Nach Tagen voller langer Vokale und spezieller Betonung vernehme ich endlich wieder Schweizerdeutsch – und dann noch in einer Form mit Ostschweizer Prägung. Die vertrauten Bemerkungen, für die ich von Zürcher Arbeitskollegen bisweilen nur missgünstig gemustert werde, klingen einige hundert Kilometer südlich des Nordkaps gleich nochmals ein Stück heimeliger. Sie stammen aus dem Mund von Fussballprofi Magnus Breitenmoser. Während ihn sein Vorname zum Skandinavier macht, weiss das Gegenüber spätestens beim Toggenburger Nachnamen, warum auch er «seb» oder «afoch» sagt.
Thuner Türöffner
Welcher Weg aber führte Breitenmoser ausgerechnet ins finnische Oulu, der nördlichsten Grossstadt der Europäischen Union? Am Ursprung des kurzfristigen Wechsels steht der Berater seines Thuner Ex-Mitspielers Dennis Salanovic: «Dennis wechselte damals nach Oulu und der Klub hatte beim Berater angefragt, ob dieser auch einen passenden Mittelfeldspieler kenne», beschreibt der 25-Jährige seinen Leihtransfer im Sommer 2021 direkt aus dem Thuner Trainingslager in die «Veikkausliiga».
Im August herrschen auch im Norden Finnlands milde Temperaturen. Die Tage sind lang, die Sonne wärmt bis in die Abendstunden und am Stadtstrand kommt Badefeeling auf. «Hierhin komme ich jeweils, wenn ich Ruhe brauche», so Breitenmoser. Sehenswert sind in Finnland weniger die Stadtzentren, umso mehr ist es die Natur. Nirgendwo ausser in Russland gibt es in Europa so viele Seen und Primärwälder wie hier. Hinzu kommt eine vielfältige Fauna an der Küste des Bottnischen Meerbusens und inmitten der Nadelwälder der Taiga, die von Robben, über Elche bis zu Zugvögeln reicht. Oulu liegt abgeschieden, immerhin der FC Santa Claus ist in zweieinhalb Stunden erreichbar, auch die russische Hafenstadt Murmansk liegt weniger als einen halben Tag Autofahrt entfernt.
Mehr als eine Notlösung
Die Natur interessiert den gebürtigen Wiler in Finnland weniger, der Wechsel erfolgte aus pragmatischen Gründen. In Oulu steht er zum zweiten Mal unter Vertrag – auch, weil Ende 2022 eine Rückkehr in die Schweiz mit der Super League zum Ziel kurzfristig platzte. Breitenmoser war nach einer Vertragsauflösung mit dem FC Thun plötzlich vereinslos gewesen und hatte sich im Wiler Nachwuchs fit halten müssen, ehe Oulu erneut anklopfte und ihn für eine weitere Saison verpflichtete. Von einer Notlösung will Breitenmoser aber nicht sprechen, er schätzt Oulu auf und neben dem Rasen als Ort, an dem er «in Ruhe an sich arbeiten kann». Fussball spielt hier, wenn überhaupt, nur im «Raatin Stadion» im Norden der 200‘000-Einwohner-Gemeinde eine Rolle. Statt im Scheinwerfer- spielt Breitenmoser im Zwei-Wochen-Turnus auch schon einmal unter Polarlicht – zumindest, bis die Saison aufgrund des Klimas Ende Oktober jeweils ihr Ende nimmt. «Danach sind Temperaturen im zweistelligen Minusbereich keine Seltenheit», so der Schweizer mit kenianischen Wurzeln. Abhilfe schafft eine Indoor-Trainingshalle, ehe nach dem Jahreswechsel mit dem «League Cup» bereits wieder die Vorbereitung auf den Saisonstart im April anrollt.
Geplatztes Saisonziel
Bis dahin aber spielt Oulu unter freiem Himmel – und auf Naturrasen. Dieses Mal gastiert Liga-Krösus HJK Helsinki im Norden des Landes. Das Spiel endet mit 1:3 aus Sicht der Gastgeber, unter den 3203 Zuschauern sitzt auch Breitenmoser, der eine Trainingsverletzung auskuriert. «Ein Sieg hätte mich überrascht», so Breitenmoser, der nebst der Stärke der Hauptstädter auf Absenzen im Team verweist und sein Team von der Qualität her mit jenem des FC Schaffhausen vergleicht. Dennoch setzt sich der AC Oulu jeweils die internationalen Plätze zum Ziel. Ein Vorhaben, das 2023 frühzeitig scheitert: Am letzten Spieltag der regulären Saison verspielen die Nordfinnen die Teilnahme am Playoff der oberen Tabellenhälfte.
Davon ahnt Breitenmoser noch nichts, als ich ihn am Tag nach dem Helsinki-Heimspiel für ein Interview am Stadion treffe. Die Stimmung ist gelöst, auch wenn er nach dem jüngsten Trainerwechsel und einer Vertragslaufzeit bis Ende Jahr in eine ungewisse Zukunft blickt. Der Mittelfeldspieler spricht offen über seine Erfahrungen in der Challenge League, Anlaufschwierigkeiten im Ein-Mann-Haushalt und über das Verhältnis zu seinem Cousin, der als Sportchef beim FC Wil amtet. Seine nahbare Art passt zum Gesprächssetting inmitten verstaubter Pokale und einer spärlich ausgeschmückten Loge, der die Spuren des Vortags noch anzumerken sind.
Nach der Verabschiedung setzt sich Breitenmoser auf sein Velo und tritt in die Pedale. Nach einigen Metern dreht er sich nochmals um, grinst und ruft in breitem Ostschweizer Dialekt: «Lueg, so bini do amel underwägs.»