Spezia Calcio - Torino FC

«Da, rechts!», entfährt es mir. Michael, der meine energische Stimmlage als pflichtbewussten Beifahrer seit vielen Jahren kennt und einzuschätzen vermag, bremst unverzüglich. Das abrupte Stoppmanöver kommt gerade noch rechtzeitig, um unser Auto einigermassen elegant auf ein rares Nebensträsschen zu lenken, das der Passstrasse am Monte Santa Croce entspringt.

Im Gras auf dem Abhang hinter der Leitplanke sitzend, geniessen wir die Aussicht auf die Bucht von La Spezia in der Dämmerung einer lauen Sommernacht. Am hellsten leuchten die Flutlichter des «Stadio Alberto Picco», in dem Spezia Calcio vor leeren Rängen zur letzten Partie der regulären Serie-B-Saison gegen Cosenza antritt. Grund für das Geisterspiel ist keine Zuschauersanktion, sondern die Ungewissheit der Corona-Pandemie im Juli 2020, die unserer Reisegruppe zwar einen Spielbesuch verwehrt, aber auch einmalige Eindrücke fern von Touristenmassen in Portovenere sowie den fünf Küstendörfern der Cinque Terre beschert.

Mit einem 5:1-Heimsieg über die Kalabrier schoss sich Spezia Calcio damals für die Playoffs warm, in denen die Spezzini Wochen später den Aufstieg ins italienische Oberhaus fixierten. So kam es, dass ein erneutes Aufkreuzen in La Spezia verbunden mit einem Spielbesuch im (!) Stadion für mich die erstmalige Komplettierung der Serie A markieren würde. Umstände, welche die malerisch gelegene Spielstätte mit ihrer geschwungenen Heimkurve, dem eingangs erwähnten Monte Santa Croce im Hintergrund und der Haupttribüne mit Giebeldach gleich noch einmal an Attraktivität gewinnen liessen.

Mit 10’776 Zuschauern fasst sie so wenig Fans wie keine andere Baute der Serie A und trägt den Namen des ersten Torschützen des Klubs, der kurz darauf im 1. Weltkrieg fiel. Mit der «Curva Ferrovia», hinter der einst die Eisenbahn zu einem Arsenal führte, steht ein zweiter Begriff rund um die Heimat von Spezia Calcio in Verbindung zum Militär. So passt auch die Parade ins Bild, mit welcher die Heimfans den Teambus von der Espressobar Piccolo Faro (kleiner Leuchtturm) bis zum Stadion geleiten.

«Militärische Disziplin» liess im letzten Heimspiel der Saison einzig die Mannschaft vermissen, die sich Torino – mit dem Schweizer Captain Ricardo Rodriguez – gleich mit 0:4 beugen musste. Damit zittert der von Schweizer Kaufmännern gegründete Klub drei Jahre nach dem Aufstieg weiter um den Verbleib in der Serie A.


FC Südtirol - Reggina 1914

1312 Kilometer trennen die Städte Reggio Calabria und Bolzano voneinander. Kein anderes Duell auf dem italienischen Festland erfordert eine längere Anreise – dennoch war der Gästeblock mit 625 Reggina-Fans innert weniger Minuten ausverkauft. Deren Team hatte sich erst dank eines Siegtors in der Nachspielzeit am letzten Spieltag für die Playoffs der Serie B qualifiziert und damit einem Punkteabzug getrotzt, den sich die Kalabrier zuvor durch nicht entrichtete Einkommenssteuern und fehlende Gehaltszahlungen eingefangen hatten.

Der Auftritt in Bozen – im Südtirol lebt eine deutschsprachige Mehrheit – ist für die Gäste damit Bonus einer sportlich gelungenen Saison, während sich der FC Südtirol bereits in der Aufstiegssaison in Richtung italienisches Oberhaus orientieren darf. Trotz der jüngsten Erweiterung des eigenen Stadions müsste der nördlichster Profiklub Italiens seine Heimspiele in der Serie A im Exil austragen, zumal das Stadio Druso den Ansprüchen der Liga nicht genügt – da hilft weder die denkmalgeschützte Haupttribünenfassade noch das sehenswerte Panorama mit den letzten Ausläufern der Dolomiten am Horizont.

