«Die spielen aber nicht in Arad», meint Carlo Farsang. Die Aussage des Asphalt Cowboys, den ich in Craiova wieder zufällig an einem Spielfeldrand in Osteuropa getroffen habe, lässt mich aufhorchen. Tatsächlich: Weil der rumänische Erstligist UTA Arad seinen Rasen wechselt, weicht der Klub vorübergehend nach Oradea aus. Da unser Duo dort bereits für das Pokal-Duell des lokalen FC Bihor vorstellig wurde, ändern wir kurzfristig unseren Reiseplan: Statt Westrumänien visieren wir neu ein weiteres Bukarester Stadtderby sowie einen Spielbesuch in Slobozia an.
So finden wir uns am Montagnachmittag auf der Rückbank eines hellblauen Opels wieder. Fahrer ist Ilie Dobre, pensionierter Sportkommentator und mit 35 Sekunden Weltrekordhalter für den längsten ununterbrochenen Torschrei eines Radio-Kommentators. Nebenbei hält der vielfach ausgezeichnete Autor acht weitere Weltrekorde, darunter auch jenen für den längsten Torschrei mithilfe eines einzigen Atemzugs (68 Sekunden). Auf dem Beifahrersitz hat Emanuel Roşu Platz genommen, ebenfalls eine bekannte Person in der Berichterstattung rund um den rumänischen Fussball. Im Gegensatz zum zierlichen Dobre ist Roşu ein Schrank von Mann, lächelt – wenn überhaupt – kaum sichtbar, ist aber sehr gutmütig. Gemeinsam mit Dobre hat er ein Projekt lanciert, um weniger attraktive Spiele auf etwas andere Art zu kommentieren und so eine neue und jüngere Zielgruppe zu erschliessen und für den rumänischen Fussball zu begeistern.
Dieses Mal heisst das Ziel Slobozia, eine Stadt gelegen in der Bărăgan-Ebene etwas über 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Bukarest. Dort empfängt Unirea Slobozia den FC Buzau zum Lokalduell, wobei die Partie der zweiten Liga nur aus geografischer Sicht die Bezeichnung «Derby» verdient. Meine Frage, warum das Spiel an einem Montagnachmittag angepfiffen wird, beantwortet Emanuel knapp mit: «TV.» Ansonsten wird er, wenn wir über Fussball sprechen, gerne ausführlich. So erfahren wir, dass der FC Buzau den Nachfolger des einstigen Klubs Gloria Buzau verkörpert und das rumänische Unterhaus – mit wenigen Ausnahmen – trotz tiefem Interesse und maroden Stadien als reine Profiliga organisiert ist. Emanuel lässt auch durchblicken, dass ihn die Niederlage «seines» FCSB am Vorabend im von uns besuchten Stadtderby gegen Rapid (in diesem verlinkten Beitrag finden sich am Ende einige Bilder davon) traurig gestimmt hätte. Beim krassen Konträr zum Ligaalltag waren über 40’000 Menschen zugegen und auch die obligaten Böller- und Spruchbandduelle lieferten sich die beiden Kurven. Nur bei der Verpflegungsvielfalt haperte es auch im Nationalstadion.
Trotz der ungewohnten Anspielzeit haben sich 900 Zuschauer im Stadion von Unirea eingefunden. Das prächtige Herbstwetter bringt Kommentator Dobre in seinem Anzug unter der prallen Sonne gehörig ins Schwitzen, der Routinier bewahrt im improvisierten Studio aber seine ernste Miene und kommentiert das 0:1 aus Sicht der Gastgeber souverän.
Nach dem Spiel werden wir von einem Bekannten Dobres zum Essen eingeladen. Auch wenn wir kaum etwas verstehen, ist es ein kurzweiliger Abend. Einmal dreht sich Emanuel nach einem Austausch mit Dobre zu uns, während dieser umständlich durch einen Karton-Strohhalm seinen Erdbeer-Milchshake schlürft. Auf ein Video, das seinen Geschäftspartner im Eifer des Kommentierens zeigt, sagt er freudig: «You know, Mr. Dobre is now a Tiktok-sensation!»