Persis Solo - Bali United

Rückblende: Im Sommer 2019 spielte Persis Solo in der zweithöchsten Liga Indonesiens. Ihr eigentliches Stadion in Surakarta, wie die Stadt im Zentrum Javas auch genannt wird, befand sich immer noch im Umbau. So war das «Derby Mataram» gegen Erzrivale PSIM Jogjakarta im östlich gelegenen Madiun angesetzt. Trotz der Warnung der Polizei, das Risikospiel ohne Zuschauer auszutragen, hatten die Persis-Fans bereits vorab ihre Anreise zugesichert. Überwältigt von den Massen vor dem Stadion kippte die Polizei schliesslich wenige Augenblicke vor Anpfiff ihre eigene Entscheidung und liess die abertausenden Zuschauer ins Stadion strömen. Vor vollen Rängen erlebten mein damaliger Begleiter Michael und ich einen unglaublich emotionalen Heimsieg.

Drei Jahre später darf sich Persis Solo Erstligist nennen und besitzt mit dem Stadion Manahan auch endlich wieder eine eigene Heimat. An diesem Abend empfängt der Klub, der auf seine ruhmreichen Zeiten schon länger zurückblickt, als Aufsteiger den amtierenden Meister Bali United. Entsprechend durften die 13‘050 Zuschauer im Duell gegen den Favoriten auch keinen Sieg erwarten. Wie bereits in Tangerang reicht ein Blick durchs Rund, um zu erahnen, dass bei der Zahl der Anwesenden deutlich untertrieben wurde. Es ist der indonesische Weg, um die nach wie vor bestehende, coronabedingte Kapazitätsbegrenzung von 75 Prozent zu umgehen.

Eine zweite nationale Eigenheit offenbart sich den Anwesenden bereits wenige Momente nach dem Anpfiff. Wie in grossen Spielen üblich bekommt das Heimteam einen umstrittenen Penalty zugesprochen, nimmt das Geschenk dieses Mal aber nicht an. Trotz der verpassten Führung zeigt sich der vermeintliche Aussenseiter agil und zieht ein für indonesische Verhältnisse ansprechendes Spiel auf. Ein Tor nach einer halben und eines nach einer ganzen Stunde lenken das Spiel schliesslich doch noch in die gewünschte Richtung. Der 2:0-Sieg für Persis, das zuletzt öfter sieglos blieb, kommt überraschend und ist dennoch verdient.

Die drei Punkte spornen auch den rot-weissen Anhang rund um die Fangruppen Pasoepati, B6 (Casuals), Surakartans (Hooligans) sowie die Curva Sud (Ultras) gehörig an. Ihr ganzes Potenzial schöpfen diese unabhängig agierenden Gruppen allerdings erst nach dem Anpfiff aus, als sie – erstmals an diesem Abend gemeinsam – inbrünstig die Klubhymne singen.


Persita Tangerang - PSIS Semarang

Es war alles dabei bei meiner Rückkehr in die indonesischen Fussballstadien, nachdem ich zuletzt vor drei Jahren und exakt einem Tag einer Partie im vielseits gigantischen Inselstaat in Südostasien beigewohnt hatte: Die bis weit nach Anpfiff leeren Zuschauerränge, Foto-Mister-Termine im Sekundentakt, kläglich gescheiterte Ballstafetten auf unebener Unterlage, Zaunfahnen mit Schreibfehler, im Casual-Stil gekleidete Mittdreissiger sowie zur Melodie tanzende und singende Frauen in den ersten Reihen einer gut aufgelegten Fankurve.

Am meisten aber beeindruckte mich in Tangerang, einer Millionenstadt im Nordosten der Metropolregion Jabodetabek, wiederum die kurze Zeitspanne zwischen den Momenten der totalen Friedfertigkeit bis zum Chaos auf den Rängen. Trotz gewohnt passivem Verhalten der Polizei blieb es bei kleineren Scharmützeln – als wollten die einheimischen Southern Ultras schlicht eine Kostprobe ihres immensen Gewaltpotenzials abgeben.