Direkt unter dem Gebirgszug liegt mit der «Gradinata Nord» das Zuhause der kleinen Fanszene, die eindeutig italienisch geprägt ist und dies prominent zur Schau stellt: Nebst zahlreichen Italien-Fahnen sprechen diese Anhänger auch nicht vom FC Südtirol in Bozen, sondern vom FC Alto Adige in Bolzano. Damit torpedieren sie die Absicht der Gründerväter in Form lokaler Unternehmer, die Mitte der 1990er-Jahre einen Profifussballklub im Südtirol aufbauen wollten, der beide Bevölkerungsgruppen eint und bis heute tatsächlich auf der Webseite als auch bei den Stadiondurchsagen zweisprachig geführt wird.

Im italienischen Playoff-Format genügt dem in der regulären Saison besser platzierten Team jeweils ein Unentschieden zum Weiterkommen. Diese Hürde wird in der Playoff-Vorrunde für den Aussenseiter gar noch erhöht, da es kein Rückspiel gibt und das besser klassierte Team im entscheidenden Aufeinandertreffen Heimrecht geniesst.

So kann der FCS auch im Duell mit den Süditalienern seinem Erfolgsrezept treu bleiben und tief stehend mit wenig Ballbesitz auf Konterchancen lauern. Orchestriert von Routinier und Ex-Atalantino Andrea Masiello lässt die Südtiroler Defensive auch an diesem Freitag vor 5419 Zuschauern trotz geringer Spielanteile kaum Grosschancen zu. Kurz vor Schluss setzen die Gastgeber zum Gegenangriff an und besiegeln mit dem 1:0 das eigene Weiterkommen, während sich Reggina-Trainer Filippo Inzaghi und seine Mannschaft in die Sommerpause verabschieden müssen.


Rot-Weiss Essen - VfB Oldenburg

Geht es um Groundhopping, einen Begriff, den ich auf dieser Webseite mit dem Zusatz «game-changing reports» mittlerweile bewusst umschiffe, finden sich in meinen Lesezeichen gerade einmal zwei Auftritte, die ich regelmässig konsultiere und besonders in Zeiten inflationär entstehender Instagram-Groundhopping-Profile zu schätzen weiss.

Einerseits betrifft dies Bernd aus Meppen, ein geschätzter Kollege, dessen Webpräsenz Fever Pitch mir besonders wegen der ansprechenden Spielauswahl und des unterhaltsamen Schreibstils gefällt, der nicht primär auf das Geschehen auf dem Platz abzielt. Die andere Webseite gehört Michael aus Essen, der auf Groundfever sein Hobby in Form einer unheilbaren Krankheit passend beschreibt. Im Gegensatz zu Bernd besucht er Spiele in höherer Kadenz und gewährt dem Leser besonders bei exotischen Reisen stets einen kulturellen Kontext.

Zum Abschluss meiner Vortragstournee zur indonesischen Fankultur in Nordrhein-Westfalen bot sich ein Besuch bei Rot-Weiss Essen an, bei dem mich Michael als Lokalmatador begleitete und mir vorab noch die Zeche Zollverein zeigte. Als ehemaliges Steinkohlebergwerk stellt es heutzutage ein UNESCO-Welterbe dar und bietet dem Besucher einen guten Überblick zum einst führenden Industriezweig im Ruhrgebiet.

Kein Welterbe, aber für Teile der Essener Bevölkerung dennoch eine elementare Baute, steht an der Hafenstrasse 97a, auch wenn das einstige Georg-Melches-Stadion mittlerweile einem Neubau (mit Potenzial zur Erweiterung) weichen musste. Dass es an diesem Sonntagnachmittag aber nur selten so laut wird wie in der alten Heimat, liegt nicht an der Infrastruktur, sondern nebst einem mauen 0:0 vor 17’657 Zuschauern auch am Zerwürfnis zwischen dem Klub und seiner Fanszene. Diese unterstützt das Team im Abstiegskampf der 3. Liga zwar weiterhin akustisch, verzichtet aber seit der Aussprache von 76 Hausverboten im Herbst 2022 auf jegliche visuelle Aktionen.

Auch beim VfB Oldenburg lassen sich gewisse Differenzen erahnen, wobei diese den Fanblock isoliert tangieren: Beim Auftritt in Essen positioniert sich die neu gegründete Gruppe Succade Ultrà Oldenburg, die hier das Verhältnis zum einstigen Commando Donnerschwee erläutert, am oberen Ende des Blocks, während sich im unteren Bereich die Oldenburger Vertreter der dritten Halbzeit (OL Hooligans) mit befreundeten Personen aus Aachen (Boxstaffel 520) einfinden.


