«Fussball interessiert hier niemanden», meint Azad und klopft mir auf die Schultern. Es ist der gut gemeinte Aufmunterungsversuch unseres Fahrers, nachdem es das Hotelpersonal in Baku ganz offenbar trotz mehrfachem Beteuern vergessen hatte, die nur vor Ort erhältlichen Tickets für das EM-Qualifikationsspiel zwischen Aserbaidschan und Belgien zu erwerben. Spätestens als uns daraufhin der Rezeptionist noch dümmlich angegrinst hatte, erkannte der kleingewachsene Aseri mit buschigen Augenbrauen und furchigem, aber gutmütigem Gesicht den Ernst der Lage und fügte an, dass wir am Stadion sicher eine Lösung finden würden.

Gespielt wird allerdings nicht im Olympiastadion von Baku, sondern in der wesentlich kleineren Dalga Arena, der Heimat des Erstligisten Araz PFK, rund 40 Minuten östlich der Hauptstadt in der Siedlung Merdekan. In der höchsten Liga Aserbaidschans stammen nur drei Klubs nicht von der Halbinsel Apscheron, auf der nebst Baku mit Sumqayit auch die zweitgrösste Stadt liegt. Ein Sonderfall stellt der Qarabag FK dar, mit neun Titeln gemeinsam mit Neftchi Baku der Rekordmeister des Landes. Der Klub stammt aus der Stadt Agdam, die 1993 von der armenischen Armee aus strategischen Gründen im Konflikt um das nahegelegene Bergkarabach besetzt und vollständig zerstört wurde. Von den rund 30’000 Einwohnern sind praktisch alle geflüchtet, darunter auch der heimische Fussballklub, der seither in Baku ein Exil-Dasein fristet.

Azad, der uns am Nachmittag wie versprochen an die Küste des Kaspischen Meeres fuhr, war in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben. Er hatte seinen Schwager über unsere Anwesenheit unterrichtet, der als Polizist bei den Einlasskontrollen im Einsatz stand und einem Jungspund zwei Tickets abknöpfte, sodass die Gäste aus Westeuropa kurz vor Anpfiff doch noch in das Stadion gelangten. Trotz Namen wie Jan Vertonghen, Leandro Trossard und Romelu Lukaku bekundeten die Belgier mit dem mutigen Auftreten der Aseris Mühe und konnten nur dank eines abgefälschten Schusses das eigentlich verdiente Remis verhindern.

Trotz des 0:1 gab es von den 4500 Zuschauern nach dem Schlusspfiff aufmunternden Applaus, allen voran von einer Gruppe Jugendlicher, die sich hinter einer Zaunfahne mit der Aufschrift «Milli Holigans» eingefunden hatte. Sturmmasken und eine eingehakte Frontline auf dem Marsch hielten dabei den orthografischen Schwächen in der Gesamtwahrnehmung die Waage. Nur in der Trikotwahl besteht wohl interner Gesprächsbedarf, so waren im Fanblock nebst Exemplaren von Fenerbahce auch solche von Galatasaray und Besiktas zu sehen und auch auf den anderen Tribünen war die politische und ideologische Nähe zur Türkei durch diverse Flaggen spürbar.

Aserbaidschan wird seit 2003 von Ilham Aliyev geführt, der das Amt von seinem Vater Heydar übernommen hat. Die autokratische Herrscherfamilie schränkt die Meinungsfreiheit und die Rechte der Opposition ein, was dem Touristen – wenn überhaupt – aber nur durch die omnipräsente Überwachung öffentlicher Plätze ins Auge fällt. Hingegen ist der Reichtum aus dem Öl- und Gasgeschäft in Baku nicht zu übersehen: Die Hauptstadt hat sich im 21. Jahrhundert zu einer Metropole mit protzigen Moscheen, modernen Museen und futuristischen Hochhäusern entwickelt, während die drastischen Einkommensunterschiede bereits in den städtischen Randgebieten in Form simpler Behausungen mit Wellblechdächern ersichtlich sind und sich in ländlichen Gebieten weiter manifestieren.