«Thank you for making my life easier», antwortet die Frau hinter dem Pub-Tresen auf das Trinkgeld für Pint Nummer drei. Längst hat sie unser Duo als einzige Verbündete in einer Schar noch trinkfreudigerer Briten ausgemacht. Sie heisst aber nicht etwa Amy oder Ashley, sondern Anastasija. Und draussen liegt auch nicht das East End von London, sondern Skopje, obschon zahlreiche rote Doppeldeckerbusse die Illusion wahren, dass zumindest an diesen Tagen die britische Hauptstadt auf die Balkanhalbinsel verlegt wurde.

Tatsächlich kam Skopje nach der Unabhängigkeit 1991 als Zentrum der südlichsten aller ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens unerwartet der Titel «Hauptstadt» zuteil. Der Zerfall des Vielvölkerstaats läutete für das Land zugleich den Streit um die eigene Identität ein: Im Norden kam es zum Konflikt mit der albanischen Minderheit, im Süden warfen die Griechen den Mazedoniern die unrechtmässige Namensnutzung vor. So verwendete Mazedonien im internationalen Schriftverkehr die Bezeichnung «Frühere Jugoslawische Republik von Mazedonien», um eine Abgrenzung zum auf griechischem Territorium liegenden antiken «Königreich Makedonien» zu schaffen. Die beharrlichen Proteste der Griechen zeigten auch Jahre später Wirkung: 1995 verschwand mit dem «Stern von Vergina» das Emblem der makedonischen Königsdynastie aus der Flagge, ehe 2019 schliesslich die Umbenennung in «Nordmazedonien» erfolgte – auch weil das strukturschwache Land politisch weiter in Richtung Europäische Union schielt.

Nicht minder Polemik entfachte das innenpolitische Programm «Skopje 2014», unter dem im vergangenen Jahrzehnt das gesamte Stadtzentrum mit Statuen, Denkmälern und prunkvollen Neu­bau­ten versehen wurde. Sinnbild für den abstrusen Drang der Vereinnahmung gesamtjugoslawischer Kulturgeschichte zur Sicherung der territorialen Relevanz stellt das zweigeteilte Piratenschiff auf dem Fluss Vardar dar. Dabei ist die 525’000-Einwohner-Stadt auch ohne Neubauten und trotz starkem Smog sehenswert: Die muslimisch geprägte Altstadt, der Basar, die Festung Kale, das Erinnerungshaus von «Mutter Teresa», die Stein­brü­cke oder das gigantische Gipfelkreuz auf dem Hausberg Vodno laden zu einem Besuch ein.

Zurück in der Bar: Rund um den Tresen stehen einige Engländer aus Wigan, deren grösser werdender Gesprächslaune weder Anastasija noch wir ausweichen können. Die Gruppe hat von Vardar Skopje oder dem FK Shkupi noch nie etwas gehört, von den Gruppierungen «Komiti» und «Ultras Shvercerat» ganz zu schweigen. Ein Ticket für das Spiel haben die Jungs bisher ebenfalls nicht, doch Skopje sei auch «fucking brilliant», wenn sie das Spiel nur aus dem Pub mitverfolgen könnten. Tatsächlich sind es stattdessen wir zwei, die am späten Abend plötzlich von zehn Komiti-Leuten durch Nebenstrassen verfolgt werden und nur dank der deutschen Sprache und einigen Bildern aus dem Fanprojekt der befreundeten Schalker – bei dem ich einen Monat zuvor mit meiner Indonesien-Vortragsreihe gastierte – einer zünftigen Abreibung entkommen.

Den Part des zwölften Mannes, der bei Länderspielen Nordmazedoniens auf den Rängen fehlt, übernimmt der Schiedsrichter mit mehreren grosszügig ausgelegten Foulpfiffen und Vorteilsituationen sowie zwei umstrittenen VAR-Entscheiden. So führen die Gastgeber dank eines Penaltys zur Pause, bei Spielende steht es 1:1 – nach der Einwechslung von Harry Kane dauert es keine 20 Sekunden, ehe der Bayern-Stürmer massgeblich am Ausgleich beteiligt ist. Nichtsdestotrotz wird der Punktgewinn zum Abschluss der verpassten EM-Qualifikation von den 27’982 Zuschauern in der Toše-Proeski-Arena, die noch immer das Branding des Uefa-Supercup-Finals von 2017 aufweist, gebührend gefeiert.