Borussia Dortmund II - SV Elversberg

Fast droht sie im Schatten des Westfalenstadions unterzugehen: die Rote Erde in Dortmund. Dabei braucht sich die altehrwürdige Spielstätte, deren Name auf eine historische Bezeichnung für die Region Westfalen zurückgeht, vor ihrem jüngeren und doch grösseren Bruder nicht zu verstecken: Nebst grosszügigen Stehtraversen zeichnen die schöne Bruchsteintribüne und auf der Gegenseite ein kleiner Turm – ebenfalls aus Bruchstein – sowie das Marathontor das Stadion aus, das bis zur WM 1974 Heimat für den BVB war.

Zu Gast auf der Roten Erde ist an diesem Samstag der überraschende Tabellenführer aus Elversberg, dessen Aufstieg in die 2. Bundesliga dank eines komfortablen Vorsprungs bereits früh in der Rückrunde nur noch eine Frage der Zeit ist. Zumindest in Dortmund müssen sich die Saarländer von den Jungborussen aber den Zahn ziehen lassen, während diese vor 2392 Zuschauern einen wichtigen 2:0-Heimsieg einfahren.

Für den Glanzpunkt sorgen aber nicht die Akteure auf dem Rasen, sondern die «Ultras von die Amateure» am Tribünenrand. Im ersten organisierten Auftritt seit langer Zeit bugsieren sie mich nach einem gelungenen Intro mit schönen Trommelrhythmen und originellem Liedgut zeitweise gefühlt nach Süditalien. Den starken akustischen Auftritt untermalen Pyrotechnik und zahlreiche kleine Schwenkfahnen, wobei den Fans, die auch in der Bundesliga im Dortmunder Block stehen, die Reife anzumerken ist.

Dass ich ob eines Kurvenauftritts ins Schwärmen gerate, ist gerade in Deutschland selten geworden. Zu oft nämlich kann der Matchbesucher hier bereits im Voraus erahnen, was ihn – auf hohem Niveau – erwarten wird und Überraschungen bilden besonders in Stadien eine Ausnahme, in denen der Stimmungskern nur einen verschwindenden Teil einer Stehtribüne ausmacht. Gerade für die Dortmunder Fanszene gibt es im Bundesliga-Alltag kaum je eine Partie, in der ihr Klub von weniger als 3000 Anhängern unterstützt wird – ganz zu schweigen von Heimspielen, auf der sich die aktiven Fans den Platz auf der Südtribüne mit abertausenden Menschen teilen, die – wenn überhaupt – nur bedingt Interesse an Stimmung oder gar der Subkultur aufweisen.

Nicht so neben dem Westfalenstadion, wo die etablierte Fanszene ausnahmsweise in kleinem Rahmen zu sehen ist und mit einem Liedgut überzeugt, das in den grossen Stadien der Republik kaum funktionieren würde. So verwundert es wenig, dass im Zusammenhang mit der Roten Erde aus einem mir bekannten Dortmunder Mund die Begriffe «Kontrastprogramm» und «Oase» fallen.


VfL Bochum - Borussia Dortmund

Ein ausverkauftes Lokalduell an der Castroper Strasse unter Flutlicht klingt vielversprechend in den Ohren eines Fussballfans. Das Bochumer Ruhrstadion ist bereits von aussen ein Blickfang, obschon dessen Bauweise eher einer Konzerthalle in der ehemaligen Sowjetunion als einem Fussballstadion im Ruhrpott gleicht. Doch gerade der kompakten Bauweise und dem tiefen Dach ist es zu verdanken, dass es an diesem Freitagabend sehr laut wird; besonders dann jeweils, wenn die Gegengerade in die Gesänge der Ostkurve miteinsteigt.

Während die Heimseite mittels einer Blätter-Choreografie die Klubfarben zelebriert, liefert die Gegenseite aus Dortmund einen eher enttäuschenden Auftritt ab. Ganz offenbar liegt der Fokus hier – trotz der geografischen Nähe – auf dem Revierderby mit dem Klub aus Gelsenkirchen. Für Bochum markieren die Schwarz-Gelben hingegen den Erzrivalen, während mit den Ultras Bochum (UB) die derzeit grösste Gruppierung zudem eine Freundschaft zu einigen Fans von Bayern München (Schickeria und Red Fanatic) pflegt.

