Dem Stadio San Nicola in Bari an einem kalten Novemberabend oder bei einer «Kehrauspartie» gegen den Tabellenfünfzehnten aus Cittadella einen Besuch abzustatten, grenzt an Ehrverletzung. Zu stark versprüht diese Spielstätte, ihr Klub und dessen Fanszene den Charme des italienischen Fussballs der 90er-Jahre, den ich zu verpassen so oft schon hervorgehalten bekam. Mit dem Rückspiel des Playoff-Finals der Serie B gegen Cagliari Calcio war der Rahmen endlich passend, mich in Apulien in die «glorreichen Zeiten» zurückversetzen zu lassen.

Wie in La Spezia zählt auch in der Hauptstadt der Region ein Schweizer zu den Pionieren, die 1908 den Bari FC ins Leben gerufen haben. 115 Jahre später begleitet der Zusatz Società Sportiva Calcio (SSC) den Klub, der auch schon die Akronyme «AS» oder «Calcio» als Beinamen besass. Grund dafür waren – wie so oft in Italien – finanzielle Probleme, die etwa 2014 in der Insolvenz oder vier Jahre darauf gar im Ausschluss aus der Serie B und dem Fall in die Viertklassigkeit geendet hatten. Eine Konstante stellt hingegen der Hahn im Vereinswappen dar, der auf die Umfrage eines lokalen Sportjournalisten in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg zurückging. Zum Eintritt des Klubs in die höchste Liga sollte dieser, wie zahlreiche andere im Land, fortan auch von einem Tier repräsentiert werden. Bei der Abstimmung stach der Hahn unter anderem den Adler, das Eichhörnchen, die Gazelle und das von einer konkurrierenden Gazette vorgeschlagene Rotkehlchen aus.

Eine weitere Konstante in der süditalienischen Hafenstadt bildet die lokale Fanszene, die mit dem Dreigestirn um die Gruppen «Seguaci della Nord», «Bulldog» und «Re David» zu den etabliertesten des Mezzogiornos zählt. Im weiss gekleideten Teil der Kurve, welcher die Heimat der Bulldog darstellt, ist an diesem Abend zusätzlich die Zaunfahne des Ultras Movement Salerno (UMS) aufgehängt, während die 1976 gegründeten «Anhänger aus der Nordkurve» nebst dem Direttivo der Curva Sud Siberiano auch auf ihre Freunde aus Reggio Calabria zählen können. Einzig die nach einer Strasse im Quartier Carrassi benannte Gruppe Re David scheint zum wichtigen Spiel keine auswärtigen Fans in den eigenen Reihen zu begrüssen.

Mit dem Segen des Nikolaus

Bevor der Zuschauer aber einen Blick ins eindrückliche Rund erhaschen kann, hat dieser in einer der langen Schlangen auszuharren, die sich in Baris südlicher Peripherie bereits drei Stunden vor Anpfiff um das Stadion gebildet haben. Benannt nach dem Nikolaus von Myra, dem Schutzpatron der Stadt, erinnert es von aussen an ein Ufo, während sich im Innern angekommen ein Vergleich mit der Spielstätte Napolis anbietet, wäre da nicht der in 26 Sektoren aufgeteilte Oberrang. Dieser verleiht dem WM-Stadion von 1990 zwar seine besondere Charakteristik, schützt aber nur bedingt vor der Witterung, zumal merkwürdigerweise die jeweiligen Aufgänge und nicht die Abschnitte selbst überdacht sind.

Doch nicht der in der 2. Halbzeit einsetzende Regen avancierte im Showdown um den Aufstieg in die Serie A zum Stimmungskiller, sondern ein verzweifelter Angriff der Gäste aus Cagliari tief in der Nachspielzeit. Weil in Italien auch im Playoff-Final das in der Liga besser klassierte Team bei einem Remis als Sieger aus dem Duell hervorgeht, waren in den vorangehenden 90 Minuten (nach einem 1:1 im Hinspiel) wenig überraschend keine Tore gefallen. Diese defensive Grundhaltung der Gastgeber rächte sich 160 Sekunden vor dem Schlusspfiff, als Leonardo Pavoletti nach einer Flanke doch noch für die Sarden traf.

Bei den rund 800 mitgereisten Gästefans rund um die Sconvolts kannte der Jubel daraufhin keine Grenzen mehr und selbst Trainer-Altmeister Claudio Ranieri, der Cagliari damit – wie einst 1990 – zurück ins Oberhaus führte, wurde von den Emotionen übermannt. Dennoch fühlte sich das 0:1 in der 94. Minute selbst für den neutralen Zuschauer wie ein Schlag in die Magengrube an, verzeichnete das San Nicola mit 58’206 Zuschauern doch die grösste Kulisse seiner bisherigen Geschichte, die im jüngsten Kapitel allerdings keine euphorische Aufstiegsfeier, sondern eine kollektive Schockstarre bereithielt.

Ideale Alternative

Wer in Bari ursprünglicheren Fussball geniessen will, ist im Vorstadtquartier Palese-Macchie bestens aufgehoben. Hier ist der 2012 gegründete Siebtligist Ideale Bari zuhause, der seine Heimspiele auf dem «Campo di Calcio Gioacchino Lovero» austrägt. Der von ehemaligen Bari-Ultras gegründete Verein versteht sich als Gegenentwurf zum modernen Fussball fern von Wettskandalen, Repressionsmühlen und Kommerzialisierungsbestreben. Das St. Galler Fussballmagazin SENF hat dem Vertreter des «Calcio Popolare» in seiner 14. Ausgabe einen Besuch abgestattet.