2014 stattete ich Girondins Bordeaux im alten Stade Chaban-Delmas bei der Partie gegen Stade Rennais einen Besuch ab. Während der damalige Gast in der Saison 2022/23 einen Punkterekord realisierte, verlief der Weg der Girondisten durch das letzte Jahrzehnt einiges turbulenter: Vielseitigen Tiefpunkt stellte die Saison 2021/22 dar, als der Klub die Insolvenz sowie den Fall in die Drittklassigkeit zwar im allerletzten Moment verhindern konnte, nichtsdestotrotz als Tabellenletzter aber erstmals aus der Ligue 1 abstieg.
Nach einer ansprechenden Saison im Unterhaus, in der besonders die Fankurve auch dank der Anpassung der Ticketpreise wieder immense Lust verspürt hatte, bot sich am letzten Spieltag mit einem Heimsieg – bei einem zeitgleichen Patzer von Metz – die Chance auf den prompten Wiederaufstieg. Wenig überraschend vermeldete die im Zuge der EM 2016 gebaute Spielstätte am nördlichen Stadtrand für diese Partie ausverkaufte Ränge. Besonders die Fassade des Stade Atlantique sorgt mit ihrer Pfeilerstruktur für einen bewussten Blickfang seitens des Schweizer Architektenduos «Herzog & de Meuron».
Für einen würdigen Rahmen im «Spiel um alles oder nichts» sorgten die Ultramarines aus der Virage Sud. Bereits Stunden vor der Partie hatte die etablierte Gruppierung einen Empfang des Teambusses organisiert und zeigte zum Einlauf der Mannschaften eine gelungene Choreografie über beide Ränge. Eine aus Unstimmigkeiten während der Corona-Pandemie entstandene Abspaltung steht zudem im Oberrang gegenüber und bildet hinter einer Zaunfahne mit der Aufschrift «North Gate» ein zweites, deutlich kleineres, Stimmungszentrum.
Von den Rahmenbedingungen beflügelt, legten die Girondisten engagiert los und erarbeiteten sich Chancen im Minutentakt, boten den Gästen durch die offensive Ausrichtung aber immer wieder Gelegenheiten für Konter. Einen davon nutzte Rodez, das nur noch mit einem Auswärtssieg den Klassenerhalt bewerkstelligen konnte, in der 22. Minute zum 0:1 aus Sicht des Favoriten. Der anschliessende Jubel in eine unmittelbar vor dem Heimblock positionierte Kamera ging für einen Bordeaux-Anhänger zu weit: Er verschaffte sich Zutritt zum Innenraum und stiess den Torschützen zu Boden.
Es folgte ein rund einstündiger Unterbruch, ehe bei den 41’591 Zuschauern Gewissheit herrschte, dass die Partie zumindest an diesem Abend nicht wieder angepfiffen werden würde. Weil parallel der FC Metz zudem sein abschliessendes Heimspiel siegreich gestaltete, lösten sich auch die letzten Hoffnungen auf den Aufstieg und eine Freinacht im Stadtzentrum von Bordeaux in warme Sommerluft auf.
Immer wieder Annecy
Tatsächlich wertete die Liga die Partie nach Tagen der Ungewissheit als 1:0-Erfolg für die Gäste, was Rodez von einem Abstiegsplatz (17.) bis ins hintere Tabellenmittelfeld (14.) bugsierte. Grosser Verlierer des letzten Spieltags war hingegen der FC Annecy. Dieser hatte in der Vorwoche dank eines Triumphs über Bordeaux nicht nur erst einen derartigen Saisonfinal ermöglicht, sondern auch den vermeintlichen Klassenerhalt gefeiert. Durch den überraschenden Forfait-Sieg des Klubs aus Okzitanien, bei dem Annecy dem betroffenen Rodez-Spieler theatralisches Verhalten vorwarf, endete für den FCA die Spielzeit doch noch mit dem Abstieg in die dritte Liga.
Am bitteren Schicksal des Klubs konnte auch dessen Einsprache sowie der Vorschlag einer Durchführung der kommenden Ligue-2-Saison mit 21 Teams nichts ändern. Übrigens: Der Bordeaux-Anhänger, der den Spielabbruch herbeigeführt hatte, lebt ausgerechnet in Annecy.