen Inter Mailand, Celtic Glasgow oder Espanyol Barcelona, erinnert nur noch eine Inschrift an der Fassade. Direkt daneben liegt das Schwimmbad, hier herrscht stattdessen reger Betrieb – schliesslich zählt ein Besuch im «Sundlaug» praktisch zur Tagesroutine jeder Person in Island. So sehr, dass das Land 2023 gar den Antrag einreichte, die Schwimmtradition auf die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit setzen zu lassen. Die Entscheidung steht noch aus.
Zurück zum Fussball und dem Duell zwischen Stjarnan und Afturelding, das auch ein musikalisches ist. Aus Gardabaer stammt mit Of Monsters and Men eine bekannte Band voller melancholischer Melodien, während Mosfellsbaer die Heimat der Band Kaleo ist, die einst schon – nicht minder melancholisch – auf einer Eisscholle vor dem Gletscher Vatnajökull spielte. Auch sportlich ist das Duell im engen Mittelfeld ohne eindeutigen Favoriten. Lediglich in der Heraldik liegen die Gäste klar vorne: Ihr traditionelles Logo sticht den an eine Winterjackenmarke eines Discounters erinnernden Stern von Stjarnan klar aus.
Auch auf dem Rasen haben die Gäste zunächst die Nase vorn und lassen die mitgereisten Familienangehörigen unter den 709 Zuschauern früh aufspringen. Ein Platzverweis gegen die Gäste gibt dem Spiel im Anschluss jedoch eine andere Wendung, sodass Stjarnan nach dem Seitenwechsel das 0:1 in ein 4:1 dreht. Nur die kreativen Torjubel scheinen sie in Gardabaer in den Jahren der Erfolglosigkeit verlernt zu haben.

























































































































































