Glücklicherweise hielt sich die Reaktion der Panser Biru aus Semarang ebenso in Grenzen wie jene der North Legion, die gegenüberliegend das Stimmungszentrum von Persita Tangerangs Fanszene darstellt. Die Tribüne auf der Nordseite sollte auch jenen Bereich darstellen, der beim 1:0-Heimsieg im Stadion mit imposanter Dachkonstruktion am besten gefüllt war.

Noch immer zerstückeln eine Vielzahl an Streaminganbietern den Spieltag ins Unermessliche, sodass nur gerade zweihundert Gästefans die Reise in den Westen Javas mitmachten. Etwas mehr als die offiziell angegebenen 5‘127 Zuschauer dürften an diesem Mittwochnachmittag aber dennoch vor Ort gewesen sein. Da die indonesischen Stadien offiziell aber noch immer nur zu 75 Prozent ausgelastet werden dürfen, korrigieren die Verantwortlichen die Zahlen bewusst nach unten – Pandemiebekämpfung auf indonesische Art.


FV Illertissen - Wacker Burghausen

Ein vierzehntäglich erscheinendes Schweizer Konsumenten- und Beratungsmagazin stand am Ursprung dieses Spielbesuchs. Dessen Herausgeber sahen für das WM-Jahr eine Serie zu einem alternativen Fussballerlebnis vor und landeten über Umwege schliesslich bei mir als einen ihrer Protagonisten.

Als Kontext der Reportage diente ein von mir definiertes Fussballspiel. Das Duell zwischen dem FV Illertissen und Wacker Burghausen in der Regionalliga Bayern war zwar nicht meine erste Wahl, bot sich aber aufgrund der Erreichbarkeit und des ansonsten beidseitig vollen Terminkalenders an. Dass an jenem Dienstag mit Mämä Sykora der wohl grösste Schweizer Fussballkenner als Autor einsprang, liess den Ausflug zu einem kurzweiligen Abend unter – zumindest beinahe – Gleichgesinnten werden.

So blieb mir nebst viel Fachsimpelei vor allem der Austausch mit Wacker-Spieler Jérôme Laubli in Erinnerung – ein junger Schweizer, der vor einigen Jahren den unkonventionellen Weg nach Oberbayern ging und sein Glück als Fussballprofi seither dort versucht.

Das Spiel im Vöhlinstadion endete vor 375 Zuschauern übrigens 0:0. Torlose Partien – die viel zitierte Angst eines jeden Groundhoppers. Mämä, wenn das in deinem Text nicht die Pointe ist …


Soroksar SC - III. Kerület TVE

Als ich mich im Netz schlau machte, was es über Soroksar alles zu wissen gibt, stiess ich auf den Bericht des walisischen Groundhoppers Matt. Zwar förderten diese Zeilen keine bisher unbekannten Informationen zum Klub aus dem südlichsten Bezirk Budapests zutage – und doch offenbarten sie neue Erkenntnisse.

Wie Matt sechs Jahre zuvor hatte nämlich auch meine Reisegruppe auf dem Weg zum «Szamosi Mihaly Sporttelep» das zwielichtige Bahnhofsbistro in Közvagohid besucht. Der Ort wird als «Öffentlicher Schlachthof» ins Deutsche übersetzt und symbolisiert das Ende des Budapester Tramnetzes. Welche Szenerie sich Ankömmlingen hier bis zur Weiterfahrt mit der Regionalbahn bot, untermalen folgende Google-Bewertungen treffend:

«Grundsätzlich ein freundlicher Ort in einer nicht sehr freundlichen Nachbarschaft»

«Die meisten Gäste sind normal»

«Wenn Kata da ist, gehe ich gerne hinein»

«Ich habe dort mit einem wundervollen Mädchen Wein getrunken. Das wird mir ewig in Erinnerung bleiben: 3 Sterne»

«Nur unglückliche Leute da»

«Voller Arbeiter»

«Sozialistischer Realismus»

Auch die anschliessende Zugfahrt mit sperrangelweit geöffneten Fenstern, hypnotisierenden Sitzmustern in zu engen Sitzreihen und zu hoher Einstiegsrampe zeichnete ein entsprechendes Bild. In den Nachmittag voller Besonderheiten reihte sich auch das Stadion nahtlos ein: Es ist ein Flickwerk aus vergittertem Spielertunnel, provisorisch überdachter Haupttribüne, baufälligem VIP-Turm sowie einem von Matt passend als «random building» beschriebenem Klubhaus.