Wie auf dieser Präsenz bereits 2018 beim Bochumer Gastspiel in Paderborn prognostiziert, kehrte UB unter gleichem Namen (und mit einem Banner mit der Aufschrift «unbequem unverkäuflich») damals tatsächlich nach einem Jahr ins Stadion zurück. Mit Melting Pott zog sich die zweite Gruppierung hingegen aus dem Bochumer Kurvenbild zurück. Grund für die Absenz der aktiven Fanszene war die Ausgliederung der Profiabteilung in eine aktienbasierte Kommanditgesellschaft an der Jahreshauptversammlung im Oktober 2017.

In einen wiederum erfreulicheren Rahmen reiht sich das Spiel ein: Eine schnelle Führung der Gastgeber kontern die Borussen mit dem prompten Ausgleich, verpassen es in der Folge aber gleich mehrmals – auch aufgrund eines aberkannten Treffers in der Schlussphase – die drei Zähler nach Dortmund zu bringen. So bleibt es vor 26’000 Zuschauern beim 1:1, das den BVB auf den Schlussmetern um den Meistertitel zurückwirft, während die Bochumer einen nicht budgetierten Punkt im Kampf um den Klassenerhalt zurecht wie einen Sieg feiern.


Twente Enschede - Sparta Rotterdam

Mit Blaise Nkufo geniesst ausgerechnet ein ehemaliger Schweizer Nationalspieler Kultstatus beim niederländischen Erstligisten aus Enschede (ausgesprochen Ens-che-dey). Zu verdanken hat er dies seinen Skorerqualitäten, die ihm den Titel als Rekordtorschützen und seinem Klub 2010 gar die Meisterschaft einbrachten. Ein rarer Erfolg in der verhältnismässig jungen Geschichte des Klubs, der Mitte der 1960er-Jahre einer Fusion entsprang und dessen Namenszusatz auf die gleichnamige Region zurückgeht.

Unabhängig des sportlichen Erfolgs darf Twente regelmässig ein ausverkauftes Stadion vermelden. Auch an diesem Sonntag bleiben mit dem Besuch von 29’500 Zuschauern nur wenige Sitzplätze in der steilen Baute frei, in der einzig die Gegentribüne einstöckig daherkommt. Trotz des grossen Andrangs ist die akustische Unterstützung eher mässig und auch die Choreografie, die aufgrund einer nicht durchgehenden Aufhängung bei der Ausführung zerreisst, passt irgendwie ins Gesamtbild. Den Stimmungskern bilden die 1991 gegründeten Ultras im Vak-P, die aufgrund der Nähe zur deutschen Grenze auch eine Freundschaft zu den Anhängern des FC Schalke 04 pflegen.

Für das direkte Verfolgerduell im Kampf um das internationale Geschäft sind auch einige Fans aus Rotterdam angereist. Insbesondere im Meisterjahr von Feyenoord bleibt dem Klub aber wiederum nur die Nebenrolle in der Stadt. Immerhin dürfen die Sparta-Anhänger rund um die Gruppe Spangenaren – mit Gerard Butler auf der Zaunfahne – beim 3:3 gegen die «Tukker» nach dem Ausgleich in der Schlussminute ausgelassen jubeln.


De Graafschap - ADO Den Haag

«Wenn du guten Fussball sehen willst, bist du hier am falschen Ort», warnt mich mein Kontaktmann Geert-Jan verschmitzt vor. Dabei sorgt der idyllische Waldweg zum nach einem Teich benannten Stadion «De Vijverberg» (gesprochen De Faiferberch) bei mir bereits für erhöhten Pulsschlag. Aus architektonischer Sicht stellt die Spielstätte eine Mischung aus Loftus Road und Mendizorrotza dar und imponiert mir mit zahlreichen Malereien zur Klub- und Fangeschichte sowie einem selbstgestalteten Klubheim bereits von aussen.

Zurecht sind die Menschen in Doetinchem (Du-tin-chem), der mit 60’000 Einwohnern grössten Gemeinde im Achterhoek, stolz auf ihren Klub. Die ländlich geprägte Region begründet nicht nur den Klubnamen De Graafschap, sondern ist auch für den Übernamen «Superboeren» (Superbauern) verantwortlich. Einst als Schmähgesang vom Rivalen aus der nahegelegenen Grossstadt Arnhem initiiert, haben ihn die blau-weissen Fans mittlerweile zum eigenen Markenzeichen adaptiert.

