Die Augen tränen im Zigarettenrauch, leere Bierflaschen stehen auf den Tischen, an den Balken unter der Dachschräge hängen Fotocollagen vergangener Auswärtsfahrten und in den Fenstern Fussballtrikots aus aller Welt. Als einzige Lichtquelle fungieren zwei Fernseher, auf denen das EM-Qualifikationsspiel zwischen der Schweiz und dem Kosovo flimmert. Plötzlich wird es laut: Der Aussenseiter gleicht zum 1:1 aus. Das Tor in der Schlussphase wird von den Vertretern der «Dardanet», die nicht nach Basel gereist sind, gebührend gefeiert. Die beiden Schweizer in der Ecke des Fanlokals unter der Tribüne des Nationalstadions in Pristina werden verschmitzt angegrinst. Wir können es verkraften, der Punktgewinn des Kosovo ist verdient und im Gegensatz zu uns nehmen Länderspiele bei den Ultras der kosovarischen Nationalteams als Zeichen der Unabhängigkeit eine ungleich gewichtigere Rolle ein.

Der Kosovo, der im Februar 2008 nach langen Auseinandersetzungen seine Unabhängigkeit von Serbien erklärte, steht im Zentrum historischer und kultureller Spannungen zwischen Serben und Albanern. Für Serbien gilt er als Wiege der Nation und der serbisch-orthodoxen Kirche, geprägt durch den Mythos um die Schlacht auf dem Amselfeld und bedeutsame Kulturstätten, während sich die demografische Zusammensetzung unter osmanischer Herrschaft signifikant zugunsten der Albaner veränderte. Unter Josip Broz Tito genoss der Kosovo in Jugoslawien den Status einer autonomen Provinz, allerdings ohne vollständige Gleichberechtigung im Vergleich zu anderen Teilstaaten. Parallel zum Balkankrieg eskalierte zwischen Februar 1998 und Juni 1999 der Kosovokrieg zwischen der paramilitärischen Organisation «Befreiungsarmee des Kosovo» (UCK) und lokalen serbischen Milizen sowie Überbleibsel der jugoslawischen Volksarmee. Der blutige Konflikt endete mit NATO-Interventionen, hinterliess ungeklärte Gräueltaten und mit Mitrovica auch eine geteilte Stadt im Norden des Kosovo. Auch nach dem Kriegsende bleibt der Status des Landes international umstritten. Die Übernahme des Euros – obschon weder Mitglied der Europäischen Union noch der Währungsunion – ist Sinnbild eines verlagerten Schauplatzes des weiterhin tief verwurzelten Konfliktes. Nebst Preisstabilität und Verringerung der Transaktionskosten ist die Forcierung des Euros als einziges Zahlungsmittel nämlich ein Vorgehen, um serbische Menschen im Norden, die noch immer mit Dinar zu zahlen, schrittweise aus dem Land zu vertreiben.

Aufgrund der Kriegshandlungen Ende der 1990er-Jahre ist «Prischtin», wie die lokale Bevölkerung ihre Heimat ausspricht, nebst dem Skanderbeg-Platz oder der Nationalbibliothek rar an Sehenswürdigkeiten und erinnert beispielsweise in Form der Bill-Clinton-Statue immer wieder an die bewegte Vergangenheit des jungen Staates. Verlässt man hingegen das Zentrum, wähnt man sich in einem Städtebauspiel, bei dem in wirrer Anordnung Autohäuser und Privatkliniken neben Schönheitssalons aus dem Boden schiessen, auf denen in deutscher Sprache für Haartransplantationen geworben werden.

Mit dem Fadil-Vokrri-Stadion bekam auch das Nationalstadion erst vor wenigen Jahren einen modernen Anstrich verpasst. Seinen Namen verdankt es einem einstigen Spieler des FC Pristina. Der Rekordmeister ist das einzige Team auf dem jetzigen Gebiet des Kosovo, das je in der höchsten jugoslawischen Liga mitspielte. In der vergangenen Saison zählte der Klub als Fünfter allerdings nicht zum Quartett, das seine Qualifikation für die europäischen Klubwettbewerbe allesamt im einzigen tauglichen Stadion des Landes austragen musste. Mit dem FC Ballkani gelang dem kosovarischen Meister im Exil der Hauptstadt gar der Einzug in die Gruppenphase der Conference League.

Auch heute ist Pristina Schauplatz eines internationalen Duells – wenn auch nur in Form einer Kehrauspartie im Dauerregen. 5’026 Zuschauer sehen auf tiefem Geläuf kaum zählbare Aktionen des Gastgebers, sodass der Kosovo die EM-Qualifikation mit einem 0:1 gegen das ebenfalls bereits ausgeschiedene Belarus beschliesst. Für den grössten Aufreger bei unserem Duo, das in pinken Ponchos auf der unüberdachten Gegentribüne verharrt, sorgen die LED-Banden am Spielfeldrand, die sowohl von einem Amateurfussballklub (KF Dardania) als auch einem Taxiunternehmen aus St. Gallen mit kosovarischen Wurzeln bespielt werden.