Überraschend ansehnlich war hingegen das Testspiel zwischen dem Zweitligisten «Sori» und dem jüngst in die 3. Liga abgestiegenen Gast aus dem 3. Bezirk im Norden der ungarischen Hauptstadt. Vor 125 Zuschauern lieferten sich die Teams ein unterhaltsames 1:1.


Eintracht Trier - Stuttgarter Kickers (14.06.22)

Um ein Haar hätte die Eintracht-Fans das gleiche bemitleidenswerte Schicksal ereilt, das eine Woche zuvor bereits den Anhängern der Stuttgarter Kickers widerfahren war: Der sichergeglaubte Aufstieg löste sich in letzter Sekunde in Luft auf. Doch Denis Wieszolek im Tor der Trierer liess sich trotz mehreren brenzligen Situationen kein zweites Mal in dieser Nachspielzeit bezwingen.

Wenig hatte darauf hingedeutet, dass die grosse Aufstiegsfeier für Trier beinahe im Desaster enden würde. Im entscheidenden Aufstiegsspiel um einen Platz in der Regionalliga reichte dem Gastgeber nämlich ein Remis, um mit den Stuttgarter Kickers den anderen Traditionsklub zu einem weiteren Jahr in der Oberliga zu verdammen. Spätestens nach den zwei gelb-roten Karten und der Führung in der 87. Minute hatten sich auch die letzten Pessimisten auf der Haupttribüne von ihren Sitzschalen erhoben.

Doch die neun Stuttgarter zeigten Moral und glichen in der 93. Minute tatsächlich noch aus. Ein Makel, den die Eintracht aufgrund des besseren Torverhältnisses in der Aufstiegsgruppe verkraften konnte. Erst im Anschluss, als den Gästen trotz doppelter Unterzahl mehrfach nur wenig zur grossen Wende fehlte, kehrte kurzzeitig das Zittern bei den SVE-Fans zurück. Zum Schluss blieb es aber beim 1:1.

Wider Erwarten wirkten die Gästefans ob des zweiten Nackenschlags innerhalb kurzer Zeit erstaunlich gefasst. Ein später Ausgleich von Konkurrent Freiberg hatte ihren Klub am letzten Spieltag erst im Fernduell noch vom direkten Aufstiegsplatz gestossen. Doppelt bitter: Weil die Stuttgarter Anhänger und Spieler nicht mitbekommen hatten, dass jene Partie noch lief, feierten sie auf dem Rasen in Dorfmerkingen bereits die vermeintliche Rückkehr in die Viertklassigkeit.

Auch wenn der Partie die Spielklasse deutlich anzumerken war, sorgte die Kulisse für einen kurzweiligen Nachmittag. Die 8’300 Zuschauer zeichneten nicht nur für ein ausverkauftes Moselstadion und hervorragende Stimmung verantwortlich, sondern auch für Szenen, wie ich sie in Deutschland noch nie erlebt hatte. Überall kletterten Menschen auf den Zaun, ergatterten sich einen Fensterplatz im nahegelegenen Gebäude oder erklommen Verpflegungsstände, um in der ältesten Stadt Deutschlands eine bessere Sicht auf das wichtigste Spiel des Jahres zu geniessen.


Hajduk Split - HNK Rijeka

«Du kannst alles sagen gegen mich oder die ganze Welt. Aber ich will nichts von dir gegen Split hören», klang es gar aus den Kehlen der Bardamen, die zum Höhepunkt des Abends selbst auf den Tresen gestiegen waren und die feiernde Menge für lau mit Alkohol versorgten. Mittlerweile hatte auch ich das Lied «Nista kontra Splita» (Nichts gegen Split) des lokalen Sängers Dino Dvornik oft genug gehört, um in der kleinen Bar im Herzen Dalmatiens nicht weiter aufzufallen.

(K)ein Schweizer Spielverderber

Stunden zuvor hatte mit Hajduk der lokale Fussballklub erstmals seit neun Jahren wieder den kroatischen Cup gewonnen – und das ausgerechnet in der heimischen «Muschel», wie das Stadion Poljud im Deutschen heisst. Dabei begann das Aufeinandertreffen mit dem Rivalen aus Rijeka alles andere als optimal: Nach nur 13 Minuten brachte ausgerechnet der Schweizer Nationalspieler Josip Drmic die Gäste in Führung.