Mit der Brigata Tifosi geniesst beim niederländischen Zweitligisten der Kern der Anhängerschaft denn auch über die Landesgrenzen hinaus einen ansehnlichen Ruf und pflegt Kontakte nach Duisburg (Proud Generation) und Palermo (Curva Nord Inferiore). Wie viele nationale Fanszenen kämpft auch die Brigata Tifosi gegen stetig wachsende Repressionen, die bei Auswärtsspielen nebst verpflichtenden Bus-Match-Ticketkombinationen teils in einem Vouchersystem mit der einzigen Eintauschmöglichkeit an einem dezentralen Treffpunkt am Spieltag selbst gipfeln. Im Gegensatz zu Deutschland wird in den Niederlanden seitens der Exekutive eher auf eine Prophylaxe-Strategie gesetzt, während am Spieltag selbst nur selten ein derartiges Aufgebot an Bereitschaftspolizisten wie jeweils beim östlichen Nachbarn im Einsatz steht.

Auf dem Rasen gelingt den Gästen aus Den Haag kurz vor Spielende mit der ersten grossen Torchance der einzige Treffer der Partie. Das 0:1 vor 10’129 Zuschauern, darunter eine Abordnung an verspätet eingetroffenen Gästefans, markiert für De Graafschap endgültig eine weitere Übergangssaison.


Penya Encarnada d'Andorra - UE Santa Coloma

Der einfachste Weg nach Europa führt im Ligafussball über Andorra. Diese persönliche und nicht vollumfänglich stichfeste These basiert auf dem Vergleich der internationalen sportlichen Wettbewerbsfähigkeit und der prozentualen Anzahl europäischer Startplätze. Hierbei weist Andorra als Drittletzter der Uefa-Fünfjahreswertung mit seiner 8er-Liga den gleichen Quotienten (0.25) wie etwa die französische Ligue 1 auf.

Zumindest in diesem Jahr verpasst Penya Encarnada (fleischgewordener Fels) diese 25-Prozent-Chance auf den Meister- oder Vizemeistertitel aber deutlich, der zur Teilnahme an der Vorrunde der CL-Qualifikation oder der 1. ECL-Qualirunde berechtigt hätte. Als frisch aufgestiegene Fahrstuhlmannschaft dürfte der portugiesisch geprägte Hauptstadtklub mit dem Ligaerhalt aber zufrieden sein.

Schauplatz des Duells mit Santa Coloma ist das nationale Trainingszentrum mit zwei Kunstrasenplätzen sowie einer dazwischenliegenden Tribüne, die auf beiden Seiten unterschiedlich stark ausgebaut ist. Auf der Seite des Hauptplatzes sehen 75 Zuschauer einen verdienten 4:1-Heimsieg, wobei die Bezeichnung «Heimteam» nur bedingt seine Richtigkeit hat: Die Anlage wird von allen Teams der ersten beiden Spielklassen bespielt und liegt zudem nur einen Steinwurf von der Ortschaft Santa Coloma entfernt.

Die nominellen Gäste stellten einst die Zweitvertretung des Serienmeisters FC Santa Coloma dar, änderten 2008 ihren Namenszusatz aber in UE, um als eigenes Team in der höchsten Liga startberechtigt zu sein. Seither erreichten sie acht Mal die erste Qualifikationsrunde für den Europapokal und scheiterten stets deutlich. Den prominentesten Gegner verkörperte Twente Enschede in der Saison 2012/13, als die Andorraner mit dem Gesamtskore von 0:9 klar den Kürzeren zogen.

Auf mich hat Andorra – und damit primär die Hauptstadt Andorra la Vella auf über tausend Höhenmetern – wie eine Mischung aus Samnaun und Vaduz gewirkt: ein modernes, steuerfreundliches und zollfreies Winterferienziel mit bergiger Landschaft, das kein eigenes Militär besitzt und dessen einziges Profiteam im ausländischen Ligasystem angesiedelt ist.

Nichtsdestotrotz versprüht der Zwergstaat in den östlichen Pyrenäen zwischen Frankreich und Spanien auch seinen Charme: Dann nämlich, wenn man sich auf den Höhenrundweg (Rec del Sola) rund um die Hauptstadt begibt, der den Platzmangel im kleinen Fürstentum und die daraus resultierenden Gärten an den Talhängen eindrücklich offenbart.


FC Andorra - SD Huesca

Nicht nur das Dasein der andorranischen Nationalmannschaft lässt sich anhand der Legende von David gegen Goliath treffend einordnen, sondern auch jenes des einzigen Profiteams des Landes: dem FC Andorra. Die Geschichte des Klubs, der seit 1948 in der spanischen Ligapyramide figuriert, gleicht einem kleinen Fussballwunder: Bis 2009 noch in der siebten Spielklasse aktiv, stieg der FC Andorra zur Saison 2022/23 in die zweitklassige Segunda Division auf und hält sich bei seiner Premiere gar in der vorderen Tabellenhälfte.

