Kakhaber Kaladze hat fast alles gewonnen, was man als Fussballer auf Klubebene eben gewinnen kann. Mit der AC Milan triumphierte der Georgier in der Champions League, wurde Klub-Weltmeister, holte den Super Cup und den Superpokal sowie den Sieg in der Coppa Italia und in der italienischen Meisterschaft. Seinen vermeintlich auf Ewigkeit unangefochtenen Status als georgischer Nationalheld und fünffacher Fussballer des Jahres macht ihn nun aber ausgerechnet einer streitig, der jüngst ebenfalls den Scudetto holte: Khvicha Kvaratskhelia.
Drei Mal in Folge bereits wurde dem Napoli-Akteur zuletzt diese Ehre zuteil und so erinnert der Besuch in der Boris-Paichadze-Arena nicht nur wegen ihrer Bauart und den blau-weissen Sitzschalen an den Klub am Fusse des Vesuvs, sondern auch wegen der vielen Napoli-Trikots mit dem Namen des neuen georgischen Hoffnungsträgers auf der Rückseite.
Doch auch mit dem 22-jährigen Ausnahmekönner in den Reihen bekam Georgien vor 51’694 Zuschauern in der EM-Qualifikation von Rodri, Gavi und Co. eine Lehrstunde verpasst. Beim 1:7 aus Sicht der Gastgeber traf Alvaro Morata für Spanien dreifach, den Ehrentreffer feierten die georgischen Fans – allen voran die trotz Dauerregen unermüdliche Heimkurve – dennoch wie einen Sieg.
Lauter wird es im Stadion, in dem auch Dinamo Tiflis seine Heimspiele austrägt, nur im Hohlraum unterhalb der Sitzränge. Hier liegt das Bassiani, der grösste Techno-Club Georgiens. Dieser ist aber längst kein Geheimtipp mehr, weshalb Tanzeulen und Nachtschwärmer, die etwas mehr BPM und weniger Touristen mögen, im KHIDI oder TES besser aufgehoben sind. Gemächlicher geht es hingegen in der nahegelegenen Fabrika zu und her, die sich zum Hotspot der alternativen Szene entwickelt hat und in den Räumen einer ehemaligen Näherei allerhand trendige Bars, Ateliers und Coworking-Spaces vereint.
Tiflis (oder auf Georgisch «Tbilissi») verdankt seinen Namen den warmen («tbili») Schwefelquellen in der Stadt, deren Architektur von sowjetischer Prägung bis hin zu kunstvollen Balustraden und hölzernen Veranden reicht. Einen guten Überblick bietet die Sicht von der Festung Nariqala (auf das Zentrum) oder von der Chronik Georgiens (auf die Plattenbauten an den nördlichen Ausläufern der Stadt). Denn Tiflis ist vielschichtiger und bei weitem nicht immer so pompös, wie die schöne Altstadt, futuristische Bauten entlang der Kura und die imposante Sameba-Kathedrale – eines der grössten orthodoxen Gebäude der Welt – vermuten lassen. Sinnbild für das Land im schleppenden Aufbruch sind die mit viel Gigantismus gebauten und seit über zehn Jahren leerstehenden Konzerthallen im Rike-Park. Will Ex-Rossonero Kaladze seinen Rang nicht endgültig von Kvaratskhelia abgelaufen sehen, könnte er hier ansetzen – seit 2017 amtet er nämlich als Stadtpräsident von Tiflis.