Unter der Leitung der Torcida, der 1950 gegründeten und damit ältesten Fanorganisation Europas, vermochte der Gastgeber die Partie aber noch zu drehen. Nebst der Unterstützung von den Rängen trug auch eine rote Karte gegen die Gäste aus Istrien ihren Teil dazu bei, dass sie in Unterzahl kaum mehr offensiv in Erscheinung traten. Spätestens mit dem Tor zum 3:1 war die grosse Genugtuung über den Titelgewinn bei den 29‘411 Zuschauern zu spüren, nachdem Hajduk kürzlich eine weitere Saison nur knapp hinter dem ewigen Rivalen aus Zagreb abgeschlossen hatte.

Andere Länder, andere Sitten

Mit dem Schlusspfiff verlagerte sich die Freude von den Rängen auf den Rasen und obwohl selbst auf der Gegentribüne jeder Anwesende beim Anlass seine Schuhe hatte ausziehen müssen, erhellten nun überall Fackeln die historische Nacht an der Adriaküste. Einige von ihnen flogen im hohen Bogen in die Reihen der rund dreitausend Rijeka-Fans, die sich das Schauspiel gezwungenermassen mitansehen mussten. Es war die Antwort der «Plünderer» (Hajduk) auf die Aktion der Armada aus Rijeka, die wenige Minuten vor Abpfiff mit der Niederlage vor Augen angefangen hatte, benachbarte Blöcke mit brennenden Leuchtstäben einzudecken. Passive Ordnungskräfte und lachende Väter mit winkenden Kindern auf ihren Armen – untermalt von Miso Kovacs Folklore – zeichneten besonders für Westeuropäer ein surreales Bild.

Zwischen den überschäumenden Glücksgefühlen im Stadion mit dem pittoresken Gebirgszug Kozjak im Hintergrund und dem Ausklang des langen Abends in der eingangs beschriebenen Bar, begab ich mich auf eine Anhöhe. Hier von der Terrasse des Restaurants Vidilica liess sich die Halbinsel Marjan und damit das Zentrum Splits bestens beobachten. Ich hatte auf ein Feuerwerk spekuliert, das die UNESCO-geschützte Altstadt mit ihrem Diokletianspalast und der belebten Riva taghell erleuchten lassen würde – und wurde abermals nicht enttäuscht.


KAA Gent - RSC Anderlecht (18.04.22)

Es ist Synonym für die bekannteste Stadionkatastrophe: das Hillsborough in Sheffield. Damals im Frühling 1989 starben 97 Fans beim FA-Cup-Halbfinal nach einem Fehler der Polizei. Doch bereits vier Jahre zuvor hatten Fans der «Reds» traurige Bekanntheit erlangt, als sie am 29. Mai 1985 anlässlich des Finals des Europapokals der Landesmeister in die Katastrophe von Heysel involviert waren. Im Vorgängerwettbewerb der Champions League standen sich im Brüsseler Stadtteil Laeken Liverpool und Juventus Turin gegenüber.

Noch vor Anpfiff stürzte damals eine Wand ein, nachdem Liverpool-Anhänger den benachbarten Sektor gestürmt und die dort anwesenden Juventus-Fans panisch die Flucht ergriffen hatten. Das Resultat der Tragödie waren 39 Tote, darunter 32 Italiener. Besonders tragisch: Der betroffene Sektor sollte eigentlich neutralen Zuschauer vorbehalten sein. Da ein korrupter Uefa-Offizieller jedoch ein italienisches Reisebüro mit den Tickets dafür ausgestattet hatte, fanden sich im besagten Teil des maroden Stadions aber vor allem italienische Fans ein.

33 Jahre später hat das Stadion nicht nur einen beinahe kompletten Neubau hinter sich, sondern trägt mit «König-Baudouin-Stadion» auch einen neuen Namen. An das Heysel und die Katastrophe von damals erinnern nebst einer Sonnenuhr und einer Gedenktafel nur noch die runden Ecken, sowie die Sitzplätze im gesamten Stadion – eine direkte Konsequenz aus den Geschehnissen im Norden Brüssels.