Als «Märchenprinz im Fürstentum» agiert Ex-Barcelona-Spieler Gerard Piqué, der seit 2018 Besitzer und Präsident des Klubs ist und ihn mithilfe einer Holdinggesellschaft aus der Verschuldung und den sportlichen Niederungen in den Profifussball führte. Nichtsdestotrotz erfährt der FCA verhältnismässig geringen Zuschauerzuspruch und hat mit dem Basketballteam BC Andorra eine – ebenfalls im spanischen Ligabetrieb – erstklassig spielende Konkurrenz.

Auch beim «Lokalduell» gegen den aragonischen Vertreter Huesca ist das 2014 eröffnete «Estadi Nacional» bei weitem nicht ausverkauft. Lediglich 2030 Zuschauer bevölkern das Stadion, das mit einem einmaligen Häuser- und Bergpanorama aufwarten kann und im besagten Fall Schauplatz eines 1:0-Heimsieges ist.

Während die Prise Provinzialität, den der FC Andorra dem Hochglanz-Produkt «La Liga» einhaucht, für den neutralen Beobachter charmant sein mag, ist der Klub den Organisatoren aus vermarktungstechnischer Sicht ein Dorn im Auge. Ganz anders sieht es für den andorranischen Breitensport aus: Dieser profitiert vom sportlichen Höhenflug seines Aushängeschilds, welches etwa das alte Nationalstadion zum Trainingsgelände umfunktionierte und im Zuge dessen auch die Innenräume renovierte. In der Ortschaft Encamp soll in den nächsten Jahren zudem eine neue Heimat für den FC Andorra entstehen.


CE Carroi - FC Encamp

Startbahn 06/24, Boeing 737, Reihe 8, Gangplatz links. «Erfahrung mindert die Neugierde», entnehme ich als abstrahierte Essenz der soeben gelesenen Seite aus einem Werk des Schweizer Schriftstellers Max Frisch. Meine Autorenwahl für diesen Flug kann passender kaum sein, denn das Ziel von Andri(n)s Reise ist tatsächlich Andorra.

Obschon Frisch in seinem bekannten Theaterstück unter «Andorra» ein Modell und nicht das Land versteht, passt seine anfängliche Schlussfolgerung – auch wenn sie aus einem anderen seiner Werke stammt – in den Kontext. Nicht zum ersten Mal nämlich hatte ich den Zwergstaat als Zielort auserkoren und so war meine Gefühlslage vor dem Besuch in den Pyrenäen nicht von Neugierde dominiert, sondern glich eher jener vor der ersten Stippvisite bei den Eltern einer neuen Freundin: von Anspannung geprägt und froh, wenn alles wieder vorbei ist.

Damals im Februar 2018 hatte ich das kleine Fürstentum vom südfranzösischen Toulouse aus angesteuert. Ein scheinbar durchdachtes Unterfangen, ehe am «Pas de la Casa» ­– wenige Kilometer vor der Grenze – dichtes Schneegestöber die fluchende Besatzung eines Mietautos ohne Schneeketten zur Umkehr zwang.

Gleiche Distanz, andere Himmelsrichtung

Fünf Jahre später sind es wiederum exakt 122 Kilometer Luftlinie, die mich nach der Landung im katalanischen Girona von der Hauptstadt Andorra la Vella trennen. Aus südlicher Richtung stoppt mich diesmal aber kein unerwarteter Wintereinbruch und auch das letzte potenzielle Hindernis in Form grimmiger Zöllner meistere ich, zwar mit pochendem Herzschlag, aber doch problemlos.

Die ersten Berührungspunkte mit andorranischem Fussball lassen dann kurzfristig dennoch länger auf sich warten als gedacht: Weil im Zweitligaduell zwischen der CE Carroi und dem FC Encamp ein Akteur mit seinen Kontaktlinsen kämpft, verzögert sich der Anpfiff um sechs Minuten. Im Anschluss steht der Partie und damit einem diskussionslosen 4:0-Sieg der nach dem Berg «Pic de Carroi» benannten Team aber nichts mehr im Weg. An diesem Vormittag beehren 35 Zuschauer die kleine Tribüne im modernen und schön am Hang gelegenen Sportzentrum in La Massana.