Während mich Riga wenig an das nahegelegene Skandinavien erinnerte, fühlte ich mich in Tallinn nicht selten in die „Gamla stan“ von Stockholm versetzt. Alles scheint farbenfroh und der östliche Einfluss ist in diesem Teil des Baltikums weniger zu spüren als zuvor am rigaischen Meerbusen.
Wie in Lettland beheimatet die Hauptstadt und deren Ballungsraum einen Grossteil der Bevölkerung Estlands. Trotz diesem Umstand kommt das Zentrum überschaubar daher und wirkt an milden Sommertagen durch die vielen Touristen der Kreuzfahrtschiffe beinahe überlaufen. So setzten wir uns stattdessen ans Meerufer oder verbrachten Zeit in den Strassen abseits der Menschenmassen. Den Weg zum südwestlich gelegenen Nationalstadion brachten wir ebenfalls zu Fuss hinter uns. Dieser nimmt eine gute halbe Stunde in Anspruch und findet seinen Höhepunkt kurz vor dem Ziel in einem engen Gang unter den Gleisen, der nur gebückt durchquert werden kann.
Diese Strapazen nehme ich allerdings gerne in Kauf, denn was wäre ich für ein Groundhopper, wenn ich nach Derbybesuchen in Budapest, Belgrad, Rom oder Wien den Klassiker zwischen Flora und Levadia Tallinn aussen vor lasse. Und wenn auch bei dieser Phrase unterschwellig Sarkasmus mitschwingt, überzeugte das Stadtduell zwischen Flora, dem grössten Verein des Landes und dem jüngeren Fusionsverein Levadia in allen Belangen. Nach zuletzt sieben sieglosen Direktduellen schaffte es Flora vor 2’688 Zuschauer im sehenswerten Stadion nämlich, den Rivalen mit 3:0 Toren abzufertigen. Einzig die fünfzehn Gästefans waren ab diesem Kraftakt wenig angetan. Ganz im Gegensatz zum Heimblock, der sich das ganze Spiel über um Support bemühte und auch auf optische Stilmittel in grösserer Menge zurückgriff. Dass es beim Derby jeweils etwas pyrotechnischen Zündstoff zu bestaunen gab, war mir bekannt, doch die Anzahl an Fackeln, Böller und Rauchpetarden überraschte mich. Die Ordnungsmacht scheint diesbezüglich aber einen lockeren Umgang zu pflegen, so vermummte sich nur ein Teil der gemeingefährlichen Feuerteufel.
Nach Spielschluss wurde auf dem Heimweg noch im nahegelegen Restaurant Kohalik (kulinarischer Geheimtipp) auf den 38. Länderpunkt angestossen. Am nächsten Mittag ging es für Jonathan zurück in die Heimat, während ich mit dem Flieger Berlin ansteuerte. Ein Ort wo das Bier teurer, die Frauenwelt weniger sehenswert und das Wetter schlechter ist. Seufz!