Mit dem belgischen Cupfinal zwischen Anderlecht und Gent stand im Nationalstadion abermals ein Spiel an, das grosses Interesse weckte. Die Tickets für die 46’000 Zuschauer waren in Windeseile vergriffen, alleine Fans des Hauptstadtklubs hatten 42’000 Kartenanfragen eingereicht. Da diese das jeweilige Kontingent von 20’000 Tickets pro Klub klar überstiegen, verfolgten viele RSC-Anhänger das Spiel auf Grossleinwand im Stadion des Rekordmeisters.

Gents späte Genugtuung

Deswegen aber nicht minder imposant präsentierte sich der Aufmarsch der Anderlecht-Supporter rund um die Fanmeile am Atomium. Hier fieberten sie bei Sonnenschein, Musik und Bier zuversichtlich dem 10. Cuperfolg der Geschichte entgegen. Zuletzt holte sich der Royal Sporting Club den «Beker van Belgie» 2008 – ausgerechnet gegen die KAA Gent.

Diese avancierte in der Reprise 14 Jahre später prompt zum Spielverderber und nahm Revanche. In einem defensiv geprägten Spiel ohne zwingende Strafraumszenen fiel die Entscheidung nach 120 torlosen Minuten erst im Penaltyschiessen. Hier hatten zum Schluss gleich zwei Spieler von Anderlecht gepatzt, die anschliessende Ekstase rund um das 4:3 und den 4. Cuptitel für Gent entschädigte für den bis dahin bescheidenen Auftritt im Sektor der «Buffalos».


Lech Poznan - Rakow Czestochowa

Ganz ohne Fussball sollten die Tage in der Kaschubei dann doch nicht verstreichen. Und so stieg ich am Tag des polnischen Pokalfinals kurzfristig in den Zug nach Warschau. Zwar hatte Rakow Czestochowa einen Traumfinal auf Fanebene zwischen Legia Warszawa und Lech Poznan verhindert, doch aus sportlicher Sicht verkörperte das Aufeinandertreffen der «Krebse» mit dem Klub aus Westpolen den logischen Final. Zumal Rakow, amtierender Pokalsieger und Aufsteiger der letzten Jahre, sich mit Lech auch in der Meisterschaft einen spannenden Zweikampf um den Titel liefert.

Ein sturer Stadtpräsident

Was aber an jenem Montagnachmittag am Ufer der Weichsel folgte, verkörperte den wohl trostlosesten Cupfinal in der Geschichte des polnischen Fussballs. Verantwortlich dafür war mit Rafal Trzaskowski niemand geringerer als der Bürgermeister Warschaus, der auf Empfehlung der städtischen Feuerwehr hin sämtliche Banner und Fahnen – und damit auch Choreografien – verbot, welche die Masse von 1,5 x 2 Meter überstiegen. Eine Missachtung seiner kurzfristig eingeführten Regelung sah gestützt auf Art. 58 des polnischen Sicherheitsgesetzes zu Massenveranstaltungen eine Freiheitsstrafe von bis zu 8 Jahren vor.

Mit dem polnischen Fussballverband ging gegen diese absurde Regelung gar der Veranstalter des Endspiels in Berufung. Trzaskowski blieb jedoch bei seiner Meinung und verwies auf den Brandschutz. Da kurzfristige Repressalien im Hinblick auf den Pokalfinal in Polen keine Neuheit bedeuteten, appellierten die Fanszenen an die Vernunft und reisten trotzdem an. Dass dennoch nicht alle von ihnen an eine erneute Kursänderung glaubten, zeigten die zahlreichen Einweggrills und Campingstühle hinter der Lech-Kurve. Und so war es denn auch: Trzaskowski zeigte auch am Spieltag selbst keine Einsicht. Und obwohl Lech Walesa in diesem Kontext eher Glatze und ein T-Shirt mit martialischem Spruch darauf trug, erinnerte mich die Konsequenz, mit der die Fanszene Lechs angeführt von ihrem Vorsänger solidarisch vor den Toren des Stadions verharrte, an die Einstellung des Solidarnosc-Anführers, dessen Grundsätze mich tags zuvor im Museum in Danzig bereits beeindruckt hatten.

