Der Pager des Taxis piept, als wir über die Brücke fahren. Es handelt sich um eine Gefahrenwarnung und zugleich das Signal, dass wir in Soweto angekommen sind. Die Gegend im Südwesten von Johannesburg ist ein Zusammenschluss im doppelten Sinne: In der Kurzform für «South Western Townships» als auch in ihrer Entstehung in den 1960er-Jahren, als die südafrikanischen Behörden Grossteile der schwarzen Minderheit aus den Armensiedlungen der Industriemetropole in die Agglomeration verfrachteten.

Seit dem Schüleraufstand gilt Soweto als Zentrum des Widerstandes im langwierigen Kampf gegen die Apartheid. Auf Basis des auf parallelgesellschaftliche Strukturen ausgerichteten «Bantu Education Act» sollte 1976 das von europäischstämmigen Buren gesprochene «Afrikaans» als verbindliche Unterrichtssprache eingeführt werden. Die schwarze Schülerschaft sah darin Schikane durch die weisse Herrschaftsschicht sowie eine systematische Reduktion der Entwicklungsmöglichkeiten auf dem weiteren Bildungsweg. Das anschliessende «Soweto Uprising» hatte zahlreiche Todesopfer zur Folge und führte zu landesweiten Protesten gegen die rassistische Bildungspolitik. Das Mahnmal zu Ehren des damals von der Polizei erschossenen 12-jährigen Hector Pieterson steht bis heute sinnbildlich für den unheilbaren Schmerz und das Vergiessen von Blut und Tränen am Ort der Geschehnisse.

Doch Soweto steht auch für Zugehörigkeit, Zusammenhalt und Respekt. In der Sprache der Zulu ist dieser Lebensphilosophie mit «Ubuntu» gar ein eigenes Wort gewidmet. Das erfahren wir von «Coconut» Linda, der uns ausnahmsweise auch in seine Heimat, das von Touristen sonst unberührte «Deep Soweto», führt. Sein richtiger Name sei deutlich länger und seinen Spitznamen verdanke er seinen Freunden, die ihn aufgrund seiner Guide-Tätigkeit als «aussen schwarz und innen weiss» mit der Steinfrucht vergleichen.

Für Linda ist drei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid aber nicht die einstige Oppression, sondern das eigene Versagen rund um Nepotismus, falsche Versprechen und gierige Bauherren der Hauptgrund, dass der Fortschritt in der Gegend ausbleibt. Viele junge Menschen hätten deshalb das Vertrauen verloren und sich von der Politik abgewendet. Auch heute noch sei es in Soweto ein gefährliches Unterfangen, sich gegen die Obrigkeit zu stellen. «Unbeschwert ist hier einzig das Kinderlachen», lässt unser Guide – ein Verfechter der herrschenden Selbstjustiz – einblicken. Gefährlich wird es, wie überall in Südafrika, jeweils in der Nacht und besonders in den ärmsten Townships, den «Informal settlements».

Stolz sind die Bewohner Orlandos, dem ältesten aller 41 Viertel in Soweto, hingegen auf das Orlando Stadium. Renoviert für die Weltmeisterschaft 2010 und als Ausweichspielstätte angedacht, beherbergte es die Eröffnungszeremonie sowie vereinzelte Trainingseinheiten. Zuletzt bis auf den letzten Platz gefüllt war die 40’000-Plätze-Baute 2018 anlässlich der Beerdigung von Nelson Mandelas zweiter Frau Winnie Madikizela. Noch immer schwingen im Namen des aus Soweto stammenden Freiheitskämpfer und ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas Hochachtung und Wehmut mit.

Vor dem Stadion des ältesten Verein des Landes grasen wenige Minuten vor Anpfiff entspannt einige Kühe. Zum von Linda angepriesenen «Slaughterhouse» wird die Spielstätte an diesem Abend beim Auftritt gegen den Stellenbosch FC einzig aus Sicht der Hausherren: Innert acht Minuten verspielen die Orlando Pirates eine 2:0-Führung und müssen zusehen, wie die Gäste beim 2:3 alle drei Punkte in die Wein-Hauptstadt Südafrikas entführen.

Ob der Niederlage gross verärgert scheinen die 6000 Zuschauer aber nicht. Für sie geht die Verbundenheit zu den «Buccaneers» weit über den Spieltag hinaus. So tanzen die Fans bereits während der Partie nicht selten mit dem Rücken zum Spielfeld und singen melodische Lieder. Nur beim Soweto-Derby gegen die Kaizer Chiefs aus Orlando West dürfte für die Pirates aus Orlando East auch die Ausbeute im Zentrum stehen.