Dort, wo «meine» Geschichte mit Bosnien-Herzegowina ihren Anfang nimmt, beginnt auch das prägendste Kapitel in der jüngeren Zeitrechnung des Landes: in Grbavica, einem Stadtteil von Sarajevo. Am 5. April 1992 steht das Spiel der jugoslawischen «Prva Liga» zwischen dem lokalen Eisenbahnerverein Zeljeznicar und Rad Belgrad kurz vor der Halbzeitpause, als ein Schusswechsel vor den Stadiontoren zum Abbruch der Partie führt. Er markiert den Anfang der Belagerung Sarajevos durch die Armee der bosnischen Serben, die 1425 Tage andauern wird. Einen Tag später beginnt offiziell der Bosnienkrieg, der über 100‘000 Menschenleben forderte.
Vergebliche Hilferufe
Am Ursprung dieser dreieinhalb Jahre andauernden Kampfhandlungen stand der Nationalismus. Nach dem Tod von Josip Broz Tito und dem Zerfall Jugoslawiens hatten sich sowohl der serbische Präsident Slobodan Milosevic als auch sein kroatisches Pendant, Franjo Tudman, für mehr Einfluss ihrer Volksgruppe innerhalb des multiethnischen Schmelztiegels auf der Balkanhalbinsel engagiert. Wie fest die Gebietserweiterung in ihren politischen Agenden manifestiert war, zeigte sich nach der Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas im März 1992 auch der breiten Öffentlichkeit.
Trotz perfider Kriegstaktiken blieb die internationale Gemeinschaft lange passiv und überliess die aufgrund des verhängten Waffenembargos unbewaffnete Zivilbevölkerung in Sarajevo sich selbst. Auf dem einzigen Weg, der aus der Hauptstadt ins bosnische Umland führte, lag der internationale Flughafen, der unter UN-Schutz stand und von den Einheimischen nicht überquert, sowie von den Aggressoren nicht beschossen werden durfte. Um die vielschichtige Mangellage in der Stadt zu lindern, gruben Bosniaken deshalb einen 800 Meter langen Tunnel unter dieser Sperrzone hindurch. Ein eindrückliches Bauwerk, das – in reduzierter Länge – bis heute besteht und besichtigt werden kann.
Enge Gassen und weite Ausblicke
Die Geschehnisse in den 90er-Jahren waren aber nicht das erste Mal, dass Sarajevo zum Ausgangspunkt weitreichender Kriegshandlungen wurde. So ist die Lateinerbrücke im Stadtzentrum bis heute eng mit dem Auslöser des Ersten Weltkriegs verbunden, auch wenn der junge Attentäter Gavrilo Princip damals kaum ahnen konnte, dass sein Mord an Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Gattin die Julikrise auslösen würde.
Nebst jener Brücke, unter der die Miljacka durchfliesst, zieht heutzutage besonders das orientalische Viertel Bascarsija die Touristen an, die nebst lokaler Kupferschmiedekunst auch traditionellen bosnischen Kaffee in den verwinkelten Gassen serviert bekommen. Einen besseren Überblick gewährt hingegen ein Besuch der Zuta Tabija (Gelbe Bastion), unter der sich nebst der Altstadt auch zahlreiche Friedhöfe mit Grabsteinen in weisser (Muslime), grauer oder schwarzer (Orthodoxe) Farbe erstrecken.
Eingebettet in das Dinarische Gebirge gehört mit dem «Trebevic» an den südlichen Ausläufern auch jener Berg zur 300‘000-Einwohner-Stadt, an dessen Hängen 1984 diverse Wettkämpfe der Olympischen Winterspiele stattfanden. Bekanntestes Überbleibsel davon ist die Bobbahn, die in den Wäldern unter dem Gipfel verwildert.
Alteingesessen und stimmungsvoll
Zurück in Grbavica, wo in den 90er-Jahren die Frontlinie mitten durch das Quartier verlief, sind auch drei Dekaden später an vielen Häuserwänden noch Einschusslöcher zu finden. Gar noch älter als die Spuren des Krieges sind mit den 1987 gegründeten «Manijaci» die Ultras Zeljeznicars, deren Murals zumindest etwas Farbe in die trostlosen Häuserschluchten rund um das Stadion bringen. Bei winterlichen Temperaturen nehmen die Fans an diesem Samstag auf der überdachten Gegengerade Platz, während mit der «Jug» ihre eigentliche Heimat aufgrund der winterlichen Bedingungen gesperrt bleibt.
Trotz des abwechslungsreichen Liedguts, das sie lautstark auf den Platz tragen, vermag das Spiel zwischen «Zeljo» und den Gästen aus Tuzla bei klirrender Kälte nur wenige der 4500 Zuschauer zu erwärmen. Entsprechend symptomatisch fällt mit dem 1:0 für das Heimteam der einzige Treffer der Partie vom Elfmeterpunkt aus.