Übermannt von Gefühlen

Anders sah das Bild auf Seiten Rakows aus. Hier gab es bis kurz vor Schlusspfiff zwar ebenfalls keine Bemühungen um stimmliche Unterstützung, doch mit – zugegeben günstigem – Spielverlauf strömten immer mehr rotgekleidete Fans in die Kurve. Als mit dem 3:1 für Czestochowa der Pokalsieg eine Viertelstunde vor Schluss praktisch feststand, hob die Fanszene übermannt von Gefühlen und wohl auch überfordert von der Konsequenz auf Seiten Lechs ihren Boykott auf. Eine Aktion, die ihr in der polnischen Fanlandschaft in den Tagen darauf viel Hohn und Spott einbringen sollte. Während Lech also im Jubiläumsjahr die erste Chance auf einen eigenes Geschenk zum 100. Geburtstag verpasste, feierte Rakow zusammen mit einem Teil der 35‘694 Zuschauer in doch eher trostlosem Ambiente den zweiten Pokalerfolg de suite.

Optimistisch in die Zukunft blicken liessen da einzig die Worte des Verbandspräsidenten Cezary Kulesza, der im Nachgang der Partie in den sozialen Medien anmerkte, bei anhaltender Drangsalierung durch die Warschauer Politik den Final zukünftig nicht mehr in der Hauptstadt auszuspielen. Mit dem Stadion Slaski würde in Chorzow auch schon eine reizvolle Alternative bereitstehen.


SC Admira Dornbirn - SV Austria Salzburg

Kennen Sie die Regionalliga West? Also nicht die, in der sich Preussen Münster und Rot-Weiss Essen einen packenden Aufstiegskampf liefern. Nein, jene Regionalliga West, an deren Spitze Schwaz und Hohenems der Konkurrenz die Punkte abknöpfen. Wie bereits bei der Namensgebung der höchsten Liga hat sich Österreich auch auf dritthöchster Stufe beim grossen Nachbarn bedient.

Hier kämpfen je zwei Teams aus der Eliteliga Salzburg, der Eliteliga Tirol und der Eliteliga Vorarlberg in zehn weiteren Partien mit je einem Heim- und Auswärtsduell gegen jeden Gegner um den Aufstieg in die 2. Liga. Da in der laufenden Austragung allerdings keiner der sechs Klub Interesse an einer Teilnahme im Profifussball bekundet, stellen nur die Regionalliga Mitte und Ost je einen Aufsteiger. Weil der LASK-Nachwuchs und das finanziell angeschlagene Wacker Innsbruck zudem bereits ihren Rückzug aus der 2. Liga vermeldet haben, sind beide Absteiger schon bekannt. Aus sportlicher Sicht hätte es aber wohl ausgerechnet Admiras Rivale, den FC Dornbirn, getroffen.

Zu nahe an die Sonne heran

850 Zuschauer dürfte denn für gewöhnlich auch nur das Stadtduell auf die Sportanlage Rohrbach locken. Es sei denn, mit der Austria Salzburg gastiert ein grosser Traditionsverein im Vorarlberg. Bei meinem letzten Matchbesuch wähnte sich dieser gar noch im Profifussball. Wie Phönix aus der Asche hatte der Gegenentwurf in Salzburg damals den Aufstieg bis in die 2. Liga geschafft – und übernahm sich dann finanziell. Nach zwei Abstiegen in Folge landete «das Original aus der Mozartstadt» schliesslich in der Salzburger Liga.

Auch heuer sieht sich der Klub wieder mit einer scheinbar unüberwindbaren Hürde konfrontiert, läuft 2024 doch die Genehmigung für die aktuelle Heimat in Salzburg-Maxglan aus. Die engagierte Führung stellt sich aber auch dieser Aufgabe und präsentierte vor einiger Zeit gemeinsam mit der Max-Aicher-Gruppe Pläne für ein Mehrzweckstadion mit über 400 Wohnungen am Messegelände.

Nach Vorarlberg begleiten die Austria über 200 Fans, die sehen, wie ihr Team die Admira dominiert. Diese wehrt sich im ersten Heimspiel in der Regionalliga West aber nach Kräften und lauert auf ihre Chance. Eine davon bietet sich nach einem Konter bei Anbruch der Schlussphase und bringt prompt das 1:0 und damit den vielumjubelten Siegtreffer mit sich.


Raja Casablanca - ES Sétif

Soeben hatte der Schiedsrichter das Heimspiel von Raja Casablanca abgepfiffen und ich lief mit den Menschenmassen zurück zur Hauptstrasse. In diesem Moment ging mir eine einzige Frage durch den Kopf: Wieso höre ich jetzt nicht auf? Ein Besuch in einem Fussballstadion wird nach diesem Wochenende nie mehr lauter und wohl auch nie mehr emotionaler sein. Was bringt es mir also, irgendwann noch nach Wolfsberg oder zu Perugia Calcio zu fahren? Ziemlich genau zehn Jahre nach meinen Groundhopping-Anfängen stellte ich mir zum ersten Mal die Sinnfrage.

Gleich und doch anders

Obwohl mich die beiden Fussballabende in der marokkanischen Metropole im selben aufgewühlten Gemütszustand zurückliessen, waren sie doch ganz unterschiedlich. Zwar mussten auch bei Raja bewusstlose Jugendliche mit Fischerhut auf dem Kopf von Polizisten aus dem Block getragen werden, während ihre Kollegen im Innenraum von der Menge mit allerhand Gegenständen eingedeckt wurden.

Doch im Gegensatz zum perfekt orchestrierten Anhang von Wydad wirkte die Curva Sud Magana von Raja deutlich weniger organisiert. Bereits beim ersten Blick offenbarte sich dem Betrachter ein in schwarz gehüllter Block voller testosterongeladener Jugendlicher, die sich im Minutentakt und auf engem Raum kurze aber heftige Auseinandersetzungen lieferten. Rohe Gewalt, die Erinnerungen an das verheerende Duell im Frühjahr 2016 zwischen Raja und Chabab Rif Al Hoceima aufkommen liessen. Jenes Spiel, das die Subkultur der Ultras in Marokko beinahe hatte aussterben lassen. Damals kam es zwischen Vertretern der Ultra Green Boys und der Ultras Eagles zu Machtkämpfen, die in schwersten Ausschreitungen und tragischerweise auch im Tod zweier Rajaouis endeten.

Mittlerweile hat sich die Ultrà-Bewegung Marokkos wieder erholt und scheinbar auch die Corona-Pandemie überwunden. Als die Zaunfahnen kurz vor dem Anpfiff ausgerollt wurden, offenbarte sich dennoch eine Änderung zu früher. Die dritte Gruppe «Derb Sultan» – benannt nach dem Stadtviertel, aus dem Raja stammt – hat sich aufgelöst, um den beiden grossen Gruppen Platz zu lassen, darunter mit den Green Boys auch die älteste des Landes.

Gesellschaftskritik in Liedform

Unter ihrer Leitung sorgten in den kommenden 90 Minuten besonders die Lieder L’Khadra L’Wataniya (Grüne Nation) und Fbladi Delmouni (Mein Land hat mich betrogen) für Gänsehaut. Während ersteres an die Klub-WM 2013 erinnert, bei der Raja erst im Final von den Bayern gestoppt wurde, beschäftigen sich die Zeilen des zweiten mit dem gescheiterten Staat und der Hoffnungslosigkeit junger Marokkaner. Ihren Siedepunkt erreichte die Stimmung, als Raja mit Anbruch der Schlussviertelstunde endlich das 1:0 erzielte und sich – mit nur sieben Toren in sechs Spielen – wie Erzrivale Wydad vor 43’651 Zuschauern den Gruppensieg in der Champions League sicherte.

Es mag stimmen, dass ich künftig nicht mehr viele Fussballspiele erleben werde, die mich von der Stimmung, den Melodien und dem Stadionerlebnis derart fesseln, wie die beiden an diesem Wochenende in Marokko. Doch geht der Reiz solcher Partien nicht auch davon aus, dass man sie nur ganz selten erlebt? Denn erst wer einmal an einem kalten Samstagabend frierend auf der Gegentribüne in Annecy gesessen hat, kann Abende wie jene in Casablanca so richtig geniessen.